Xinran - Wolkentöchter

  • Klappentext:
    Da ist Kumei, die von ihrer Familie gezwungen wurde, die beiden Mädchen, die sie zur Welt brachte, zu töten. Was sollte man mit den nutzlosen Wesen auch anfangen? Oder ein Ehepaar, das sich während einer Zugfahrt liebevoll um seine Tochter kümmerte – und sie dennoch an einem verlassenen Bahnhof aussetzte. Oder Xinran selbst, die ein Mädchen vor dem Dasein als Waise retten wollte. Doch ihr Verstoß gegen die Ein-Kind-Politk wurde geahndet. Little Snow musste ins Waisenhaus, ein trostloses Heim, das Xinran mit allen Mitteln, die sie besaß, in einen freundlichen Ort verwandelte. Doch nach einer Dienstreise findet sie das Haus vollkommen verlassen vor. Bis heute fehlt jede Spur von Little Snow. (von der Verlagsseite kopiert)


    Zur Autorin:
    Xinran, 1958 in Beijing geboren, arbeitete jahrelang als Radiojournalistin. Ihre Sendung "Words on the Night Breeze" war in ganz China bekannt und berühmt. Auf der Grundlage dieser Sendung entstand ihr erstes Buch "Verborgene Stimmen. Chinesische Frauen erzählen ihr Schicksal." Der Titel war international ein großer Erfolg. Es folgten die ebenfalls erfolgreichen Romane "Himmelsbegräbnis" und "Die namenlosen Töchter". 2009 erschien "Gerettete Worte. Reise zu Chinas verlorener Generation". Xinran verließ China 1997 und lebt seither mit ihrem Sohn und ihrem Mann in England. (von der Verlagsseite kopiert)


    Allgemeines:
    Ins Englische übersetzt von Nicky Harman
    Unter dem Titel „Message from an Unknown Chinese Mother. Stories of Love and Loss“ erschienen 2010 bei Chatto & Windus
    Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann


    271 Seiten in 10 Kapiteln.
    Jedes Kapitel erzählt eine Geschichte über eine Mutter, die ihre Tochter / Töchter nicht aufziehen durfte.


    Anhang A - weitere Briefe von Adoptivmüttern
    Anhang B - Chinesische Adpotionsgesetze
    Anhang C – Suizid bei Frauen
    Anhang D – Die achtzehn Wunder von Chengdu
    Danksagung
    Anmerkung des Übersetzers ins Englische
    www.mothersbridge.org
    insgesamt 320 Seiten


    Inhalt:
    Warum hat meine Mutter mich nicht gewollt? Diese Frage stellen in China vor allem Mädchen, denn sie werden häufig von ihren Müttern verlassen. Nicht freiwillig, wie die zehn bewegenden Geschichten, die Xinran zusammengetragen hat, beweisen: Alle erzählen von dem schmerzlichen Verlust der eigenen Tochter. Keiner, der diese Geschichten gelesen hat, wird sie je vergessen. (vom Schutzumschlag kopiert)


    Eigene Meinung / Bewertung:
    Dass Mädchen in China nach der Geburt oft getötet, ausgesetzt, weggegeben werden, ist bekannt, und als Europäer schreibt man dies meist dem chinesischen Ein-Kind-Gesetz zu. Von Xinran erfährt man, dass das Töten der neugeborenen Mädchen vor allem auf dem Land eine viel längere und breitere Tradition hat.
    Nur ein Sohn kann den Ahnen Weihrauch verbrennen. Mädchen sind ein Unheil, sie zählen bei der Landverteilung nicht, tragen also nicht nur durch die Erziehung und die Ausrichtung der Hochzeit zur Armut der Familie bei. Ist das erste Kind ein Mädchen, zerstört es die Wurzeln der Familie. Männer verlassen ihre Ehefrauen, wenn sie nur Mädchen zur Welt bringen. Im Dorf, in der Familie des Mannes sind diese Frauen geächtet, werden oft wie Sklaven gehalten. Eine Frau erhält dann ein Lebensrecht, wenn sie einen Sohn gebiert, also werden Mädchen beseitigt, und man hofft auf die nächste Schwangerschaft. In chinesischen Waisenhäusern (eigentlich: Aufbewahrungsanstalten) findet man fast nur Mädchen.
    Aber die Frauen lieben ihre Töchter, und sie leiden ein Leben lang, weil sie sie auf Druck ihrer Umgebung töten oder weggeben mussten.
    Seit 1993 wurden 120 000 Kinder von Familien im westlichen Ausland adoptiert. Die jungen Chinesinnen fragen nach ihren leiblichen Müttern und dem Land, aus dem sie stammen. Die Autorin gründete die Organisation „Mothersbridge“, um Brücken zwischen China und dem Rest der Welt zu schlagen, aber auch, um die Lebensbedingungen von Kindern, vor allem von Mädchen, zu verbessern.


    Xinran hat in diesem Buch zehn Geschichten über Mütter veröffentlicht, die ihre Töchter verloren haben, wahre Geschichten, von denen sie durch Briefe, Gespräche, Interviews oder eigenes Erleben erfahren hat, aber ihr Buch ist mehr als eine Sammlung von zehn zu Herzen gehenden Schicksalen von verzweifelten Müttern und Töchtern, die ihrer Wurzeln beraubt wurden.


    Der Leser erhält Informationen zu Sachverhalten aus der Geschichte und der Gegenwart Chinas, die in Zeitungsartikeln oder Fernsehberichten eher stiefmütterlich behandelt werden: Die Armut auf dem Land, das Los der Wanderarbeiter, die hohe Suizidrate und die gesetzlich geregelten Frauenrechte, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen.
    Xinran möchte zweierlei: Informieren und berühren. Dazu wählt sie die klassische und effektivste Methode: Sie schildert Fallbeispiele, denen man sich als Leser emotional kaum entziehen kann, weitet das individuelle Problem der betroffenen Frau ins Allgemeine aus und liefert Hintergrundmaterial und Daten.
    Sowohl die Fallbeispiele als auch die Informationen werden von einer Art autobiographischem Gerüst getragen. Der Leser erfährt, wie und wo Xinran ihre Gesprächspartnerinnen traf. Weil diese Treffen meist im Zuge ihrer journalistischen Arbeit oder durch private Kontakte zustande kamen, bildet die Autobiographie quasi den Rahmen des Buches.


    Fazit:
    Ein wichtiges Buch, informativ und berührend.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Angeregt durch die vorliegende Rezension habe auch ich mir dieses Buch bestellt.


    Ich muss sagen, dass ich die autobiographische Orientierung nicht so stark gesehen habe, dafür aber umso stärker den Appell ans Gefühl, wobei ich hier die Autorin zum Teil ein wenig zu empathisch oder auch pathetisch fand. Nachdem sie geschrieben hatte, wie Chinesinnen in der Regel ihre Emotionen unter der Decke halten, wirkt dieses Buch stellenweise in der Emotionsführung beinahe opernhaft, was mich zusammen mit der Werbung für die von der Autorin gegründeten Instituion schon ein wenig irritierte.


    Davon abgesehen ist das Buch eine Sammlung und Auswahl interessanter und schockierender Informationen, wobei mir eine gewisse Ausgewogenheit durch Interviews mit staatlichen Vertreterinnen und Vertretern fehlt - was aber in der Sache begründet sein mag.


    Neben den Geschichten und Briefen sind im Anhang auch die Gesetze zur Adoption und zur Bevölkerungssteuerung aufschlussreich, genau wie die Aussagen zu Suiziden unter jungen chinesischen Frauen. Beobachtungsprobleme, wie etwa die verschiedenen und sehr verstreuten Ethnien bei einer Gesamtbetrachtung der chinesischen Bevölkerungspolitik, hätten meiner Meinung noch eine vertiefendere BEtrachtung verdient, aber davon abgesehen ist dieses Buch sicherlich sehr informativ und sollte auch von PErsonen, die im Ausland zu adoptieren gedenken dringend vorhaer gelesen werden.