Abbas Khider - Die Orangen des Präsidenten

  • Inhalt:
    Nasrija, Irak, 1989: Am Tag der letzten Abiturprüfung wird Mahdi zu einem Ausflug eingeladen. Sein Klassenkamerad Ali hat sich ein Auto ausgeliehen, und die beiden wollen das Ende der Schulzeit feiern. Doch es ist das falsche Auto, und Ali kennt die falschen Leute – die beiden werden ohne Anklage und Prozess inhaftiert.
    Mahdi stehen zwei Jahre Gefängnisalltag bevor, Hunger, Folter, Grausamkeiten, Zynismus: Zum Geburtstag Saddam Husseins wird den Häftlingen eine Amnestie in Aussicht gestellt – doch dann bekommt jeder nur eine Orange als Geschenk.
    Mahdi rettet sich in dieser Hölle durch seine Begabung zum Geschichtenerzählen. Drastisch, tragikomisch und ergreifend berichtet er Episoden aus seiner Kindheit und Jugend, besonders von der Freundschaft mit dem Taubenzüchter Sami und dem Geschichtslehrer und Literaturübersetzer Razaq.
    Der Roman lässt ein eindrucksvolles Bild des Irak der achtziger und neunziger Jahre entstehen. Nach seinem fulminanten, viel beachteten Debüt legt Abbas Khider hier seinen zweiten Roman vor. (Quelle: edition-nautilus)


    Der Autor:
    Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. 1996 floh er nach einer Verurteilung aufgrund »politischer Gründe« und nach einer zweijährigen Gefängnisstrafe aus dem Irak. Von 1996 bis 1999 hielt er sich als illegaler Flüchtling verschiedenen Ländern auf, seit 2000 lebt er in Deutschland. Studium der Philosophie und Literaturwissenschaft in München und Potsdam. Lyrik in verschiedenen Publikationen. Zurzeit lebt Abbas Khider in Berlin.
    Mit seinem vielbeachteten Debütroman Der falsche Inder (Herbst 2008 ), den er in deutscher Sprache verfasste, war er auf vielen Literaturveranstaltungen zu Gast, so auf dem Erlanger Poetenfestival 2008, der LitCologne 2009, den 6. Coburger Literaturtagen 2009, dem Internationales Literaturfestival Berlin 2009. Von der Heinrich-Böll-Stiftung erhielt er eine Einladung zu einem Festival in Beirut (April 2009), vom Goethe-Institut zu Lesungen in Jordanien und Syrien (Mai 2009).
    2009 erhielt er das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste Berlin, vom Deutschen Literaturfonds bekam er außerdem ein Arbeitsstipendium der Autorenförderung (2009-2010). Seit 2010 ist Abbas Khider Mitglied des PEN.
    Im März 2010 wurde Abbas Khider mit dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis geehrt. Die Laudatio (© Robert-Bosch-Stiftung) bei der Preisverleihung hielt Hubert Spiegel. »Abbas Khiders tragikomischer, oft sogar burlesker Roman ist ein wirklichkeitsnahes, modernes Flüchtlingsmärchen über ein ernstes und bewegendes, seit Jahren aktuelles politisches Thema«, so die Jury über ihre Wahl. Mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ehrt die Robert-Bosch-Stiftung seit 1985 herausragende literarische Leistungen in deutscher Sprache, verfasst von Autorinnen und Autoren, deren Muttersprache oder kulturelle Herkunft nicht die deutsche ist.
    Die irakische Gesellschaft für Kulturförderung (I.C.S.A.), die 2005 von einigen irakischen Künstlern und Politikern gegründet worden ist und mit dem irakischen Kultusministerium kooperiert, verlieh ihm 2010 die Ehrenurkunde für Literatur.
    Für das Jahr 2011 hat Abbas Khider ein sechsmonatiges Arbeitsstipendium der Robert-Bosch-Stiftung sowie ein dreimonatiges Arbeitsstipendium der Villa Aurora in Los Angeles, USA, bekommen, um die Arbeit an seinem dritten Roman fortzusetzen.(Quelle: edition-nautilus)


    160 Seiten


    Meine Meinung:
    "Meine Mutter weinte, wenn sie sehr glücklich war. Sie nannte diesen Widerspruch "Glückstränen". Mein Vater dagegen war ein überaus fröhlicher Mensch, der überhaupt nicht weinen konnte. Und ihr Kind? Ich erfand eine neue, melancholische Art des Lachens. Man könnte es als "Trauerlachen" bezeichnen. Diese Entdeckung machte ich, alls mich das Regime packte und in Ketten warf."

