Originaltitel: El jersei (erschienen 2006)
280 Seiten
Klappentext:
Zwei rechts, zwei links und bloß keine fallen lassen.
Still sitzt sie da und strickt emsig vor sich hin: Seit einem Schlaganfall lebt Dolors bei der Familie ihrer Tochter Leonor. Zwar kann sie nicht mehr sprechen, sie hat aber nach wie vor einen scharfen Verstand. Und blind und taub ist sie auch nicht geworden, wie das alle zu glauben scheinen - warum sonst behandelt man sie wie ein Möbelstück? Während die lebenskluge alte Frau für ihre 16-jährige Enkelin einen wundervollen Pullover in leuchtenden Farben strickt, entgeht ihr nichts von dem, was in dieser scheinbar ganz normalen Familie vorgeht.Jeder hütet hier ein Geheimnis. Nicht zuletzt Dolors selbst…
Autorin:
Blanca Busquets, 1961 in Barcelona geboren, arbeitet seit 1986 als Fernseh- und Radiojournalistin für Televisió de Catalunya und Catalunya Ràdio, wo sie diverse Kulturprogramme moderiert. Nach mehreren preisgekrönten Erzählungen und ihrem Romandebüt >Presó de Neu< (2003) hat sie mit >Die Woll-Lust der Maria Dolors< die Herzen aller Generationen bezaubert.
Quelle: Klappentext
Cover und Aufbau:
Cover:
Das Cover ist sehr schlicht, aber dennoch schön gestaltet. Mit seinem dunkelroten Hintergrund passt es in die Adventszeit, sodass man es - wenn man nur flüchtig darauf schaut - durchaus für ein Weihnachtsbuch halten könnte. In der Mitte befindet sich der Schriftzug des Titels, der sehr geschwungen und leicht verschnörkelt wirkt. Neben dem Titel ist der Schatten einer Katze aufgedruckt, unten in der Ecke steht ein Korb mit Wolle und Stricknadeln. Die Aufmachung passt also sehr gut zur Geschichte, und auch die auf den ersten Blick vielleicht unpassend wirkende Katze erhält im Laufe der Handlung ihre Bedeutung.
Aufbau:
Das Buch ist in 11 Kapitel, die circa 20 Seiten umfassen, aufgeteilt und in der dritten Person geschrieben. Dennoch ist alles die Gedanken- oder Gefühlswelt von Dolors, der 85-jährigen Protagonistin, alles wird über sie und ihre Wahrnehmungen berichtet. Die Ausnahme dazu stellt der Epilog da, in dem sieben kurze Ausschnitte aus den Gedanken verschiedener Personen in einer bestimmten Situation wiedergegeben werden.
Der Stil ist zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, denn es geht keineswegs nur darum, was Dolors im Leben ihrer Familie aufschnappt, sondern ihre ganze Lebensgeschichte wird eingearbeitet. Allerdings werden diese “Zeitsprünge” vorher nicht gekennzeichnet, nicht einmal ein Absatz wird gesetzt. In der einen Zeile befindet man sich in der Gegenwart - welche im Präsens geschrieben ist - in der nächsten dann in der nahen oder auch sehr fernen Vergangenheit. Auch sind diese “Reisen in die Vergangenheit” nicht chronologisch angeordnet. Was noch hinzukommt ist, dass nur die wörtliche Rede in der Gegenwart in Anführungszeichen gesetzt wurde, in der Vergangenheit ist dies nicht der Fall.
Die Titel der Kapitel sind allesamt an das Stricken des Pullovers angelehnt, beziehungsweise die verschiedenen Arbeitsschritte. Beispielsweise heißt ein Kapitel Die Hüfte, ein anderes wiederum Die Nähte. Daraus kann man schließen, wie weit die Arbeit am Pullover fortgeschritten ist. Diese Arbeit zieht sich übrigens durch das ganze Buch. Deshalb finde ich persönlich auch den Originaltitel besser als den deutschen - El jersei bedeutet nämlich “Der Pullover”.
Meine Meinung:
Trotz anfänglicher Probleme mit dem Schreibstil habe ich dieses Buch sehr gerne gelesen, oder vielleicht auch gerade deshalb. Ich mag komplexe Geschichten, in denen ich immer ein bisschen mitdenken muss, um mich nicht von der wechselnden Situation verwirren zu lassen. Irgendwann habe ich sogar Gefallen an diesen wechselnden Zeitformen gefunden, weil ich interessant fand, wie verschiedene Ereignisse in Dolors Erinnerung/Gedankenwelt verknüpft wurden und auch, wie es mit der Arbeit am Pullover zusammenhing. Durch diese Erzählweise setzen sich die Bruchstücke des Lebens der Protagonistin nach und nach zusammen, bis man schließlich ziemlich am Ende einen guten Überblick hat und verstehen kann, wie alles zusammenhängt und auch, dass manche Handlungen der Vergangenheit selbst noch dreißig Jahre danach ihre Auswirkungen haben. Überhaupt ist die Geschichte leicht philosophisch angehaucht - kein Wunder, immerhin hat Dolors dieses Fach (heimlich) studiert.
Dolors ist eine sehr aufgeschlossene Frau, die auch keine Probleme mit Homosexualität hat und für die damalige Zeit erstaunlich offen war. Allerdings ist sie alles andere als ein Tugendschaf, beispielsweise
ließ sie ihren eigenen Mann sterben und beging ohne Scham Ehebruch.
Sie hat ihre eigenen Vorstellungen, zu allem eine Meinung und ihr Verstand ist wirklich noch sehr wach. Dadurch, dass wir die Geschichte quasi durch ihre Gedanken erleben und es sich um ihr Leben dreht, ist alles sehr subjektiv, wir sehen die Dinge nur so, wie sie es sieht, und nehmen dadurch auch die einzelnen Charaktere durch ihre Augen wahr. Dadurch kann man sich sehr stark mit der Hauptperson identifizieren, und andere Blickwinkel auf die Personen bekommt man durch Monologe, die die Charaktere führen, wenn sie sich allein fühlen (“Oma bekommt ja nichts mehr mit”). Der Epilog bietet zudem Einblicke in die Gedankenwelt der im Buch auftretenden Figuren, was ein abrundender Schluss ist.
Was mir auch positiv aufgefallen ist: heikle Themen wie Homosexualität und Magersucht werden aufgegriffen, sind keine Tabuthemen und werden auch nicht schlecht geredet beziehungsweise verklärt. Es wird gezeigt, dass Magersucht sehr schlimm ist und dass man Hilfe braucht, außerdem, dass die Betroffenen oft blind dagegen sind.
Die Woll-Lust der Maria Dolors ist in meinen Augen ein wirklich schönes Buch, das ich in wenigen Stunden gelesen habe und welches mich sehr berührt hat. Vor allem im letzten Kapitel hatte ich Tränen in den Augen. Bei der Wertung schwankte ich erst zwischen 4,5 und 5 Sternen, aber letztendlich: