Reinhard Kaiser-Mühlecker - Der lange Gang über die Stationen

  • Inhalt:
    Ausgezeichnet mit dem Preis der Jürgen Ponto-Stiftung
    »Meine Frau war zu mir gezogen. Sie kam nicht aus der Gegend, sondern von weiter her, und diese Umgebung hier war ihr noch recht neu und unbekannt. Und da, ganz am Anfang, war alles noch so einfach.«
    Theodor übernimmt den Hof der Familie, lebt dort mit seinen Eltern und heiratet eine Frau aus der Stadt. Diese Geschichte erzählt von zwei Menschen, die sich sehr nahe sind, zwischen denen aber Fragen auftauchen, die unbeantwortet bleiben. Immer weniger versteht der Mann, was passiert, immer mehr hat er das Gefühl, dass ihm die vertraute Welt entgleitet.
    »Mit Reinhard Kaiser-Mühlecker gibt es eine noch nicht gehörte literarische Stimme. Sie sagt mir, dass das Lesen und das Leben ein Glück sein können.« Arnold Stadler
    (Quelle: Fischer verlage)


    Der Autor:
    Vita: Reinhard Kaiser-Mühlecker wurde 1982 in Kirchdorf an der Krems geboren und wuchs in Eberstalzell, Oberösterreich, auf. Er studierte Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung in Wien. Er war unter anderem Stipendiat des Herrenhauses Edenkoben und wurde für seinen Debütroman »Der lange Gang über die Stationen« (2008 ) mit dem Jürgen-Ponto-Preis und dem Hermann-Lenz-Stipendium ausgezeichnet. Sein zweiter Roman, »Magdalenaberg«, erschien 2009.
    (Quelle: Fischer Verlage)



    157 Seiten




    Meine Meinung:
    Angesiedelt ist der Roman im Österreich der 50-er Jahre. Der wortkarge Ich-Erzähler Theodor lebt auf dem Lande und bewirtschaftet einen Hof, seine Mutter und der bettlägerige, kranke Vater leben mit ihm auf dem Hof, sowie seine frisch angetraute Ehefrau, eine Städterin.
    Theodor selbst kann mit der Stadt wenig anfangen, er fühlt sich am wohlsten auf dem Land.
    Der Hof macht viel Arbeit, aber der wirtschaftliche Erfolg bleibt aus. Die Ehe entwickelt sich auseinander. „Ich hatte mich zu ihr gesetzt – und sie war ein wenig von mir abgerückt. Vielleicht wollte sie mir bloß das Sitzen ein wenig bequemer, wollte mir mehr Platz machen; ich jedoch empfand dieses ihr Wegrücken als tatsächliches Abrücken, als ein Sich-Entfernen im Kleinen.“
    Die Vornamen der Eltern, sowie der Ehefrau erfährt der Leser nicht, auch sind Dialoge rar gesät.
    Der Vater bleibt für den Leser unsichtbar; er erfährt nur, dass dieser in einem Zimmer krank im Bett liegt.
    Naturbeschreibungen spielen in diesem Roman eine wichtige Rolle, nehmen aber nicht überhand.
    Es ist ein ruhiges Buch, das ohne Eile erzählt - auf dem Cover steht: "Ein Buch, das genauso aus der Zeit gefallen scheint wie seine Hauptfigur, und das genauso unvergesslich bleibt".
    Auch sprachlich konnte Kaiser-Mühlecker mich überzeugen und so freue ich mich auf Magdalenaberg, das bei mir schon im Regal steht.

  • Vielen Dank, Conor, für die Rezension und viel Vergnügen mit "Magdalenaberg"!
    Ich habe dieses Buch vor etwas längerer Zeit gelesen und habe es sehr genossen. Es war diese Unaufgeregtheit, diese Ruhe, die es ausstrahlt, was mir besonders gefallen hat! Das Buch hat bei uns in Oberösterreich (Kaiser-Mühlecker ist Oberösterreicher, und war bei Erscheinen dieses Buches gerade mal 26 Jahre alt!) für Aufsehen und begeisternde Kritiken gesorgt. Es war die Rede vom "modernen Heimatroman" und auch Parallelen zu Adalbert Stifter wurden aufgezeigt. Ich kann mit Adalbert Stifter weniger anfangen, doch Reinhard Kaiser-Mühlecker hat mir sehr zugesagt! Seine Naturbeschreibungen sind nicht ganz so ausufernd wie bei Stifter, und für mich standen sie in diesem Buch immer im Zusammenhang mit den Protagonisten, bildeten sozusagen den Hintergrund dazu.


    Ein sehr lesenswertes Buch, ein Buch, das erdet und einen zur Ruhe kommen lässt! Sehr empfehlenswert!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Danke an Conor fuer die Rezi, und an Rosalita fuer ihren Kommentar. Sie liessen mich desletzt zugreifen und ich habe es wirklich nicht bereut!


    Es wird ein "laengerer Gang uber die Stationen": diese klammheimliche Distanzierung von Mann und Frau, die anfangs verliebt und einander zugetan waren, und wo an irgendeinem Punkt etwas auseinanderdriftet. Diesen Punkt will der Ich-Erzaehler irgendwie einkreisen, doch es scheint, dass dieser Entfremdungsprozess schleichend ist und auch fast fatalistisch wirkt. Es wundert nicht, dass Kaiser-Muehlecker also auch Landwirtschaft studiert hat und die Problematik des Bauerns, einer gewissen Kluft zwischen Stadt und Land, sichtbar gut kennt und in leiser Weise zeichnet. Diese Realitaet gilt so heute noch in vielen Gegenden Europas (zumindest in meiner Zweitheimat Burgund).


    Sprachlich konnte mich der Roman ueberzeugen, mit dem leichten Augenzwinkern, dass sich Theodor fuer einen - wie er sich selbst nennt - eher ungebildeten Bauern, hervorragend ausdrueckt und teils sehr schoene Beschreibungen hinbringt.


    Stark empfehlenswertes Buch fuer die ueblichen Verdaechtigen!

  • Ich bin schwer beeindruckt von diesem Erstlingswerk. Der Autor lässt seinen Ich-Erzähler die Geschichte sehr ruhig, sehr still erzählen, ohne großartige Erklärungen warum so oder so gehandelt wurde. Dem Leser bleibt es seine Rückschlüsse zu ziehen und Leerstellen zu füllen. Mir hatte die Distanz, die sich zwischen den Eheleuten aufgebaut hatte fast schon weh getan. Den Punkt an dem sich die Beiden auseinandergelebt haben, kann man gar nicht wirklich treffen. Der war ja recht schleichend gewesen.


    Sehr schön fand ich auch die Naturbeschreibungen. Kleiner Kritikpunkt meinerseits, wer so erzählen, wer so denken kann, der hätte auch die passenden Worten für seine Frau finden können. :wink: Da ging es mir sichtlichst nicht als Einzige so, wie ich hier im Thread gelesen habe.


    Ein paar Fragen an diejenigen die das Buch gelesen haben wie eure Sichtweisen darauf waren:




    Für mich war dieses Buch eine echte Entdeckung und von dem Autor möchte ich mehr lesen. Hier gibt es übrigens ein Interview von Denis Scheck mit Reinhard Kaiser-Mühlecker über dessen neuestes Buch "Enteignung".

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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