Elisabeth Gille - Landschaft aus Asche / Un paysage de cendres

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    (Erstveröffentlichung der Rezension September 2009)


    „Oh, du liest ja auch richtige Bücher!“, musste ich mir doch kürzlich von einem Bekannten sagen lassen. Gut, dieser hatte mich – die immer was zu lesen im Rucksack hat – in letzter Zeit wahrlich nur mit Thrillern oder Vampirbüchern gesehen ;o) Aber mein Lese-Spektrum ist wahrlich breit gefächert. Da ich von seichter Unterhaltungslektüre wieder einmal übersättigt war, griff ich in die ernstere Ecke meines Bücherregals und nahm mir ein Buch, was ich vor geraumer Zeit mal in der Wühlkiste einer Buchhandlung gefunden und für unter 2,00 € erstanden hatte.


    Landschaft aus Asche


    heißt der Roman mit autobiografischen Zügen der inzwischen verstorbenen Elisabeth Gille. Ein Schicksal, stellvertretend für viele, aus einer Zeit, die nie vergessen werden sollte!


    Elisabeth Gille wurde am 20. März 1937 als Elisabeth Epstein in Paris geboren und verstarb am 30. September 1996. Sie war eine französische Schriftstellerin und Übersetzerin und war zu Lebzeiten in verschiedenen französischen Verlagen erfolgreich. Sie stellte – wohl weil ihre Mutter vor dem Krieg eine bekannte französische Schriftstellerin war - ihr berufliches Leben in den Dienst der Literatur. Selbst veröffentlichte sie ein Theaterstück und 3 Romane und gewann mehrere Preise. Wer mehr über Elisabeth Gille und ihre Geschichte erfahren möchte, wird bei wikipedia.org fündig.


    Das zurück gebliebene Kind


    1942 wird die 5-jährige Lea Lévy bei Nacht und Nebel in eine Klosterschule in Bordeaux gebracht. Aufgrund der bevorstehenden Deportation hatten sich die Eltern des Mädchens - wohlhabende Juden mit russischer Abstammung die zum Katholizismus konvertiert waren - beschlossen, sich von ihrem Kind zu trennen und es zu verstecken.


    Das kleine Mädchen reagiert extrem bockig und verstört und macht es den Nonnen von Anfang an nicht leicht. Einzig die 2 Jahre ältere Benedicte findet Zugang zu Lea und bringt sie dazu, sich halbwegs den Gegebenheiten des Klosters anzupassen. Doch Lea versteht nicht, warum sie nicht bei ihren Eltern bleiben konnte und malt sich deren Rückkehr in den schönsten Farben aus. Doch die Erinnerung an die Eltern verblasst mit der Zeit. Und je blasser die Erinnerungen, desto verstörter wird Lea, die im Schutze des Klosters von dem unvorstellbaren Grauen des 2. Weltkrieges, außer dem ständigen Hunger und dem Aufsuchen des Luftschutzbunkers, relativ wenig mitbekommt.


    Als zum Kriegsende die Eltern von Benedicte, die als Widerstandskämpfer tätig waren, zurückkommen, verschlimmert sich der seelische Zustand von Lea noch mehr. Als die stellvertretende Oberin Lea dann mit nach Paris nimmt, um ihre Eltern unter den aus Konzentrationslagern heimkehrenden Juden zu suchen, hat das unvorbereitete Kind ein Schockerlebnis, welches seinen weiteren Werdegang bestimmt…


    Von Verlusten geprägt


    Die Geschichte, in die ein großer Teil eigener Erinnerungen und Empfindungen der Autorin einflossen, hat mich sehr tief berührt. Habe ich vorher schon viele Berichte von Menschen gelesen, die die Grauen der Konzentrationslager mit Müh und Not überlebt haben, befasst sich dieser Roman mit einer von Verlust zerstörten Kinderseele, am Rande des Krieges. Ein Aspekt, den ich als sehr interessant betrachte und der zum Gesamtbild meiner Meinung nach, genauso dazu gehört.


