William Sabine Baring Gould - The Book of Were-Wolves/Das Buch der Werwölfe

  • Das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert sah viele Amateure in den Bereich der Wissenschaften eintreten. Einer von ihnen war der anglikanische Landgeistliche William Sabine Baring-Gould, der im Verlaufe seiner Karriere, in der er auch als Lehrer tätig gewesen ist, über 500 Publikationen in den Bereichen Archäologie, Folklore und Geschichte veröffentlicht hat und auch einige fiktionale Werke, wie den ersten Werwolfroman. Außerdem arbeitete er als Übersetzer und schrieb Kirchenlieder, wie „Onward, Christian Soldier“ und „Now the Day Is over“. Es wird ihm nachgesagt, er habe regelmäßig mit einer zahmen Fledermaus auf der Schulter unterrichtet.

    Das vorliegende Buch ist der Versuch, die Legenden um die Erscheinung des Werwolfs nach einem Erlebnis mit einigen abergläubischen Bauern in Frankreich, näher unter die Lupe zu nehmen. Nach einer Einleitung, die dieses Erlebnis beschreibt, geht der Autor zunächst auf die verschiedenen Werwolf- und Werwesenlegenden der griechischen und römischen Antike ein und versucht an dieser Stelle bereits eine naturphilosophische Erklärung für diese Überlieferungen zu finden. Darauf folgt eine Betrachtung der skandinavischen Überlieferung, wobei hier auch der Berserker, der heutzutage auf eine deutlich andere Erklärung zurückgeführt wird, als er die hier gibt, Erwähnung findet.

    In der Betrachtung der mittelalterlichen Überlieferung geht er dann auf die Verknüpfung dieses Aberglaubens mit den Hexenverfolgungen ein und beschreibt verschiedene Fälle. Hierher gehören dann auch Bemerkungen zu Folklore, die in irgendeiner Weise mit Werwölfen zu tun haben soll und sich dabei meist auf Kannibalismus und ein wenig auf Vampirismus beziehen.

    Im Weiteren versucht er sich an einer Betrachtung möglicher realer Bedingungen für die Entstehung einer solchen Legende, d.h., wie Menschen dazu kommen können, einen anderen Menschen oder auch sich selbst als ein Wandelwesen zu betrachten. Hierauf folgt auch noch einmal eine Betrachtung mythologischer Herleitungen, bei denen sich zeigt, dass wohl bereits in der Antike einige Autoren eine sehr rationalistische Betrachtung dieses Phänomens pflegten.

    Abschließende gibt es einige „Fallstudien“, wenn man so möchte, die mehr oder minder spektakulär bekannte Fälle von serieller Brutalität außerhalb von Kriegsschauplätzen und Nekrophilie darstellen – und dabei, wie viele medizinische und psychologische Schriften dieser Zeit, die hier auch zum Teil direkt als Quellen angegeben sind, ein wenig reißerisch erscheinen. Am ausgiebigsten geht es dabei um den Fall von Joan D’Arcs Weggefährten, dem Marschall von Retz, der mit Komplizen in Friedenszeiten über 800 Kinder gefoltert und getötet haben soll.

    Das Buch entspricht nicht unbedingt aktuellen wissenschaftlichen Vorgehensweisen, ist aber – bis auf seine Neigung zur Darstellung besonders spektakulärer Fälle – sehr rational und vermeidet jede Romantisierung des „Phänomens Lykantrophie“, was überaus angenehm ist und wohl auch erklärt, warum es – mit den ausgiebigen Fallbeschreibungen – so kurz geraten ist. Am Ende gibt es sogar noch eine Predigt, die ein Kollege des guten Vikars zu diesem Thema in Deutschland gehalten hat.

    Für den modernen Leser wird es ein wenig schwierig sein, dass Baring-Gould davon ausgeht, dass dieser in der lateinischen, griechischen und französischen Sprache relativ geläufig zu lesen versteht – besonders, da das griechisch der vorliegenden Ausgabe nicht in griechischen Buchstaben gesetzt ist, sondern in den auf der Tastatur an passender Stelle liegenden lateinischen, was diese – zum Glück wenigen – Passagen unlesbar macht. Ansonsten liegt hier ein interessantes wissenschaftshistorisches Werk vor. Glücklicherweise wurde das Problem der griechischen Buchstaben in der deutschen Übersetzung des Titels behoben.