    Damit beginnt der Roman und gleich darauf liest man eine Folterszene mit einer eher ungewöhnlichen Reaktion des Gefolterten.
    Etwa ein Jahr später nach diesem Ereignis befindet sich Mahdi, der junge Ich-Erzähler, in einem Flüchtlingslager an der irakisch-kuwaitischen Grenze und langweilt sich. Um gegen die Langeweile anzukämpfen, beginnt er, seine Geschichte aufzuschreiben:
    Zusammen mit seinem Freund Ali wird Mahdi überraschend vom Saddam-Hussein-Regime verhaftet und ins Gefängnis gebracht, wo er gefoltert wird und 2 Jahre dort verbleiben muss.
    Den Grund kennt er nicht, angeblich soll sein Freund politisch aktiv gegen das Regime gewesen sein. Aber wahrscheinlich reicht es schon aus, die 'falschen' Leute gekannt zu haben.
    Mahdi erzählt nun im Wechsel vom Gefängnisalltag, wo Folter, Platzmangel, schlechte Ernährung und Schikanen zum Alltag zählen und von seiner Kindheit und Jugend im Irak. Sein Vater stirbt im Iran-Irak-Krieg, als Mahdi neun Jahre alt ist; seine Mutter kümmert sich um ihn, aber auch sie stirbt und das Leben verändert sich für Mahdi, der nun bei seinem Onkel lebt.
    Angst vor dem System, Drill und der Krieg beherrschen die irakische Gesellschaft. Dennoch gibt es für Mahdi natürlich auch schöne Momente: die Freundschaft zu dem Taubenzüchter Sami zählt zum Beispiel dazu.
    Glaubhaft und einfühlsam erzählt Abbas Khider von den Erlebnissen des jungen Mahdi und lässt den Leser auch an dessen Gefühlswelt teilhaben, wie unter anderem die Rachegedanken, die Mahdi überkommen und beherrschen lernt. Es ist erstaunlich, dass Mahdi trotz allem nicht aufgegeben hat und an die Zukunft zu glauben scheint.
    Abbas Khider hat selbst zwei Jahre in einem irakischen Gefängnis gesessen und konnte somit seine Erfahrungen mit in diesen lesenswerten Roman einfließen lassen.
    Seinen Debütroman werde ich mir sicher auch noch kaufen.


    Hier kann man ein Interview mit dem Autoren lesen oder sich das Video mit dem Autoren ansehen.

  • Eine sehr schöne Rezension, die mir aus der Seele spricht! Ich kann mich dir voll und ganz anschließen! :thumleft:


    Den Roman habe ich schon vor ein paar Wochen gelesen. Vorher hatte ich ein Interview von Dennis Scheck mit dem Autor gesehen. Dadurch bin ich sehr neugierig geworden und habe mir das Buch gekauft.


    Die Geschichte ist wirklich sehr bewegend, auch durch die Erzählweise. Es war wie ein Wechselbad der Gefühle. Während der Autor auf der einen Seite fast schon poetisch von der Taubenzucht erzählt, wird der Leser schon auf der nächsten Seite brutal zurück in die Wirklichkeit gerissen. Diese beiden Seiten scheinen aus unterschiedlichen Leben zu stammen und könnten unterschiedlicher nicht sein. Diesen Kontrast empfand ich beim Lesen sehr krass und erschreckend. Vor allem auch die Widerstandskraft Mahdis, der trotzdem noch an die schönen Momente denken kann.


    Ich habe mir auch vorgenommen den ersten Roman von Abbas Khider zu lesen. Das passt ja auch sehr gut, weil der Roman quasi die Vorgeschichte zu dem Debütroman darstellt.

    Viele Grüße
    Aventurin


    :study:Rebecca Gablé - Hiobs Brüder


    SuB: 92 / Gelesen 2016: 7

  • Das freut mich, dass dir der Roman auch so gut gefallen hat, Aventurin.
    Ganz besonders im Gedächtnis geblieben ist mir die Szene, auf die sich der Titel des Buches bezieht.


    Liebe Grüße

  • Oh ja, das war sehr bewegend. Zuerst diese Hoffnung, die ja schon beinahe Gewissheit war. Und dann wurde sie so schrecklich zerschlagen... Das war wirklich makaber.

    Viele Grüße
    Aventurin


    :study:Rebecca Gablé - Hiobs Brüder


    SuB: 92 / Gelesen 2016: 7

  • Abbas Khider hat mit „Die Orangen des Präsidenten“ einen wirklich beeindruckenden Roman vorgelegt. Betrachtet man die Biografie des Autors, so wird deutlich, wie nahe an der Realität dieses Buch angelegt sein muss. Denn Abbas Khider war selbst aus politischen Gründen zwei Jahre in irakischer Haft. Wortgewaltig und ausdrucksstark beschreibt er die elenden Verhältnisse, die Schrecken der Folter, die Erniedrigung, den ständigen Hunger, die Ausweglosigkeit und das Ausgeliefertsein. Dabei liest sich der Roman ausgenommen flüssig. Die Geschichte ist in zwei sehr gegensätzliche Handlungsstränge aufgeteilt. Man erlebt den entsetzlichen Gefängnisalltag einerseits, andererseits folgt der Leser der den Geschichten aus Mahdis Kindheit, wie der von Sami, dem Taubenzüchter, oder der des Geschichtslehrers und Übersetzers Razaq’s. Diese schrecklichen Erlebnisse verbunden mit den Erzählungen aus unbeschwerten und sorglosen Kindertagen machen in ihrem Zusammenspiel den besonderen Reiz dieses wunderbaren Romans aus, der ein Stück irakischer Zeitgeschichte widerspiegelt und der auch Tage nach Beendigung der Lektüre aufgrund seiner Glaubwürdigkeit noch nachwirkt.
    „Die Orangen des Präsidenten“ gibt ein bewegendes Zeugnis von Willkür und Gewaltherrschaft ab, das den Leser aber nicht in der Hoffnungslosigkeit zurücklässt. Es ist ein sehr informatives und zugleich äußerst lesenswertes Buch, das nachhaltig beeindruckt. Ich kann es uneingeschränkt empfehlen.

  • Ich habe das Buch heute nacht beendet und bin begeistert - sofern man von einer so grausamen Geschichte begeistert sein kann mit dem Wissen, dass darin ja ganz viele persönliche Erfahrungen des Autors stecken. :shock: Es ist immer wieder erschreckend und beeindruckend, was Menschen alles aushalten und ertragen können.


    Ich kann mich den anderen wirklich nur anschließen: Abbas Khider hat ein beeindruckendes Zeugnis abgelegt über den Irak, seine Geschichte, das Leben seiner Menschen, die guten und die schlechten Seiten. Da wir den Irak in der Regel ja nur aus den Nachrichten kennen, kann man sich immer schlecht vorstellen, wie das "normale" Leben in diesem Land denn damals verlief und heute verläuft. Abbas Khider gibt uns einen sehr schönen Einblick, dass auch unter einem solch brutalen Regime das Leben seine schönen Seiten haben kann.

    Die Geschichte ist wirklich sehr bewegend, auch durch die Erzählweise. Es war wie ein Wechselbad der Gefühle. Während der Autor auf der einen Seite fast schon poetisch von der Taubenzucht erzählt, wird der Leser schon auf der nächsten Seite brutal zurück in die Wirklichkeit gerissen. Diese beiden Seiten scheinen aus unterschiedlichen Leben zu stammen und könnten unterschiedlicher nicht sein. Diesen Kontrast empfand ich beim Lesen sehr krass und erschreckend.

    Diese schrecklichen Erlebnisse verbunden mit den Erzählungen aus unbeschwerten und sorglosen Kindertagen machen in ihrem Zusammenspiel den besonderen Reiz dieses wunderbaren Romans aus,

    Dieses ständige Wechselbad war für mich einerseits auch manches Mal erschreckend, aber auf der anderen Seite macht es für mich die Erzählungen auch wieder erträglich. Immer wenn es ganz schlimm war, kam wieder ein Kapitel, das zeigte, dass Mahdis Leben ja nicht nur schrecklich, grausam und der Willkür unterworfen war, sondern eben auch schöne Zeiten hatte - schöne Erinnerungen, Erlebnisse und Freundschaften, die ihm halfen, die grausame Realität zu ertragen und zu überleben - ohne selbst in den Strudel der Grausamkeiten hineingezogen zu werden. Denn es wäre ja sehr leicht nachzuvollziehen, wenn in einem Menschen die Rachegedanken überhand nehmen nach solch einem Erlebnis.
    Ich kann dieses Buch nur jedem wärmstens empfehlen - und ich bin gespannt auf weitere Bücher von Abbas Khider. Sein "Brief in die Auberginenrepublik" liegt bereits hier und wird noch diesen Monat gelesen.