Adalbert Stifter - Der Nachsommer

  • Ein Roman zum Zeit-entschleunigen!


    Im ersten Kapitel „Die Häuslichkeit“ wird die elterliche Wohnung des Ich-Erzählers Heinrich beschrieben. Das Familienleben der Drendorfs, welche aus dem Vater, der Mutter, Heinrich und der jüngeren Schwester besteht, wird dargestellt. Da Heinrich schon als Kind eine Erbschaft macht und zudem von zu Hause auch nicht gerade verarmt ist, kann sich sein Vater zu sehr weisen Erziehungsmethoden entschließen: Seine Kinder sollen früh den „guten“ Umgang mit Geld erlernen, selber wirtschaften können, und vor allem Heinrich soll alleine heraus finden, was er erlernen und was er aus seinem Leben machen möchte.


    „Jedes Ding und jeder Mensch, pflegte er zu sagen, könne nur eins sein, dieses aber muß er ganz sein.“


    Heinrich entschließt sich auf Reisen zu gehen, um das heraus zu finden.


    „… man solle mich nur gehen lassen, es werde sich aus dem Unbestimmten schon entwickeln, wozu ich taugen werde, und welche Rolle ich auf der Welt einzunehmen hätte.“


    Und so zieht der Protagonist hinaus in die Welt. Auf seinen Wanderungen kommt er eines Tages kurz vor einem Gewitter an einem wunderschönen „Rosenhof“ vorbei, wo er auf seine Bitte hin zum Schutze vor dem kurz bevorstehenden Unwetter unterkommt. Sein Gastfreund, das zeigt sich in den nächsten Tagen, die Heinrich dort verweilt, ist ein Kunstliebhaber, der alte Schätze wieder restauriert, ein Naturliebhaber, ein Gartenfreund, ein Vogelfreund … er wird zum Mentor des Ich-Erzählers.


    Es ist diese absolute Sorgfalt des Freiherrn, weshalb seine „Dinge“ so gut aussehen, wachsen und gedeihen. Er sorgt bis ins kleinste Detail für alles, was das „Ding“ zum Erhalt und zum Leben braucht, eine Haltung die uns heute im 21. Jahrhundert wieder abhanden gekommen ist. Teilweise scheint diese Behandlung der „Dinge“ als penibel, aber noch unsere Großväter achteten mehr auf ihre „Dinge“. Und dieser ernorme Aufwand, der auf dem „Rosenhof“ beispielsweise für das Gedeihen der Rosen betrieben wird, zahlt sich aus, denn so herrlich wird man nirgends eine Rosenwand blühen sehen.


    “…, daß jedes Wissen Ausläufe hat, die man oft nicht ahnt, und wie man die kleinsten Dinge nicht vernachlässigen soll, wenn man auch noch nicht weiß, wie sie mit den größeren zusammenhängen.“


    Im Laufe der nächsten Jahre wird Heinrich im „Rosenhof“ immer wieder gut aufgenommen, verlebt viele Wochen auf dem Anwesen, lernt, verweilt und bildet seinen Geist. Dabei lernt er viele neue Menschen kennen, den Meister der Zeichnungen, den Gärtner, den Ziehsohn des Alten und seine Mutter nebst Schwester, geht in den Gewohnheiten dieses inneren Kosmos voll auf und lernt ein anderes Leben kennen.


    Stifter beschreibt alles bis ins letzte Detail, auch oft in der Wiederholung, dies vielleicht auch aus pädagogischen Zwecken, mit dem Hinblick, da derzeit vieles zu sehr vermischt, zu oberflächlich betrachtet wurde, zu schnell abgetan, und nicht mehr von innen erwachsen konnte. “Der Nachsommer” stellt höchstwahrscheinlich so eine Art Traum dar, wie Stifter als Ästhet seine Welt wahrhaben mochte oder gar gewahr nahm, so als ob alles eins wäre. So in etwa, dass auch der Mensch völlig in dieser Harmonie untergeht und sich nicht abhebt vom Ganzen, die absolute Schönheit ohne Makel. Und dabei ist er kein Verfechter des Neuen:


    ” …, daß jenes Neue, welches bleiben soll, weil es gut ist - … - nur allgemach Platz finden, und ohne zu große Störung sich einbürgern möchte. So ist der Übergang ein längerer aber er ist ein ruhigerer und seine Folgen sind dauernder.“


    Selbst in den letzten Seiten wird ein neuer Kitt ins Altbewährte integriert (zum abdichten der Wintergärten), um das alt Traditionelle noch besser machen zu können.


    Das Werk ist eine äußerst konsequent durchgeführte Komposition bis hin zum Perfektionismus, der eine Art der Dauerüberholung vorsieht. Und der anscheinend zu emotionsgeladene übertriebene Schluss, die totale Veredelung, fügt sich dabei ebenso in diesen Kosmos ein, wie die scheinbaren leblosen Figuren. Denn alles läuft auf die Liebe hinaus, und das erinnert mich stark an den 1. Korinther Brief und das Hohelied der Liebe, eine Bergpredigt auf Stifter-Art, in der alle ihren Platz finden und die Harmonie/Liebe das oberste Gebot ist.


