Joseph Zoderer - Die Farben der Grausamkeit

  • Zitat

    Richard will sich von der Liebe seines Lebens befreien, von der Obsession einer Leidenschaft, die ihn immer noch an Ursula fesselt, seine einstige Geliebte, die ihn verlassen hat. Um sein Familienglück zu retten, kauft er ein Bauernhaus am Berg. Die Umgestaltung des neuen Heimes soll ihn ablenken, erlösen von der Sehnsucht nach Ursula, soll ihn zurückführen zu seiner Frau Selma, die er immer noch liebt, und zu ihren beiden Söhnen.
    Richard pendelt zwischen zwei Welten, zwischen Idyll und schmerzender Erinnerung, zwischen der Einsamkeit des Bergdorfs und der Betriebsamkeit der Stadt. Doch dann macht er einen Karrieresprung und wird als Auslandskorrespondent ins Berlin des Jahres 1989 geschickt. Inmitten der weltpolitischen Umwälzungen begegnet er dort ein zweites Mal Ursula und muss sich entscheiden ...
    Mit atmosphärischer Dichte und poetischer Klarheit erzählt Joseph Zoderer in seinem neuen Roman eine Geschichte von den Möglichkeiten der Liebe und den Wunden, die sie schlägt, von der Sehnsucht, mehr als ein Leben zu haben, und vom Weg eines Mannes zu sich selbst.


    Richard ist verheiratet, Vater zweier Söhne und stolzer Besitzer eines Bauernhauses in einer atemberaubenden Bergkulisse. Doch diese idyllische Kulisse wird von quälenden Schmerzen getrübt. Schmerzen, die den Namen Ursula tragen. Viele traumhafte Stunden liegen hinter ihm und Ursula bis ihn seine Geliebte verlässt. Das Bauernhaus soll ihn ablenken und ihn zu seiner Familie zurückführen. Schließlich liebt er auch seine Frau. Als ihn seine Tätigkeit als Auslandskorrespondent ins geteilte Berlin 1989 führt, trifft er erneut auf Ursula.


    Genau diese Situation spiegelt sich im Cover wieder. Ein Sandstrand mit einer Fußspur und Beinen, die den unberührten Sand mit Spuren versorgen. Für mich stellt dies perfekt die Gefühlswelt von Richard dar. Genauso passend ist der Titel. Grausam ist die Situation und sie wird von den unterschiedlichsten Seiten beleuchtet. Zum einen ist die Grausamkeit, wie der Mann leiden muss. Zum anderen ist die Grausamkeit, wie er die Frauen dabei behandelt.


    Die Thematik ist sehr interessant. Bücher aus der Sichtweise von betrogenen Partnern gibt es genüge. Joseph Zoderer hat sich mit der anderen Seite, einer solche Affäre beschäftigt. Gefühlvoll, poetisch und trotzdem lebendig wurde ich in die Welt von Richard geführt. Glaubwürdig, authentisch und bildhaft beginnt er seine Geschichte zu erzählen. Zwischen der Liebe zu seiner Familie und der Trauer durch den Verlust seiner Geliebten, versucht er den Weg zurück zu sich selbst und der Familie zu finden. Immer wieder tauchen neue Fragen auf. Wer ist Ursula, wie lange kennt er sie schon, wie konnte es dazu kommen? Mit diesen Fragen befasst sich Joseph Zoderer in immer neuen Rückblenden. Ich durfte als Leser von kleinen Abenteuern, Reisen oder Besuchen im Restaurant ein Bild vom gesamten Umfang machen. Zwar musste ich mir jedes neue Teil, wie ein Puzzle in die richtige Reihenfolge setzen, aber nach und nach wurde die gesamte Dramatik deutlich.
    Trotz des Vertrauensbruch sind gewisse Sympathien für den Protagonisten vorhanden. Schließlich gelingt es dem Autor die Emotionen so authentisch zu vermitteln, als wäre ich selbst in dieser Situation.
    Der Autor verwendet einen kurzen, knackigen Stil, der auf eine direkte wörtliche Rede verzichtet. Seine Wortwahl ist leicht, aber jedes Wort trifft genau ins Herz und hallt poetisch nach. Es ist dadurch leicht zu lesen, aber die Worte hinterlassen eine Menge zum Nachdenken.
    Das Besondere an dieser Geschichte ist der Schauplatz vor dem geteilten Berlin 1989. So wie Deutschland damals noch in zwei Länder geteilt war, so ist auch die Situation von Richard. Zwei Frauen, ein Mann und eine Vereinigung. Seine Rückkehr zu seiner Ehefrau, erinnerte mich während des Lesens immer wieder an die Wiedervereinigung von Deutschland.


    Am Anfang ist die Umsetzung gewöhnungsbedürftig. Die Sprünge und der poetische Stil sind nicht alltäglich. Dies macht das Buch jedoch zu etwas Besonderem. Während des Lesens wurde ich so in die Handlung einbezogen, dass ich gar nicht merkte, wie schnell ich zum Schluss der Lektüre kam. Dieser Schluss zeigt das ganze Können von Joseph Zoderer. Logisch, alle restlichen Fragen klärend und es wird jeden Leser bewegen. Es ist ein schönes, aber irgendwie auch trauriges Ende. In meinen Augen ein krönender Abschluss für dieses Buch.


    Joseph Zoderer achtet bei seiner Geschichte darauf, dass der Leser genügend Pausen hat, um den Inhalt verdauen zu können. Schließlich ist der eigentliche Betrug seiner Frau gegenüber schon schockierend. Dies darf man gegenüber der Trauer nie gänzlich vergessen. Daher empfinde ich es als ein gelungener Aufbau, dass der Autor sein Werk in viele einzelne Kapitel unterteilt. Dadurch kann man ideal pausieren und noch darüber nachdenken.


    Wer auf der Suche nach einem Buch ist, welches das Herz berührt und dabei keine triviale Kost lesen möchte, der wird mit „ Die Farben der Grausamkeit“ genau richtig liegen.

  • Der Rezension von cyqueene ist kaum etwas hinzuzufügen!


    Schauplatz Berlin, 1989. Vor den Kulissen der fallenden Mauer trifft der Journalist Richard seine leidenschaftliche Affäre Ursula wieder. Jene Ursula, die er eigentlich zu vergessen versuchte, jene Ursula, der er entfliehen wollte, weil sie ihm so viel Leid zugefügt hat, aber genau jene Ursula, für die er seine Ehe mit Selma auf das Spiel setzte.


    In Rückblenden erfahren wir vom perfekt inszenierten Doppelleben des Richard. Während er seine Frau Selma mit den beiden kleinen Kindern sicher in der von beiden erschaffenen Idylle in den Bergen, fernab der Zivilisation wähnt, genießt er während der Arbeitswoche das hektische und turbulente Leben der betriebsamen Stadt in den Armen der leidenschaftlichen Ursula. Er genießt sein Doppelleben, er liebt beide Frauen, er möchte keiner wehtun und hat sich gut arrangiert. Bis Ursula mehr will und ihn verlässt. Um die Narben, die diese Trennung verursachte, zu verarbeiten, stürzt er sich in die Renovierung eines alten Landhauses und schafft sich so mit seiner kleinen Familie einen idyllischen Zufluchtsort und gewinnt auch Abstand zu Ursula.


    Bis er eben im Jahr 1989 als Auslandskorrespondent in ganz Europa unterwegs ist und es ihn dann nach Berlin verschlägt, wo es zu einem Wiedersehen mit Ursula kommt. Alte Narben brechen auf, Erinnerungen an gemeinsame Urlaube, Restaurantbesuche, leidenschaftliche Nächte werden wach und Richard vermeint zu erkennen, dass Ursula die wahre Frau seines Lebens ist. Besessen von der Liebe zu ihr tritt der historische Mauerfall in den Hintergrund und hängt doch symbolträchtig über der Geschichte und gibt viel Raum für eigene Interpretationen. Das Zerbröckeln der Ehe ist vergleichbar mit den Rissen, die die Mauer in diesen Tagen bekommt, die Wiedervereinigung Deutschlands steht für das Wiedersehen mit Ursula.


    In jedem Fall überzeugend ist die Sprache Zoderers. Atmosphärisch dicht, unterbrochen von ausufernden Naturbeschreibungen und authentischem Einfangen der ländlichen Idylle. Besonders gelungen fand ich die Charakterisierung der Ehefrau Selma. Sie hat ihre Karriere als Architektin an den Nagel gehängt um sich ganz der Familie und der Idylle am Land zu verschreiben. Doch aus der ersehnten Freiheit wurde Einsamkeit und Gebundenheit an Haus und Kinder.
    Die Zerrissenheit des Protagonisten, sein Egoismus und sein Zaudern wird ebenso dargestellt wie seine Unfähigkeit, eine Entscheidung zu treffen und der Schmerz in ihm, wenn er einer seiner Frauen Leid zufügt. Er liebt beide, jede auf eigene Art und gerade deshalb bringt man auch Verständnis für ihn auf und sieht in ihm nicht nur den egoistischen, entscheidungsunfähigen Mann, der alles haben will und auf nichts verzichten kann.


    Ein sehr bemerkenswerter Roman, für mich eine Entdeckung eines mir bisweilen unbekannten Schriftstellers.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)