Gisela Elsner - Die Zähmung

  • Wie ist es möglich, dass in einer Paarbeziehung mit Kind beide ohne Ausbeutungsverhältnis gegenüber Dritten "beruflich erfolgreich" sind? Gisela Elsner gibt die Antwort vor: gar nicht.
    In einem fortschrittlichen Milieu spielend, mit intellektuellem Hintergrund, erwartet man von einer Beziehung, die auf gegenseitige Rücksichtnahme und Empathie aufbaut, so etwas wie Emanzipation. Ganz anders bei Elsner. Trotz der "guten Voraussetzungen" wird einer der Partner, hier dank eines Rollentausches allerdings der Mann Alfred, freischaffender Schriftsteller, zum bloß funktionierenden Anhängsel, das durch Arbeit zuhause, die Basis des Erfolgs des Anderen zu schaffen hat. Der "berufliche Erfolg" greift schon etwas auf das Kernproblem, der sich, immer noch und immer wieder, rekonstruierenden familiären Machtverhältnisse, zu: dem Konkurrenzkampf im Kapitalismus, der eben doch immer noch dazu führt, dass sich, mutmaßlich von den alten Rollenverhältnisse emanzipierte, Menschen in der klassischen Familie einfinden.
    Klassisch ist dabei der Verlust des Nachnamens für Alfred, seine allmähliche Umwaldung in einen "geschlechtslosen Hausmann", der sich eher für Spülmittel interessiert, als für Sex, und somit steht seine Zähmung für Entmenschlichung, Entindividualisierung und die Reduktion auf unterstützende Dienstleistungen im, das zeigt sich auch im Roman deutlich, gering geachteten Reproduktionssektor. Gering geachtet auch nicht ohne Grund, sondern weil dort in der Fixierung auf die immer wieder gleichen Leistungen, die stückweise die Zeiträume des Tages zerreissen, die eigene Kreativität ausgesetzt und abgetötet wird. So erzählt der Roman eben keine Geschichte der Emanzipation und ist somit auch nicht eigentlich ein feministischer Roman.
    Als Frage entsteht, auch dank der kaum möglichen Identifikation mit Alfred, unter welchen Bedingungen und mit welchen Voraussetzungen beide ihr kreatives Potential hätten nützen können. Der Verzicht auf den Machtkampf müsste beiderseitig stattfinden und funktioniert nur mit gewissen gesellschaftlich vorzugebenden Bedingungen: Produktiv sind beide nur dann, wenn sie eine dritte Person in einem Ausbeutungsverhältnis unterordnen können (einmal eine Freundin und Ex-Geliebte des Schriftstellers der Bettina inspirierte und einmal Alfreds Vater), das dafür auch bis hin zu der Sklaverei ähnlichen Ausbeutungsverhältnissen reichen kann.
    Durch die Darstellung der Ausbeutungsverhältnisse ohne die übliche Idealisierung derselben bzw. eine überspitzte Idealisierung, wird doch klar, auf was das hätte hinauslaufen sollen: ein anderes System, ohne Ausbeutung. In dem eben nicht mehr jeder ausschließlich sich selbst der Nächste ist und dann eben ggf., so wie Alfred, im Konkurrenzkampf unterliegt, weil er zu schwach, zu "weibisch" ist.

    Warum ich Welt und Menschheit nicht verfluche?
    - Weil ich den Menschen spüre, den ich suche.

    - Erich Mühsam

  • So erzählt der Roman eben keine Geschichte der Emanzipation und ist somit auch nicht eigentlich ein feministischer Roman.


    Widerspruch.
    Der Roman ist in den 80er Jahren erstmals erschienen. So langsam brach das alte Rollenklischee (Mann draußen auf der Arbeit, Frau drinnen im Haus und bei den Kindern) auf. Wenn also eine Autorin das Ganze "dreht" und zeigt, was aus dem wird, der seinen Nachnamen verliert und im Haus "gehalten" wird, muss also ein Rückschluss auf die gängigen Strukturen erlaubt sein. Damit wird das Buch auch zum feministischen Roman.
    Er sollte aber nicht auf dieses Schlagwort beschränkt bleiben; die Autorin war Kommunistin und hat das Problem der privaten Ausbeutung mit dem Blick ihrer politische Überzeugung betrachtet.


    Das Buch ist in einem süffisanten bis bösartigen satirischen Unterton geschrieben, der mir bei meiner Lektüre vor zig Jahren besonders gut gefiel.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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