    W. G. Sebald beschreibt es wie folgt in seinem Essay Band „Die Beschreibung des Unglücks“:


    „Es ist also schon so gesehen nicht sehr sinnvoll, Stifters Prosa-Idylle mit resignativem Eskapismus gleichzusetzen, und erst recht nicht, wenn man bedenkt, daß der Nachsommer nicht bloß die sogenannte Realität, sondern sogar die Intentionen und das Verfahren des utopischen Genres hinter sich läßt. Hier soll nicht allein die bestmögliche Verfassung der Gesellschaft als Gegenstück zu ihrer tatsächlichen Korrumpiertheit bestimmt werden, vielmehr wird, weit radikaler, eine Auslösung aus der Unheimlichkeit der Zeit überhaupt angestrebt. Stifters Bilderbogen einer beruhigten domestischen Seligkeit trägt durchaus – was bisher kaum erkannt worden ist – eschatologische Züge. Die Prosa des Nachsommers liest sich wie ein Katalog letzter Dinge, denn alles erscheint in ihr unterm Aspekt des Todes beziehungsweise der Ewigkeit.“ (Bis an den Rand der Natur/Versuch über Stifter)

  • Eine ganz, ganz tolle Rezi, Buchkrümel! Herzlichen Dank!


    Sicherlich habe ich das Buch zu früh gelesen, mit etwas über 20, und da fiel es mir schon recht schwer, bis ans Ende durchzustehen. Der Rhythmus war so unsagbar gemächlich, mit teils seitenlangen Beschreibungen über Dinge (Möbel, Garten, Landschaft), für die anderswo ein Satz herhält.


    Viel später war ich erstaunt und betroffen zu lesen, dass ein Mann wie Dietrich Bonhoeffer während seiner Zeit im Gefängnis seine Verwandten um Bücher gerade von Adalbert Stifter bat. Dieser würde es erlauben, innerhalb der kargen Zellenwände eine andere Welt vor Augen zu haben (oder so ähnlich...).

  • Sicherlich habe ich das Buch zu früh gelesen, mit etwas über 20, und da fiel es mir schon recht schwer, bis ans Ende durchzustehen. Der Rhythmus war so unsagbar gemächlich, mit teils seitenlangen Beschreibungen über Dinge (Möbel, Garten, Landschaft), für die anderswo ein Satz herhält.


    Ich hatte schon enormen Respekt vor dem Buch und vor der Lektüre, aber irgendwie kribbelte es auch. Vorweg hatte ich schon ein paar kürzere Werke von Stifter gelesen, und sein Stil und seine Landschaftsbeschreibungen haben mir sehr gefallen. Also mischte sich zum Respekt auch die Freude. Nach ca. 100 Seiten habe ich nur noch genossen! Ich bin so dermaßen in dieses Buch eingetaucht, habe meine Umwelt kaum noch wahrgenommen, es war so toll, ein Traum - so was erlebt man - glaube ich - nur noch ganz selten als routinierter Leser :applause:

  • Auf seinen naturkundlichen Wanderungen begegnet der Ich-Erzähler Heinrich Drendorf seinem späteren väterlichen Freund, dem Freiherrn von Risach, auf dessen Landgut. Dort lernt er nicht nur eine neue Form der Lebens- und Wirklichkeitsbewältigung kennen, sondern auch seine spätere Frau Natalie und deren Mutter Mathilde Tarona, die auf geheimnisvolle Weise mit Risach verbunden ist.


    »›Der Nachsommer‹ ist der Bildungsroman schlechthin, ein rührend-unheimlich deutsches Buch aus Österreich, welches dem Leser das Menschlichwerden zeigen will.« Walther Killy....(Klappentext)




    "Mein Vater war ein Kaufmann. Er bewohnte einen Teil des ersten Stockwerkes eines mäßig großen Hauses in der Stadt in welchem er zur Miete war.." (S. 7 - Anfang)


    Wie soll man einem Literaturklassiker gerecht werden, wenn man sich einen Monat lang durchgequält hat? Diese Frage stellte ich mir bereits nach den ersten Seiten dieses Buches.


    Ich liebe Klassiker, angefangen bei Shakespeare, über Lessing bis hin zu Tolstoi. Dabei schätze ich vor allem die Sprachgewalt, die Poesie und den bildhaften Erzählstil, inklusive der Detailverliebtheit. Doch gerade diese langatmigen Beschreibungen und die ständigen Abschweifungen ins Detail, machten mir das Lesen von "Der Nachsommer" mehr als schwer.


    Die Handlung schreitet nur mit überaus kleinen Schritten voran, nahezu stockend und humpelnd und zwar aufgrund diverser minutiöser Beschreibungen von Gemälden, Pflanzen und selbst von Steinen.


