Marcel Theroux - Weit im Norden / Far North

  • Kurzbeschreibung von amazon.de:
    Der Klimawandel hat die Welt radikal verändert! Nur wenige Menschen haben überlebt, darunter auch Makepeace Hatfield, die im äußersten Norden Sibiriens inmitten von Schnee und Eis ein einsames Leben führt. Als sie bei ihrer täglichen Patrouille durch das verlassene Dorf plötzlich einem Fremden begegnet, gerät ihr Leben aus den Fugen. Sie wird mit der Welt außerhalb ihrer eiskalten Einöde konfrontiert, einer Welt, in der sich die Natur den Menschen untertan gemacht hat ..


    Über den Autor (von www.randomhouse.de):
    Marcel Theroux, Jahrgang 1968, ist der Sohn des amerikanischen Starautoren Paul Theroux, britischer Fernsehjournalist und Romancier. Während seine TV-Reportagen über Themen unserer Gegenwartskultur ihn bereits nach Russland, Japan und um die ganze Welt führten, erkundet er in seinen Romanen die Möglichkeiten für das Zusammenleben der Menschen, die in unserer Gegenwart begründet liegen. Weit im Norden war Finalist des National Book Awards. Marcel Theroux ist verheiratet und lebt in London.


    Handlung:
    Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft in einer entvölkerten Welt: In Mitten der sibirischen Kälte lebt die junge Frau Makepeace Hatfield ganz alleine in der Stadt Evangeline, in der sie aufgewachsen ist. Sie musste schon ihre komplette Familie begraben und alle anderen Einwohner sind ebenfalls tot oder fortgegangen. Ihr Leben gestaltet sich hart und schwierig und nur mühsam kann sie sich mit Nahrung versorgen. Als sie das schwangere Chinesenmädchen Pong kennenlernt, scheint sich ihr Leben zum Besseren zu wenden und obwohl sich die beiden mit Worten nicht verständigen können, entwickelt sich eine Freundschaft. Als Pong stirbt und auch das ungeborene Kind dabei umkommt, hat Makepeace endgültig genug und will sich das Leben nehmen. In dem Moment, in dem sie sich ertränken will, geschieht das Unfassbare und über sie fliegt ein Flugzeug hinweg. Dieses zerschellt zwar in den Wäldern, aber sie hat nun die Hoffnung, dass sich irgendwo in ihrer Nähe noch zivilisierte Siedlungen befinden könnten. Sie macht sich auf den harten und sehr gefährlichen Weg nach Norden um ihre letzte Chance wahrzunehmen.


    Meine Meinung:

    Zitat

    Allen Dingen ist eine gewisse Lebensspanne gegeben. Man erwartet nur nie, am Ende von etwas dabei zu sein. Man rechnet nie damit, unter den Letzten zu sein.

    Dieses Zitat aus dem Buch könnte durchaus der Untertitel von "Weit im Norden" sein, da es gut die Seele dieses Romans widerspiegelt. Ich habe lange überlegt ob ich die Rezension unter "Fantasy/Science-fiction" oder unter "Romane/Erzählungen" einordne, kam aber letztendlich zum Schluss, dass es hier wohl besser aufgehoben ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass es z.B. jemandem gefallen könnte, der auch "Die Straße" von Cormac McCarthy mochte. Natürlich erinnert die Thematik ein wenig an dieses großartige Werk, auch die Sprache könnte man vergleichen, aber letztendlich ist die Suche nach einem letzten Ausweg in einer brutalen Zeit und einer erkalteten Welt wohl die größte Gemeinsamkeit.


    Zunächst mal war ich etwas verwirrt, da die Geschichte in Russland spielt, man aber auf Worte wie "Highway" oder "Drugstore" trifft. Nach einiger Zeit wurde dies allerdings aufgelöst, denn die Hauptperson Makepeace entstammt einer von Amerika nach Russland ausgewanderten Familie. Alleine schon diesen Aspekt fand ich sehr interessant. Ihr Vater kam aus der Großstadt und hat freiwillig das ungemütliche Sibirien als neue Heimat gewählt und fand dort zur Religion. Viele Bewohner der westlichen Welt sollten ihm noch folgen und sich in neu gegründeten Städten in Russland niederlassen.


    Die Geschichte beginnt zu einer Zeit als Makepeace schon längere Zeit alleine ist und noch immer ganz alleine in ihrer Geburtsstadt Evangeline verweilt. Wenn der Begriff "Einsamkeit" wohl auf etwas zutreffen könnte, dann definitiv auf die ersten Szenen dieses Buches. Anfangs war der Charakter von Makepeace noch etwas gewöhnungsbedürftig ob ihrer Resolutheit und Härte, die sie ausstrahlt. Mit der Zeit mochte ich sie immer mehr und die facettenreiche Frau mit Ecken und Kanten ist mir sehr ans Herz gewachsen. Die Ich-Erzählerin hat einen zurückhaltenden Humor, der manchmal an Ironie grenzte und den ich teilweise erst im Nachhinein wahrnahm, was mir ebenfalls gut gefallen hat. Zur Person passend war der wunderbare Schreibstil von Marcel Theroux, in den ich richtig versinken konnte und der mir das Gefühl gab, dass Makepeace mir gegenübersaß und ihre Geschichte erzählte.


    Die Welt, in der Makepeace lebt, wird als sehr kalt, verschlagen und hart beschrieben und sie musste sich diesen Gegebenheiten anpassen, um selbst überhaupt eine Überlebenschance zu haben. Eis, Schnee und Kälte des ungemütlichen Sibiriens trugen natürlich noch dazu bei, diese Atmosphäre zu bestätigen.


    Nach dem Beginn von Makepeaces' Reise in den Norden überdauert die Geschichte einen Zeitraum von mehreren Jahren. Auch über die Vergangenheit erfährt man noch so manches, z.B. über ihren Vater und Erlebnisse aus ihrer Kindheit. Exakte Details, warum die Welt wie wir sie kennen, nicht mehr da ist, bekommt man nicht wirklich serviert, da sich die Erzählerin selbst nicht wirklich im Klaren darüber ist. Ganz im Dunklen wird man aber auch nicht gelassen. Vor allem die Überbevölkerung und der immer weiter wachsende Graben zwischen Arm und Reich hatten einen großen Anteil daran, was ich durchaus als Kritik an den herrschenden Zuständen in der westlichen Welt verstanden habe.


    Man sollte keinen Endzeitthriller mit Action, Blut und Explosionen erwarten. Vielmehr ist es ein ruhiges und mit Bedacht erzähltes Buch, das mehr ein Abenteuerroman war, dabei aber durchaus kritisch zum Nachdenken anregt und teilweise mit philosophischen Fragen aufwartet. Das Tun der Menschen wird immer wieder hinterfragt, Schwarz und Weiß existieren in dieser melancholischen Geschichte nicht. Gerade dies hat sich letztendlich wunderbar auf die Entwicklung der starken Charaktere ausgewirkt.


    Fazit: Ich hatte großen Spaß, das zwar ruhige, aber nie langweilige "Weit im Norden" zu lesen und bin mir sicher, dass es nachhallen und mir eine Weile im Kopf herumspuken wird. Den Namen "Marcel Theroux" werde ich mir jedenfalls gut einprägen.
    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:

  • Danke, Kapo, für die Rezi! Das klingt toll! :bounce: Wo geht's zum nächsten Buchladen??? :lol:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


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    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Habe das Buch auf einer Website über dystopische Literatur entdeckt und es wanderte sofort auf meinen Wunschzettel. Deine Rezi unterstützt sehr den guten Eindruck, den ich schon von dem Buch hatte. Ich werde es mir definitiv holen. Dank deiner Rezi bin ich mir jedenfalls sicher, keinen Fehlgriff zu machen, denn "Die Strasse" fand ich sehr gut. :thumleft:

  • Gestern habe ich diesen recht lesenswerten Roman beendet und kann mich im Großen und Ganzen Kapos ausführlicher Rezension anschließen. :wink:
    Mir hat es gut gefallen, dass es ein ruhiges, dennoch spannend erzähltes Buch und kein Reißer ist.
    Dennoch hat mich etwas gestört und zwar dieses Sci-Fi-Element, auf das Marcel Theroux gut hätte verzichten können.
    Ich meine damit den "Erinnerungsstein", den Makepeace findet.



    Liebe Grüße

  • So ich habe das Buch auch gelesen und fand es eigentlich großartig. Düster ja, aber nie niederdrückend.Was mir besonders gefiel, ist der persönliche Bezug. Oft glaubte ich der Autor erzählt es mir direkt.
    Mit dem Erinnerungsstein konnte ich ehrlich gesagt auch nichts anfangen und über das Ende war ich verblüfft. Nun ja ich kann damit leben, aber ich hatte mir etwas anderes vorgestellt.


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Ann Patchett, Fluss der Wunder

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Nach BIOKRIEG und I AM LEGEND mein dritter Post-Doomsday Roman innerhalb kürzerer Zeit, auf den ich durch die schöne Rezi von Kapo aufmerksam geworden bin und das Lesen nicht bereut habe.


    Mir gefallen an Weit im Norden so einige Dinge:
    da wäre die interessante und schön beschriebene räumliche Verankerung in Sibirien; die angenehm sensible und wertungslose Beschreibung der (Ur-)einwohner, den Tschukschen und Tungusen; der lakonische und dennoch einfühlsame (ja manchmal beinahe poetische) Erzählton; die über allem liegende Einsamkeit und nicht zuletzt das völlige Fehlen von Monstern oder Mutationen.


