Barbara Schilling - Meine Berliner Kindheit

  • Klappentext:


    Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs geboren, wächst Helene vaterlos in Berlin auf. Mit Hilfe der resoluten Großmutter und einiger guter Freunde überstehen Helene und ihre junge Mutter die langen Bombennächte und den Einmarsch der Roten Armee. Doch auch nach Kriegsende wird die Lage nicht besser - die Stadt liegt in Trümmern, es herrschen Hunger und Not. Mit der Hochzeit der Mutter scheint das Leben für Helene zunächst leichter zu werden. Als in den nächsten Jahren nacheinander fünf Geschwister geboren werden, muss Helene sich endgültig von ihrer Kindheit verabschieden und als Älteste die Verantwortung übernehmen. Der Roman erzählt von einer entbehrungsreichen Kindheit in der Kriegs- und Nachkriegszeit, aber auch von Mut und Menschlichkeit angesichts der Not. Eine berührende Geschichte, gewürzt mit dem typischen Berliner Humor.


    Kritik:


    Es waren die Sechziger Jahre. Dann und wann rumpelte ein schwerer LKW über die Straße mit einem kleinen Verband englischer Soldaten auf der Ladefläche. Ich kann mich erinnern an das schrille Heulen der Sirenen, lautstark und mehrstimmig, Signale einer latenten Bedrohung. Probealarm. An der Seite meiner Mutter stieg ich hinab in den modrigen Keller. Spürbar schwebte noch der düstere Schatten des letzten Weltkrieges über den Köpfen der älteren Hausbewohner. Wie hätte man einem Kind begreiflich machen können, daß jene Maßnahme dazu diente, vor einer (damals hypothetischen) zerstörerischen Gefahr Schutz zu suchen? Wie hätte meine Mutter den Schrecken heraufbeschwören sollen, den sie selbst als Kind erlitten hat, ohne das Grauen erneut in die Welt zu rufen?
    Mit ihrem Roman "Meine Berliner Kindheit" hat Barbara Schilling diese emotionale Brücke errichtet. Teils ergreifende, teils traumatisierende Geschehnisse während des Zweiten Weltkrieges schildert sie aus der Sicht eines Berliner Mädchens. Am Schicksal dieser Einzelnen - in der Intimität des kindlichen Daseins - wird nachfolgenden Generationen das Los jener Jahre nachvollziehbar gemacht. Die geballte Wucht gezielter Zerstörung europäischer Städte ist zu überwältigend, zu unfassbar die Abermillionen von Toten, die einer dumpfen Ideologie zum Opfer fielen. Kraft des Romans aber lernen wir - mit Sympathie und Mitgefühl - das Leben einer Berliner Göre kennen, die sich entgegen ständiger Hungersnot und endloser Bombennächte eine menschliche Identität bewahrt. Die um jedes noch so kleine Glück zu ringen bereit ist, und die uns auf unmittelbare Weise verdeutlicht, dass jene nackte "Zahl" aus irgendeiner Kriegs-Statistik ein Menschenleben birgt.
    Meine Mutter, wie die Protagonistin dieses Romans Jahrgang 39, hat sich während und nach der Lektüre dieses Buches mit einst-verdrängten Erlebnissen beschäftigt: Momente des Beisammenseins inmitten des Schreckens; hie und da winzige Zeichen der Hoffnung; Inseln der Menschlichkeit in zerbombten Städten, eisige Nachkriegswinter überdauernd.
    Die letzten 100 Seiten ihres ansonsten großartigen Romans füllt Barbara Schilling mit einer Reihe Alltagsepisoden. Hätte sie der Lebenswillkür im Nachkriegs-Deutschland ein größeres Maß an psychologisch-eindringlicher Substanz zugewiesen, ich hätte "Meine Berliner Kindheit" zu den großen Werken der Literatur gerechnet. Gleichsam bin ich davon überzeugt, dass viele Mitbürger älteren Jahrgangs sich in diesen zusammengefügten Episoden wiedererkennen werden und deren Vorhandensein einer ausgleichenden Leichtigkeit wegen begrüßen.


    Peter Pitsch

  • Die Thematik rund um den zweiten Weltkrieg wurde schon in unzähligen Büchern aufgenommen. Früher gerne gelesen, schüttelt inzwischen vielerorts der Leser den Kopf und denkt sich, nicht noch ein bewegendes Schicksal aus dieser Zeit. Einerseits ist dies verständlich, denn inzwischen möchte niemand mehr an diese Zeit denken und wer sich doch dafür interessiert, wird zahlreiche Werke finden. Auf der anderen Seite ist dies ein Stück deutscher Geschichte, die niemals vergessen werden sollte, um jüngere Generationen zu warnen.


