Bernhard Schlink - Sommerlügen

  • Wie auch in seinen anderen Büchern beschäftigt sich Bernhard Schlink in seinem neuesten Buch mit Vergangenheitsbewältigung. Doch diesmal geht es nicht um politische – deutsche – Vergangenheitsbewältigung sondern um private. Auf 7 Schauplätzen, vorwiegend in Deutschland und New York – setzen sich seine hauptsächlich männlichen Helden mit ihren Leben auseinander, mit Vergangenem und Gegenwärtigem. Sei es das Ende einer Beziehung, das Eintreten eines großen Erfolges, der bevorstehende Tod aufgrund einer Krebserkrankung oder die Begleiterscheinungen des Äter-Werdens, angesichts einer Zäsur, die im Leben eintritt, wird die Lüge zum Mittel, um Unangenehmem aus dem Weg zu gehen, Entscheidungen hinauszuzögern oder Geschehenes zu beschönigen. „Sommerlügen“ nennt sie der Autor, denn eingebettet in einem Rahmen von Sommerwind, idyllischer Landschaft, Urlaub und Unbeschwertheit lügt es sich offenbar ein bisschen leichter, doch die hier präsentierten Lügen ziehen weite Kreise und greifen ganz tief und massiv in das Leben der Figuren ein.


    Bernhard Schlink versteht das schriftstellerische Handwerk. Prägnant, schnörkellos und flott erzählt er seine Geschichten, erklärt die Beweggründe und Entscheidungen seiner Figuren, nimmt den Leser an die Hand und führt ihn durch die Geschichten, ohne dass sich dieser selbst allzu viele Gedanken machen muss. Gedanken worüber eigentlich? Es sind keine schwerwiegenden Probleme, mit denen die Figuren – die durchwegs der gehobenen Mittelschicht entstammen - kämpfen, vielmehr sind es Befindlichkeitsstörungen und Sinnkrisen. Diesem „Jammern auf hohem Niveau“ wurde ich schnell müde, keine der Figuren ging mir ans Herz, kein Schicksal berührte mich tiefer, zudem es sich bei den Personen durchwegs um klischeebehaftete Stereotypen handelt. Ein stets durchklingender erhobener Zeigefinger hinsichtlich moralischem Anspruch macht diesen Erzählband für mich zu einem Buch, das man nicht wirklich gelesen haben muss.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Schade, dass ich Rosalita nicht widersprechen kann.


    Einzelne der Erzählungen sind nicht schlecht, auch lesen sie sich flott und leicht, aber in ihrer Gesamtheit sind sie eintönig. Leute mit einem Luxusleben (Juristen, Professoren, Schriftsteller, Musiker) leisten sich den Luxus eines Problems. Entweder eines mit der Liebe, eines mit Abschiednehmen oder mit Älterwerden. Geld und Status allein machen nicht glücklich; das Buch wirkt, als wäre Schlink angetreten, diesen Satz zu beweisen. (Was nicht heißt, dass Bücher, in denen fiktive Personen Geldsorgen / Zukunftsängste haben, automatisch eine bessere literarische Qualität hätten; ein Erzählband, in dem alle über Arbeitslosigkeit, Schulschwierigkeiten der Kinder oder die enge Wohnung klagen, wäre ebenso eintönig.)


    Schlink beschreibt seine Figuren, auch ihr Innenleben, aber er zeigt sie dem Leser nicht. Die Ideen, die Ausgangspunkte zu den einzelnen Erzählungen sind durchweg gut, aber herausgekommen sind unverbindliche Geschichtchen, die nicht berühren.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)




  • Dieser neue Band mit Erzählungen des in Bielefeld geborenen, in Berlin und New York lebenden und arbeitenden Juristen und Schriftstellers Bernhard Schlink ist ein wahrer Lesegenuss. Hat man das Buch mit insgesamt sieben Geschichten über verschiedene Lebenslügen von Menschen zur Hand genommen, legt man es nicht mehr aus der Hand, obwohl die Erzählungen keinen inneren Faden haben, und jede einzelne für sich steht.


    Und doch gibt es außer den Lebens- und Liebeslügen von Frauen und Männern Gemeinsamkeiten. Immer wieder sind die Protagonisten entweder Juristen, Schriftsteller oder Philosophen. Manche verschlägt der Beruf (so wie Schlink selbst) immer wieder nach New York, sie besitzen Sommerhäuser, kennen keine materiellen Sorgen und sind alle hoch gebildet.


    Das alles aber bewahrt die handelnden Personen, von denen man einige beim Lesen regelrecht lieb gewinnt, nicht davor, manchmal knapp, aber doch immer treffsicher am eigentlichen Leben, vor allen Dingen am Zusammenleben mit ihrem jeweiligen Partner, vorbeizugehen. Alt geworden, oft am Rande des Todes stehend, reflektieren sie ihr Leben, und ihre Lebenslügen, und meistens ist es längst zu spät für einen neuen Anfang, den sie nichtsdestotrotz in den meisten der sieben Geschichten probieren, verzweifelt, doch ohne rechte Einsicht in ihre bisherigen Fehler und Masken.


    Das Buch beginnt mit einer Erzählung mit dem Titel "Nachsaison". Ein in eher bescheidenen Verhältnissen lebender Flötist begegnet bei seinem Rehabilitationsaufenthalt auf dem Cape Cod einer reichen Millionärserbin. Sie verlieben sich, wollen zusammenbleiben, doch sie verlangt von ihm, dass er sich voll und ganz auf ihr Leben einlässt. Sein eigenes hat er in den wichtigsten Elementen vor der Frau verschwiegen, eine "Sommerlüge". Wie bei allen anderen Geschichten bleibt es hier der Phantasie des Lesers überlassen, über den Schluss und den Ausgang der Erzählung nachzudenken.


    In der Erzählung "Nacht in Baden-Baden" wird von dem Theaterschriftsteller erzählt, der die Aufführung eines Stückes von ihm in Baden-Baden und die Nacht danach im Hotel nicht mit seiner feministischen Freundin verbringt, sondern mit einer anderen Frau, Therese, die er schon lange kennt, mit der er aber nicht schläft. Beide Frauen wissen voneinander, aber der Schriftsteller hat beiden Wesentliches über die jeweils andere über lange Jahre vorenthalten. Die feministische Juristin, die überall auf der Welt von Lehraufträgen lebt, forscht nach und kommt ihm auf die Schliche. Und die nächste "Sommerlüge" wird aufgedeckt, wieder mit offenem Ausgang.


    Dennoch hat man beim Lesen und am Ende auch der anderen, fast alle auf gleichem literarischem Niveau stehenden Erzählungen das Gefühl: Die jeweiligen Lügen haben Leben zerstört. Wer möchte, kann die Lektüre des Buches zum Anlass nehmen, seinen eigenen Lebenslügen einmal auf die Spur zu kommen, vielleicht bevor es zu spät ist.

  • Ich habe das Buch jetzt beendet und bin nur dabei geblieben aufgrund des gelungenen Erzählstils. Aber wie schon einige der Vorrezensenten geschrieben haben, sind die Geschichten alle ziemlich eintönig. Allen Geschichten fehlt eindeutig die Pointe. Das fand ich zum Beispiel an den Kurzgeschichten von Eric-Emmanuell Schmitt so gelungen. Die Pointe. Hier war es der Erzählband: "Die Träumerin von Ostende", den ich gelesen habe.


    An den Geschichten, die Bernhard Schlink hier vorstellt, fehlt eindeutig der Knalleffekt. Er versucht es statt dessen mit einem offenen Ende, dass andererseits auch wieder etwas hat. Jedenfalls eine Anregung zum Weiterdenken. Aber durchgängig waren es auch noch allesamt irgendwie unsympathische Figuren, die er da entworfen hat.


    Am besten hat mir noch die Geschichte: "Ein Haus im Wald" gefallen. Hier geht es um ein Schriftstellerehepaar, das abseits von New York ein ruhigeres Leben mit ihrer kleinen Tochter führen möchte. Die Frau hat mehr Erfolg als der Mann. Der Mann möchte seine Familie am liebsten ganz von dem Trubel der Berühmtheit abschotten. Dabei wendet er ziemlich rabiate Methoden an. Er entwickelt schon richtig psychotische Züge und als seiner Frau ein Preis verliehen werden soll, tut er alles, damit sie nichts davon erfährt und greift dabei zu Mitteln, die beinahe zu einem tragischen Unglück führen. (Hier spielt die Handlung aber nicht ausschließlich im Sommer, es ist absolut keine "Sommerlüge" !!) Jedenfalls hat mir die unterschwellige Beklemmung, die beim Lesen entstand, sehr gut gefallen.


    Ansonsten würde auch ich die vorgestellten Beziehungskrisen, die das Hauptthema der Erzählungen bilden, nicht unbedingt als Sommerlügen, sondern vielmehr als Lebenslügen bezeichnen. Denn darauf läuft es schließlich hinaus!


    Mein Fazit: Der Erzählstiel hat mir gefallen. Die Struktur der einzelen Erzählungen eher weniger. Alles in allem guter Durchschnitt (wobei ich vermutlich bei noch mehr Geschichten dieser Art erst einmal eine Pause eingelegt hätte. Aber es war ja nun wirklich kein ausufernder dicker Wälzer :) ) Ich bewerte: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Jeder Tag, an dem ich nicht lesen kann, ist für mich ein verlorener Tag!

  • Ich lese Bernhard Schlink eigentlich ganz gerne, denn ich mag seine Art des Erzählens eigentlich sehr. Doch nun ist sein Erzählstil auch so ziemlich das Einzige, das mich dieses Buch hat durchhalten lassen. Ich bin letztlich doch etwas enttäuscht.
    “Sommerlügen” enthält sieben Erzählungen, die alle von Menschen handeln, die mit sich und ihrem Leben unzufrieden sind, die Ängste vor der Zukunft haben und mit ihrer Vergangenheit aus verschiedensten Gründen nicht im Reinen sind. Wir treffen auf Protagonisten und Ich-Erzähler, die das Gefühl haben, am Wendepunkt ihres Lebens zu stehen, nun endlich eine wegweisende Entscheidung zu treffen und so weiter. Aber was interessant klingt, blieb für mich seltsam fremd. Vielleicht deswegen, weil es keine einzige Geschichte gibt, die mich glücklich, mit einem guten Gefühl für den Protagonisten oder Ähnlichem zurückließ. Am Ende habe ich eigentlich jede dieser Figuren als gescheitert empfunden und gedacht, dass es denkbar schrecklich ist, wenn man sein eigenes Leben so sieht wie diese Figuren.
    Die Beziehungen, die wir hier präsentiert bekommen, sind geprägt von Unverständnis und zum Teil eben – wie der Titel der Sammlung schon sagt – voller Lügen. Mir war das einfach zu viel, obwohl ich die Erzählungen nicht hintereinander weggelesen habe.
    Außerdem fehlte mir eine Nähe zu den Protagonisten. Sicherlich kann man bei Erzählungen von etwa 40 Seiten nicht erwarten, wie in einem Roman eine Figur zu finden, die man durch und durch kennenlernt und mit der man sich identifiziert. Doch hier blieben alle Figuren auf Distanz, blieben alle seltsam fremd und ich konnte sie einfach kaum verstehen.
    Am meisten gefallen hat mir von allen sieben Erzählungen “Das Haus im Wald”, vielleicht deswegen, weil der Protagonist psychisch auch wirklich nicht normal ist und man deswegen als Leser auch gar nicht schaffen kann, sich voll und ganz mit ihm zu identifizieren. Ich fand diese Erzählung vom Aufbau her interessant und die Handlung ganz spannend. Auch “Der letzte Sommer” ließ sich ganz gut lesen, war recht traurig, aber die einzige Geschichte, die vielleicht ein halbwegs gutes Ende finden kann. Hier fand ich die Auseinandersetzung des Protagonisten mit dem eigenen Leben interessant und sein Verhalten zumindest teilweise nachvollziehbar.
    Hingegen war ich schon bei der ersten Erzählung (“Nachsaison”) irritiert vom Verhalten aller beteiligten Figuren, und “Der Fremde in der Nacht” war irgendwie zu weit hergeholt für mich. Es fällt mir schwer, das genau in Worte zu fassen, aber bei dieser Erzählung kam es mir so vor, als habe Schlink versucht, sich eine möglichst spektakuläre Geschichte für diesen Band auszudenken.
    Ich halte Bernhard Schlink für einen wirklich tollen Autor, aber “Sommerlügen” ist trotz zweier recht guter Erzählungen für mich doch eher ein “Sommerflop”.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Einzelne der Erzählungen sind nicht schlecht, auch lesen sie sich flott und leicht, aber in ihrer Gesamtheit sind sie eintönig.

    Mein erster Roman von Schlink und schon muss ich mich dem anschließen. ("Der Vorleser" kenne ich nur als Film)

    Aber gerne versuche ich andere Romane/Erzählungen.

  • Aber gerne versuche ich andere Romane/Erzählungen.

    Ich halte "Der Vorleser" immer noch für sein bestes Buch. Auch wenn Du die Pointen durch den Film schon kennst, lohnt sich das Lesen trotzdem. Alles was danach von Schlink kam, konnte mich im großen und ganzen nicht mehr begeistern, bis er in diesem Jahr diesen Erzählungsband herausbrachte, der mir wieder gefiel.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)