    Grossartig empfand ich das (für mich) Hauptthema: die Trauer über den Verlust von Wissen.
    So hortet Makepiece, obwohl selbst reichlich ungebildet und eher "Barbarin" als Kulturmensch, alle Bücher, denen sie habhaft werden kann. Quasi zur Bewahrung des Wissens. Und sie freundet sich in Gefangenschaft mit dem Arzt Shamsudin an, einfach weil er weitläufig gebildet ist. Sie erkennt, dass es Jahrhunderte gedauert hat, dieses Menschheitswissen zu sammeln und mit dem Untergang der vertrauten Welt und dem Rückfall in barbarische Zeiten genau dieses mechliche Kulturgut verschwinden wird. Das finde ich mal einen interessanten Aspekt bei so einer Weltuntergangsgeschichte - nicht immer nur Überlebenskampf und Depression.


    Ein anderer Aspekt ging mir aber wohl verloren:
    Leider bin ich ein überaus unreligiöser Mensch und kenne mich weder in der Bibel noch der Religionsgeschichte aus, vermute aber, in diesem Roman schlummert eine tiefe Auseinandersetzung mit den christlichen Lehren. Schade, dass ich diesem Subtext nicht zu folgen vermochte.


    Egal, ich war sehr angetan von diesem poetisch-philosophischen Werk in Gestalt einer Abenteuergeschichte.
    Danke für die Empfehlung, Kapo.

    Es gibt keine grössere Einsamkeit als die des Samurai. Es sei denn die des Tigers im Dschungel

  • Danke für die Empfehlung, Kapo.

    Gern geschehen! Freut mich, dass Dir "Weit im Norden" gefallen hat. :)

    Leider bin ich ein überaus unreligiöser Mensch und kenne mich weder in der Bibel noch der Religionsgeschichte aus, vermute aber, in diesem Roman schlummert eine tiefe Auseinandersetzung mit den christlichen Lehren. Schade, dass ich diesem Subtext nicht zu folgen vermochte.

    Es ist schon fast ein Jahr her seit ich dieses Buch gelesen habe und ich kann mich nicht mehr an alle Details erinnern. Ich weiß aber noch, dass ich nicht den Eindruck hatte, dass das Christentum eine besondere Rolle spielen würde. Woran hast Du das festgemacht? Mit poetisch und philosophisch kann ich Dir aber definitiv zustimmen.

  • Das Buch habe ich mir neulich als Mängelexemplar in der Mayerschen gekauft. Ich bin wirklich drauf gespannt, noch liegt es auf dem SuB ziemlich weit unten.

    Mein Tauschticket!!!


    Gelesen 2010: 25 Bücher (davon eins abgebrochen)
    Gelesen 2011: 26 Bücher
    Gelesen 2012: 14 Bücher (davon eins abgebrochen)


    Ich :study: gerade:


    Max Brooks - Der Zombie Survival Guide
    Sergej Lukianenko - Trix Solier II

  • @ Kapo
    Den (vermeintlich) tief religiösen Hintergrund, den ich hinter dieser Geschichte vermute würde ich auf folgendes zurückführen wollen (Achtung: ist voller Spoiler):


    -


    Es ist ja nur ein Gefühl gewesen, dass es in diesem schönen Roman einen religiösen Unterton gibt. Und leider, wie schon erwähnt, kann ich es mit meinem reduzierten Religionswissen nicht wirklich belegen.
    Aber so wichtig mag das eh´ nicht sein, denn der Roman funktioniert auch ohne solch (unsinnige) Gedanken ganz ausgezeichnet, wenn man nicht gerade auf einen Actionreisser angesichts des Klappentextes hofft.
    **dosvedanje**

    Es gibt keine grössere Einsamkeit als die des Samurai. Es sei denn die des Tigers im Dschungel

  • Danke für die Rezensionen und Erwähnen hier im Forum, denn sonst wäre ich wahrscheinlich auf das Buch nicht aufmerksam geworden. Und das wäre schade...

    Es ist eine sehr ruhig erzählte Geschichte, dennoch sehr eindringlich. Wie Kapo schon sagte, einen Endzeitthriller im herkömmlichen Sinne, sollte man in dem Fall nicht erwartet. Dennoch von der Thematik her für die Liebhaber des Genre sehr interessant. Denn die Stimmung, das Leben der Menschen zu der Zeit wurde sehr gut beschrieben. Manches lässt sich nicht ganz einfach lesen, denn das Buch spricht den Leser emotional an. Und an Gräueltaten und Entbehrungen dieser Zeit mangelt es in dem Roman nicht. Hervorragendes Buch, hat mir sehr gut gefallen. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    2024: Bücher: 65/Seiten: 28 761

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Marcel Theroux - Weit im Norden“ zu „Marcel Theroux - Weit im Norden / Far North“ geändert.