Haruki Murakami - Naokos Lächeln (ab 04.07.2011)

  • Kapitel 5 (Naokos Brief)


    Schon nachdem Toru die Eingangszeilen des Briefes von Naoko gelesen hat, lässt er sich von seinen Gefühlen mitreißen. Toru hat sich ja schon
    im letzten Kapitel eingestanden, dass Kizukis Tod seine Welt ins wanken gebracht hat. Naoko ist die einzige Verbindung und könnte für ihn auch
    die einzige Hilfe sein. Allerdings mag man bezweifeln, dass die sensible Naoko diese Hilfe geben kann.

    Zitat

    Naokos siebenseitigen Brief in der Hand überließ ich mich enem wilden Strom von Gefühlen. Schon nach den ersten wenigen Zeilen war mir,
    als hätte die reale Welt um mich herum völlig die Farben verloren.

    Naokos Brief erscheint jedoch recht optimistisch. Sie ist seit 4 Monaten im Sanatorium und die Ruhe und Abgeschiedenheit scheinen ihre Lebensenergien
    wieder erweckt zu haben. Sie entschuldigt sich bei Toru dafür, dass sie ihn ungerecht behandelt hat und ihn mit in ihre Depression gerissen hat.
    Ihre Beschreibungen des Tagesablaufes und auch der therapeutischen Gespräche weisen darauf hin, dass sie, wie sie sagt, ihre Macken erkennt und lernt
    mit ihnen umzugehen. Andererseits ist sie sich sehr bewusst, dass die Welt im Sanatorium eine geschützte Welt ist, die weit enfernt ist von der rauhen
    Welt die sie nach ihrem Aufenthalt erwarten würde. Sie schreibt:

    Zitat

    Das einzige Problem an dieser Einrichtung ist, dass man sie am liebsten gar nicht mehr verlassen würde, ja, sogar eine gewisse Angst davor
    entwickelt. Hier fühlt man sich entspannt und geborgen. Alle Defekte kommen einem ganz natürlich vor, und man hält sich für geheilt. Aber ich
    bezweifle, ob die Außenwelt uns auch so wahrnehmen würde.

    Toru denkt lange über ihren Brief nach, während er ihr altes Ritual, ziellos durch Tokyo zu laufen, alleine vollzieht. Später ruft er im Sanatorium an und
    lässt sich einen Besuchstermin für den nächsten Tag geben.
    Auf das nun bald folgende Treffen der beiden bin ich sehr gespannt. Geht es Naoko wirlich so gut wie sie schreibt? Ich hege so meine Zweifel.


    Das sechste Kapitel ist ca. 80 Seiten lang und es wäre gut, wenn wir auch dieses lange Kapitel aufteilen würden.


    lg taliesin :winken:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

  • Hallo taliesin,


    Naokos Brief hat mich auch sehr berührt. Es scheint ihr wirklich besser zu gehen, nach dem sie jetzt schon eine Weile im Sanatorium ist. Sie erkennt ihre Macken und Fehler und versucht mit ihnen umzugehen. Torus Gefühlswelt gerät durch den Brief ziemlich durcheinander und er geht wieder alleine durch Tokio um nachzudenken. Als er von seinem langen Spaziergang zurückkommt, ruft er im Sanatorium an und bitte um einen Besuchstermin bei Naoko für den folgenden Tag. Wie Du bin auch ich gespannt, wie er mit Naoko umgeht und auch wie sich Naoko verhält.


    Das sechste Kapitel ist ca. 80 Seiten lang und es wäre gut, wenn wir auch dieses lange Kapitel aufteilen würden.


    Habe ich nichts dagegen. Dann mache ich mich mal heute Abend daran und lese die ersten vierzig Seiten.

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

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  • Kapitel 6 (bis S.168)


    Toru fährt ins Sanatorium, wo er zuerst eine Frau namens Reiko kennenlernt. Es stellt sich heraus, dass Reiko schon 7 Jahre im Sanatorium
    ist und unter anderem auch Musikunterricht gibt. Bei ihr scheinen sich die Grenzen Patient/Personal zu verwischen. Reiko ist Naokos Zimmer-
    genossin und beginnt nun Toru auf die Gepflogenheiten des Sanatoriums und auch über den psychischen Zustand Naokos zu informieren.
    Sie erwartet von Toru, dass er aktiv bei der Therapie hilft.

    Zitat

    Das Wichtigste ist Ihre Bereitschaft, zu helfen und Hilfe von anderen entgegenzunehmen. Zweitens müssen sie ehrlich sein. Keine Schwindeleien
    und keine Beschönigungen. Sie dürfen nichts vertuschen was peinlich für sie sein könnte. Das ist alles.

    Zu ihrer eigenen Situation berichtet sie nur, dass sie allein ist und gar nicht wüsste was sie außerhalb des Sanatoriums anfangen sollte. Mit Reiko führt
    Murakami eine weitere recht geheimnisvolle Persönlichkeit in die Geschichte ein. Mir ist aufgefallen, dass sich hier wieder eine 3er Konstellation anbahnt.
    Zwar unter anderen Vorraussetzungen, aber es könnte ja sein, dass das Zurückkehren zu einer ähnlichen Gemeinschaft wie die mit Kizuko die alten Traumata
    auflösen kann. Ist aber nur eine Theorie und wir sehen bald, wie sich die drei Menschen annähern. Reiko selbst scheint große Hoffnungen in Torus Anwesenheit
    zu setzen.

    Zitat

    Sie sind ein sehr umgänglicher Mensch.das sehe ich ihnen an. nach sieben Jahren hier und nach den vielen Menschen die ich kommen und gehen
    gesehen habe, kann ich das beurteilen. Es gibt Menschen, die können ihr Herz öffnen, und Menschen, die können es nicht. Sie gehören zu denen,
    die sich öffnen können, wenn sie es wollen.

    Später kommt Naoko Toru kurz besuchen, und bei Toru kommt sofort dieses warme beruhigende Gefühl wieder auf. Der Besuch zeigt bei Toru eine
    unmittelbare Wirkung:

    Zitat

    In Naokos Wohnung sickerte durch meinen tiefen Schlaf die Erschöpfung aus jeder Zelle meines Körpers, Tropfen für Tropfen, während ich von einem
    im Dämmerlicht tanzenden Schmetterling träumte.

    Da zeigt sich wieder Murakamis Fähigkeit in wenigen Zeilen eine unglaublich dichte Atmosphäre zu schaffen. Man atmet praktisch zusammen mit Toru ganz
    tief durch.
    Später am Abend sitzen die Drei zusammen und Reiko spielt Gitarre während Toru und Naoko über ihre Vergangenheit sprechen. Die Harmonie dieses Abends
    ist fast greifbar. Aber es mischen sich auch traurige kleine Szenen mit ein. Naoko wünscht sich von Reiko >Norwegian Wood< (wir erinnern uns an den Anfang
    des Romans). Ihre Gefühle dabei zeigen, dass ihre Heilung wohl noch einiger Arbeit bedarf:

    Zitat

    Diese Melodie macht mich manchmal so traurig. Ich weiß nicht, warum, aber ich stelle mir vor, ich würde im tiefen Wald umherirren, sagte Naoko.
    Ich bin ganz allein, es ist kalt und dunkel, und niemand kommt mich retten.

    Das Toru sich fast 20 Jahre später noch an dieses Lied erinnert und es für ihn der Auslöser ist, seine Vergangenheit noch einmal aufzuarbeiten wird nun noch
    klarer. Er erspürt eine Veränderung in Naoko und seine Gefühle ob dieser Veränderung sind zwiespältig:

    Zitat

    Ihre Schönheit berührte mein Herz, und ich staunte darüber, dass eine Frau sich im Laufe eines halben Jahres so sehr verändern konnte. Naokos neue
    Schönheit war für mich ebenso anziehend wie ihre frühere, vielleicht sogar noch mehr. Zugleich erfüllte mich der unwiederbringliche Verlust jener anderen
    Schönheit, dieser selbstbezogenen Schönheit, wie sie nur junge Mädchen besitzen, mit Melancholie.

    Nach einem weiteren, sehr intimen Gespräch zwischen Naoko und Toru beginnt Naoko plötzlich wieder zu weinen, wie damals, kurz bevor sie miteinander
    schliefen. Reiko bittet Toru kurz hinauszugehen. Bei einem Blick zurück in das erleuchtete Fenster kommen Toru sehr traurige, und was die Zukunft Naokos
    angeht sehr verstörende Gedanken. Hat er eine Ahnung, dass seine Anwesenheit die Sache vielleicht noch schlimmer macht? Auf welchem unwiederbringbaren
    dunklen Weg befindet sich Naoko? Nach dieser Beschreibung kann man schon ein wenig Angst um Naoko bekommen. Torus Gefühle sind von Murakami auf
    wunderbar traurige Weise beschrieben.

