Sabrina Janesch - Katzenberge

  • Titel: Katzenberge
    Autorin: Sabrina Janesch
    ISBN: 978-3351033194
    Seiten: 273


    Kurzbeschreibung (Amazon):
    Magisch, suggestiv und präzise erzählt Sabrina Janesch von nicht vergehender Schuld, von unheimlicher Heimat und einer wagemutigen Reise: Nach dem Tod ihres Großvaters erkundet die junge Journalistin Nele Leipert die Geschichte ihrer Familie. Sie verlässt Berlin und fährt nach Schlesien und schließlich nach Galizien, wo alles begann. Dort, am Ende der Welt, will sie einen alten Fluch bannen. "Federleicht pendelt der Roman zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her und beschwört dabei das Leben dreier Kriegs- und Nachkriegsgenerationen herauf. So führt die Lektüre mit ihrer elegischen und stark berührenden Wirkung tief in die Geschichte Europas zurück: Als Spurensuche nach den Wurzeln der Verwundungen, aber auch als Suche nach den Möglichkeiten einer besseren Zukunft." Hanns-Josef Ortheil


    Über die Autorin (Amazon):
    Sabrina Janesch studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim, außerdem Polonistik in Krakau. U. a. Gewinnerin des O-Ton Literaturwettbewerbes des NDR, Stipendiatin des Schriftstellerhauses Stuttgart und des LCB. Sie war erste Stadtschreiberin von Danzig und erntete dabei viel Medienaufmerksamkeit. Zurzeit arbeitet sie an ihrem zweiten Roman. www.sabrinajanesch.de


    Meine Meinung: :applause:
    Vorweg, ich liebe diesen Roman! Was für ein Buch ... von Anfang bis Ende hat mich die Geschichte von Nele und ihrem Großvater gefesselt. Nach Aussage der Autorin ist der Roman autobiografisch angelegt, lediglich die Namen sind geändert. Ich bin gespannt auf die Lesung am 11.02.11 bei Graff in Braunschweig. Dort werde ich hoffentlich ein paar Fragen stellen können. Z.B. wieviel Nele in Sabrina ist, wer ihr all die Geschichten aus der Vergangenheit erzählt hat, alle ihr Großvater? Hat sie vor Ort recherchiert? War Sie in Galizien, im Heimatdorf ihres Großvaters? Gibt es noch Menschen, die ihn kannten? Konnte sie den Fluch bannen?
    In einer wunderschönen Sprache begibt sich die Autorin als Nele auf die Reise in die Vergangenheit, parallel erzählt sie im zweiten Handlungsstrang die Geschichte ihres Großvaters. Einmal als Nele, die sich auf die Reise macht und die Orte besucht, in der ihr Großvater gelebt hat und in denen er seine Spuren hinterlassen hat. Das andere Mal in der Vergangenheit, Kriegsende, Polen, Galizien, hier wird die Geschichte aus Sicht des Großvaters erzählt. Auf der Flucht vor den Ukrainern, an der alten Heimat hängend, das Leben vom Aberglauben und den Glauben an Geistern und Dämonen geprägt. Gibt es "das Biest" in Schlesien wirklich? Ist es ihm schon aus Galizien gefolgt? Wo kommt es her ... woher stammt der Fluch? Hat es etwas mit dem Gerücht um seinen Bruder Leszek zu tun? Diese Fragen sind auch nach der Lektüre offen ... sollen sie offen bleiben? Am Ende gibt es noch eine große Überraschung, die ich hier natürlich nicht verrate ...
    Man spürt die große Liebe zu ihrem Goßvater, sie setzt ihm mit dem Buch ein Denkmal. Interessant sind die geschichtlichen Aspekte ... ich habe mich vorher nicht viel mit polnischer Geschichte beschäftigt, fand die Hintergrundinformationen sehr interessant. Auch wie die Polen heute leben und wie früher durch den Krieg alles durcheinandergewirbelt wurde, fand ich sehr spannend. Meine Großeltern waren auch auf der Flucht und mussten sich 1945 eine neue Heimat suchen, vielleicht daher die große Begeisterung für diesen Roman?
    Was wirklich offen bleibt, ist, wie die Beziehung zu Carsten, ihrem deutschen Freund, weitergeht. Davon erfährt man am Ende nichts mehr ...



    Fantastisch, eine klasse Buch, dem ich sehr viele Leser wünsche ... Ich hoffe, weitere Bücher von Sabrina Janesch lesen zu können. Derzeit arbeitet sie wohl an ihrem nächsten ... :thumleft:

    "Ein Leben ohne Hund ist möglich, aber sinnlos ..."

    (nach Loriot)

    Einmal editiert, zuletzt von Steffi ()

  • Das Buch hat mich ja schon im Thread "Ich lese gerade..." angesprochen. Jetzt nach der Rezi noch mehr. Diese Art von Geschichten mag ich unheimlich gerne. Glaube, ich werde gleich in meiner Mittagspause zur Buchhandlung gehen und es kaufen. Ich freu mich :applause:

    Da es der Gesundheit förderlich ist, habe ich beschlossen, ab heute glücklich zu sein (Voltaire)

  • Die Lesung gestern Abend bei Graff in Braunschweig war der Hammer. Sabrina Janesch ist eine hübsche junge Frau. Sehr sympathisch und liest traumhaft, ich hätte ihr stundenlang zuhören können. Im Anschluss hat sie Fragen des Publikums beantwortet und auch hier bewegte sie sich mit einer Eleganz, einer wundervollen Sprache und einer sehr sympathischen Ausstrahlung zwischen Fragen zum Buch, zu ihrer Person und zu ihren neuen Projekten. Zu ihrem neuen Buch, an dem sie gerade arbeitet, wollte sie keine Fragen beantworten. Man bekam nur raus, dass es in der Gegenwart und in Danzig spielen wird :D
    Die zwei Stellen aus "Katzenberge" hat sie wunderbar ausgewählt, man bekam einen wundervollen Einblick in die Geschichte und wer wie ich das Buch schon gelesen hatte, freute sich über den schönen Vortrag der Autorin. :applause:
    Das Buch ist sowieso absolut empfehlenswert 8)

  • Sabrina Janesch legt mit „Katzenberge“ einen beachtenswerten Debütroman vor. Sie erzählt einerseits die Geschichte der Nele Leipert, die sich selbst als in Deutschland angekommen betrachtet, von den Deutschen und den Polen jedoch immer wieder der anderen Seite zugeordnet fühlt. Viele der beiderseitig gängigen Vorurteile werden angesprochen und mit den dazugehörigen Klischees ad absurdum geführt. Die Autorin erzählt aber gleichzeitig die Lebensgeschichte von Neles Großvater. Mit Neles Reise ins frühere Galizien lichten sich nach und nach die Schleier, die über dessen Vergangenheit lagen. Durch die gekonnten Beschreibungen fühlt man sich als Leser schnell in die harte Nachkriegszeit hineinversetzt. Gelegentlich hatte ich den Eindruck, dass die verschiedenen Zeiten ineinander verlaufen, ebenso wie die Grenzen zwischen Realem und Mystischem. Diese etwas rätselhaften Elemente haben mich überhaupt nicht gestört, sie stehen für sich und sind nach der Lektüre des Buches selbsterklärend.
    Der Roman ist wegen der angenehmen Sprache und der unterschwelligen Ironie sehr gut und flüssig zu lesen. Er besitzt eine ganz eigene Spannung, die es einem schwer machte, das Buch zur Seite zu legen. Die Charaktere sind lebensnah, wenn auch nicht alle bis zur letzten Konsequenz für mich greifbar waren.
    Nicht anfreunden konnte ich mich mit den immer wieder im Buch vorkommenden polnischen Redewendungen und Floskeln. Auch ohne diese wären ihm weder Glaubwürdigkeit noch Authentizität verlorengegangen.
    „Katzenberge“ ist eine sehr schöne Reise in die Vergangenheit, in dieser Richtung wird die Geschichte erzählt. Schuld, Vertreibung, ein Familienfluch und die große Liebe einer Enkelin zu ihrem verstorbenen, geheimnisvollen Großvater sind die tragenden Pfeiler in diesem Roman, den ich mit viel Freude gelesen habe und gern anderen Lesern empfehle.

  • die große Liebe einer Enkelin zu ihrem verstorbenen, geheimnisvollen Großvater

    Ich habe mir mein Exemplar signieren lassen, mit dem Satz "Für alle, die ihre Großeltern lieben"


    Freut mich, dass Dir das Buch gefallen hat, liebe Heike :tanzen:

    "Ein Leben ohne Hund ist möglich, aber sinnlos ..."

    (nach Loriot)

  • Ich schließe mich den positiven Echos voll und ganz an, hole nun gerne nochmals den Fred hoch, um einige Neuankömmlinge auf dieses Buch aufmerksam zu machen. Ob es alle erreichen kann (aber dies gilt ja wohl für alle Bücher) sei dahingestellt, doch wie bemerkt, ist es gut für alle, die ihre Großeltern mit bewegten Geschichten aus bewegter Zeit kennengelernt haben. Und insbesondere wohl für jene wie Sabrina Janesch, mit eigenen polnisch-deutschen Wurzeln.


    Oder auch – wie es bei mir und Millionen Deutschen der Fall ist – für alle mit Wurzeln insbesondere im ehemaligen Osten des « Deutschen Reiches ». Man hat manchmal so seine eigene Version gehört, die Geschichte von Vertreibung ud Flucht, und den ankommenden Polen,die die Bauernhöfe übernahmen. Teils hat man sogar eine Zeitlang koexistiert im selben Haus ! Aber haben viele wahrgenommen, dass diese Polen selber ihre Heimat verloren hatten ? Sie aus der späteren Ukraine vertrieben wurden, und neu angesiedelt wurden ? Mir wurde es bewußter als ich vor Jahren eine solche polnische Familie aus Breslau (Schlesien) ein wenig kennenlernen durfte. Und wie lange tat man sich mit dem Heimischwerden schwer : man hatte « Deutsches » ererbt, übernommen, doch gleichzeitig keinen Bezug dazu. Fühlte sich in der neuen Umgebung irgendwie nie ganz angekommen, sondern als vorläufig : immerhin lebte man jahrzehntelang mit dem Gedanken, dass die Deutschen eines Tages schon wieder zurückkehren würden.


    Galizien, die verlorene Heimat, erscheint auch wie die den Nachkommen verborgene Seite eines Lebens. Es ist mir verständlich, dass Sabrina/Nele sich auf die Spuren des geliebten Großvaters machen musste : es geht auch um alte Bilder von Fluch, Aberglauben, Verhexung, kurz die Präsenz anderer Kräfte, aber auch um das Fehlen von Bildern jener Gegenden, aus denen man selber indirekt stammt. Ich habe dasselbe (oder Ähnliches) erlebt und als befreiend und als Neuanfang empfunden.


    All dies und mehr wird so hervorragend von Janesch geschildert !


    Dabei gibt es also zwei Erzählfäden, die prima miteinander verknüpft, verflochten sind : einerseits bewegt sich Nele in ihrer Ich-Erzählung von der anfänglichen Beerdigung ihres Großvaters (2007) chronologisch gesehen vorwärts, reist aber gleichzeitig an Orte einer immer entfernteren Vergangenheit.


    Andererseits wird die Geschichte des Großvaters, so wie man sie erzählt bekommen hatte von ihm (stetes diskretes Auftauchen von : « er sagte ») geschildert mit einem chronologisch immer weiter zurückgehenden Blick. Wie geschickt Janesch das zusammenbringt !


    Dabei sind zwei- bis circa zehnseitige Absätze mit neuem Seitenanfang, aber ohne Titelüberschrift und Numerierung die Struktur.


    Ja, die Hinweise auf die Nähe zur eigenen Biographie sind, zumindest in meiner Ausgabe, ziemlich klar : nicht nur ist das Buch ihrer Familie gewidmet, sondern in der Danksagung spricht sie ausdrücklich von der selber gemachten Reise, von ihrem Großvater als eigentlichem Erzähler und zB der Begegnung mit jener polnischen Frau in der Ukraine (einer der intensivsten Momente ihres Lebens). Meines Erachtens liest man aus den Zeilen heraus, wieviel Ureigenes und Wichtiges hier eingeflossen ist.


    Ein wunderbares Buch, das ich an die Informierten gerne weiterempfehlen kann !