Arthur Schnitzler - Fräulein Else

  • Klappentext:
    Die 19-jährige Else macht gerade Ferien in den Dolomiten, als sie der verzweifelte Brief ihrer Mutter erreicht: Der Vater steht vor dem Bankrott, einzig Else könne die Familie noch retten, wenn es ihr gelänge, den befreundeten Kunsthändler Dorsday zu bewegen, 30000 Gulden vorzustrecken. Else ahnt, dass die Summe an Bedingungen geknüpft sein wird. Als Dorsday das Geld in Aussicht stellt, wenn Else sich vor ihm entblößt, gerät Else in ein moralisches Dilemma, das sie an die Grenzen ihrer Existenz treibt.


    Aus der Brigitte-Edition "Starke Stimmen", Folge 12
    gelesen von Senta Berger
    2 CDs



    Hier gehts zur Buchrezension.


    So ein Fräulein wie Else ist eine ausgestorbene Gattung. Ein Fräulein wurde von den Eltern behütet bis zur Heirat und von da ab bis zum Tod vom Ehemann. Im günstigsten Fall brauchte ein Fräulein sich nur Gedanken um Frisur, Garderobe und Schmuck zu machen, für die gute Partie sorgten die Eltern. Ein Fräulein war keusch in Gedanken, Worten und Werken; es las erbauliche Bücher, fertigte Handarbeiten, lernte ein bisschen Klavier, ein bisschen Französisch, ein bisschen Haushalt. Ein Fräulein durfte exaltiert sein und wenn es sich gar zu sehr echauffierte, in Ohnmacht fallen.


    Das Fräulein Else hat es dreifach schlecht getroffen: Der Vater ist bankrott; Else soll für den Ausgleich des Defizits sorgen ehe der Betrug öffentlich wird. Und sie gerät mit ihrer Bitte an Herrn von Dorsday, der nicht vor Entzücken, ihr helfen zu dürfen, das Geld sofort überweist, sondern eine Bedingung daran knüpft: Er will Else nackt sehen. Solcherart in die Nähe der Prostitution gerückt lässt Fräulein Elses psychischer und körperlicher Zusammenbruch nicht lange auf sich warten, und wenn das Leben allzu hart wird, bleibt immer noch Selbstmord als letzte Option.


    Die inzwischen 60jährige Senta Berger liest den inneren Monolog einer 19jährigen aus dem letzten Jahrhundert. Sie liest umwerfend gut, bringt jede Nuance der inneren Verfasstheit auf den Punkt, sie flüstert, schreit, zieht Sätze in die Länge, überschlägt sich fast - sie beherrscht alle Facetten. Indem sie liest, interpretiert sie.
    Eines der besten Audio-Bücher, die ich je gehört habe.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Die 19jährige Else führt ein wohlbehütetes Leben und ist gerade mit ihrer wohlhabenden Tante im Urlaub in einem vornehmen Hotel. Dort erreicht sie ein Eilbrief ihrer Mutter, die sie anfleht, sie möge den ebenfalls im Hotel weilenden Kunsthändler Dorsdale bitten, ihrer Familie mit 30.000 Gulden auszuhelfen. Elses Vater hat diese Summe veruntreut und soll verhaftet werden. Dorsdale erklärt sich dazu bereit, aber nur unter einer Bedingung...
    Arthur Schnitzler hat diese kleine, aber sehr feine Novelle ausschließlich aus Elses Sicht geschrieben, was zu der Zeit ihres Erscheinens (1924) wohl recht ungewöhnlich war. Umso mehr erstaunt es mich, wie unglaublich glaubwürdig er die Gedanken und Empfindungen der jungen Else dargestellt hat: ihre jugendliche Lebensfreude, ihr Ungestüm ebenso wie ihre Furcht, Scham, aber auch den Ärger auf die Menschen, die sie in diese Situation gebracht haben. Man lebt und leidet mit der jungen Frau und versteht voll und ganz das Wechselbad der Gefühle, durch das sie geht. Die Liebe zu ihren Eltern und das daraus resultierende Verantwortungsgefühl wie auch die Wut darüber, dass sie deren Fehler ausbaden soll. Wer befürchtet, eine vielleicht etwas altertümliche Sprache würde den Lesegenuss verringern, kann beruhigt sein: Elses Monolog wirkt so authentisch, dass er mit ein paar kleinen Änderungen ebenso in unserer Zeit gesprochen worden sein könnte.
    Aber auch Senta Bergers Anteil an dieser Lesung ist nicht zu gering zu schätzen. Sie ist derart überzeugend, dass ich das Gefühl hatte, Else unmittelbar vor mir zu sehen. Wie sie Else vergnügt ins Hotel spazieren lässt, die sich am Leben freut um kurz darauf zwischen Angst, Scham, Ärger und Trotz hin und her gerissen zu werden - das ist einfach große Klasse.
    Ein Ärgernis ist jedoch, dass dieses Hörbuch mit 85 Minuten Laufzeit auf zwei CDs aufgebläht wurde. Was soll das? Lässt es sich damit teurer verkaufen?

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling