Andrzej Stasiuk – Galizische Geschichten / Opowiesci galicyjskie

  • Original: Opowiesci galicyjskie (Polnisch, 2001)


    Übersetzerin: Renate Schmittgall


    ZUM BUCH:
    Südostpolen nach der Wende. In einem Dorf verrottet die frühere LPG, und das kleine Menschenuniversum gerät aus den Fugen. Wer nicht mehr fortkommt, bleibt am Fenster sitzen wie die alte Frau, die noch heute ihre sechs Töchter auf dem Wiesenweg davongehen sieht, oder wie Herr Lewandowski, der im ungeheizten Zimmer vor dem Foto seiner Frau hockt und von Warschau träumt. Nur der ewig verschuldete Wäadek kommt zu Geld. Den vergammelten Kiosk mit Zahnbürsten, Papstbildern, drei Zigarettensorten und dem blassen, gelangweilten Gesicht der Verkäuferin verwandelt er in eine gleißende Licht- und Farbenpracht - die Erschaffung der Welt im grauen Raum zwischen Kneipe und Dorfplatz.


    In dieser Gegend, die früher ein Teil Galiziens war und schon immer zu den ärmsten und rückständigsten Regionen Polens gehörte, findet Andrzej Stasiuk, was er sucht: Bilder aus dem imaginären Alltagsmuseum Mitteleuropas, Geschichten, die er sich in dämmrigen Wohnstuben, in Kirchenruinen und an den Busstationen einer verlassenen Provinz erzählen lässt, Lebensträume und Hoffnungen, die sich gegen die Gewalt einer ganzen Epoche behauptet haben.
    Ein sympathisierender Blick ruht auf den Gestalten, und auch dem Übernatürlichen und Unwahrscheinlichen verschließt der Autor sich nicht. Menschen mit sparsamen Strichen und ihr Drama auf wenigen Seiten, unter Verzicht auf jede Erklärung zu entwerfen, ist eine Kunst, die Andrzej Stasiuk meisterhaft beherrscht.
    (Quelle: Amazon-Kurzbeschreibung)


    ANMERKUNGEN:
    Man kann die 15 durchschnittlich circa zehnseitigen Geschichten des Buches durchaus autonom lesen: sie stehen zunächst einmal für sich da. Doch zahlreich sind die Bezüge und Querverweise, und bei aufmerksamen Lesen ergibt sich sogar eine mehr oder weniger lineare Erzählung. Wie Stasiuk das konstruiert ist schon klasse.


    Wer aber rosige Geschichten erwartet mag überrascht sein von der anscheinend düsteren Atmosphäre: Alkoholismus und auch Gewalt beherrschen manchen Zeitgenossen, und so wie in anderen Büchern Stasiuks manchmal eine apokalyptische anmutende, ruinenhafte Landschaft beschrieben wird, so sind auch viele Charaktere dieser Geschichten am Rande der Würde. Manche Geschichten aber sind grotesk und humorvoll, so der uns allen bekannte Menschentyp des Erzählers (Kruuk), der immer wieder vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, und stundenlang für seine Geschichten braucht. Das Finale des Buches ist grandios und stellt die Menschen des Dorfes in eine Solidarität, ein Feiern, an das man sich erinnern sollte.


    Stasiuk beschreibt als Einheimischer, nicht einfach als Außenstehender. Er lebt ja selbst seit Jahren in dieser verlassenen Gegend des alten Galiziens, nahe an der slowakischen Grenze. Hier und da taucht er diskret auf als Beobachter oder Zeuge.
    Hier habe ich schon mehrere Bücher von Stasiuk vorgestellt, die, wie gesagt, von der Atmosphäre her teils in die selbe Richtung gehen, bzw. – was Winter und Dukla anbetrifft – in der selben Gegend spielen: http://www.buechertreff.de/rez…zej%20Stasiuk-index1.html



    ZUM AUTOR:
    Andrzej Stasiuk, der in Polen als wichtigster jüngerer Gegenwartsautor gilt, wurde 1960 in Warschau geboren, debütierte 1992 mit dem Erzählband "Mury Hebronu" (Die Mauer von Hebron), in dem er über seine Gewalterfahrung im Gefängnis schreibt, denn1980 wurde er zur Armee eingezogen, desertierte nach neun Monaten und verbüßte seine Strafe in Militär- und Zivilgefängnissen. 1986 zog er nach Czarne, ein Bergdorf in den Beskiden. Stasiuk schreibt seit Jahren Kritiken und Essays für die größten polnischen Tageszeitungen Gazeta Wyborcza und Rzeczpospolita, aber auch für den L'espresso und die deutschen Blätter Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung. (Quelle und mehr Infos: http://de.wikipedia.org/wiki/Stasiuk )


    Gebundene Ausgabe: 133 Seiten

  • Vielleicht gibt es Interessenten für die Originalsprache? "Opowiesci galicyjskie ", polnisch:

  • Ein sehr tristes, erdiges und melancholisches Stück Literatur, irgendwo zwischen Erzählungsband und Roman, über den tristen Alltag in einem dem Verfall preisgegeben polnischen Dorf nach dem Ende des Kommunismus, wo Stillstand und Hoffnungslosigkeit herrscht, Armut und Alkohol. Ein Ort, geprägt von den Erinnerungen seiner Einwohner. Eine Gegenwart, getränkt von dem Moder und den Schatten des Vorgestern. Solange die schreckliche und trübe Vergangenheit in den Erinnerungen der Menschen herumgeistert, gibt es keine Hoffnung auf Besserung oder eine strahlende Zukunft. Ein Buch, dessen einzelne Erzählungen man am besten nicht separat liest, sondern hintereinander weg als Roman. Nur so zeigt es seine ganze Kraft.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Manner "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke" (54/151)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 56 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Kuhl "Helenes Familie" (23.04.)

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Andrzej Stasiuk – Galizische Geschichten“ zu „Andrzej Stasiuk – Galizische Geschichten / Opowiesci galicyjskie“ geändert.