Marie NDiaye - Drei starke Frauen / Trois femmes puissantes

  • Kurzmeinung

    mondy
    Sprachlich anspruchsvoll, aber gut lesbar, inhaltlich heftig und teilweise verstörend
  • Drei Frauen, drei Leben, drei Schicksale. Drei eigenständige Geschichten, die subtil miteinander verwebt sind.


    Norah ist Rechtsanwältin, ihr Vater hat seine Frau und die beiden Töchter verlassen, den Sohn hat er mitgenommen. Norah wurde nichts geschenkt im Leben und als sie jetzt ihr Vater, zu dem sie jahrelang keinen Kontakt hatte, zu sich bittet um ihn bzw. seinen Sohn aus der Klemme zu helfen, regt sich in ihr großer Widerstand, alte Wunden reißen auf und der Fokus wird auf Vorfälle in ihrer Kindheit gerichtet, die sie lieber vergessen würde…


    Fanta ist die zweite Protagonistin. Ihre Geschichte erfährt man von ihrem Ehemann Rudy, einem suspendierten Französischlehrer, der voller Mannesstolz Fanta aus dem Sumpf geholt hatte, den großen Gönner gespielt hat und ihr die Welt zu Füßen legen wollte, ehe er von seiner Vergangenheit eingeholt wurde und sein wahres Ich zum Vorschein trat, Aggressivität und Gewalt überhand nehmen und er das Leben beider zerstörte.


    Die dritte Geschichte erzählt von Khady. Nach dem Tod ihres Mannes wird die kinderlos gebliebene Frau von dessen Familie nur geduldet, um diesem Schicksal zu entrinnen begibt sie sich in die Hände von Schleppern, die sie nach Frankreich bringen sollen. Sie ist fürchterlichen Zuständen ausgesetzt, wird betrogen, ausgenutzt und landet schließlich als Prostituierte in einem Durchgangslager.


    Alle drei Schicksale spielen sich zwischen Senegal und Frankreich ab und führen in diesen – zumindest mir - so fremden Kulturkreis. Allen drei Frauen ist von kleinauf ein Schicksal in einem von Männern und von Gewalt beherrschten Umfeld auferlegt, dem es kein Entrinnen gibt. Keine der drei Frauen stellt sich aktiv gegen dieses Schicksal, sie ertragen Erniedrigungen, Demütigungen und Gewalt. Dennoch erscheinen sie als starke Frauen, den sie behalten sich bis zuletzt und in jeder Situation ihre Würde und Menschlichkeit und lassen so die Männer – seien es Väter oder Ehegatten – schwach aussehen. Sie dulden das Schicksal, nehmen seelische und körperliche Verletzungen mit einer erstaunlichen Gelassenheit hin, ohne aber passiv zu wirken, ohne sich geschlagen zu geben.


    Sprachlich ausgefeilt, detailreich, mit manch magischen Elementen gespickt und sehr elegant schildert Marie NDiaye die Gefühlswelten der Protagonistinnen, doch für mich wirken dadurch die Bitterkeit, die Tristesse, die Härte und die Grausamkeit noch beklemmender. Das Buch berührte mich tief und ich halte es mit der Sabine Rohlf (Berliner Zeitung) die meinte „Mit ihrer eindringlichen und ziemlich schonungslosen Wirklichkeitsnähe sagt NDiaye sehr viel über eine Welt, in der die einen vom Design ihrer Einbauküche, die anderen vom schlichten Überleben träumen“

    Inwieweit Marie NDiaye, geb. 1967, aufgewachsen in einem Vorort von Paris, der Vater verließ die Familie Richtung Senegal als sie ein Jahr alt war, ihre senegalesischen Wurzeln und ihre Familiengeschichte verarbeitete, lässt sich nur erahnen. Sie lebte in vielen Ländern Europas ehe sie sich vor einigen Jahren mit ihrer Familie in Berlin niederließ. Für "Drei starke Frauen" erhielt sie den Prix Goncourt 2010, sehr verdient, wie ich meine!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Eine Bekannte hat mir von dem Buch vorgeschwärmt, vielleicht sollte ich es mal näher in Augenschein nehmen; auf der WL steht es jetzt schon mal.
    Danke für deine Rezension, Rosalita.