    Barbara Schilling setzt hier auf eine ganz besondere Umsetzung. Der Leser wird direkt in das Berliner Leben einbezogen. Ein Berlin welches rund 70 in der Vergangenheit liegt. Dabei lässt sie die zahlreichen Fakten weg, und widmet sich dem reinen Schicksal von Helene, ihrer Mutter. Zahlreiche Bücher setzen auf die trockenen, wenn auch wichtigen Fakten, da ist es angenehm nur das Wichtigste zu erfahren. So können Leser selbst bestimmen, ob sie sich weiter informieren wollen oder schon genug wissen, und sich voll und ganz auf das Buch konzentrieren wollen. Schließlich geht es nicht nur um den zweiten Weltkrieg, sondern auch um die ersten Jahre danach.
    Geboren 1939 bekommt sie den Krieg nur am Rande mit. Trotzdem gelingt es der Autorin ihre Mutter in angenehmen Farben darzustellen. Das Bild eines kleinen, liebenswerten Mädchens, dass man gerne als freche Göre bezeichnen kann. Sympathisch und in gewisser Weise noch kindlich-naiv beschreibt Barbara Schilling die Kriegsjahre aus den Augen eines Kindes. Sie geht auf Bombennächte in Schutzkellern, Mangel an Lebensmitteln, den Leben ohne Männern und den Nazi-Nachbarn ein. Trotz der kindlichen Erzählweise bekommt der Leser ein authentisches Bild. Leider viel zu schnell zu Ende, denn ein Kind erinnert sich nur an wenige Details. So weiß ich aus Erfahrung, dass Mütter nur die einprägenden Momente an ihre Kinder weitergeben kann. Viele Schilderungen kamen mir komplett bekannt vor, denn meine Mutter ist Baujahr 38. Eingestürzte Häuser, wo noch der Herd mit der dampfenden Suppe steht, während der Rest eingestürzt ist; die Lebensmittelrationen oder kleine Spielsachen, die Kinderherzen für wenige Stunden ablenken. Ich denke, dass wenn man stückweise Dinge erkennt, die Umsetzung wirklich gelungen ist.
    Ohne große Lücke wechselt die Autorin in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Die Besetzung von Berlin durch die Russen, die Trümmerfrauen, die verzweifelte Suche nach Männern und der Versuch ein Stück Alltag in das Leben zu bringen. Inhaltlich kann die Autorin voll und ganz überzeugen.


    Der Stil selbst ist anschaulich, wächst mit der Protagonistin und weiß den Leser mit ansprechenden und klaren Worten zu fesseln. Dabei setzt die Autorin auf den typischen Charme von Berlin.


    Meine Oma schaffte es trotz ihrer geringen Körpergröße, drohend auf das Fräulein hinab zu sehen, die Arme in die breiten Hüften gestemmt: „Hä! Sie Würmchen wollen mir Angst machen? Dass ick nich lache! Lene kriege Se nur über meene Leiche, sach ick Ihnen.Erst müssen Se an mir vorbei!“ (Zitat S. 7)


    Und genau darin liegt das Problem, welches den Lesefluss hemmt und das Buch streckenweise recht anstrengend macht. Die Autorin hat ihre gesamten Dialoge mit dem allseits bekannten Berliner Dialekt versehen. Der Leser versteht die wörtliche Rede ohne Probleme, aber bei einigen Berliner Begriffen muss man jedoch nachdenken. Für Berliner sicherlich angenehm, aber für andere Städter schwer. Vereinzelt macht dieser Charme noch Spaß und ist passend. Jedoch ist er überall vertreten und definitiv einfach zu viel. Ich persönlich musste mir immer wieder kleinere Pausen gönnen, und einmal Verschnaufen, weil es mir einfach zu viel war. Ich kann nachvollziehen, dass Barbara Schilling damit eine ganz authentische Atmosphäre schaffen wollte, aber an die zahlreichen Nicht-Berliner hat sie nicht gedacht.


    Ebenfalls ist mir noch ein kleinerer Punkt aufgefallen, den ich mir für eine solche Biographie gewünscht hätte. Ich persönlich hätte mir vereinzelt ein paar Fotos gewünscht. Einfach um sich das alte Berlin, ihre Mutter oder bestimmte Personen noch besser vorstellen zu können. Ich will nicht sagen, dass es fehlt, denn Barbara Schilling weiß auch ohne Fotos ein genaues Bild entstehen zu lassen, aber für mich gehören zu einer Biographie einfach Fotos.


    Nichtsdestotrotz ist ihr damit ein wertvolles Buch gelungen, dass eindrucksvoll an der Biographie ihrer Mutter zeigt, wie es in Berlin während des Krieges und danach aussah.