Klappentext:
New York, 1909. Aus einem transatlantischen Frachter steigt eine junge Frau mit ihrem Sohn Natale. Sie kommen aus dem tiefsten Süden Italiens – mit dem Traum von einem besseren Leben in Amerika. Doch in der von Armut, Elend und Kriminalität gezeichneten Lower East Side gelten die gnadenlosen Gesetze der Gangs. Nur wer über ausreichend Robustheit und Durchsetzungskraft verfügt, kann sich hier behaupten. So wie der junge Natale, dem überdies ein besonderes Charisma zu eigen ist, mit dem er die Menschen zu verzaubern vermag ...
Über den Autor:
Luca Di Fulvio, geb. 1957, lebt und arbeitet als freier Schriftsteller in Rom. Sein vielseitiges Talent ermöglicht es ihm, mit derselben Leichtigkeit sowohl packende Thriller für Erwachsene als auch fröhliche Geschichten für Kinder zu schreiben (letztere veröffentlicht er unter Psyeudonym). Einer seiner vorherigen Thriller, "L'Impagliatore", wurde unter dem Titel "Occhi di cristallo" für das italienische Kino verfilmt. Bevor Di Fulvio zum Schreiben kam, hat er in Rom Dramaturgie studiert, und sein Lehrmeister war kein Geringerer als Andrea Camilleri.
Allgemeines zum Buch:
„Der Junge, der Träume schenkte“ ist mit seinen 783 Seiten ein schöner dicker Schmöker. Das Buch gliedert sich in zwei Teile mit insgesamt 70 Kapiteln. Diese haben mit durchschnittlich elf Seiten eine angenehme Länge, sind zum bequemeren Lesen und zum Spannungsaufbau aber zusätzlich in Abschnitte unterteilt.
Die Handlung umfasst einen Zeitraum von gut 20 Jahren. Die ersten Kapitel spielen in Italien, der Hauptteil des Buches spielt dann jedoch in Amerika. Geschrieben ist das Buch aus der Sicht eines allwissenden Erzählers in der Vergangenheitsform.
„Der Junge, der Träume schenkte“ ist im Juli 2011 als Taschenbuch bei Bastei Lübbe erschienen. Die Originalausgabe erschien unter dem Titel „La Gang dei Sogni“ bei Arnoldo Mondadori Editore s.p.a., Mailand. Übersetzt aus dem Italienischen wurde das Buch von Petra Knoch.
Das Cover ist toll gestaltet und verleitet dazu, das Buch beim Stöbern im Buchladen zur Hand zu nehmen.
Meine Meinung zum Buch:
Der Einstieg in das Buch gestaltet sich recht mühsam. Auf gerade einmal 13 Seiten fasst der Autor die Geschehnisse dreier Jahre, 1906 bis 1909, zusammen, wodurch die Handlung sehr oberflächlich und der Schreibstil sehr distanziert wirkt. Schnell wird jedoch klar, dass die ersten drei Kapitel nur eine kurze Einleitung darstellen, in denen die Grundlagen für die späteren Ereignisse gelegt werden.
Umso ausführlicher wird der Autor auf den folgenden 770 Seiten. Di Fulvio schafft ein umfassendes Bild der Stadt New York Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Lebensverhältnisse in der Lower East Side sind sehr einfach und mit unserer heutigen, modernen Zeit überhaupt nicht zu vergleichen. Viele Menschen leben auf der Straße und versuchen, sich mit Straftaten über Wasser zu halten. Auf der Straße regiert das Gesetz des Stärkeren und Bandenkriege mit Schießereien und Gewalttätigkeiten bestimmen den Alltag. Es ist ein sehr düsteres und perspektivloses Leben, das die Menschen führen.
In dieser Szenerie wächst Natale heran, dessen Name von der Einwanderungsbehörde aus dem Italienischen ins Amerikanische übersetzt wurde, sodass er fortan den amerikanischen Namen Christmas trägt. Christmas ist ein kluger Junge, der schnell lernt, seinen Kopf über Wasser zu halten und es hervorragend versteht, andere Menschen für sich einzunehmen und sie davon zu überzeugen, sich auf seine Seite zu schlagen. So gründet er seine eigene Gang und täuscht anderen Gangs vor, im ganz großen Geschäft mit dem höchsten Mafia-Boss zu stehen. Doch Christmas Prioritäten ändern sich schnell, als er ein junges Mädchen, das brutal misshandelt wurde, rettet und sich unsterblich in sie verliebt. Fortan ist es sein größter Wunsch, ihr nahe zu sein, doch ihm werden Steine in den Weg gelegt, denn das Mädchen ist Jüdin und seine Eltern akzeptieren keinen Umgang mit einem nichtjüdischen Jungen.
Christmas Mutter ist Prostituierte und ihr größter Wunsch ist es, dass ihr Sohn ein echter Amerikaner wird, der die Chancen, die ihm das Leben bietet, ergreift. Sie selbst verliebt sich in einen Ganoven, den sie zu einem besseren Menschen erzieht, der sich diese Tatsache aber selbst nicht eingestehen will.
In „Der Junge, der Träume schenkte“ wechseln sich brutale und grausame Szenen mit sehr warmen und liebevollen Szenen ab. Es sind Kleinigkeiten, die ein wenig Licht in dieses doch gerade im ersten Teil sehr düstere und gewaltsame Buch bringen. Besonders Christmas schafft es mit seiner charismatischen Art, dem Leser ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Er nimmt das Leben so, wie es eben kommt und versucht, das Beste aus seinem Alltag zu machen. Er knüpft Freundschaften, verliebt sich, hilft anderen Menschen aus der Not. Menschen wie er sind es, die im New York Anfang des 20. Jahrhunderts so selten sind.
Im zweiten Teil des Buches ist Christmas bereits 18 Jahre alt und beginnt nun, seinem Traum zu folgen. Er ist total fasziniert von den Möglichkeiten, Menschen auf der ganzen Welt als Radiosprecher zu erreichen. Ob er es schafft, sich diesen Traum zu erfüllen und was ihm so sehr auf der Seele brennt, dass er es der ganzen Welt mitteilen möchte, das erfahrt ihr, wenn ihr das Buch selbst lest.
Die Handlung des Romans ist sehr umfangreich und vielseitig. Di Fulvio beleuchtet das Gangsterleben, das Filmleben, das Straßenleben. Er berichtet über das Schicksal des kleinen Mannes genauso wie über das eines angesehenen Fabrikinhabers. Di Fulvio berichtet über Feindschaft und Freundschaft ebenso wie über Rassismus und Liebe.
Der Erzählstil des Autors ist sehr besonders, denn die Handlung springt mit jedem Kapitel in der Zeit. Dadurch entsteht eine Vielzahl an Erzählsträngen, über die man den Überblick behalten muss. Oft kommt es vor, dass in einem Kapitel schon Dinge erwähnt werden, die erst in einem späteren Kapitel und gleichzeitig einem früheren Handlungsstrang genauer erklärt werden. Di Fulvio schafft es mit seinem lebendigen und lockeren Schreibstil, eine tolle Grundspannung aufzubauen, die den Lesefluss aufrecht erhält. Jeder Charakter wird greifbar und plastisch und auch wenn er eine noch so kleine Rolle einnimmt, schafft er es doch, Emotionen hervorzurufen.
Mein Fazit:
Ein authentischer und fesselnder Roman über das Leben im New York Anfang des 20. Jahrhunderts, das von Gewalt und Armut beherrscht wird und in dem es ein kleiner Junge schafft, mit seinem Charisma und seinem Lebensmut für bessere Verhältnisse zu sorgen.