Louis Begley - Der Fall Dreyfus

  • Kurzbeschreibung (Quelle: amazon.de)
    Im September 1894 entdeckte der französische Geheimdienst eine undichte Stelle im Generalstab der Armee: Militärische Geheimnisse wurden verraten, ausgerechnet an die Deutschen. Indizien für eine Täterschaft fehlten, doch ein Verdacht genügte. Nur wenige Wochen später wurde Hauptmann Alfred Dreyfus verhaftet, des Landesverrats für schuldig befunden und zu lebenslanger Verbannung auf der Teufelsinsel verurteilt. Kaum jemand zweifelte an der Richtigkeit des Urteils: Dreyfus war Jude. Dass ein »echter« Franzose einer solchen Tat fähig wäre, schien undenkbar. Louis Begley, der in diesem Buch zum ersten Mal aus seinem reichen Wissen als Anwalt schöpft, rekonstruiert den heute fast vergessenen Fall Dreyfus: die Hintergründe und Intrigen, die kriminellen Manipulationen in höchsten Kreisen, die Spaltung der französischen Gesellschaft in »Dreyfusards« und ihre konservativen Gegner. Begley zeigt, wie Antisemitismus und Rassismus in einer vermeintlich liberalen Gesellschaft funktionieren, damals wie heute: Vorannahmen führen zur Anklage, Racial Profiling ersetzt die Suche nach der Wahrheit, Beweise werden fabriziert. Und Guantánamo liegt der Teufelsinsel näher, als man glauben mag.


    Meine Meinung
    Nach den Romanen von Louis Begley griff in nun zu diesem Essay. Darin stellt Louis Begley die Affäre um den wegen Landesverrat verurteilten und auf die Teufelsinsel verbannten französischen Juden Alfred Dreyfus den Vorgängen von Guantánamo gegenüber. Dabei deckt er Analogien auf, die man auf Anhieb nicht für möglich hält, trennen diese beiden Geschehnisse doch gut 100 Jahre. Aber Rechtsbeugung, Manipulation von Beweisen und weil nur sein kann, was auch sein darf ist die Wahrheitsfindung in beiden Fällen nicht vorurteilsfrei, die Folgen für die Betroffenen waren und sind jeweils unmenschliche Haftbedingungen. Begley beleuchtet die Dreyfus-Affäre wesentlich ausführlicher als das aktuelle Geschehen. Er sucht die Ursachen für Dreyfus’ Verurteilung bereits im deutsch-französischen Krieg von 1871 und analysiert den zunächst latenten, aber immer stärker werdenden Antisemitismus im Frankreich der damaligen Zeit. Louis Begley greift bei seinem Buch auf seine unfangreichen juristischen Erfahrungen und Kenntnisse zurück. Zwischen dem Schriftsteller und dem Rechtsanwalt kommt es zur fruchtbaren Symbiose. Das schlägt sich besonders in der guten Lesbarkeit und der aufgebauten Spannung dieses doch komplizierten Falles nieder. Die schier unübersichtliche Anzahl von Fakten, Beweisen und Originalzitaten werden durch den gelungenen populärwissenschaftlichen Stil leichter verdaulich. Im Vorwort seines in Buchform erschienenen Essays wird die Hoffnung deutlich, die er in die Präsidentschaft Barak Obamas setzt. Eine aktuelle Einschätzung der Lage im Lager Guantánamo durch Louis Begley würde mich schon sehr interessieren. Dieses Buch kann ich allen Politikinteressieren guten Gewissens empfehlen.


    Über den Autor (Quelle: amazon.de)
    Louis Begley wurde am 6. Oktober 1933 unter dem Namen Ludwik Begleiter als Sohn polnischer Juden in einer kleinen Stadt im Osten Polens (heute Ukraine) geboren. Er selbst und seine Mutter entgingen, als katholische Polen getarnt, dem Holocaust. Nach dem Ende des Krieges kam die Familie wieder zusammen. Vier Monate blieben sie in Paris, wo Vater und Sohn Englisch lernten. Im März 1947 siedelte die Familie Begleiter in die USA über und ließ sich in Flatbush/Brooklyn nieder, wo sie den Namen Begley annahm.1950 erhielt Louis Begley ein Harvard-College-Stipendium und wurde damit zum Harvard College zugelassen; 1954 legte er sein Examen in Englischer Literatur ab. Von 1956 bis 1959 studierte er an der Harvard Law School und arbeitete im Anschluss bis zum Jahr 2004 als Anwalt in der Kanzlei Debevoise & Plimpton. Ende der sechziger Jahre arbeitete er bei der französischen Niederlassung von Debevoise in Paris. 1991 legte Louis Begley seinen ersten Roman vor: Wartime Lies, (Lügen in Zeiten des Krieges), New York 1991 - Suhrkamp 1994. Er gilt als ein wichtiges Dokument der literarischen Erinnerung an den Holocaust. Louis Begley lebt in New York.

  • Vielen Dank, Karthause, für diese interessante Vorstellung!



    Kurzbeschreibung (Quelle: amazon.de)
    (...) Louis Begley, der in diesem Buch zum ersten Mal aus seinem reichen Wissen als Anwalt schöpft, rekonstruiert den heute fast vergessenen Fall Dreyfus (...)


    Nun, man sieht doch, dass hier eine DEUTSCHE Beurteilung bei amazon vorliegt. Hier in Frankreich bezieht man sich auch heute noch sehr häufig und oft auf Dreyfus und z.B. insbesondere die engagierte Erkläung des französischen Schriftstellers Emile Zola. Sein "J'accuse" ist ein regelrechter geflügelter Ausdruck. Siehe auch hier: http://de.wikipedia.org/wiki/J%E2%80%99accuse
    Früher oder später begegnet man diesen Herren und dieser Affaire in Frankreich auf jeden Fall! Und die darum bestehenden Themen werden auch heute noch regelmäßig in Klausuren und Arbeiten behandelt.


    Interessant wären wirklich die Parallelen zum Sündenbocksuchen in anderen Fällen, nicht nur nach dem 11.9.

  • Da muss ich euch doch gleich dieses Buch empfehlen die alles rund um Zolas "Ich klage an" beinhaltet. Und bei uns in Österreich ist Dreyfus ein Synonym für ungerechtigkeit und doch ziemlich bekannt.
    Liebe Grüsse Mara

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Der Fall «Alfred Dreyfus» war mir schon vor der Lektüre ein Begriff. Vor über 20 Jahren hatte ich einiges zu dem Thema gelesen (Zolas «J’accuse» war Thema im Französischunterricht). Für mich war es also etwas Auffrischung zum Thema. Ehrlich gesagt hatte ich etwas mehr Bezug zu aktuellen Themen erwartet – schliesslich lockt bereits der Untertitel mit Guantánamo, aber diesen Transfer muss man schon selbst machen. Eher in Nebensätzen verweist Louis Begley auf Parallelen zur heutigen Geschichte (bspw gefälschte Dokumente um die völkerrechtswidrigen Militärinvasion in den Irak zu rechtfertigen, oder eben die fehlenden Rechte der Gefangenen in Guantánamo). Ansonsten ist es ein ordentliches Sachbuch zu einem spannenden Thema, dass auch heute noch für Kopfschütteln und Aufregung führt. Der Antisemitismus, die Atmosphäre in der französischen Armee, die es erst möglich gemacht hat, dass Beweise gefälscht und zugelassen wurden, die Verteidigung nicht mal Einblick in die Akten erhält (geheim aus Gründen der nationalen Sicherheit, das gab es damals also auch schon) – dieser historische Kontext wird hervorragend erklärt. Der Anwalt Begley hat hier sorgsam recherchiert und ein paar Seiten Anhang (Quellennachweis, Kurzbiographie der Hauptpersonen, «Meilensteine» im zeitlichen Ablauf, etc) ergänzt – aber zum besseren Verständnis muss man als interessierter Leser doch noch einiges im Internet recherchieren. (Beispielsweise war hier Zolas "Ich klage an" hier nicht enthalten.)

  • Durch Nungesser s Beitrag stieß ich nochmals erneut auf diesen Fred. Und möchte an dieser Stelle auch an den Roman von Robert Harris aus dem Jahre 2013 erinnern, der auf seine eigene Weise den Fall neu aufrollt... Gute Bekannte und Leseratten fanden ihn ganz gut:


    Am 22. Dezember 1894 wird der französische Hauptmann Alfred Dreyfus wegen Landesverrat zu lebenslanger Haft verurteilt und verbannt. Ein Justizirrtum, wie er beteuert und wovon auch der neue Geheimdienstchef Picquart zunehmend überzeugt ist. In den Wirren der Dreyfus-Affäre, die ganz Europa erschüttert, rollt er den Fall neu auf. Weshalb er bald selbst zwischen die Mühlräder der Macht gerät und das Ziel dunkler Machenschaften wird …

    Der elsässische Offizier Alfred Dreyfus, einziger Jude im französischen Generalstab, soll Militärgeheimnisse verraten haben. Von einem geheimen Militärgericht wird er zu Unrecht verurteilt, und die Degradierung wird mit viel Pomp und Getöse öffentlich zelebriert. Nur wenige wittern den Skandal, während die Massen von der Presse aufgehetzt werden. Krawalle, Intrigen, Fälschungen, Ministerstürze, Attentate, versuchte Staatsstreiche sind die Folgen. Die Französische Republik stürzt in eine tiefe Krise. Der offene Antisemitismus bricht sich Bahn. Zu den wenigen, die von Dreyfus’ Unschuld überzeugt sind, gehört der neue Geheimdienstchef Picquart. Mit dem Kampf für die Rehabilitierung von Dreyfus setzt er allerdings das eigene Leben aufs Spiel.

    Es wäre kein Roman von Robert Harris, ginge er nicht sehr aktuellen Fragen nach: Was passiert, wenn Geheimdienste außer Kontrolle geraten, wenn der Staat geheime Gerichte zulässt, wenn Minderheiten zum Sündenbock gemacht werden, wenn Politiker ihre Verbrechen zu vertuschen suchen?