Alex Capus - Léon und Louise

  • Inhalt (Cover):


    "Zu der Zeit, da mein Großvater Louise Janvier kennelernte, war er siebzehn Jahre alt. Ich stelle ihn mir gern als ganz jungen Mann vor, wie er im Frühling 1918 in Cherbourg seinen Koffer aus verstärkter Pappe aufs Fahhrad band und das Haus seines Vaters für immer verließ", so beginnt Alex Capus eine Liebesgeschichte, die erst am 16. April 1986 mit LéónLeGalls Trauergottesdienst in Notre-Dame enden sollte. Als geheimnisvolle Zeugin der Vergangenheit taucht an jenem Morgen jene kleine, weißhaarige Dame auf,die sich mit resolutem Schritt ihren Weg durch die Familienmitglieder zum offenen Sarg bahnt.
    Alex Capus hat einen großen Roman über das zwanzigste Jahrhundert geschrieben, und erzählt zugleich eine wunderbare Geschichte: achtundsechzig Jahre im Leben zweier Menschen, die nie zusammenkamen und doch ein hinreißendes Liebespaar geworden sind.


    Autor:
    Alex Capus. geboren 1961 in der Normandie, lebt heute in Olten. 1994 veröffentlichte er seinen ersten Erzählband "Diese verfluchte Schwerkraft", dem seitdem neun weitere Bücher mit Kurzgeschichten, Romanen und historischen Reportagen folgten.



    Kurze Zusammenfassung, meine Meinung und Bewertung:


    León und Louise, zwei junge Leute, verlieben sich in den Wirren des 1.Weltkriegs. Doch ein Fliegerangriff beendet diese junge Liebe. León ist schwer verletzt, Louise, so sagt man ihm, sei tot. Nach 10 Jahren erweist sich diese Nachricht als falsch, sie begegnen sich wieder. León ist inzwischen verheiratet und Vater, Louise hingegen liebt ihre Unabhängigkeit. Wieder zieht sie das Gegensätzliche an. Nach einer gemeinsamen Nacht beschließen sie jedoch sich nicht wiederzusehen. Der 2.Weltkrieg naht, Paris wird von den Deutschen besetzt, León und seine Frau Yvonne arbeiten Hand in Hand um die Sicherheit der Familie zu gewähren, erleben harte Zeiten. Louise arbeitet bei einer Bank und wird quasi über Nacht mit anderen Mitarbeitern und einer Menge Gold im Gepäck nach Afrika verfrachtet. In ihrer Einsamkeit schreibt sie León. Sie fühlt sich ihm näher, je weiter sie von ihm weg ist. Nach Ende des Krieges, führt Louises Weg sofort zu Léon. Dieser hat inzwischen ein kleines Hausboot, das für sie eine Oase, ein Liebesnest wird. Seine Tage sind geteilt zwischen Familie und Liebe bis Yvonne eines Tages...........


    Immer wieder erschallt der Ruf nach einem kitschfreien Liebesroman. Alex Capus schafft dafür Grund und Boden. Trotzdem macht mich dieser Roman nicht glücklich. Sicher das ist Capus Sprache und Schreibstil wie man ihn in seinen bisherigen Romanen kennt mit genialen Sätzen wie "Gelächter ist die Waffe der Machtlosen. Macht lacht nicht." Auch liest sich der Roman leicht, flüssig und sehr unterhaltsam, aber es gibt viele Situationen denen ich kritisch gegenüber stehe, die mir nicht unter die Haut wollen. Was ist das für eine Ehe? Léon ist teils offen, teils doppelzüngig. Yvonne läßt sich erstaunlich leicht zufriedenstellen. Wo bleibt ihre Selbstachtung, ihr Selbstbewußtsein? Die Demonstration von Dummheit ist halbherzig, ihre kleine Rache, die ihr noch nicht mal spaß machte, bedrückt sie bis ins Totenbett. Die Ehe erscheint mir eher als Zweckgemeinschaft. Yvonne akzeptiert die Geliebte als Geist im Hintergrund über all die Jahrzehnte hinweg. Und León führt sein Doppelleben, hat eigentlich alle Vorteile. Ich schwanke stets zwischen Sympathie und Unverständnis. Nur zum Träumen bleibt mir als Leser kein Raum. Vielleicht bin ich doch romantischer als ich dachte. Probleme und Alltag in Léons Arbeitsleben während der beiden Kriege, Yvonns Überlebenskampf für die Familie finde ich dagegen großartig, fesselnd beschrieben, mit dem Ende gebe ich mich zufrieden.


    Fazit: Ein ungewöhnlicher Liebesroman bei dem ich nicht alles nachempfinden konnte, der aber in seiner Gesamtheit sehr unterhaltend zu lesen war. Er macht es sich nun kuschelig in meinem Alex Capus Regal.


    Meine Bewertung: :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:



    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Stefanie Zweig, Die Kinder der Rothschild-Allee

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • @ Wirbelwind,
    wenn Du Deinem verehrten Capus "nur" 3,5 Sterne gibst, ist es anscheinend doch nicht sooo ärgerlich, dass ich das Buch nicht gewonnen habe.
    Vielen Dank, dass Du den Anfang des Buches geschildert hast. Die Leseprobe begann ja leider mittendrin.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Marie
    Ja und diese Leseprobe ist etwas irreführend, denn sie schildert das Kennenlernen als Léon 17 war. Der eigentliche Konflikt findet ja viel später statt.
    Die französische Atmosphäre ist gut spürbar, die deutsche Besetzung ebenfalls gut beschrieben, auch Capus typischer Humor kommt zum Tragen, aber diese Ehefrau kommt mir doch sehr romanhaft daher. Und die so genannte große Liebe ist mir echt zu nüchtern beschrieben. Es muß nicht kitschig sein um doch auch Platz für Gefühle und Romantik zu geben. Der Roman ist gut lesbar, aber leider nicht immer überzeugend.


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


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  • Dann schreibe ich doch auch kurz meine Meinung:


    1918, während des ersten Weltkrieges, lernt der 17-jährige Léon Louise kennen, die bei dem Bürgermeister eines kleinen französischen Ortes angestellt ist. Sie verlieben sich ineinander, jedoch werden sie bald vom Krieg getrennt. Zehn Jahre später, Léon lebt mittlerweile mit Frau Yvonne und Sohn in Paris, trifft er zufällig auf die von ihm totgeglaubte Louise. Sie treffen sich, jedoch respektiert Louise die Ehe von Léon und auch er möchte sein Eheversprechen nicht lösen. Weitere 11 Jahre vergehen, bis sich die beiden wiedersehen. Mittlerweile ist es 1940, die Deutschen rücken in Paris ein. Während Léon Karteien für die Deutschen kopiert, verlässt Louise Frankreich mit dem Schiff und schreibt von nun an Briefe an Léon, in denen sie von ihrem Leben berichtet. Währenddessen geht für Louis das Leben auch weiter, er bekommt weitere Kinder und Yvonne erweist sich als fürsorgliche Mutter während den Kriegszeiten. Erst viele Jahre später sehen sich Léon und Louise wieder.


    Der Roman beginnt mit der Beerdigung von Léon, Erzähler ist sein Enkel. Die Charaktere sind gut beschrieben, auch wenn nicht jede Handlungsweise ( z.B. von Yvonne) nachvollziehbar ist. Yvonne scheint entweder sehr tolerant zu sein, da sie Léon quasi überredet, Louise zu treffen oder ihr fehlt es an Selbstbewusstsein. Eine solche Ehe, wo man weiß, dass man die Liebe des Ehepartners mit jemanden teilt, ist sicher eher ungewöhnlich.


    Mit "Léon und Louise" ist Alex Capus eine Liebesgeschichte gelungen, die frei von Kitsch und Sentimentalitäten ist. Insgesamt ist der Roman lesenwert, der einem ein paar schöne Lesestunden verschafft. Allerdings: mehr auch nicht, es ist kein Buch, das einen nachdenklich zurücklässt.


    Ich vergebe 3,5 Sternchen.

  • aber diese Ehefrau kommt mir doch sehr romanhaft daher.


    auch wenn nicht jede Handlungsweise ( z.B. von Yvonne) nachvollziehbar ist. Yvonne scheint entweder sehr tolerant zu sein, da sie Léon quasi überredet, Louise zu treffen oder ihr fehlt es an Selbstbewusstsein.


    Ich kann diese Sichtweise schon nachempfinden, aber ich habe die Figur der Ehefrau Yvonne anders wahrgenommen. :D Für mich ist sie der spannendste Charakter des Romans, sie hat es geschafft mich zu überraschen und mehr als einmal konnte ich sie gut verstehen. Ich denke, sie ist weder toleranter als andere Frauen noch weniger selbstbewusst. Mir erschien sie als außerordentlich realistisch und auch intelligent in ihrer Einschätzung Leon gegenüber. Romanhaft empfand ich da schon eher die stets weltmännische, lebenshungrige Louise, die schon in jungen Jahren in manchen Situation fast altklug daherkommt. Mit dem Ende konnte ich mich auch nicht ganz anfreunden, erschien es irgendwie nicht passend zur Vorgeschichte von Leon und Louise. :winken:

  • Als langjährige Ehefrau und im Rundblick auf unseren Bekanntenkreis kann ich zu Yvonnes Weitsicht nur sagen, das kann böse ins Auge gehen. :loool:
    Zum Glück ist das nur ein Roman.


    Liebe Grüsse :winken:
    Wirbelwind


    :study: Ray French, Ab nach unten

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  • Auf das Buch bin ich schon sehr gespannt. Von Alex Capus habe ich noch nie etwas gelesen, aber die Leseprobe fand ich sehr schön.
    Und zu meiner großen Freude konnte ich das Buch bei mb-db ertauschen. :cheers:

  • Gratuliere Hermia. Dann wünsche ich dir viel Vergnügen beim Lesen. Vielleicht hast du anschließend Lust weitere Bücher von Alex Capus zu lesen, die mir einen Tick besser gefielen. Ich denke da z.B. an "Eine Frage der Zeit".


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


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  • In seinem neusten Roman beschreibt Alex Capus die Liebe zweier Menschen, die ein ganzes Leben andauern soll, ohne jemals wirkliche Erfüllung zu finden. Léon und Louise begegnen sich im zarten Alter von 18 Jahren in den Wirren des ersten Weltkrieges, doch ein Fliegerangriff beendet ihre Beziehung, bevor sich richtig begonnen hat. Immer wieder kreuzen sich während der nächsten 68 Jahre ihre Wege, doch es gibt immer irgendetwas, das ihrer Liebe im Weg steht, so dass sie nie zusammenfinden können. Und trotzdem sind Louise und Léon zusammen, ein Liebespaar, auf eine ganz besondere Weise. Ob durch Louises Starrköpfigkeit oder viele tausend Kilometer und einen ganzen Ozean auf viele Jahre getrennt, sie vergessen einander nie und finden immer wieder für kurze Momente zusammen.


    Ich habe selten eine Liebesgeschichte gelesen, die so besonders, so schön und gleichzeitig so traurig ist. Wie anders wäre wohl das Leben von Léon und Louise verlaufen, wenn sie nicht in diesen Fliegerangriff geraten wären? So aber bleiben den beiden nur gestohlene Momente des Glücks, immer wieder unterbrochen von jahrelangen Trennungen. Doch gerade das macht diese Liebesgeschichte so speziell. Die Augenblicke, in denen Capus seine Protagonisten zusammen sein lässt, sind so intensiv, so voller Liebe und Begehren, einfach wunderschön. Kein Vergleich zu der von Streit und Sorge geprägten Beziehung zwischen Léon und seiner Ehefrau Yvonne.


    Erzählt wird die Geschichte aus Sicht des Enkels von Léon, der sich von der Beerdigung seines Großvaters aus zurückerinnert an die Geschichten, die sein Großvater ihm erzählt hat. Von Louises Leben während ihrer Abwesenheit wird dem Leser durch Briefe, die sie im Laufe der Zeit an Léon schrieb, berichtet. Dadurch gestaltet sich die Lektüre sehr abwechslungsreich, denn auch Capus Schreibstil verändert sich zwischen Erzählung und Briefen. Bedient er sich während der Erzählphasen einer recht schnörkellosen und gradlinigen Sprache, so sind Louises Briefe geprägt von blumigen Worten und allerhand Ausschweifungen. Was ich allerdings nicht als störend empfunden habe, denn die Sprache der Briefe passt perfekt zu dem Bild, das der Autor dem Leser von Louise zeichnet.


    Interessant fand ich es, den ersten und später vor allem den zweiten Weltkrieg mal aus der Sicht eines Nicht- Deutschen zu erleben.


    Alex Capus ist mit „Léon und Louise“ eine wundervolle Geschichte gelungen, der man abnimmt, dass das Leben sie so geschrieben haben könnte. Trotz ihrer Einfachheit ist sie etwas ganz Besonderes und klingt noch sehr lange nach. Ein tolles Buch, von dem man auch nach dem Lesen noch lange etwas hat!

  • Léon und Louise lernen sich in jungen Jahren in einem kleinen französischen Dorf kennen und lieben. Durch einen Bombenangriff verlieren sie sich und halten sich gegenseitig für tot. Beide leben ihr Leben weiter, Léon heiratet und bekommt Kinder. Durch einen Zufall treffen sich die Totgeglaubten in Paris wieder, doch was tun? Der Jugendliebe folgen oder bei Frau und Kindern bleiben?


    Die Geschichte beginnt mit der Beerdigung Léons und ich muss sagen, dass dieses Kapitel für mich sogleich auch das rührendste im ganzen Buch war. Den Schreibstil von Capus fand ich toll und das Buch las sich fast von selber. Was mir gefehlt hat war ein wenig Tiefgang. die Jahre und Begegnungen von Léon und Louise fliegen nur so, da hätte ich mir doch etwas mehr Ausführlichkeit gewünscht.
    Auf der einen Seite fand ich es toll auf einen Roman zu treffen der zwar von der großen Liebe erzählt aber frei von jeglichem Kitsch ist. Leider hat mich das Buch nicht so berührt wie ich gehofft hatte. Irgendwie fehlte mir das gewisse Etwas und ich fand die Begegnungen von Léon und Louise etwas nüchtern. Da hätte man bestimmt etwas mehr herausholen können.
    Léons Frau, Yvonne, fand ich eigentlich einen sehr starken Charakter.Nicht jede Frau hätte zum Wohle ihrer Kinder die 2. Frau geduldet und im Krieg so viel auf sich genommen. Ich finde sie war es ,die die
    Familie zusammengehalten hat. Sehr gefallen haben mir aber Léons gute Taten die er mit dem Geld aus
    dem Kaffeverkauf begangen hat. Die haben mir wirklich ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert.


    Alles in allem ein sehr schöner und kurzweiliger Roman aber leider vermisse ich ein wenig das Gefühl der Rührung. Es ist jetzt auch nicht so, dass ich noch lange über den Roman nachgedacht hätte nachdem ich ihn
    zu Ende gelesen habe. Eine tolle Unterhaltung für zwischendurch aber leider nichts "nachhaltiges".
    Von mir :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    "Er liebte sie so unbändig. So unbändig, dass er niemals wieder um ihre Lippen bat und ohne sie ins Grab gehen würde " (Die Bücherdiebin)

  • Am 16. April des Jahres 1986 findet sich eine weit verzweigte Familie in den Wänden von Notre-Dame zum Trauergottesdienst für Léon Le Gall ein. Dann erklingen Schritte und eine kleine Frau mit weißem Haar durchschreitet eilig den Gang zum Sarg, beugt sich darüber und legt einen metallischen Gegenstand hinein, der sich als alte Fahrradklingel und einstiges Geschenk herausstellen soll. An dieser Stelle endet die gemeinsame Geschichte zwischen Louise Janvier und Léon Le Gall, die stets frei von jeglichem Kitsch geblieben ist. Das ist das wirklich Schöne an ihr.


    Léon und Louise zu lesen war, wie die Balance zwischen Zeit- und Liebesgeschichte zu halten. Man sieht das Frankreich der Besatzungszeit durch ihre Augen und nimmt durch die Zeilen all ihre Ängste, Verluste, Sorgen und Kämpfe in sich auf. Man sieht, wie ihre jeweilige Entwicklung sie voneinander entfernt, indem sie Léon zum Ehemann und Familienvater, Louise zur Einzelgängerin macht, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen steht. Dann sehen sie sich wieder und es ist ihre einstige Liebe, die sie einander wieder annähert.
    Ich habe mich in den Grundgedanken dieses Romans verliebt, in die Tatsache, dass alte Gefühle sich nicht mit Jahren, Regimen oder neuen Lebensbedingungen verändern, sondern man immer noch weiß, warum man sich damals verliebte. Ohne Kitsch, ohne Sentimentalität, ohne lebenslange Liebesschwüre, die man nicht halten könnte. Léon und Louise handeln, anstatt lange zu philosophieren.
    Auch der Kontrast, den Capus zwischen den beiden Liebenden aufwirft, ist in meinen Augen gelungen:
    Die kleine Louise mit all ihren Flüchen, ihren Zigaretten und roten Karoblusen, ihrem gefährlichem Fahrstil und ihren ehrlichen Worten, ihrer geheimnisvollen Vergangenheit und der offenen Art, die Dinge geradlinig auszusprechen und zu verrichten. Und dann der große, etwas ungeschickte Träumer Léon Le Gall, der all seine Lebensjahre lang ein Sklave seines Gewissens und des Gutmenschen in ihm bleiben soll ... Sie bilden ein schönes Paar, das kontrastiert.
    Ein wenig stört in diesem Bild die Figur von Yvonne, Léons Frau, die stets an der Grenze zum Extremen balanciert:
    Sie ist zu laut, zu traurig, sie klammert zu sehr und isst erst zu wenig, dann zu viel. Sie liebt zu sehr, ist dann wieder zu gleichgültig und als Mutter hält sie zu sehr fast. Sie ist zu kühl, dann wieder zu fordernd. Sie passt nicht ganz ins Bild, aber vielleicht macht es dies auch aus:
    Sie zerschlägt den Perfektionsanspruch.


    Léon und Louise konnten mich verzaubern:
    Als Liebende und vor allen Dingen mit den typisch französischen Worten, irgendwo zwischen Melancholie und Leichtigkeit.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    merveille.


    It was that kind of a crazy afternoon, terrifically cold, and no sun out or anything,
    and you felt like you were disappearing every time you crossed a road.


    Catcher in the Rye. ♥

  • Das ist ja erstaunlich, wie oft Yvonne in diesem Thread schon diskutiert wurde.


    Grundsätzlich hat mir "León und Louise" außerordentlich gut gefallen - ich bin beeindruckt von der Subtilität der Kriegseindrücke, die Capus neben der Handlung zum Teil fast beiläufig hat einfließen lassen. Die Charaktere sind meiner Meinung nach in den Nuancen ihrer Einfachheit sehr schön ausgearbeitet, ohne sie zu heldenhaften oder außergewöhnlichen Figuren zu überziehen. Yvonne hat mir dabei am besten gefallen in ihrer Komplexität.
    Ein für mich wunderschönes Buch, das ich vor Begeisterung in einem einzigen Tag durchgelesen habe.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erzählt Alex Capus die Liebesgeschichte von Léon und Louise, die mich so ein wenig an die durch das tiefe Wasser getrennten Königskinder erinnerte. Zwei junge Menschen, die sich ineinander verliebten und doch nicht zueinander finden konnten. Capus zeichnet ein feines Bild von Léon, den der Leser schon in dessen Kindheit kennen lernt und dann durch sein Leben begleitet. Er ist facettenreich charakterisiert, sein Handeln ist nachvollziehbar, wenn auch nicht immer zu verstehen. Anders ergeht es dem Leser mit den weiblichen Protagonisten des Romans. Da Léons Enkel der Erzähler dieser Geschichte ist und er diese schließlich nur durch den Großvater kennt, blieben sowohl Yvonne als auch Louise stets nur konturenhaft dargestellt. Ihre Gedanken und die Beweggründe für ihr Tun mussten oft mehr erahnt als erlesen werden. So lag über die gesamte Handlung der Fokus fast ausschließlich auf Léon und der Wunsch, mehr über die beiden Frauen zu erfahren, blieb unerfüllt.
    Trotzdem hat Alex Capus mit diesem Roman eine Liebesgeschichte vorgelegt, wie ich sie mag, schnörkellos, kitschfrei und trotzdem in einem fast poetischen Erzählstil mit einer Prise Humor und sehr gelungenen Dialogen, leicht zu lesen und dabei nicht ohne Anspruch. Viele Gedanken, die es wert waren weitergesponnen zu werden, wurden nur angerissen. Diese hätten auch im Buch gern weitergeführt werden dürfen, 100 Seiten mehr hätten mich nicht gestört, aber wahrscheinlich hätte ich diesen Roman dann als vollkommener empfunden. „Léon und Louise“ ist eine sehr schöne Dreiecksgeschichte über Liebe und Verantwortung. Die wenigen Kritikpunkte schmälerten meine Lesefreude nur wenig.

  • Der junge Léon arbeitet während des Ersten Weltkriegs in einem kleinen Städtchen nahe der französischen Atlantikküste als Morse-Assistent des Bahnwärters. Dort lernt er Louise kennen, eine junge Frau mit unbekannter Herkunft, die ihn schon bei ihrer ersten Begegnung völlig verzaubert. Nach und nach entwickelt sich etwas zwischen den beiden, aber dann werden sie durch den Krieg getrennt.
    Erst viele Jahre später treffen sie sich in Paris zufällig wieder. Doch nun ist Léon verheiratet und hat Kinder. Eine Trennung von seiner Familie ist für ihn undenkbar und auch Louise fordert nichts dergleichen von ihm.
    Es vergehen wieder viele Jahre, dann bricht der Zweite Weltkrieg aus. Louise verschlägt es nach Afrika, Léon muss schauen, wie seine Angehörigen durch den Krieg und die deutsche Besatzungszeit bringt.
    Aber sie vergessen einander nie. In all den Jahren flachen ihre Gefühle füreinander nie ab, obwohl sie nicht zusammen sind. Die Liebe zwischen den beiden wird nicht explizit ausformuliert, doch ergibt sie sich aus der ganzen Beschreibung. Für den Leser vielleicht undenkbar, dass 2 Menschen so füreinander empfinden und trotzdem nicht versuchen, zusammen zu sein. Aber eigentlich macht genau das ihre Emotionen erst richtig echt, sie sind frei von Egoismus, trauern nicht um verpasste Gelegenheiten und erzwingen nichts.
    Die Geschichte, die Capus hier erzählt, ist eigentlich unglaublich kitschig und unglaubwürdig. Eigentlich. Denn obwohl die Handlungsweise sowohl der Hauptfiguren Léon und Louise, aber auch anderer, wie Léons Ehefrau Yvonne, nicht immer wirklich nachvollziehbar sind – durch die wunderbare Sprache, die Capus verwendet, war das Buch für mich allerdings trotzdem ein wahres Lesevergnügen. So viel Sprachgewandtheit und Wortwitz habe ich schon lange nicht mehr angetroffen!

  • Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen, nicht nur, weil ich Paris und die Normandie als Orte des Geschehens besonders mag.


    Vieles, sowohl Ereignisse als auch Emotionen, wird vom Autor nicht beschrieben, sondern nur zart angedeutet, so dass Platz für die Zwischentöne und die Phantasie des Lesers bleibt.
    Auch für mich ist Yvonne die interessanteste Figur; ich erlebe sie als Frau, die realistisch ist und mit beiden Beinen auf dem Boden steht. Sie hat fünf Kinder mit Léon, er ist ein guter Vater und verlässlicher Partner im Sinne eines besten Freundes, und sie weiß, dass er sie nicht verlassen wird. Louise besitzt sein Herzgefühl, und Yvonne überlässt es ihr in dem Wissen, dass es nicht zu ihrem eigenen "Paket Léon" gehört. In keiner Phase der Dreiecksbeziehung spielt sie die Rolle der betrogenen Ehefrau; weil sie Léon frei gibt, behält sie das Heft in der Hand. Dass sie es damit Léon und Louise leicht macht, sich ihrer Liebe ohne Gewissensbisse hinzugeben, nimmt Yvonne in Kauf. Dennoch:


    Rätselhafter bleibt mir die Figur Léon. Ist er ein Mann, der alles nimmt, was sich ihm bietet, Ehefrau mit Familie und Geliebte dazu? Oder ein Mann, der nicht weiß, was er will? Oder einer, der in den Gefühlen seiner Jugend stecken geblieben ist und sich sein Jung-sein in die Verantwortung seines Erwachsenenlebens hinüber retten will?


    Das erste Kapitel, Léons Begräbnisgottesdienst, verspricht eine Rahmenerzählung, und die Geschichte wäre runder, wenn man am Ende dorthin zurückkehren könnte.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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  • Danke, Marie für das Hochholen des Threads, ich stelle fest, dass ich meine Meinung gar nicht niedergeschrieben habe.


    Auch ich habe dem Buch insgesamt doch :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: gegeben, obwohl es mich nicht ganz überzeugt hat. Wo genau die Schwachstelle(n) ist (sind), kann ich nicht festmachen, irgendwie fehlt es dem Buch an Biss. Es ist toll erzählt, insgesamt aber ein bisschen zu glatt, fast zu brav.


    Yvonne war auch für mich jene Person, über die man am meisten erfährt, obwohl sie doch nur eine Nebenfigur ist. Sie ist der Fels in der Brandung, ohne sie könnte Léon sein Leben nicht so führen, wie er es getan hat.


    Für Léon trifft (für mich) Maries Variante 3 ("einer, der in den Gefühlen seiner Jugend stecken geblieben ist und sich sein Jung-sein in die Verantwortung seines Erwachsenenlebens hinüber retten will?") zu. In Louise sieht er eine idealisierte Liebe, verbunden mit dem Gefühl dieses Sommers, den sie gemeinsam verbrachten und der mit dem jähen Kriegserlebnis ein Ende fand. Ich denke, in ihr sieht er versinnbildlicht seine doch unbeschwerte Jugend, die mit dem Kriegserlebnis zu Ende war. Und diese unbeschwerte Zeit glaubt er mit Louise zurückholen zu können. Léon ist schwach, lässt sich gerne leiten und lenken und übernimmt selber kaum die Initiative.



    Insgesamt doch ein sehr lesenswertes Buch, das niemals kitschig ist oder in Sentimentalitäten verfällt.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Es ist schon vieles gesagt, dennoch will ich meine Meinung dazu schreiben.
    Ich fand das Buch klasse! Die Sprache u die Stimmungsbilder, die gezeichnet werden sind unheimlich dicht, die Muscheln am Strand.. da dachte ich, ich sei dabei. Capus hat ein Stück Frankreich in meinen grauen Alltag gebracht!
    Zu der Dreiecksgeschichte: Klar, wer möchte von uns heute leben wie Yvonne? Aber damals, eine Frau mit mehreren Kindern. Es war klug von ihr, so mit der Sache umzugehen u ich denke es war eine sehr bewusste Entscheidung, mit allen Konsequenzen bis hin zu ihrem Tod.
    Das Interessante an diesem Roman ist, dass Leon zwar ein Mann mit zwei Frauen ist, aber weder der Herzensbrecher, der holt, was er bekommt, auch nicht der Lebemann.
    Viele Situationen zeigen ja wie ernst er es mit der Moral nimmt, z.B. Den geschenkten Kaffee von den Nazis u das Geld behält er nicht für sich, sondern tut anderen Gutes damit. Ich denke Louise war DIE Frau seines Lebens und die Bomben auf der Radtour haben der Geschichte die Wendung gegeben, dass er niemals in der Weise mit ihr zusammenleben konnte, in der er es sich gewünscht hat. Die Liebe war aber auf beiden Seiten so groß, dass sie unmöglich beendet werden konnte. Insofern war dieses Dreieck schlüssig, auch wenn so etwas immer tragisch ist.
    Für mich waren alle Charaktere, einschließlich der (unglücklichen?) Yvonne gut nachvollziehbar u das Prickeln, das ich beim Lesen empfand, weil ich mich einmal auf dieser, mal auf der anderen Seite befand, war für mich aufregend u :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb: Sterne wert.

    "Wie wenig du gelesen hast, wie wenig du kennst - aber vom Zufall des Gelesenen hängt es ab, was du bist." Elias Canetti

  • Der Anfang hat mir sehr gut gefallen, die Einstiegsszene fand ich vielversprechend (eine alte Frau kommt zu einer Beerdigung und läutet mit einer verrosteten Fahrradglocke vor versammelter Trauergemeinde, ehe sie sie dem Verstorbenen in den Sarg legt), dazu eine schöne Sprache, die Bilder voller Fantasie und Poesie vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen lassen (wie etwa Louise auf ihrem quietschenden Fahrrad Leon verwirrt).

    Dass der 1. Weltkrieg zwei junge Menschen trennt, die sich eben erst kennen- und liebengelernt haben, wird wohl vorgekommen sein, dass daraus aber eine lebenslange Verbindung entsteht, habe ich dem Autor schon nicht mehr ganz abgenommen. Man trifft sich mehr zufällig alle 10 bis 20 Jahre und vergisst einander inzwischen nie; die Liebe bleibt jung und gegenwärtig, obwohl der 2. Weltkrieg tobt und Familien ums Überleben und ihren Zusammenhalt kämpfen. Leon wird nie zum Kriegsdienst eingezogen und erscheint mir gerade in dieser Zeit reichlich passiv und sorglos, während seine Frau Yvonne wie eine Löwin den täglichen Überlebenskampf aufnimmt und sich nach den überstandenen Strapazen total fallen lässt. So kann der Hausherr seine inzwischen aus Afrika heimgekehrte ewige Geliebte, die natürlich sofort den Weg zu ihm findet, in die Arme schließen. Für die Stunden mit ihr steht praktischerweise ein Hausboot zur Verfügung.

    All das ergibt für mich kein stimmiges Bild, ist mir zu konstruiert und viel zu realitätsfern.

    Dennoch habe ich den Roman gerne gelesen, weil er mich stilistisch sehr angesprochen hat. Inhaltlich hat die Geschichte nach einem starken Einstieg für mich leider rasch an Überzeugungskraft verloren.

  • "Leon und Louise" ist für mich eine wunderschöne Liebesgeschichte, die auf sämtlichen Kitsch verzichtet. Die Figuren sind, mit all ihren Unzulänglichkeiten aus dem Leben gegriffen, glaubwürdig.
    Alex Capus versteht es, nüchtern zu erzählen, als wäre man ein stiller Beobachter der Geschichte - der Leser entscheidet selbst, wie er zu den einzelnen Protagonisten steht, ohne dass Capus ihn lenkt. Der Hintergrund dieser Geschichte ist natürlich eine spannende Zeit, nimmt aber niemals durch zu detaillierte und geschichtliche Schilderungen den Fokus von der eigentlichen Handlung.
    Ich mochte Leon, der in meinen Augen eine Art Lebenskünstler ist. Er versucht stets das Beste aus der Situation zu machen, ist bei weitem nicht unfehlbar, auch er handelt an manchen Stellen sehr fragwürdig und fern von seiner sonst sehr hochgeschätzten Moral und Verantwortungsbewußtsein - er lässt sich hin und wieder halt auch mal treiben, niemals bösartig, was ihn in meinen Augen sehr menschlich macht. Louise bleibt von allen Figuren meiner Meinung nach am meisten "nur" skizziert obwohl sie eine sehr große Rolle spielt ist sie am wenigsten greifbar, aber genau das macht ja auch ihre Persönlichkeit aus.
    Ein wundervolles Buch also, welches ich sehr genossen habe, zu lesen und ich vergebe volle :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    "Imagination, rather than mere intelligence, is the truly human quality."


    "Chaos is found in greatest abundance wherever order is being sought. It always defeats order, because it is better organized."

    Terry Pratchett

    "The person, be it gentleman or lady, who has not pleasure in a good novel, must be intolerably stupid."

    Jane Austen


    :study:

    Richard Russo - Diese gottverdammten Träume

    Andrew Jefford - Whisky Island

    Randale Munroe - What if 2


    :bewertung1von5: 2024: 4 :bewertung1von5:

  • Meine Meinung:


    Eine ganz und gar ungewöhnliche Liebe


    Eine erheiternde erste Begegnung zwischen Léon Le Gall und Louise Janvier findet während dem ersten Weltkrieg statt. Es ist Louise, die Frau mit der gepunkteten Bluse auf dem quietschenden Fahrrad, die Léon seit ihrer ersten Begegnung nicht mehr aus dem Kopf geht. Und obwohl Louise erst nicht auf Léons Bitten, sich mit ihm zu treffen, eingeht, entschließt sie sich schlussendlich doch kurzerhand dazu, ihn auf einem Wochenendausflug mit dem Fahrrad zu begleiten. 24 Stunden, in denen sie sich endlich ein wenig näher kommen, sind ihnen dabei vergönnt, dann reißt sie ein Bombenangriff jäh auseinander.
    Beide in dem Glauben, der jeweils andere wäre tot, treffen sie erst ganze zehn Jahre später in der Pariser Métro zufällig wieder aufeinander …


    Das Problem dabei ist, dass der gute Léon zehn Jahre später, also 1928, mit Yvonne verheiratet und zusätzlich bereits Vater ist. Und da Léon viel zu loyal und pflichtbewusst ist, käme es für ihn auch gar nicht in Frage, seine Frau für Louise zu verlassen.
    Überraschenderweise ist Louise genau derselben Ansicht, was ich erst gar nicht erwartet habe, da ich sie als laute, selbstbewusste und vor allem emanzipierte, wie der Schnabel gewachsen redende Frau kennengelernt habe, die klare Vorstellungen von ihrem Leben hat.


    ~ Für Léon, der sich schon lange daran gewöhnt hatte, zwei Frauen zu haben - eine an seiner Seite und eine im Kopf -, änderte sich damit nicht viel. ~
    (S. 229)


    Ja, für Léon ändert sich nicht viel, als er Louise wiedertrifft, denn für ihn ist klar: er wird seine Frau Yvonne und die Kinder nicht verlassen. So ein Mann ist er nicht. Dennoch denkt er ständig an Louise, was ich ihm auch gar nicht verdenken kann, schließlich war er jahrelang der Ansicht, sie sei 1918 ums Leben gekommen.
    Auch Louise akzeptiert Léons Entscheidung, sie geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt, sie sollen sich gar nicht mehr treffen. Es hat all die Jahre funktioniert, also wird es auch weiterhin funktionieren. Eine Begründung für Louises Denken gab es keine, aber ich kann mir gut vorstellen, dass es für sie nur schmerzhaft gewesen wäre, weiterhin mit Léon zusammen zu sein, in dem Wissen, dass er seiner Frau versprochen hat, sie und die Kinder niemals zu verlassen.


    ~ »Ob ich auch Dich vergessen habe? Na, ein wenig schon - es hat ja keinen Sinn, sich hier Tag für Tag vor Sehnsucht zu verzehren. Und doch habe ich Dich, daran ändert sich nichts, immer bei mir.« ~
    (S. 276)


    Eine Liebe, wie sie Léon und Louise ein Leben lang verbindet, und das, obwohl sie mehr oder weniger ein fast vollständig getrenntes Dasein führen, ist meiner Ansicht nach sehr ungewöhnlich und kommt auf dieser Welt wahrscheinlich nicht häufig vor. Vor allem muss man bedenken, dass sie vor ihrer Trennung bei dem Bombenangriff gerade mal, wenn überhaupt, 24 Stunden miteinander verbracht haben. Aber in dieser Zeit dürfte irgendetwas entwachsen sein, was beide für immer aneinander gebunden hat: eine tiefe, prägende Liebe, die nie nachgelassen hat. Ich würde sogar so weit gehen und die beiden als seelenverwandt beschreiben, anders kann ich mir dieses lebenslange Aneinanderfesthalten sonst gar nicht erklären.


    So wundervoll, aber gleichzeitig ebenso bedauernswert ich diese außergewöhnliche Liebe auch empfunden habe, genauso sehr hat mir der Schreibstil Alex Capus’ zugesagt. Zwar kamen in der Geschichte kaum direkte Reden vor, was ich ein wenig vermisst habe, aber dafür hatte diese Erzählung etwas Lockeres und Leichtes an sich, das mich wunderbar an das Buch fesseln konnte. Auch den ganz eigenen Humor des Autors fand ich erfrischend und hat absolut meinen Geschmack getroffen. Hier versucht Léon zum Beispiel die wechselnden Stimmungen seiner Frau Yvonne ganz nüchtern, aber auch amüsant treffend, zu beschreiben:


    ~ Er war zu einem Mann von einiger Lebenserfahrung herangewachsen, und nach fünf Jahren Ehe war ihm bekannt, dass die Seele einer Frau auf geheimnisvolle Weise in Verbindung steht mit den Wanderungen der Gestirne, dem Wechselspiel der Gezeiten und den Zyklen ihres weiblichen Körpers, möglicherweise auch mit unterirdischen Vulkanströmen, den Flugbahnen der Zugvögel und dem Fahrplan der französischen Staatsbahnen, eventuell sogar mit den Förderquoten auf den Ölfeldern von Baku, den Herzfrequenzen der Kolibris am Amazonas und den Gesängen der Pottwale unter dem Packeis der Antarktis. ~
    (S. 99)


    Die ganze Geschichte von Léon und Louise startet auf einer Beerdigung, auf der ein Haufen Le Gall - Familienmitglieder anwesend sind: Kinder, Enkel und Urenkel. Man hat also schon die Vermutung, dass Léon es ist, um den hier getrauert wird. Hinzu kommt, dass das Buch von einem von Léons Enkeln erzählt wird.
    Aber nicht nur die Familie ist anwesend, auch eine alte Frau sitzt in den Reihen, über die munter getuschelt wird. Es ist Louise. Und genau an dieser Stelle startet für uns Leser eine der außergewöhnlichsten Liebesgeschichten zwischen zwei Menschen, die sich einander näher fühlen, je weiter sie voneinander entfernt sind …


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