    "Ich war schon als Knabe ein großer Freund der Wirklichkeit der Dinge gewesen, wie sie sich so in der Schöpfung oder in dem geregelten Gange des menschlichen Lebens darstellte..." (S. 24)


    "Der Vater pflege zu sagen, ich müßte einmal ein Beschreiber der Dinge werden,..." (S. 25)


    Genau, und schlußendlich war er das auch.


    Aber so sehr Stifter auch auf die Darstellung von Natur und Kunst eingeht, die Charaktere bleiben auf den 730 Seiten blass und vor allem langweilig.
    Hier fällt kein böses Wort und Missverständnisse gibt es hier ebenso wenig. Selbst als Risachs Geheimnis gelüftet wird, herrscht hier Verständnis und Einigkeit.
    Immerzu herrscht hier Harmonie und höchste Idylle, dass es kaum auszuhalten ist. Hinzu kommen die ständigen Wiederholungen der alltäglichen Rituale - die Neurotik des Biedermeier lässt grüßen.


    Diese Art des Schreibens ist von Adalbert Stifter jedoch so beabsichtigt. Die Industrialisierung machte zu dieser Zeit auch vor Österreich nicht Halt. Aber wie Franz I. und Metternich, so war auch Stifter gegen diese Modernisierung und versuchte sie, zumindest in diesem Werk, aufzuhalten - den Fortschritt entschleunigen.


    Bei mir rief es auch eine Entschleunigung hervor und zwar die des Lesens.
    "Der Nachsommer" ist also keineswegs ein Klassiker den man mal schnell zwischendurch lesen kann und auch nicht sollte.
    Man muss sich dafür Zeit nehmen, darin eintauchen und diesen wirken lassen. In der heutigen schnelllebigen Zeit mit Sicherheit ungewohnt, aber durchaus nicht verkehrt und eben auch genau das was von Stifter beabsichtigt war. Für mich persönlich war das nichts.


    Das Werk enthält aber auch gleichzeitig wunderschöne Zitate, welche zum Nachdenken anregen:


    "...der Mensch sei nicht zuerst der menschlichen Gesellschaft wegen da, sondern seiner selbst willen. Und wenn jeder seiner selbst willen auf die beste Art da sei, so sei er es auch für die menschliche Gesellschaft." (S. 15)


    Trotzdem werden Herr Stifter und ich wohl keine Freunde. Sein Schreib- und Erzählstil sind sehr speziell und nicht für jeden geeignet. Man muss diesen Stil schon mögen - ich tue es nur bedingt.


    Die vorliegende Neuauflage aus dem dtv-Verlag ist jedoch mehr als nur gelungen. Hier wurde nämlich die Urfassung beibehalten, inklusive der etwas ungewöhnlichen Interpunktion Stifters. Ja, selbst hier hatte Adalbert Stifter seine Eigenheiten. Diese spezielle Art Kommas zu setzen, sollte seinen Stil intensivieren. Nun ja, diese Tatsache machte das Lesen nicht unbedingt leichter.
    Es wurden aber auch die Laut- und Wortformen , sowie die alten österreichischen Bezeichnungen beibehalten.


    Die meisten Verlage scheuen sich davor, solche Eigenheiten beizubehalten und modernisieren Texte, Passagen und ganze Werke. Nicht so beim dtv-Verlag, der aufgrund dessen für mich die erste Adresse bei Neuauflagen von Klassikern ist.


    Wie gewohnt erhält man im Nachwort Informationen über das Werk und dessen Entstehung und es beinhaltet eine kleine, aber durchaus ausführliche Biographie des Autors mittel Zeittafel. Ich muss gestehen, diese Anhänge lasen sich spannender als "Der Nachsommer" selbst.


    Fazit:
    Der Schreib- und Erzählstil von Adalbert Stifter ist sehr speziell (anstrengend trifft es wohl besser). Dies muss man mögen, um das vorliegende Werk vollends genießen zu können. Ich konnte es leider nicht. Diese Abschweifungen und detailreichen Beschreibungen...meine Güte, diese Beschreibungen und Schilderungen!!...waren so gar nicht meines.
    Ein Lob gebührt jedoch dieser Neuauflage aus dem dtv-Verlag, welche die Urfassung, sowie viele interessante Informationen im Anhang enthält.
    Für Adalbert Stifter-Fans, Studenten der Germanistik und Literaturwissenschaft absolut zu empfehlen. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:


    © Pink Anemone (inkl. Fotos und ausführlicher Besprechung des Werkes)

  • Ich hatte das Buch letztes Jahr versucht. 350 Seiten habe ich gelesen und war nur genervt von der detailreichen Beschreibungen der Natur. Die zweite Hälfte des Buches habe ich sehr quer gelesen.
    Mich hat auch genervt, dass der Held der Geschichte keinerlei Anstand zeigte. Er quartierte sich gleich Wochenlang ein ohne seinen Namen zu nennen. Ich habe mich extra bei Wiki versicherte, Knigge war seinerzeit schon bekannt.
    Das Buch ist tatsächlich sehr speziell.


    :bewertungHalb: