Originaltitel: Faithful Place
Klappentext
Frank Mackey, Undercover-Ermittler, hat seine Familie seit 22 Jahren
nicht gesehen. Er wollte der Perspektivlosigkeit seines Viertels für
immer entfliehen zusammen mit seiner ersten großen Liebe Rosie. Doch die
hatte ihn versetzt und war allein nach England aufgebrochen, so hat
Frank es jedenfalls immer gedacht. Bis in einem Abbruchhaus Rosies
Koffer gefunden wird. Was ist damals wirklich geschehen? Frank muss
zurück nach Faithful Place und feststellen, dass er diesen dunklen Ort
immer in sich getragen hat...
Autorin (Info bei amazon)
Mit der jungen irischen Autorin Tana French betritt ein
außergewöhnliches Erzähltalent den Tatort. Sie wuchs in Irland, Italien
und Malawi auf und lebt seit 1990 in Dublin. Tana French machte eine
Schauspielausbildung am Trinity College und arbeitet für Theater, Film
und Fernsehen. Ihr erstes Buch Grabesgrün wurde mit dem Edgar Allan Poe
Award für das beste Debüt ausgezeichnet.
Ergänzung: "Sterbenskalt" ist nach "Grabesgrün" und "Totengleich" der dritte Roman von Tana French.
Eigene Beurteilung
Der Undercover-Ermittler Frank Mackey wuchs in den Siebziger/Achtziger Jahren am "Faithful Place", einer Straße in einer Dubliner Arbeitersiedlung auf. Er und seine vier Geschwister Carmel, Shay, Kevin und Jackie hatten eine ziemlich deprimierende Kindheit: Der Vater war (und ist) Alkoholiker, hatte nur gelegentlich Arbeit und wurde gern gewalttätig, wenn er betrunken und frustriert war - und das war er meistens. Die Mutter trennte sich trotz der katastrophalen Familienverhältnisse nicht von ihrem Mann und drangsalierte ihrerseits die Kinder, die keine Liebe und Nestwärme erfuhren. Frank und seine Jugendliebe Rosie, der es zuhause nicht wesentlich besser erging, wollten deshalb eines Nachts zusammen nach England durchbrennen und ein neues Leben anfangen. Obwohl die Flucht gut vorbereitet war, erschien Rosie nicht am Treffpunkt, sie schien es sich anders überlegt zu haben und allein abgereist zu sein.
22 Jahre später hat Frank es zu etwas gebracht, er ist als Kriminalbeamter beruflich erfolgreich und hat jegliche Verbindung zu seiner Familie gekappt, nur mit der jüngsten Schwester Jackie telefoniert er gelegentlich. Frank ist geschieden, hängt aber sehr an seiner neunjährigen Tochter Holly, die er am Wochenende zu sich holt und der er um alles in der Welt die Bekanntschaft mit ihrer Verwandtschaft väterlicherseits ersparen will. Als Jackie Frank darüber in Kenntnis setzt, dass in einem Abbruchhaus am Faithful Place der Koffer der vor zwei Jahrzehnten verschwundenen Rosie gefunden wurde, begibt er sich zum ersten Mal seit seinem Wegzug wieder dorthin, um in eigener Sache zu ermitteln.
Schon bald wird in dem verlassenen Abbruchhaus eine weibliche Leiche gefunden, wenige Tage später gibt es einen weiteren Toten...
Vordergründig ist "Sterbenskalt" ein Krimi, ich würde dieses Buch jedoch eher bei den Romanen einordnen. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf der Darstellung von Irlands, bzw. Dublins Arbeitermilieu in den Achtziger Jahren im Allgemeinen und der Schilderung der Familienverhältnisse bei den Mackeys im Besonderen. Die Stimmung ist düster bis geradezu deprimierend, dennoch ist das Buch aber auch sehr faszinierend. Die Charaktere der Familienmitglieder sind detailliert ausgearbeitet und vor allem differenziert dargestellt. Jeder hat seine guten und schlechten Seiten, auch in Bezug auf den Ich-Erzähler Frank weiß man als Leser nicht so recht, wie man zu ihm stehen soll. Teilweise ist er sehr unsympathisch, was sicherlich auch seinem früheren Umfeld und seiner Erziehung zuzuschreiben ist, andererseits bemüht er sich redlich, seiner Tochter ein besserer Vater zu sein, selbst wenn er dabei nicht immer den richtigen Weg geht.
Der Erzählstil der Autorin, die ich vorher nicht kannte, hat mir sehr zugesagt. Es gelingt ihr, sehr anschaulich ("atmosphärisch dicht") zu schreiben, die Lektüre erfordert auf Seiten des Lesers allerdings Konzentration, da der Ich-Erzähler mitten in der Erzählung der laufenden Ereignisse immer wieder in Erinnerungen abdriftet, die im Text nicht weiter gekennzeichnet sind.
Für Freunde rasanter Thriller, die einen rasch dem Spannungshöhepunkt zustrebenden Krimi erwarten, ist "Sterbenskalt" weniger zu empfehlen. Wer Familienromane, auch solche der "problembeladenen" Art, schätzt und auch gern Bücher liest, die Züge einer Sozialstudie aufweisen, hat mit diesem Roman eine nicht ganz einfache, aber wirklich lesenswerte Lektüre vor sich.
Über den deutschen Titel habe ich - wie so oft - den Kopf geschüttelt, der Originaltitel "Faithful Place" ist hervorragend gewählt und hätte meiner Meinung nach beibehalten werden sollen.