    Zitat

    Völlig reglos starrte ich auf dieses kleine Licht. So sehr erinnerte es mich an das letzte Aufflackern einer menschlichen Seele, dass ich am liebsten
    meine Hände darum gelegt hätte, um es vor dem Verlöschen zu schützen. Lange beobachtete ich das zitternde Licht, gerade so, wie Jay Gatsby Nacht
    für Nacht den winzigen Lichtschein am gegenüberliegenden Ufer beobachtet hatte.

    Zum Rest des Kapitels dann später........ :study:


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  • Toru fährt zu Naoko ins Sanatorium, dass nun wirklich weit abseits liegt in den Bergen und zu dem die Reise beschwerlich ist. Im Sanatorium lernt er Reiko kennen, eine Patientin, die schon seit sieben Jahren dort ist. Ich finde sie sehr interessant.

    An die Dreier-Konstellation mit Kizuki, Naoko und Toru habe ich da auch direkt gedacht. Hoffentlich wird Naoko so wieder gesund.
    Eins verstehe ich nur nicht so ganz, weshalb Reiko glaubt, dass sie außerhalb des Sanatoriums nichts mehr anzufangen weiß, ich dachte sie hätte Familie. :-k

    Das Lied scheint der Schlüssel zu Naokos Seelenleben zu sein und auch zu der Beziehung zu Toru.

    Nach einem weiteren, sehr intimen Gespräch zwischen Naoko und Toru beginnt Naoko plötzlich wieder zu weinen, wie damals, kurz bevor sie miteinander
    schliefen. Reiko bittet Toru kurz hinauszugehen. Bei einem Blick zurück in das erleuchtete Fenster kommen Toru sehr traurige, und was die Zukunft Naokos
    angeht sehr verstörende Gedanken. Hat er eine Ahnung, dass seine Anwesenheit die Sache vielleicht noch schlimmer macht? Auf welchem unwiederbringbaren
    dunklen Weg befindet sich Naoko? Nach dieser Beschreibung kann man schon ein wenig Angst um Naoko bekommen.

    Die Szene fand ich sehr eindrücklich. Es gibt bei Naoko also immer wider Phasen der tiefen Traurigkeit und des Weinens. Gerade bei dieser Szene bekommt man Angst um Naoko und man befürchtet schlimmes.

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


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  • Eins verstehe ich nur nicht so ganz, weshalb Reiko glaubt, dass sie außerhalb des Sanatoriums nichts mehr anzufangen weiß, ich dachte sie hätte Familie.

    Das klärt sich im Rest des Kapitels, in dem Reiko die Geschichte erzählt warum sie im Sanatorium ist. Ja, sie hatte Familie, aber............ :(
    Allerdings finde ich, dass Reiko eigentlich wie eine starke und stabile Persönlichkeit wirkt, die im Gegensatz zu Naoko ihr Leben im Griff zu
    haben scheint. Darüber können wir ja noch posten, wenn wir den Rest des Kapitels gelesen haben.


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    Einmal editiert, zuletzt von taliesin ()

  • Hallo taliesin,


    ich konnte nicht mehr warten und habe jetzt das Kapitel zu Ende gelesen.


    Berührend und traurig finde ich Reikos Situation außerhalb des Sanatoriums und wie sich das Mädchen verhalten hat. Irgendwie hat dies Reikos Vertrauen zerstört.


    Als sie vom Spaziergang wieder kommen, sitzt Naoko wieder im Wohnzimmer und das Gespräch kommt auf Kizuki. Das ist glaube ich, dass erste Mal, dass sie vom ihm spricht. Sie erzählt von ihrer gemeinsamen Jugendzeit, von seinen Fehler und Schwächen und das sie miteinander erwachsen wurden. Sie räumt auch ein, dass die beiden bewusst die Nähe zu Toru gesucht haben, da er für sie die Außenwelt darstellt. Kizuki und Naoko hatten wirklich eine eigenartige Beziehung, jedenfalls finde ich sie für Teenager ungewöhnlich.

    Zitat

    Getrennt zu sein, war uns unerträglich. Hätte Kizuki weitergelebt, wären wir zusammengeblieben, hätten uns geliebt und einander langsam unglücklich gemacht.

    Als Toru dann fragt weshalb

    Zitat

    Vielleicht, weil wir der Welt hätten zurückzahlen müssen, was wir ihr schuldig waren, (...) Die Schmerzen des Erwachsenwerdens, zum Beispiel. Wir haben nicht bezahlt, als es an der Zeit dafür war, jetzt wird die Rechnung fällig. Deshalb ist Kizuki gestorben, und ich bin allein zurückgeblieben.

    Die Szene mit Naoko in der Nacht fand ich verstörend und auch Toru weiß am anderen Morgen nicht, ob er geträumt hat oder nicht. Jedenfalls lässt sich Naoko nichts anmerken, ist halt nur die Frage, ob sie überhaupt weiß was sich in der Nacht zugetragen hat. Hat sie schlafgewandelt? Ich finde, Marukami hat die Szene des "Schlafwandelns" schön beschrieben:

    Zitat

    Wie ein kleines Nachttier, das der Mondschein aus seinem Bau gelockt hatte, saß Naoko regungslos da. Das Mondlicht fiel so auf sie, dass es die Silhouette ihres Mundes hervorhob,und ihr Herzschlag ließ diese zarte, verwundbare Silhouette fast unmerklich erbeben, als flüstere sie der Dunkelheit unhörbare Worte zu.

    Im Laufe des Vormittags erfährt er etwas über den Tagesablauf der Sanatoriumbewohner und begleitet sie auch dabei.


    Nachmittags unternehmen die drei einen Ausflug in die Berge und kommen in ein verwaistes Dorf - in dem es nur noch ein Ausflugslokal gibt. Reiko kommt immer wieder dahin um Radio zu hören, da sie im Sanatorium völlig von der Außenwelt abgeschnitten sind (kein Fernsehen, kein Radio) und sie doch etwas von der Außenwelt erfahren will. Sie lässt die beiden eine Weile allein durch die Gegend streifen, so dass sie sich aussprechen können.


    Naoko wundert sich darüber, dass Toru immer wieder den Kontakt zu den "Gestörten" sucht. Toru erklärt ihr, dass er die Typen, die ganz munter draußen rumrennen, für gestört hält.
    Außerdem erfahren wir etwas über Naokos Ängste:

    Zitat

    Es ist, als streckte Kizuki aus dem Dunkeln die Hand nach mir aus. "Komm, Naoko, wir können nicht getrennt sein", höre ich ihn sagen. Und dann weiß ich nicht mehr, was ich tun soll.

    Nachdem sie ihn befriedigt hat, setzen sie ihren Spaziergang fort und wir erfuhren etwas über Naokos Familie. Sie erzählt vor allem von ihrer sechs Jahre älteren Schwester, die eine Überfliegerin in der Schule war. Daher musste sie Naoko immer niedlich sein, da sie nie an die Erfolge ihrer Schwester heranreichen würde. Aber die ältere Schwester hat Naoko abgöttisch geliebt umso tragischer ist dann, was dann geschieht

    . Nach Naokos Vater muss dies in der Familie liegen.
    Ich vermute, dass Naoko auch davon betroffen ist. Und vor allem was für ein Schicksal


    Am Ende des Spaziergangs versucht Naoko Toru klar zu machen, dass sie nicht die Richtige ist für ihn.

    Zitat

    Ich hab's dir ja geschrieben: die Wurzeln meiner Krankheit reichen tiefer als du denkst. Darum möchte ich, dass du deinen Weg ohne mich gehst, wenn du kannst, und nicht auf mich wartest. Wenn du mit anderen Mädchen schlafen möchtest, tue das ruhig. Lass dich nicht durch Gedanken an mich von etwas abbringen. Tu ganz umbefangen, was dir gefällt. Sonst ziehe ich dich vielleicht mit, und wenn ich eins nicht will, dann das. Ich will dein Leben nicht zerstören. Niemandes Leben. Ich möchte nur, dass du mich ab und zu besuchst und mich nie vergisst. Mehr nicht."

    Aber Toru sieht dies nicht so. Mal sehen, wie es mit den beiden weitergeht.

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  • zu Kapitel 6 (Rest)

    Sie räumt auch ein, dass die beiden bewusst die Nähe zu Toru gesucht haben, da er für sie die Außenwelt darstellt. Kizuki und Naoko hatten wirklich eine eigenartige Beziehung, jedenfalls finde ich sie für Teenager ungewöhnlich.

    Eine von der Außenwelt völlig abgeschottete Beziehung ist sehr schwer vorstellbar und natürlich zum Scheitern verurteilt. Ihre Methode Toru als Verbindung
    einzusetzen um diese, wie du schon schreibst, eigenartige Beziehung zu retten, oder zumindest dieses flüchtige Glück zu erhalten, erscheint ebenfalls als
    Lösung nicht durchführbar. Wie Naoko später sagt, wären die beiden für immer zusammengeblieben aber unglücklich geworden.


    Ich finde, Marukami hat die Szene des "Schlafwandelns" schön beschrieben:


    Zitat
    Wie ein kleines Nachttier, das der Mondschein aus seinem Bau gelockt hatte, saß Naoko regungslos da. Das Mondlicht fiel so auf sie, dass es die Silhouette ihres Mundes hervorhob,und ihr Herzschlag ließ diese zarte, verwundbare Silhouette fast unmerklich erbeben, als flüstere sie der Dunkelheit unhörbare Worte zu.

    Ja, diese Szene ist wirklich wunderbar dargestellt und gleicht auch eher einem Traumbild als einem wirklichen Geschehnis.


    Am Ende des Spaziergangs versucht Naoko Toru klar zu machen, dass sie nicht die Richtige ist für ihn.

    Und sie hat Recht damit. Wie sie selbst einmal sagte, ist sie verstörter als er sich vorstellen kann. Wenn man ihr furchtbares, im Grunde vom Tod geliebter
    Menschen bestimmtes Schicksal betrachtet, ist es kein Wunder, dass sie Angst hat das auch Toru mit ihr und durch sie unglücklich werden wird.
    Toru selbst ist so verliebt, dass er solche Bedenken nicht wahrhaben will. Er versucht ganz einfach sie zu retten, weil er sie liebt und sich selbst für stark
    genug hält die psychischen Probleme Naokos mit der Zeit zu heilen. Vielleicht überschätzt er hier seine Stärke.

    Zitat

    Magst du mit mir zusammenleben, wenn du das Heim verlassen kannst?, fragte ich. Dann könnte ich dich vor der Dunkelheit und den bösen Träumen
    beschützen. Reiko wäre nicht da, aber ich würde dich im Arm halten, wenn es schlimm wird.

    Natürlich findet Naoko diese Vorstellung schön, aber ich glaube, dass ihre Zustimmung sehr von Hoffnung geprägt ist, einer Hoffnung die ihr tief im Herzen
    wohl unerfüllbar scheint.
    Ein fesselndes, poetisches Kapitel, das zwischen fröhlichen, unbeschwerten Szenen und tiefer Traurigkeit hin- und her wechselt.


    Jetzt aber weiter mit Kapitel 7........ :study:


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  • Kapitel 7


    Das Normalste an uns ist: wir wissen, dass wir nicht normal sind.


    Nach dieser Einsicht Reikos begibt sie sich mit Toru auf einen langen Spaziergang und erzählt ihm den Rest ihrer Lebensgeschichte und damit den
    Grund ihrer langen Anwesenheit im Sanatorium. Nach ihrem ersten Aufenthalt in einem Sanatorium scheinen die Dinge sich zum Guten zu wenden.
    Sie hat einen liebevollen Mann gefunden, der sie unterstützt und versucht ihre psychischen Probleme durch Normalität auszugleichen.
    Aber eines Tages erscheint die Katastrophe in Gestalt einer jungen, sehr hübschen Klavierschülerin. Es stellt sich jedoch später heraus, dass das
    Mädchen eine pathologische Lügnerin ist, die sich einen Spass daraus macht andere Menschen zu manipulieren und ihre Macht an ihnen auszuprobieren.
    Es gelingt ihr dann auch durch einen Trick Reiko zu verführen. Anfangs ist Reiko vollkommen gefangen von ihren Versuchen, bis sie dann bemerkt,
    was das Mädchen mit ihrer manipulativen Art beabsichtigt. Sie bittet das Mädchen sofort aufzuhören und als sie trotzdem weitermacht, wirft sie sie
    aus dem Haus. Damit beginnt dann eine schlimme Zeit für Reiko. Das Mädchen hat die Geschichte natürlich vollkommen verdreht weitererzählt und nun
    steht Reiko als dsie Verführerin eines jungen unschuldigen Mädchens da. Der Druck durch die Nachbarn und Bekannte ist so groß, dass Reiko einen neuen
    Anfall befürchtet und ihren Mann bittet sofort alles aufzugeben und wegzuziehen. Als ihr Mann sie um einen Monat Zeit bittet lehnt sie ab.
    Reiko kann nicht warten, der Druck ist zu groß. Sie nimmt Schlaftabletten und dreht den Gashahn auf. Zwar wird sie gerettet, aber ihr Lebensweg ist zerstört.
    Trotz aller Versuche des Ehemanns ist die Ehe nicht mehr zu retten. Reiko bittet um die Scheidung. Ihre Begründung dem Ehemann gegenüber erscheint sehr
    ungerecht aber im Grunde gibt es wohl keinen anderen Weg:

    Zitat

    Alles war in dem Moment entschieden, als du von mir verlangt hast, noch einen Monat zu warten. Hättest du wirklich neu anfangen wollen, hättest du
    damals auf mich hören müssen.

    Das ist meiner Meinung nach nicht nachvollziehbar und dem sehr verständnisvollen Mann gegenüber ein Schlag ins Gesicht. Der Rest ihrer Erklärung scheint
    schon eher verständlich und gleicht übrigens auch Naokos Erklärung, als sie Toru versucht zu vermitteln, dass sie kein Paar sein können.

    Zitat

    Ganz gleich, wohin und wie weit wir fortgehen, es wird immer wieder geschehen. Und ich werde dich immer wieder um das Gleiche bitten müssen
    und euch unglücklich machen. das will ich nicht. (....)
    Mir war klar geworden, dass mein Zustand sich niemals bessern würde, und ich wollte niemanden mit in mein Unglück hineinreißen. Niemand sollte
    gezwungen sein, in ständiger Angst vor meiner Krankheit zu leben.

    Nun ist sie seit 7 Jahren im Sanatorium, aber ihre sehr pragmatische und oft auch fröhliche Art lässt eigentlich den Gedanken aufkommen, dass sie es mit
    ein wenig Unterstützung anderer Menschen, draußen schaffen könnte. Auf jeden Fall wäre es ihr zu wünschen.


    Als die beiden von ihrem Spaziergang zurückkommen und sich zu Naoko setzen, weist diese wieder auf das gute Gefühl hin, das sie bei dieser >Dreisamkeit<
    empfindet:

    Zitat

    Wenn es so gießt, habe ich das Gefühl, wir drei wären allein auf der Welt, sagte Naoko. Ich wünschte es würde immer so weiterregnen und wir drei
    könnten für immer zusammenbleiben.

    Naoko scheint sich an diese Hoffnung beinahe zu klammern, obwohl sie wissen muss, dass eine Wiederholung der alten Dreierkonstellation einfach unrealistisch
    und auch eine Wiederholung des Unglücks bedeuten würde. Aber vielleicht weiß sie das auch und versucht nur einen schönen, harmonischen und auch von der
    realen Welt abgeschotteten Traum anzudeuten.


    Toru muss wieder zurück in die Stadt und verlässt die jungen Frauen mit sehr melancholischen Gefühlen. Die Welt da draußen erscheint ihm schon nach 2 Tagen
    im Sanatorium als sehr gewöhnungsbedürftig:

    Zitat

    Hin und wieder blieb ich stehen, wandte mich um und seufzte ohne bestimmten Grund. Ich hatte das Gefühl, mich plötzlich auf einem Planeten mit
    einer etwas anderen Anziehungskraft zu befinden. So ist es wohl draußen in der Welt, dachte ich melancholisch.

    Nach seiner Arbeit im Plattenladen und dem von ihm als hektisch und sehr unangenehm empfundenen ersten Abend in der Stadt sehnt Toru sich wieder zurück.
    Er seht sich nach dem warmen beruhigenden Gefühl das er mit Naoko hatte. Eine sehr schöne Szene:

    Zitat

    Im Dunkel meines Zimmers kehrte ich noch einmal in ihre kleine Welt zurück, roch den Duft des Grases und lauschte dem nächtlichen Rauschen
    des Regens. Ich sah Naokos nackte, ausdrucksvolle Schönheit im Mondlicht vor mir, stellte mir vor, wie sie in ihrem gelben Cape das Vogelhaus
    säuberte und im Garten arbeitete.

    Nun ist Toru wieder in seinem "alten" Leben und ich bin gespannt, wie es nun weitergeht, vor allem in Hinsicht auf die lebensfrohe Midori.


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  • Wieder einmal ein sehr berührendes Kapitel vor allem Reikos Geschichte ist wirklich schmerzhaft. Wie Du kann ich es auch nicht verstehen, dass sie ihren wirklich guten Mann so die Pistole auf die Brust gesetzt hat mit dem Umzug. Ich frage mich auch, weshalb sie es nicht zumindest mal alleine probiert hat. Es ist ja schließlich nicht so leicht für den Mann so schnell eine neue Arbeitsstelle und eine Wohnung zu finden. Da sie ja nun gefestigt ist müsste sie es auch in der realen Welt wieder schaffen, wenn ihr dort jemand zur Seite steht und sie stützt bzw. unterstützt.
    Auch wenn Naoko sich in einer Dreierkonstellation am sichersten fühlt, kann dies nicht auf Dauer gut gehen.
    Nach zwei Tagen verlässt Toru das Sanatorium und seine "alte" Welt kommt ihm etwas eigenartig vor.


    Zitat

    Eine sehr schöne Szene:

    Nun ist Toru wieder in seinem "alten" Leben und ich bin gespannt, wie es nun weitergeht, vor allem in Hinsicht auf die lebensfrohe Midori.

    Darauf bin ich auch gespannt.

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


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    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Kapitel 8 (kleiner Ausblick)


    Hallo buechereule,


    Bin gerade dabei das achte Kapitel zu genießen. Ein solch deutlicher Gegensatz zu den zwar sehr schönen aber auch, in ihrer Atmosphäre sehr
    melancholischen vorhergehenden Kapiteln habe ich in einem Buch selten erleben dürfen.
    Midori ist wie ein Sonnenschein in dieser zuvor von Schatten geprägten Welt. Aber Midori verkörpert in ihrer direkten Art und Offenheit und vor
    allem mit ihren anzüglichen, jedoch witzigen Geschichten wahrhaft die helle Seite dieser Erzählung. Ein Kapitel, das (bis jetzt) beim Leser ein
    tiefes Aufatmen auslöst. Aber bei Murakami weiß man nie. Bin also gespannt ob auch der Rest des Kapitels diese unbeschwerte Stimmung beibehält,
    und natürlich auch auf deine Meinung bezüglich dieser deutlichen Veränderung der Gefühlslage.


    lg taliesin :winken:

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    William Shakespeare


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  • Kapitel 8 (Licht und Schatten)


    Wie ich im Ausblick schon geschrieben habe, ist der Beginn dieses Kapitels von Midoris erfrischender und offener Art geprägt. Sie merkt
    auch sofort, dass dies Toru sehr gut tut:

    Zitat

    Gut, dass ich dich getroffen habe, sagte ich. Dadurch habe ich mich wieder ein bißchen an diese Welt gewöhnt.
    Midori blieb stehen und sah mir in die Augen. Stimmt, dein Blick ist wieder klar. Siehst du? Es tut dir gut, mit mir
    zusammen zu sein.

    Diesen Eindruck habe ich auch, Midori tut Toru gut, weil sie ihn von all seinen Problemen und dunklen Gedanken bezüglich Naoko ablenkt. Und sie tut dies
    auf unnachahmliche Art und Weise. Die folgende Passage würde vielleicht bei einer anderen Romanfigur peinlich und unangebracht wirkrn, bei Midori jedoch
    klingt es einfach nur offen und ein bißchen naiv. Sie fragt Toru, ob er beim masturbieren auch mal an sie denkt. Als er dies verneint bittet sie ihn, es doch
    ihr zuliebe einmal zu versuchen.

    Zitat

    Trotzdem, könntest du mir nicht mal einen kurzen Auftritt gönnen? In deiner sexuellen Phantasie oder deinen Tagträumen? Ich käme gerne darin
    vor. Ich bitte dich darum, weil wir Freunde sind. Zu wem könnte ich denn sonst sagen: Wenn du heute abend masturbierst, denk doch bitte
    mal kurz an mich?

    Im weiteren Verlauf des Kapitels wartet Midori mit unterschiedlichen, sehr phantasievollen ähnlichen Vorstellungen auf und ihre ganz spezielle Methode Toru
    aufzuheitern funktioniert ganz prächtig.
    Der Wechsel vom Licht in den Schatten geschieht sehr abrupt und vollkommen unerwartet. Unvermittelt erzählt sie Toru, dass sie gelogen hat. Ihr Vater
    ist nicht nach Uruguay ausgewandert, sondern liegt mit einem Gehirntumor unheibar krank im Hospital. Wie bei der Mutter besteht keine Chance auf
    Heilung. Während des Krankenbesuches erleben wir dann eine Midori, die sich sehr liebevoll um ihren kranken Vater kümmert. Toru bemerkt nach einiger
    Zeit, dass Midori sehr erschöpft ist und schlägt ihr vor ein paar Stunden in den Park zu gehen und auszuspannen. Erstaunlich wie Toru nun die Pflege
    übernimmt und bei diesem todkranken, ihm fremden alten Mann in kurzer Zeit Vertrauen erweckt. Toru scheint so etwas wie ein Magnet für alle Hilfs-
    bedürftigen zu sein. Der Vater ist sehr schwach, kann kaum sprechen, aber es gelingt ihm Toru drei Worte zuzuflüstern: Fahrkahrte, Midori, bitte, Ueno.
    Als er das später Midori mitteilt, glaubt sie zu verstehen, was der Vater damit sagen wollte. Ich denke auch, dass der Vater weiß, dass er bald sterben wird
    und Toru um Schutz für seine Tochter bittet. Toru bietet Midori an am nächsten Sonntag wieder mit Midori ins Krankenhaus zu gehen, aber seine Pläne
    gehen nicht auf. Freitags ruft Midori an und sagt ihm, dass ihr Vater gestorben ist. Eine Woche vergeht und Midori meldet sich nicht mehr. Die Einsamkeit
    Torus ist nun vollständig. Es wird immer deutlicher, dass Tod, Trauer und Vergänglichkeit in Torus Leben allgegenwärtig sind. Immer wenn man glaubt, dass
    sich am Horizont ein Silberstreif zeigt, zieht Murakami symbolisch die Vorhänge zu. Der Tod ist unausweichlich und lauert hinter jedem scheinbar erlösenden
    Lächeln. Ganz besonders aber hinter Naokos Lächeln.
    Ganz besonders schlimm sind für Toru nun die Sonntage. Wie ersagt, zieht er an Sonntagen seine Feder nicht auf. Er schreibt einen Brief an Naoko in dem er
    versucht, ihr seine Einsamkeit mitzuteilen. Ein sehr berührendes Ende dieses so zwiespältigen Kapitels:

    Zitat

    Wie viele Sonntage, wie viele Hunderte solcher Sonntage wohl noch vor mir lagen? Ruhig, friedlich und einsam, sagte ich laut vor mich hin.
    Sonntags zog ich meine Feder nicht auf.

    Nach diesem Wechselbad der Gefühle werde ich mich jetzt ganz vorsichtig dem neunten Kapitel widmen........... 8-[ :study:


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  • Was für ein Kapitel. Erst so fröhlich und dann so ein Hammer zum Schluss.

    Diesen Eindruck habe ich auch, Midori tut Toru gut, weil sie ihn von all seinen Problemen und dunklen Gedanken bezüglich Naoko ablenkt. Und sie tut dies
    auf unnachahmliche Art und Weise.

    Midori fand ich großartig und vor allem ihre Art Toru aufzuheitern. Ich musste so oft schmunzeln und so einige Male habe ich das Gefühl gehabt, dass es ihm auch etwas unangenehm ist. Ihre kurze Kleidung, die Blicke der anderen Männer, ihre laute Stimme. Aber dennoch bringt sie ihm zum Lächeln und das hat mich irgendwie glücklich gemacht. Und dann haut Murakami so etwas raus. Wie du sagtest, Licht und Schatten. Immer wenn etwas positiv ist, kommt direkt wieder das negative.

    Der Wechsel vom Licht in den Schatten geschieht sehr abrupt und vollkommen unerwartet. Unvermittelt erzählt sie Toru, dass sie gelogen hat. Ihr Vater
    ist nicht nach Uruguay ausgewandert, sondern liegt mit einem Gehirntumor unheibar krank im Hospital. Wie bei der Mutter besteht keine Chance auf
    Heilung.

    In dem Moment habe ich ganz schön geschluckt. Aber grandios fand ich die Situation wie er mit ihrem todkranken Vater umging. Er ist wirklich so ein Magnet. Als dann Midoris Vater stirbt und sie sich nicht mehr bei Toru meldet, fand ich dies nur traurig. Denn irgendwie hat er auch wieder Hoffnung gefunden, in den gemeinsamen Sonntagen und den Treffen mit Midori. Er wird immer einsamer, denn über Sturmbannführer wissen wir auch noch nichts, Naoko ist im Sanatorium und Midori ist nun auch noch weg.

    Die Einsamkeit Torus ist nun vollständig. Es wird immer deutlicher, dass Tod, Trauer und Vergänglichkeit in Torus Leben allgegenwärtig sind. Immer wenn man glaubt, dass
    sich am Horizont ein Silberstreif zeigt, zieht Murakami symbolisch die Vorhänge zu. Der Tod ist unausweichlich und lauert hinter jedem scheinbar erlösenden
    Lächeln. Ganz besonders aber hinter Naokos Lächeln.

    Murakamis Bilder sind wundervoll und immer wieder schmerzhaft zu lesen. Ein packendes Kapitel und ich fürchte mich nun schon ein bisschen vor den kommenden Kapiteln, aber gleich geht es weiter.

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Kapitel 9


    Toru begegnet noch einmal Nagasawa, derv ihm erzählt, dass er die Prüfung für den Dienst im Auswärtigen Amt bestanden hat und nun wohl
    ins Ausland gehen wird. Er lädt Toru zu einer kleinen Feier ein, an der auch seine Freundin Hatsumi teilnimmt. Vorher unterhalten die beiden
    sich über Nagasawas äußerst egozentrische Einstellung zum Leben und auch zu seiner Freundin Hatsumi. Zwar ist Nagasawa sehr offen aber
    er bleibt in seiner mitleidlosen und rücksichtslosen Art eine der wenigen unsymphatischen Figuren des Romans. Fast wie ein Abbild des
    erfolgreichen aber gefühlsarmen Menschen der modernen Gesellschaft:

    Zitat

    Ich will mein Leben leben, indem ich meine Energie zu hundert Prozent einbringe und so weit komme, wie ich nur kann. Ich nehme mir alles was
    ich will, und lasse fallen, was ich nicht will. Wenn etwas schief geht, werde ich es neu überdenken. Wenn du`s dir recht überlegst, ermöglicht
    eine ungerechte Gesellschaft es dir, deine Fähigkeiten voll auszuschöpfen.

    Ganz in diesem Sinne wird die Dreisamkeit dieses Abends zu einer Katastrophe. Nagasawa führt das große Wort, beleidigt seine Freundin und bringt es so
    weit, dass Hatsumi sich mit Toru ein Taxi nimmt um nach Hause zu fahren. Toru ist fasziniert von Hatsumi und versucht zu ergründen, warum sie trotz
    all der Demütigungen Nagasawa nicht fallen lässt. Seine Beschreibung Hatsumis wirkt beinahe wie eine Verklärung der jungen Frau:

    Zitat

    Aber Hatsumi hatte etwas an sich, das einen innerlich erbeben ließ. Diese Kraft, die von ihr ausging bedrängte einen nicht. Es war eine unaufdringliche
    Kraft, die etwas im Herzen anderer Menschen in Schwingung versetzte.

    Dann führt Murakami uns kurz in die Zukunft. Es ist 13 Jahre später und Toru ist beruflich in Mexiko. Dort erlebt er einen atemberaubenden Sonnenuntergang.
    Plötzlich denkt er an Hatsumi und erkennt, warum sie so einen tiefen Eindruck hinterlassen hat.

    Zitat

    In diesem Augenblick verstand ich, warum sie mein Herz zum Beben gebracht hatte. Es fühlte sich an wie eine Kindheitssehnsucht, die unerfüllt
    gebleiben war und immer unerfüllt bleiben würde. Eine reine, makellose längst vergessene Sehnsucht, die irgendwann auf der Strecke geblieben
    war und von der ich nicht gewusst hatte, dass es sie in meinem Inneren noch gab.

    Mit dem Satz: >Jemand hätte sie retten sollen< beendet Toru seinen Rückblick und wir wissen, dass auch hier der Tod diese Geschichte beendet hat.
    Zwei Jahre nach dem Treffen im Restaurant schneidet Hatsumi sich die Pulsadern auf. Toru hatte Recht: Jemand hätte sie retten müssen.
    Ich musste direkt an Naoko denken, die noch viel fragiler erscheint als Hatsumi. Aber in ihrem Fall ist wenigstens Toru da, der alles tut um ihr zu
    helfen. Aber, kann er das auch?
    Toru bringt Hatsumi nach Hause, nicht ohne ihr zu raten, sich von Nagasawa zu trennen. Die beiden gehen zusammen noch eine Partie Billard spielen
    und natürlich erinnert Toru sich an den Billardabend mit Kizuki. Den Abend bevor er sich umbrachte. Die Dinge wiederholen sich für Toru, wenn auch
    nur symbolisch. Er wird ständig an die schlimmen Geschehnisse und seine daraus resultierenden Probleme erinnert. Wie einsam kann man werden?
    Er wird Hatsumi nie wiedersehen.


    Wieder zuhause, schreibt er einen Brief an Naoko und schildert ihr den Abend. Der Schluss seines Briefes macht noch einmal deutlich, wie einsam und
    allein Toru sich fühlt. Einfache Worte, die doch unendlich traurig klingen und seine Verlorenheit deutlich wiedergeben:

    Zitat

    Heute regnet es und verregnete Sonntage bringen mich immer ein bißchen durcheinander, denn bei Regen kann ich keine Wäsche waschen
    und darum auch nicht bügeln. Ich kann weder spazierengehen noch auf dem Dach liegen. Ich kann nichts anderes tun, als am Schreibtisch
    sitzen und zusehen, wie draußen der Regen fällt, während ich zum x-ten Mal >Kind of Blue< höre, weil ich den Plattenspieler auf Autorepeat
    gestellt habe. Wie gesagt, Sonntags ziehe ich meine Feder nicht auf.

    Heute ist Sonntag, es regnet gerade und wenn ich jetzt noch Miles Davis >Kind of Blue< auflege, würde nicht viel fehlen, um mich in Torus Gefühlslage
    optimal einzufühlen. Aber ich warte lieber auf einen Strahl Sonne, ziehe meine Feder auf und höre Norwegian Wood. :musik:


    lg taliesin :winken:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

  • Der erste Teil dieses Kapitels dreht sich um Nagasawa, Hatsumi und Toru. Wieder so eine Dreier-Geschichte und wieder hat man schon zu Beginn das Gefühl, dass diese zum Scheitern verurteilt ist. Wie schon im ganzem Buch ist mir Nagasawa unsympathisch und dies wird in diesem Kapitel noch deutlicher. Wie er sich gegenüber Hatsumi verhält, ist einfach nur furchtbar und daran ändert es auch nichts, dass er betrunken war. Ein wirklicher Unsympath. Hatsumi tut mir einfach nur leid und auch wenn sie es irgendwie erklärt, kann ich nicht verstehen, dass sie bei ihm bleibt.

    Toru begegnet noch einmal Nagasawa, derv ihm erzählt, dass er die Prüfung für den Dienst im Auswärtigen Amt bestanden hat und nun wohl
    ins Ausland gehen wird. Er lädt Toru zu einer kleinen Feier ein, an der auch seine Freundin Hatsumi teilnimmt. Vorher unterhalten die beiden
    sich über Nagasawas äußerst egozentrische Einstellung zum Leben und auch zu seiner Freundin Hatsumi

    Nagasawa ist ein arroganter Egoist und kommt damit ja leider auch noch durch. [-(

    Mit dem Satz: >Jemand hätte sie retten sollen< beendet Toru seinen Rückblick und wir wissen, dass auch hier der Tod diese Geschichte beendet hat.
    Zwei Jahre nach dem Treffen im Restaurant schneidet Hatsumi sich die Pulsadern auf. Toru hatte Recht: Jemand hätte sie retten müssen.
    Ich musste direkt an Naoko denken, die noch viel fragiler erscheint als Hatsumi. Aber in ihrem Fall ist wenigstens Toru da, der alles tut um ihr zu
    helfen. Aber, kann er das auch?

    Im schönsten Erzählstil bringt Murakami dann wieder den Tod und die Vergänglichkeit zu Sprache. Erschreckend finde ich die vielen Selbstmorde in diesem Buch. Sei es Kizuki, Naokos Schwester und jetzt auch Hatsumi. Wie du bin auch ich gespannt, ob Toru Naoko helfen kann. Hoffen tue ich es, aber Zweifel bleiben.


    Den Brief an Naoko fand ich sehr schön, vor allem dass er Kizuki erwähnt hat und das Billardspiel. Mal sehen wie Naoko den Brief aufnimmt.

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



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    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Hallo taliesin,
    das neunte Kapitel hatte mich so gepackt, dass ich direkt noch das zehnte lesen musste.


    Toru macht sich Gedanken, weil Midori sich noch immer nicht gemeldet hat, und trifft sich noch einmal mit Nagasawa, der sich für sein Verhalten entschuldigt. Aber ich mag ihm immer noch nicht. Am Freitag Abend meldet sich Midori dann endlich wieder bei ihm und will sich mit ihm im DUG treffen.


    Sie erzählt ihm von ihrer Reise nach Nara und Aomori. Auf der ersten war sie mit ihrem Freund, aber da da alles schief lief, was schief laufen konnte machte sie noch eine weitere Reise. Bevor sie davon erzählt, berichtet sie ihm noch ausführlich von der Beerdigung und dass sich die Nachbarn und Bekannten wohl das Maul über sie und ihre Schwester zerrissen hätte, da sie nicht geweint hätten. Aber die beiden wollten überhaupt nicht weinen. Dann berichtet sie von der gemeinsamen Reise mit ihrem Freund nach Nara und das sie im Streit auseinander gegangen sind. Auf ihrer Alleinreise hat sie sich öfters gewünscht das Toru dabei wäre. Irgendwie kommt es wieder zu einem schlüpfrigen Gespräch und er geht dann mit ihr, ihren Wunsch erfüllend, in ein Pornokino. Toru findet die Filme ziemlich langweilig, aber Midori amüsiert sich sehr. Anschließend bittet sie ihm, mit ihr nach Hause zu gehen und sie weiß auch, dass sie ihn sehr herumkommandiert und liefert auch eine Begründung dafür

    Zitat

    Aber ich fühle mich so allein. Total verlassen. Ich weiß, ich bin unmöglich zu dir. Ich gebe nichts und fordere nur. Ich sage ohne Rücksicht alles, was mir gerade durch den Kopf schießt, habe dich hierherzitiert und dich durch halb Shinjuku geschleift. Aber ich habe doch sonst niemanden, mit dem ich das machen kann. Nicht einmal in den zwanzig Jahren, die auf der Welt bin, durfte ich nur an mich denken. Mein Vater und meine Mutter haben mich überhaupt nicht beachtet, und mein Freund ist auch nicht der Typ dazu. Er wird sofort wütend, wenn ich einmal meinen Willen durchsetzen will. Dann streiten wir uns. Nur mit dir kann ich reden.

    Er willigt dann ein mit ihr nach Hause zu gehen, aber plötzlich ist die achso müde Midori wieder fit und will noch Tanzen und Pizza essen gehen. Wirklich eine eigenartige Person. Murakamis weiblichen Charaktere sind alle ein bisschen speziell: Hatsumi, die sich, obwohl sie mit Nagasawa unglücklich ist sich nicht von ihm trennt; Naoko, die depressiv und sehr in sich gekehrt ist und in ihrer eigenen Welt lebt; Reiko, die sich ein Leben außerhalb des schützenden Kokons des Sanatoriums nicht mehr vorstellen kann und nun noch Midori, die nur so sprudelt und überquellt von Ideen, Verrücktheiten. Alles erstaunliche Charaktere und Toru fühlt sich zu allen hingezogen: Es sieht wirklich so aus, als ob er auf anstrengende Frauen steht.


    Am Ende des Kapitels gibt es wieder einen Brief von Naoko. Sie erzählt von ihrer Einsamkeit und das sie nachts Stimmen hört. Kizuki und ihre Schwester würden auch so zu ihr sprechen und ihr sagen, dass sie einsam seien und auf der Suche nach jemandem sind mit denen sie reden können. Aber es fällt ihr auch schwer zu schreiben

    Zitat

    Ich bemühe mich Zeit zu finden, an Dich zu schreiben, aber wenn ich dann vor dem Briefbogen sitze, verlässt mich immer der Mut. Ich muss mich richtig zwingen, diesen Brief zu schreiben.

    Zitat

    Die gute Hälfte ist von Reiko, die schlechte von mir. Reiko ist einfach gut in allem, was sie tut. Wenn ich ihr zusehe, hasse ich mich manchmal selbst. Ich kann überhaupt nichts gut.

    Das hört sich alles nicht gut an und ich habe das dumpfe Gefühl, dass Naoko nicht so schnell geheilt das Sanatorium verlassen kann. Über den Brief von Reiko mit dem roten Pullover musste ich etwas schmunzeln.


    Nach diesem Kapitel wappne ich mich schon mal für ein womöglich schlimmes 11. Kapitel.

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Kapitel 10

    das neunte Kapitel hatte mich so gepackt, dass ich direkt noch das zehnte lesen musste.

    Hallo buechereule,
    Perfektes Timing, bin auch gerade mit Kapitel 10 durch.


    Murakamis weiblichen Charaktere sind alle ein bisschen speziell: Hatsumi, die sich, obwohl sie mit Nagasawa unglücklich ist sich nicht von ihm trennt; Naoko, die depressiv und sehr in sich gekehrt ist und in ihrer eigenen Welt lebt; Reiko, die sich ein Leben außerhalb des schützenden Kokons des Sanatoriums nicht mehr vorstellen kann und nun noch Midori, die nur so sprudelt und überquellt von Ideen, Verrücktheiten. Alles erstaunliche Charaktere und Toru fühlt sich zu allen hingezogen: Es sieht wirklich so aus, als ob er auf anstrengende Frauen steht.

    Das ist mir in Murakamis Romanen, und ganz besonders in diesem, auch aufgefallen. Oft sind die männlichen Protagonisten eher scheinbar sehr
    zurückgezogen lebende Menschen, die sich in die Gesellschaft aber mühelos einpassen. Die Frauen sind oft sehr exzentrisch und manchmal schlichtweg
    verrückt. Hier fällt das ganz besonders auf. Ich glaube, dass Toru noch nicht einmal bewusst nur solch spezielle Frauen mag, sondern durch seine
    beruhigende und verständnisvolle Art wie ein Magnet diese ihm charakterlich so entgegengesetzten Frauen anzieht.


    Am Ende des Kapitels gibt es wieder einen Brief von Naoko. Sie erzählt von ihrer Einsamkeit und das sie nachts Stimmen hört. Kizuki und ihre Schwester würden auch so zu ihr sprechen und ihr sagen, dass sie einsam seien und auf der Suche nach jemandem sind mit denen sie reden können. Aber es fällt ihr auch schwer zu schreiben

    Diesen Brief fand ich fast schon phrophetisch, zumal die Bedeutung ihrer Aussage hinsichtlich Kizuki und ihrer Schwester nur bedeuten kann, dass sie
    mit dem Gedanken spielt, sich zu diesen zu gesellen. Eigentlich ist dieser Brief ein Zeugnis der Hilflosigkeit und ich befürchte, wie du, dass auch Toru
    ihr nicht helfen kann.
    Ich glaube auch, das dieses nun folgende elfte Kapitel nichts Gutes bringen wird.......trotzdem fange ich jetzt an zu :study:


    lg taliesin :winken:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

  • Kapitel 11


    Um Toru herum bewegt und verändert sich die Welt, nur er hat das Gefühl nicht vorwärts zu kommen. Er scheint wie erstarrt und selbst
    Nagasawas Einladungen zum Feiern lehnt er ab. Midori und ihre Schwester verkaufen ihren Buchladen und ziehen in ein Apartment.
    Er trifft sich ab und an mit ihr, aber all dies geht im Grunde an ihm vorbei.
    Da Nagasawa bald ins Ausland gehen wird und Toru vom Wohnheim eh genug hat, entscheidet er sich umzuziehen. Er findet eine kleine
    Wohnung und sogar einen neuen Job. Bei einem Besuch bei Naoko stellt er fest, dass sie kaum redet und sich offensichtlich immer mehr
    zurückzieht. Auf seinen Vorschlag im März mit ihm zusammenzuziehen reagiert sie auch recht zurückhaltend. Sie sagt zwar es sei nur
    eine Phase, aber ich denke, es geht ihr immer schlechter. Vielleicht will sie Toru nur nicht beunruhigen.
    Über seinen Umzugsstress vergisst Toru Midori zu informieren und diese ist ihm sehr böse und weigert sich mit ihm zu reden. Damit nicht
    genug, erhält er einen Brief von Reiko, der schlimmes befürchten lässt. Naoko geht es immer schlechter und man wird sie wohl in eine
    Spezialklinik einweisen müssen.

    Zitat

    Im Augenblick fällt es ihr sogar schwer, ein alltägliches Gespräch zu führen. Die Worte entgleiten ihr und sie ist äußerst verstört. Verstört und
    verängstigt. Und die Stimmen die sie halluziniert, werden ständig lauter.

    Toru ist von diesen schlechten Aussichten so mitgenommen, dass er bei einem Treffen mit Midori so offensichtlich in Gedanken ist, dass diese ihm einen
    Brief schreibt und ihm erklärt, dass er so nicht mit ihr umgehen kann.

    Zitat

    Ich bin dir nicht richtig böse. Ich bin nur traurig. Du warst so lieb zu mir, und ich kann jetzt gar nichts für dich tun. Du bist ganz in deiner eigenen
    Welt eingeschlossen, und wenn ich anklopfe - tock, tock, tock, hallo Toru - hebst du kurz den Kopf, aber dann bist du auch schon wieder weg.

    Ich kann Midori sehr gut verstehen. Sie fühlt sich vernachlässigt und kämpft vergebens um die Liebe Torus, der so gefangen in einer Welt ist, die sich nur
    noch um Naoko dreht. Nun ist er völlig allein und das einzige was ihm bleibt ist Briefe an Naoko, Reiki und Midori zu schreiben.
    Naoko ist mittlerweile in der Spezialklinik und all das verheißt wenig gutes.
    Es dauert eine Zeit bis Midori wieder Kontakt zu ihm sucht. Sie eröffnet ihm, dass sie ihn liebt und mit ihm zusammen sein will. Ihren Freund hat sie verlassen
    und nun setzt sie ihre Hoffnung auf Toru. Toru bittet sie um etwas zeit, weil er sich an Naoko gebunden fühlt und die Dinge zu sehr in der Schwebe sind.
    Toru ist jedoch hin- und hergerissen und weiß, dass er sich eines Tages entscheiden muss. Er schildert sein Gefühl der Zerrissenheit in einem Brief an Reiko:

    Zitat

    Ich habe Naoko immer geliebt, und liebe sie noch. Aber das, was zwischen mir und Midori besteht, ist eine endgültige Sache und ich spüre eine
    unwiderstehliche Kraft, die mich von nun an immer schneller mit sich reißen wird. Was ich für Naoko empfinde ist eine ruhige, zärtliche reine
    Liebe, mein Gefühl für Midori ist völlig anderer Art - es steht, geht, atmet ganz von allein und hat sogar einen eigenen Herzschlag. Und es wühlt
    mich auf. Nun weiß ich vor lauter Verwirrung nicht, was ich tun soll.

    Eigentlich erlären seine Worte alles und die Entscheidung solte ihm klar sein. Midori ist von dieser Welt während Naoko immer weiter entgleitet und ihm
    außer Verwirrung und Leid kaum mehr etwas geben kann. Und genau dies versucht Reiko ihm in ihrem Antwortbrief zu vermitteln. naoko scheint zwar
    wieder auf dem Weg der Besserung und wird wahrscheinlich wieder ins Sanatorium zurückkehren können, aber das heißt nicht, dass er und Naoko nun
    einer glücklichen Zukunft entgegensehen können:

    Zitat

    Man muss den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen. Trotz aller Bemühungen lässt es sich manchmal nicht vermeiden andere Menschen zu kränken.
    So ist eben das Leben. Das soll keine Moralpredigt sein, aber es wird Zeit, dass sie etwas über das Leben lernen. Sie sind zu sehr bemüht das Leben
    nach ihrer Fasson zu formen. Wenn sie nicht in einer Nervenheilanstalt landen wollen, sollten sie sich ein bißchen mehr öffnen und sich dem natürlichen
    Fluss des Lebens anpassen.

    Toru sollte sich diese weisen Worte Reikos zu Herzen nehmen. Tut er das nicht, wird er sehr bald auch Midori verlieren.
    Diese elfte Kapitel erscheint mir wie die Vorankündigung einer nahenden Katastrophe. Es sind aber weniger Murakamis Worte, sondern mehr die beunruhigende
    Atmosphäre die diesem Kapitel innewohnt. Ich weiß einfach, dass das nächste Kapitel schlimme Dinge für uns bereithält.
    Also los.......... :study:


    lg taliesin :winken:

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    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

  • Was für ein düsteres und ernstes Kapitel. Ich befürchte schon schlimmes für das letzte Kapitel. Aber erst einmal hierzu dem.


    Torus leben pendelt so vor sich hin. Er ist häufig gedanklich abwesend und nach einigen Ungereimtheiten im Studentenwohnheim beschließt er auszuziehen. Er findet auch in einem weit abgelegenen Vorort ein kleines Häuschen mit einem verwilderten Garten. Er beschließt dann Naoko zu besuchen.

    Er findet eine kleine Wohnung und sogar einen neuen Job. Bei einem Besuch bei Naoko stellt er fest, dass sie kaum redet und sich offensichtlich immer mehr
    zurückzieht. Auf seinen Vorschlag im März mit ihm zusammenzuziehen reagiert sie auch recht zurückhaltend. Sie sagt zwar es sei nur
    eine Phase, aber ich denke, es geht ihr immer schlechter. Vielleicht will sie Toru nur nicht beunruhigen.

    Ich glaube, dass sie auch Angst vor dem Zusammenleben mit Toru hat. Er wäre dann ihre einzige Bezugsperson und wäre völlig auf ihn angewiesen. Und irgendwie weiß sie, dass sie noch nicht so weit ist. Aber so deutlich will sie es ihm dann doch nicht sagen, aus Angst ihn zu verletzen oder ihn dann zu verlieren. Jedenfalls glaube ich auch nicht, dass es ihr so bald besser gehen wird.


    Nach dem er Naoko besucht hat, trifft er sich wieder mit Midori. Er hat sie zu Beginn des Kapitels ziemlich auflaufen lassen, da er ihr nicht mitteilte, dass er umgezogen war. Das sie sauer und eingeschnappt war, kann ich gut verstehen. Es ist einfach kein guter Stil von Toru gewesen, aber da er nur in seiner eigenen Gedankenwelt hing, hat er ja auch nicht viel mitbekommen.

    Ich kann Midori sehr gut verstehen. Sie fühlt sich vernachlässigt und kämpft vergebens um die Liebe Torus, der so gefangen in einer Welt ist, die sich nur
    noch um Naoko dreht. Nun ist er völlig allein und das einzige was ihm bleibt ist Briefe an Naoko, Reiki und Midori zu schreiben.
    Naoko ist mittlerweile in der Spezialklinik und all das verheißt wenig gutes.

    Midori tut mir in diesem Punkt sehr leid. Sie ist etwas mit Hatsumi, beide kämpfen um einen Mann, der desinteressiert ist und nur in seiner eigenen Welt lebt. Hoffentlich hat Midori mehr Glück.
    Das Naoko in eine Spezialklinik muss bedeutet nichts gutes. Vor allem wenn ich daran denke, dass sie immer wieder Stimmen hört. :-(

    Toru ist wirklich kompliziert oder er macht es kompliziert. Und alles nur, weil er Naoko versprochen immer an sie zu denken und sich an sie zu erinnern. Reiko versucht es ihm ja auch noch mal deutlich zu machen, ob er es kapiert?

    Diese elfte Kapitel erscheint mir wie die Vorankündigung einer nahenden Katastrophe. Es sind aber weniger Murakamis Worte, sondern mehr die beunruhigende
    Atmosphäre die diesem Kapitel innewohnt. Ich weiß einfach, dass das nächste Kapitel schlimme Dinge für uns bereithält.

    Diese Stimmung fand ich auch sehr düster. Auf ins zwölfte Kapitel.

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


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    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Kapitel 12 (Schatten und ein bißchen Licht)


    Hallo buechereule,


    wenn du das letzte Kapitel noch nicht durch hast, warte bitte mit dem lesen dieses Beitrags. Ich konnte einfach nicht aufhören und habe
    den Roman gerade beendet.


    Natürlich hatten wir kein gutes Gefühl und wussten, dass etwas sehr schlimmes passiert. Wie Murakami uns dieses Geschehnis nun vermittelt, kommt
    aber dann doch wie ein Schock:


    Zitat

    Nach Naokos Tod schrieb mir Reiko noch mehrere Male. Dass es nicht meine Schuld sei, niemandes Schuld, ebensowenig wie man jemanden für
    den Regen verantwortlich machen könne. Doch ich schrieb ihr nicht zurück.

    Nun erwarten wir natürlich zumindest eine Erklärung bezüglich Naokos Tod. Aber Murakami wendet sich zuerst Torus Reaktion auf die Nachricht zu.
    Vollkommen verzweifelt besucht ere zwar noch die Beerdigung, aber dannach begibt er sich sofort auf eine Reise quer durch Japan. Ziellos und sich
    später kaum noch erinnernd irrt er von Ort zu Ort. Er kann ihren Tod nicht akzeptieren und trägt ein nagendes Schuldgefühl mit sich herum. Hatte
    er nicht versprochen sie zu beschützen?

    Zitat

    Es war unbegreiflich für mich, dass sie tot war und in meiner Welt nicht mehr existierte. Ich konnte die Wahrheit einfach noch nicht fassen.
    Sie war nicht wirklich für mich, und obwohl ich mit eigenen Augen gehört hatte, wie man die Nägel in Naokos Sarg schlug, konnte ich mich an
    die Tatsache, dass sie ins Nichts zurückgekehrt war, nicht gewöhnen.

    Vielleicht ist sich Toru gar nicht bewusst, dass er mit dem kurzen Satz "Sie war nicht wirklich für mich" eine bittere Wahrheit erkannt hat. Er konnte
    Naoko von Beginn an nicht retten. All seine Versuche waren zum Scheitern verurteilt. Naoko selbst hat ihm nun alle weiteren Entscheidungen abgenommen.
    Sie wusste, dass sie ihn letztendlich nur unglücklich gemacht hätte.
    Inmitten von Torus zielloser Reise erleben wir dann eine sehr schöne Szene. Ein einfacher Fischer gibt ihm durch eine wunderschöne Geste wieder Kraft.

    Zitat

    Das ist kein Geld, nur mein Gefühl, sagte er. Also nimms schon und denk nicht drüber nach.

    Toru kehrt zurück und schon bald erhält er einen Eilbrief von Reiko. Sie will sich mit ihm in Tokyo treffen um zu reden. Wir erfahren, dass Reiko das
    Sanatorium verlassen hat. Murakami gelingt es wirklich den Leser von tiefer Trauer ansatzlos in ein Gefühl der Freude und Befreiung zu führen.
    Reiko hat es geschafft. Sie hat den ersten Schritt in die Freiheit gemacht und diese Nachricht war für mich eine echte Befreiung von dem beklemmenden
    Gefühl, das Naokos Tod hinterlassen hat. Die beiden treffen sich und Reiko erzählt Toru vom letzetn Abend mit Naoko. Als sie zu Reiko kam war sie
    beinahe glücklich und wirkte befreit von den Dämonen die sie so lange verfolgten. Reiko lässt sich täuschen, denn in Wirklichkeit wirkte sie nur so befreit
    weil sie ihren Selbstmord geplant hatte. Naoko hatte sich entschieden. Ihren letzten Abend verbrachte sie mit der Frau, die sie auf ihrem Leidensweg so
    aufopferungsvoll begleitet hat.
    Als Toru Reiko erzählt, dass er die Trauerfeier für Naoko als nicht würdig empfunden hat, schlägt sie ihm vor diese Trauerfeier würdig nachzuholen. Und nun
    übertrifft sich Murakami noch einmal selbst. Die Beschreibung dieses wunderbaren Abschieds mit all den Lieblingsliedern von Naoko geht wirklich ans Herz.
    Man muss schon einen Stein in der Brust haben, um diese Szene nicht ergreifend zu finden. :pray:


    Später nehmen die beiden dann einen ganz persönlichen Abschied. In dem Gefühl, dass sie sich nun wohl nicht mehr wiedersehen verbringen sie eine schöne
    Nacht zusammen. Am nächsten Morgen verabschieden sich die beiden und Reikos Worte geben neuen Mut und einen kleinen Silberstreif am Horizont:

    Zitat

    Werde glücklich, sagte Reiko zum Abschied. Ich habe dir alle Ratschläge gegeben, die ich zu geben hatte. Mir bleibt nichts mehr zu sagen.
    Nur das du glücklich werden sollst. Nimm meinen teil vom Glück und Naokos dazu und verbinde sie.

    Welch schöne Worte und was für ein schöner Abschied. So sollte es sein.


    Am Schluss des Kapitels fasst Toru sich ein Herz. Mitten aus dem Nirgendwo ruft er Midori an. Laut ruft er nach ihr. Wird sie hören........?


    Mit diesem offenen Ende lässt Murakami uns nun zurück. Es bleibt dem Leser überlassen, ein wie auch immer geartetes Ende zu finden.
    Aber das wichtigste ist letztendlich nur, dass Toru zurückgefunden hat ins Leben. Die Bedeutung dieser folgenden Zeilen ist eindringlich und unvergesslich:

    Wir waren am Leben und mussten und darum kümmern, dass es auch so blieb.


    In diesem Sinne..........


    lg taliesin :winken:


    PS: Hallo buechereule,


    Es hat mir große Freude gemacht, diesen traurigen aber auch wunderschönen Roman Murakamis mit Dir zu lesen.
    Vielleicht lesen wir uns ja bald wieder..... :winken: :winken: :winken:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

  • Was für ein Ende

    Hallo buechereule,


    wenn du das letzte Kapitel noch nicht durch hast, warte bitte mit dem lesen dieses Beitrags. Ich konnte einfach nicht aufhören und habe
    den Roman gerade beendet.

    Ich musste, das ganze 12. Kapitel erst einmal sacken lassen. Schon der Beginn stürzte einen ins Bodenlose, auch wenn vieles im vorangegangen Kapitel daraufhin gedeutet hat.

    Nun erwarten wir natürlich zumindest eine Erklärung bezüglich Naokos Tod. Aber Murakami wendet sich zuerst Torus Reaktion auf die Nachricht zu.
    Vollkommen verzweifelt besucht ere zwar noch die Beerdigung, aber dannach begibt er sich sofort auf eine Reise quer durch Japan. Ziellos und sich
    später kaum noch erinnernd irrt er von Ort zu Ort.

    Gerade dies fand ich so gelungen, dass er uns mit der Erklärung warten lässt, sondern uns erst einmal Torus Reaktion schildert. Die Verzweiflung hat er so gut erzählt und auch diese Ziellosigkeit, die Toru bei seiner Wanderung an den Tag legt.

    Vielleicht ist sich Toru gar nicht bewusst, dass er mit dem kurzen Satz "Sie war nicht wirklich für mich" eine bittere Wahrheit erkannt hat. Er konnte
    Naoko von Beginn an nicht retten. All seine Versuche waren zum Scheitern verurteilt. Naoko selbst hat ihm nun alle weiteren Entscheidungen abgenommen.
    Sie wusste, dass sie ihn letztendlich nur unglücklich gemacht hätte.

    Naoko hat ja im Prinzip seit dem Selbstmord ihrer Schwester und mit Sicherheit seit dem Selbstmord von Kizuki in ihrer eigenen Welt gelebt. Immer ihren eigenen Gedanken nachgehangen und wohl auch gewusst, dass sie Toru mehr schadet als alles andere. Naokos Verletzlichkeit hat Murakami ganz gut dargestellt. Es ist erstaunlich, wenn man bedenkt wie viel Schicksalsschläge sowohl Naoko als auch Midori in ihrem jungen Leben erleben mussten, dass sie sich dennoch in so unterschiedliche Bahnen entwickelt haben. Naoko wurde depressiv und Midori hyperaktiv.

    Inmitten von Torus zielloser Reise erleben wir dann eine sehr schöne Szene. Ein einfacher Fischer gibt ihm durch eine wunderschöne Geste wieder Kraft.

    Diese Szene fand ich die schönste im ganzen Kapitel. Diese kleine Geste hat Toru viel Kraft gegeben. Und der dadurch hervorgehobene Wechsel im Erzählstil großartig. Von tiefer Trauer zur Freude.

    Murakami gelingt es wirklich den Leser von tiefer Trauer ansatzlos in ein Gefühl der Freude und Befreiung zu führen.
    Reiko hat es geschafft. Sie hat den ersten Schritt in die Freiheit gemacht und diese Nachricht war für mich eine echte Befreiung von dem beklemmenden
    Gefühl, das Naokos Tod hinterlassen hat.

    Reiko, neben Toru mein Lieblingscharakter in der Handlung, hat es geschafft. Gerade sie, die so viel Angst vor der Welt außerhalb des Sanatoriums hatte, macht diesen Schritt. Ich wünsche ihr, dass sie es schafft.

    Als Toru Reiko erzählt, dass er die Trauerfeier für Naoko als nicht würdig empfunden hat, schlägt sie ihm vor diese Trauerfeier würdig nachzuholen. Und nun
    übertrifft sich Murakami noch einmal selbst. Die Beschreibung dieses wunderbaren Abschieds mit all den Lieblingsliedern von Naoko geht wirklich ans Herz.
    Man muss schon einen Stein in der Brust haben, um diese Szene nicht ergreifend zu finden. :pray:

    Eine wundervolle Szene. Einen Teil der Lieder habe ich mir im Laufe des gestrigen Abends angehört und sie sind wirklich toll. Auch wenn ich die Szene mit dem jungen Fischer großartig fand, so musste ich hier ein paar Tränen vergießen.


    Das Ende des Buches hat mir auch gefallen und es bleibt vieles für den Leser offen. Werden Midori und Toru ein Paar? Wie geht es mit Reiko weiter? Der Leser darf sich so seine eigenen Gedanken machen.


    Taliesin,
    ich habe mich sehr gefreut, dieses wirklich beeindruckende Buch mit dir zu lesen. Alleine hätte ich mich sicherlich wieder nicht an das Buch herangewagt. Es war eine schöne Leserunde und ich wünsche mir, dass wir sie irgendwann mal mit einem anderen packenden Buch wiederholen können.


    Liebe Grüße
    buechereule

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



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    (P/E/H: 2.267/1.957/78)