    Rein körperlich hat Lea in der Klosterschule ja relativ wenig auszustehen. Allerdings krankt ihre Seele. Ist sie anfangs noch voller Überzeugung, dass ihre Eltern sie ganz schnell wieder zu sich holen werden, kommt sie nach und nach zu dem Schluss, dass sie allein gelassen wurde. Ihre Reaktionen darauf sind Verschlossenheit und Widerspenstigkeit. Das kleine Mädchen gerät in eine Isolation, die von den Erwachsenen teils aus Angst, teils aus Unvermögen und Hilflosigkeit nicht durchbrochen werden kann. Einzig das Kind Benedicte kann zu der Jüngeren durchdringen und wird zu ihrer Bezugsperson für die kommenden Jahre.


    Obwohl es das Kind Lea es nicht sehen kann und einzig auf Benedicte fixiert ist, gibt es doch verdammt viele Menschen, die große Gefahren auf sich nehmen, um das Leben des kleinen Mädchens zu schützen. Der Mann, der Lea ins Kloster brachte, wurde erschossen. Die Oberin verwischt während des Krieges jegliche Spuren zu Leas wahrer Identität und schützt sie damit. Benedictes Eltern geben ihr nach Kriegsende ein zu Hause und versuchen etwas über den Verbleib der Eltern herauszufinden. Doch Lea kann außer Benedicte niemanden an sich heran lassen und benötigt viele Jahre, um den Verlust ihrer Kindheit aufzuarbeiten. Sie such verbissen nach der Wahrheit und genau in dem Moment, in dem man als Leser denkt, jetzt ist sie auf dem richtigen Weg, bricht wieder alles in sich zusammen.


    Auch heute noch aktuell


    Der Roman erzählt eine Geschichte, in der die Gewaltverbrechen der Zeit des Nationalsozialismus nicht direkt an dem Opfer ausgeübt wurden. Das Opfer behält trotzdem größte seelische Narben zurück. Dabei würde ich den Schreibstil der Autorin eher als nüchtern bezeichnen. Eine Art Tatsachenbericht, der von den niedergeschriebenen Fakten lebt. Tatsachen, die man sich in Zeiten, in denen es Individuen gibt, die doch glatt behaupten, dass es einen Holocaust nie gab, doch hin und wieder in Erinnerung rufen sollte.


    Es ist schlimm, dass die Menschheit scheinbar nie dazulernt, dass nach wie vor auf der Welt im Großen wie im Kleinen menschenverachtende Verbrechen geschehen. Ich hoffe und wünsche sehr, dass für uns, die die Schrecken des Krieges nur aus den Nachrichten oder den Erzählungen unserer Großeltern kennen, niemals wieder eine Zeit kommt, in der sich Menschen von ihren Lieben trennen müssen, um sie zu schützen, die dann für ihre Lieben auf Nimmerwiedersehen verloren sind.


    Von mir bekommt das Buch eine Leseempfehlung und alle 5 Sterne! Allerdings ist es keine Unterhaltungsliteratur, sondern eher ein Stück in Romanform verbreitetes Geschichtswissen!


    Übersetzung Roseli und Saskia Bontjes van Beek
    202 Seiten


    Neu ist „Landschaft aus Asche“ leider nicht mehr im Buchhandel erhältlich – gebraucht gibt es einige Exemplare bei amazon.de und auch buecher.de.

  • Sie stellte – wohl weil ihre Mutter vor dem Krieg eine bekannte französische Schriftstellerin war - ihr berufliches Leben in den Dienst der Literatur.

    Ihre Mutter war Irène Némirovsky



    Und das Original: Un paysage de cendres

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Elisabeth Gille - Landschaft aus Asche“ zu „Elisabeth Gille - Landschaft aus Asche / Un paysage de cendres“ geändert.