Jason Lutes – Steinerne Stadt / City of stones

  • Original : Berlin – City of Stones (Englisch/Canada, 2000)
    Übersetzer : Heinrich Anders




    ZUM INHALT :
    Ende der 20er Jahre zieht es die Kölner Kunststudentin Marthe Müller in die pulsierende Metropole Berlin. An der Seite des Journalisten Kurt Severing erlebt die junge Frau hier Überschwang und Elend der Epoche und wird Zeugin der politischen Umbrüche in der niedergehenden Weimarer Republik.


    GLIEDERUNG :
    Acht Kapitel mit jeweils verschiedenen Erzählsträngen, die manchmal nur eine Seite lang sind (nicht immer leicht erkennbar voneinander getrennt) : chronologisch geordnet, was die Hautgeschichte anbetrifft, mit einigen Flashbacks in die Vergangenheit : 1918/19.


    ANMERKUNGEN :
    Wow ! Was für eine intelligent erzählte und ansprechend gezeichnete Epoche uns hier Jason Lutes nahe bringt ! In diesem ersten Band geht es gerade mal um die Monate zwischen September 1928 und 1.Mai 1929 in der deutschen Hauptstadt. Es sind vielleicht fiktive Figuren, doch sie sind authentisch und stehen für Charaktere dieser Zeit. In verschiedenen Erzählsträngen folgen wir den Schicksalen einiger Menschen : die Kunststudentin Marthe aus reichem Hintergrund und der Journalist Severing, die einander zufällig kreuzen und die sich liieren werden ; eine in Trennung lebende junge Familie, in der die Mutter in einem « roten » Wohnheim unterkommen wird und der Vater mit seinem Sohn sich eher rechtsnationalsozialistisch orientieren ; eine jüdische Familie ; Veteranen des I.Weltkrieges ; einer Schar an jungen Künstlern etc... Ihre persönlichen Geschichten stehen m.E. Stellvertretend für typische Werdegänge am Ende der 20iger Jahre in der Weimarer Republik.


    Eingebettet sind diese Erzählstränge aber in die historischen Ereignisse dieser Monate, sei es die Atlantiküberquerung der Hindenburg ; die steigende Arbeitslosigkeit ; der harte Winter 28/29; der wachsende Unmut in einem Großteil der Bevölkerung, die einerseits in eine linke, kommunistische oder aber braune Orientierung münden können; ein Parteiversammlung der kommunistischen Partei ; die blutigen Demonstrationen zum 1.Mai 1929 …


    Ich bin mehr als beeindruckt, wieviel Arbeit Jason Lutes sich sowohl in der graphischen Darstellung der Orte als auch einer (meines Wissensstandes nach) treuen Verwurzelung in die Geschichte gemacht hat. Da fragt man sich, ob solch ein Buch nicht eine gute Investition ist, um etwas von diesen Jahren zu erahnen, in denen einerseits die Weimarer Republik niederging und andererseits das kommende Unheil sich näherte. Ausgezeichnet erzählt Lutes vom Berlin in dieser Zeit, Ort, in dem die deutsche Geschichte so sehr geschrieben wurde.


    Ausgesprochene Empfehlung, insbesondere an alle Geschichts-, Politikinteressierten und eigentlich für alle, die von diesen so wichtigen Jahren was Intelligentes lesen wollen!


    Inzwischen liegt schon Band 2 der als Trilogie gedachten Serie vor, die insgesamt gesehen bis 1933 gehen soll : http://www.amazon.de/Berlin-Bd…6762/ref=pd_bxgy_b_text_b


    Interessante Bemerkungen zu den ersten beiden Bänden und ein Interview mit dem Autor (auf Englisch) : http://www.comicbookresources.com/?page=article&id=17764


    ZUM AUTOR :
    Jason Lutes (* 12. Juli 1967 in New Jersey) ist ein amerikanischer Comiczeichner, der vor allem durch seinen historische Graphic Novel-Trilogie Berlin bekannt wurde.
    Lutes begann mit dem Zeichnen bereits während seiner Kindheit. Mit 8 Jahren war er zum ersten Mal mit seinen Eltern in Europa und war begeistert von europäischen Comics wie Tim und Struppi oder Asterix. Nach seinem Studienabschluss an der Rhode Island School of Design erhielt er 1991 die Möglichkeit, bei dem Comicverlag Fantagraphics zu arbeiten. Dort war er als Assistent des Art Directors beschäftigt, er gab diese Tätigkeit jedoch nach einem Jahr wieder auf. Sein erster Comicstrip erschien 1993 in The Stranger, einem Stadtmagazin in Seattle. Bei The Stranger erhielt er eine feste Anstellung und wurde Art Director des Magazins. 1995 gab er diese Arbeit auf, um sich ganz seinen eigenen Werken widmen zu können. (Quelle und mehr unter : http://de.wikipedia.org/wiki/Jason_Lutes )


    Taschenbuch: 216 Seiten

  • Das hört sich ja richtig gut an. Ich bin nun zwar gar kein Comic-Leser (außer früher mal Asterix :wink: ), aber das könnte ein guter Weg sein, auch vor allem jungen Leuten, die mit Lesen eigentlich nichts am Hut haben, die deutsche Geschichte ein bisschen näher zu bringen. Danke für die Vorstellung.

    Gelesen in 2024: 9 - Gehört in 2024: 6 - SUB: 626


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • Das hört sich ja richtig gut an. Ich bin nun zwar gar kein Comic-Leser (außer früher mal Asterix :wink: ), aber das könnte ein guter Weg sein, auch vor allem jungen Leuten, die mit Lesen eigentlich nichts am Hut haben, die deutsche Geschichte ein bisschen näher zu bringen. Danke für die Vorstellung.


    Ich hätte mich nach den Jugendbegeisterungen für Asterix, Lucky Luke, Marvel Comics und dergleichen auch seit langem nicht mehr für einen Comicleser ausgegeben. Hier handelt es sich wirklich um einen neuen Ansatz für Comics, bzw. für einen Roman, von Comics begleitet. Dieses neue Genre habe ich persönlich erst im Laufe dieses Jahres kennengelernt. Man bezeichnet es als Graphic Novel. Neben den Zeichnungen nimmt aber auch hier der Text einen wichtigen Raum ein.


    Ja, ich halte diesen Ansatz für überaus pädagogisch und reichhaltig und könnte mir diesen Band sehr gut sogar im Geschichts- oder Gesellschaftsunterricht vorstellen.

  • "City of stones" im Original. Ich sehe nicht den direkten Unterschied zu einer Paperbackausgabe; vielleicht wäre das noch näher zu kontrollieren?

  • BERLIN 1: Steinerne Stadt


    von Jason Lutes


    Carlsen Verlag


    Inhalt:

    Ende der 20er Jahre zieht es die aus Köln stammende Kunststudentin Marthe Müller in die pulsierende Metropole Berlin. Dort lernt sie den Journalisten Kurt Severing kennen. An seiner Seite erlebt die junge Frau den Überschwang und Elend einer im Untergang begriffenen Weimarer Republik voller politischer und gesellschaftlicher Gegensätze.


    Meinung:

    Lutes hält sich bei der Beschreibung und Darstellung von Berlin sehr nah an den tatsächlichen Gegebenheiten und Vorkommnissen. Offenbar hat er sich mit der Historie der Stadt und der Geschichte der Weimarer Republik und des aufkommenden Nationalsozialismus lange und eingehend befasst. Die Stadtansichten wirken akribisch genau. Personen (Carl von Ossietzky, Ernst Thälmann, Joseph Goebbels als damaliger Gauleiter etc.) der deutschen Geschichte sind Nebencharaktere in der Handlung.


    Der Handlungsaufbau erinnert an bekannte Hollywoodfilme wie L.A.Crash, Traffic oder Babel: Mehrere Handlungsfäden sind locker miteinander verknüpft und überlappen sich teilweise, wobei die Story um die Studentin Marthe Müller stets der Haupthandlungsfaden bleibt. Dieses für einen Comic sicherlich recht schwierige Art des „Storytellings“ ist dabei handwerklich hervorragend gelöst worden. Die Handlung ist flüssig und stets spannend und interessant.


    Zeichnerisch hält sich Lutes dabei an klare Linien, ähnlich Herges Tim& Struppi. Einflüsse damaliger zeitgenössischer deutscher Maler wie Dix oder Zille meine ich dabei zu erkennen. An die Stadtpläne moderner Städte erinnert mich ebenfalls die Aufteilung der Seiten und Panels, die an die Linien von Straßen und Grundrisse von Häuserblöcken erinnern. Einfach hervorragend!


    Die deutsche Gesellschaft ist ende der 20er Jahre zerrissen und in zwei extreme Lager geteilt: in die linken Kommunisten und in die rechten Nationalsozialisten. Schlägereien, Kundgebungen und Gewalt in den Straßen sind an der Tagesordnung. Das Tragische für den Leser ist, dass er zumindest die politische Entwicklung der kommenden Jahre und die bevorstehende Apokalypse für diese Stadt schon kennt - ganz im Gegensatz der trotz aller Not so lebenslustigen Stadt und der Bewohner. Und die Zukunft der noch um ihr drohendes Schicksal ahnungslosen Nebencharaktere Ernst Thälmann oder C. v. Ossietzky, die beide Jahre später ihr Leben in KZs lassen mussten, liegt wie Blei im Magen des Lesers.


    Der vorliegende 1. Band ist der erste von drei Bänden.


    Fazit:

    Warum schreibt ein amerikanischer Comickünstler solch eine Story in solch einer formidablen Art und Weise? Haben wir keine deutschen Autoren, die sich solch einem urdeutschen und wichtigen Stoff annehmen wollen, oder können? Zumindest ist dies nun im TV in Form einer ebenso genialen Serie geschehen: Babylon Berlin. Parallelen sind hier durchaus erkennbar.

    Das Amt des Dichters ist nicht das Zeigen der Wege, sondern vor allem das Wecken der Sehnsucht.



    H.H.

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Jason Lutes – Berlin, Band 1 : Steinerne Stadt“ zu „Jason Lutes – Steinerne Stadt / City of stones“ geändert.