    Liebe Grüße

  • Ich habe das Buch im Original gelesen und es hatte mich beeindruckt. Obwohl die drei Untergeschichten mehr oder weniger verwurzelt sind im senegalesischen Hintergrund, erschien mir der Stil von Ndiaye anders. Zu sagen, dass er mir europäisch vorkem mag sich als seltsames Statement anhören, aber manch einer könnte überrascht sein, hier eine besonders ausgefeilte Sprache zu finden.


    Lesenswert!

  • Danke für Eure Dankes :uups:


    Obwohl die drei Untergeschichten mehr oder weniger verwurzelt sind im senegalesischen Hintergrund, erschien mir der Stil von Ndiaye anders.


    Ich habe jetzt nicht allzuviele Berührungspunkte mit afrikanischer Literatur/Kultur. Der Kulturkreis, die Familiengefüge, die sie beschreibt, sind auf jeden Fall nicht europäisch. Obwohl Marie NDiaye immer in Europa gelebt hat und in diversen Interviews immer wieder erwähnt, nur 1 x als 20-jährige im Senegal gewesen zu sein und das Land eigentlich nicht zu kenne, erscheinen mir ihre Schilderungen von Menschen und Land doch sehr authentisch. Auf jeden Fall eine Autorin, die ich mir merken werde, trotz des unaussprechlichen Namens!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)


  • Ich habe jetzt nicht allzuviele Berührungspunkte mit afrikanischer Literatur/Kultur. Der Kulturkreis, die Familiengefüge, die sie beschreibt, sind auf jeden Fall nicht europäisch. Obwohl Marie NDiaye immer in Europa gelebt hat und in diversen Interviews immer wieder erwähnt, nur 1 x als 20-jährige im Senegal gewesen zu sein und das Land eigentlich nicht zu kenne, erscheinen mir ihre Schilderungen von Menschen und Land doch sehr authentisch. Auf jeden Fall eine Autorin, die ich mir merken werde, trotz des unaussprechlichen Namens!


    Da bin ich absolut einverstanden mit Dir. Ich wollte ausdrücken, dass das Umfeld, die Verwurzelung der Geschichten eben sehr wohl mit Afrika zu tun haben, aber ich - aus mir unerfindlichen Gründen - überrascht war vom Sprachstil dieser Frau. Vielleicht hast Du es im Deutschen anders empfunden? Ich MEINTE zu merken, dass hier eine ziselierte Sprache am Werke ist, die ich so - eventuell ein Vorurteil - nicht mit jenem afrikanischen Umfeld assoziiert hätte.


    Aber das war mehr ein flüchtiger Eindruck, auf den ich nicht pochen kann.

  • Vielen Dank für die tolle Rezi Rosalita. :thumleft:


    Wieder einmal eine Geschichte, die mich sehr anspricht und daher ist das Buch sofort auf meine Liste gewandert. :winken:

    Liebe Grüße
    Helga :winken:


    :study: [b]???


    Lesen ist ernten, was andere gesät haben (unbekannt)

  • So wie schon in etlichen ihrer früheren Bücher und Stücke geht es auch im neuen Roman der 1967 in Frankreich geborenen Marie Ndiaye und Problem von Menschen, die mehrfache ethnische Identitäten in sich tragen. Selbst als Tochter einer französischen Mutter und eines senegalesischen Vaters geboren hat sie die Phänomen der Entwurzelung und der verzweifelten Suche nach Identität nicht selten regelrecht gefangen zwischen zwei Kulturen . Seit sie vor etwa drei Jahren aus Protest gegen die Einwanderungspolitik von Nicolas Sarkozy Frankreich verlassen hat, lebt sie selbst in einer Art Exil.

