Luigi Malerba - König Ohneschuh

  • Der Roman setzt mit dem 13. Gesang der Odyssee ein, also der Ankunft auf Ithaka - ohne das Erkennen, dass das auch wirklich Ithaka ist. Der Fortgang ähnelt dann der Vorlage sehr, jedenfalls was das "äußere Geschehen" angeht - nur ab dem 23. Gesang weicht das Ganze ab und macht eine Wende, die dadurch verursacht wird, dass Penelope eigenständig ist und die ihr gegenüber geplante Täuschung durchschaut. Sie ging zwar zum Schein auf sie ein - möchte das dadurch begonnene Spiel aber zu einem Zeitpunkt beenden, den sie selbst festlegt und nicht zu dem, zu dem das Odysseus gerne hätte. Die von Odysseus gehegten Selbstzweifel befeuern das Ganze dann auch noch soweit, dass er, verzweifelnd und eine Niederlage erleidend, aufbricht um die Insel erneut zu verlassen. Während er auf dem Weg ist, gibt aber Penelope ihre Zweifel auf und lässt ihn zurückkehren.
    Der Roman bildet keine durchgängige Erzählung, sondern ist episodenhaft, dramatisch oder noch eher tagebuchartig, aufgebaut; Penelope und Odysseus "sprechen" abwechselnd, mit relativ gleichen Redeanteilen. Hier stellt sich auch die Frage, warum der Entwurfstitel als deutscher Titel genommen wurde und nicht der eigentliche italienische Titel (Itaca per sempre), der klar die Vorrangstellung des Odysseus beendet und gleichermaßen Penelope als Hauptfigur integriert.


    Odysseus erwacht von Selbstzweifeln erfüllt am Strande von Ithaka. Die Zweifel sind so stark, dass er Penelope misstraut - seinem Sohn Telemach jedoch nicht. Er versucht sie also zu täuschen - am Längsten von Allen - was ihm aber nicht gelingt. Aber nur das passt ja zu seinen selbst geschürten, unrealistischen, Erwartungen von der Heimkehr, die er sich als Großartiges vorstellt. Seiner Umwelt gegenüber, seiner eigenen Vergangenheit gegenüber lügt er regelrecht notorisch, der Listenreiche. In seinem eigenen Ego gefangen gelingt es ihm nicht eine Versöhnung mit Penelope anzustreben und ihm bleibt gewissermaßen keine andere Wahl als wieder wegzufahren. Penelope dagegen ist schlicht enttäuscht von Odysseus Misstrauen und kann es nicht nachvollziehen. Das bringt Zweifel an den eigenen Gefühlen Odysseus gegenüber mit sich, die auch mitbedingen, dass sie sich nicht als seine Marionette fühlen und verhalten will. Auch sieht sie keinen Grund eine Rechtfertigung für ihr Leben abzulegen, genausowenig, wie auch Odysseus sich für sein Leben rechtfertigt. Durch diese beiden ausführlichen Positionen legt Malerba das Spiel des Aushandelns sozialer Identiät offen.


    Malerba baut ein Stück weit auch auf Ernst Blochs Odysseus auf - so ist das Motiv der Selbstverunsicherung bei ihm, im Gegensatz zu Homer, voll entfaltet. Diese tritt nicht zufällig zutage, da allein schon der Charakter Penelopes ein anderer ist. Das klassische, patriarchale Geschlechterverständnis, das Odysseus hat, basiert ja auf einer Abwertung der Frau, der als Schlange, auch ein Motiv das durchaus auftaucht - daneben sind die Schlangen ja auch Tiere der Athene, ja grundsätzlich zu misstrauen ist. Jedenfalls mehr als dem Sohn vom eigenen Blute, auch wenn man ihn eigentlich gar nicht kennt. Eng damit zusammenhängend ist dann auch das Verhältnis zur Gewalt; verroht vom Krieg, sein Versuch der Kriegspflicht in Troja zu entgehen, verkleidet als Narr, wird auch aufgeführt, schlachtet er die Freier ab. Unter sichtlicher Ablehnung von Penelope, der dies sichtlich unbehanglich ist. Auch Odysseus zweifelt an seinem Verhältnis zur Gewalt und der Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns. Schließlich war der Trojanische Krieg der "dümmste aller Kriege". Dort ist auch schon der Samen für sein Verständnis von Heimat gesät - Heimat ist da, wo die Frau ist, die man liebt. Und die einen liebt. Aber genau ein solches Verständnis macht es ihm unmöglich sicher zu sein ob er wirklich dorthin zurückgekehrt ist. Schließlich lässt es ihn auch leicht wieder gehen.

    Warum ich Welt und Menschheit nicht verfluche?
    - Weil ich den Menschen spüre, den ich suche.

    - Erich Mühsam