    Von Menschen im Exil erzählt auch ihr neues Buch „Drei starke Frauen“. Der Verlag bezeichnet es als einen Roman, doch es sind eher drei miteinander verbundene Erzählungen. Erzählungen, die das Leben und den Lebenskampf von drei ganz unterschiedlichen Frauen beschreiben. In einem Interview sagt die Autorin:
    „Ich wollte drei Frauen darstellen, die extrem verschieden sind. Sie haben nicht die gleichen Chancen, sie leben völlig unterschiedliche Leben. Aber dennoch verbindet sie etwas, das nur schwierig zu beschreiben ist: Sie haben eine große Zuversicht, tiefes Vertrauen in sich und ihre Menschlichkeit.“

    Und das ist es auch, was den Leser bei der Lektüre regelrecht gefangen nimmt. Wie die drei Frauen trotz eines jeweils schlimmen Schicksals ihre Würde bewahren und ihr Leben annehmen, das erzeugt weniger Mitleid, sondern wirkliche Sympathie.

    Die drei in einem Roman zusammengefassten Erzählungen berichten von Frauen, die in ihrem Leben ohne Männer auskommen (müssen), und denen die Erfahrung von Glück außerhalb ihrer selbst nicht geschenkt ist. An einer Stelle beschreibt das Marie Ndiaye so:„Doch ihr Herz schlug langsam, friedlich, und auch sie fühlte sich so, langsam, friedlich, unerreichbar, im Schutz ihrer unangreifbaren Menschlichkeit.“

    Dieses Erdulden des eigenen Schicksals, ja darin gerade seine eigene Würde zu finden und sie zu erhalten, das ist sicher nicht eine Haltung, die den gegenwärtigen Mustern von Frauenidentität entspricht. In den Lebensberichten der „Drei starken Frauen“ aber überzeugt sie den Leser und nötig ihm Respekt und Hochachtung ab.

  • Während Erzählung 3 erschütternd ist (die Frau, die nach dem Tod ihres Mannes aus dem Senegal nach Europa flieht, sich aber als Prostituierte in einem Lager wiederfindet), Erzählung 1 berührt (die Frau, die zu ihrem ungeliebten Vater in den Senegal zurückkehrt, um als Anwältin den Bruder bei einem Mordprozess zu vertreten), finde ich Erzählung 2 (der Mann, der die Geschichte seiner Ehe erzählt) grauenhaft.


    Geht es in Erzählung 2 überhaupt um die Frau oder zeigt sie nicht eher das Psychogramm eines unsympathischen Mannes, der sein Denken und Handeln in Atome zerlegt und um Verständnis und Liebe buhlt?


    Auch der verschachtelte Schreibstil der Autorin ist gewöhnungsbedürftig. Warum schreibt jemand so gekünstelte, verschwurbelte Sätze mit ineinander gefügten Nebensätzen und Partizipialkonstruktionen?
    Auch wenn das rückseitige Cover die renommierte Literaturkritikerin Iris Radisch zitiert, die das Buch eins der großartigsten nennt, das sie in letzter Zeit gelesen hat - mich konnte es nicht vom Hocker reißen.


    Vielleicht hätte das Buch eine bessere Wertung verdient als meine :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: , aber leider hat ausgerechnet Erzählung 2 - mit 166 Seiten die längste - die beiden anderen übertönt.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Geht es in Erzählung 2 überhaupt um die Frau oder zeigt sie nicht eher das Psychogramm eines unsympathischen Mannes, der sein Denken und Handeln in Atome zerlegt und um Verständnis und Liebe buhlt?


    Es ist bei mir schon eine Weile her, dass ich das Buch gelesen habe, aber diese zweite Geschichte hat echt Nerven gekostet - und auch noch in der Erinnerung habe ich den Eindruck, dass es nicht wirklich um die Frau ging in dieser Geschichte. Wobei man ja glatt behaupten könnte, dass sie eine starke Frau sein muss um einen solchen Mann zu ertragen :loool:


    Allerdings fand ich die beiden anderen Geschichten sehr gut und beeindruckend - wenn auch nicht gerade schön im Sinne einer schönen, heiteren Geschichte. Ganz im Gegenteil hab ich sie beide als ziemlich heftig empfunden.