Feng Jicai: Leben! Leben! Leben!

  • Feng, Jicai
    Frankfurt /Main: Sauerländer, 1993. 99 Seiten.
    Sprache des Originals: Chinesisch.


    [Blockierte Grafik: http://www.amazon.de/gp/product/images/B003SWEV6Q/ref=dp_image_text_0?ie=UTF8&n=299956&s=books]


    Inhalt:
    Die Geschichte Hua Xiayus ist ein Mosaik, zusammengesetzt aus der Geschichte des Autors und den Erfahrungen vieler Freunde. Es ist das Schicksal einer von politischen Kampagnen und ihren Auswirkungen geplagten Generation in China. Der Maler Hua Xiayu erzählt seine erschütternde Geschichte mit asiatischer Gelassenheit. Ob er den willkürlichen Quälereien seiner Peiniger, die meinen Revolution machen zu müssen, ausgeliefert ist oder ob er gerade erfährt, dass seine Frau sich von ihm losgesagt hat - stets sieht er hinter all den Schatten das Licht schimmern. Er ist ein Mann, der auch in einer Zeit größter Unmenschlichkeit versucht, an den Menschen zu glauben. (Klappentext)


    Mitte der 60er Jahre wird Hua Xiayu, erfolgreicher Absolvent der Pekinger Kunsthochschule, überraschend in die Provinz Hebei nach Qianxi in eine Porzellanfabrik zur Arbeit versetzt. Seine schnell einsetzende Begeisterung über die herkömmliche uralte Tradition der Porzellanherstellung und Bemalung wird bald schon durch das Verhalten der Fabrikarbeiter getrübt. Man schneidet ihn als Konterrevolutionär und er ist einsam in der Kleinstadt. Nach einiger Zeit freundt er sich mit einem wilden Hund an und bald darauf verliebt er sich in Junjun. Sie heiraten und Junjun wird schwanger. Doch dann bricht mit der 1966 ausgerufenen Grossen Proletarischen Kulturrevolution das völlige Unheil über ihn herein. Auf Wandzeitungen wird er als Rechtsabweichler betitelt, schon bald angeklagt, mißhandelt und gebrochen. Auch Junjun sagt sich von ihm los und verliert den gemeinsamen Sohn. Einzig der grosse schwarze Hund hält zu ihm. Gebrochen wird er für 2 Jahre in ein Umerziehungslager, ein Arbeitslager und Steinbruch, gebracht. Doch das Leben hält noch manche Überraschung für ihn parat.


    Meinung:
    Eine einfache, schreckliche Geschichte über politische Verblendung, Gewalt und Verrat an und durch geliebte Menschen wird hier auf wenigen Seiten und in einfacher Sprache erzählt. Aber auch tiefe Zuneigung an die Schönheit der Natur und zur jahrhunderte überdauernden (Volks-) Kunst ist das Thema. Man leidet mit dem Erzähler, glaubt immer wieder, an diesen Schiksalsschläger muss ein Mensch zerbrechen, und doch entlässt er uns Leserinnen nach all den Qualen und Enttäuschungen mit weiser Güte und Hoffnung.


    Früher hatte ich mir immer gewünscht, daß meine Träume Wirklichkeit werden sollten. Heute nun wünschte ich mir zum ersten Mal, die Wirklichkeit möge zu einem Traum werden. (S. 49)


    Eine Novelle, kurz und in direkter Sprache als Erinnerungsfluß während eines zufälligen Zusammentreffens bei einer nächtlichen Bahnfahrt erzählt. An einer Stelle wird Turgenjew erwähnt, und tatsächlich ist der Aufbau und die Form ähnlich einer klassischen (russischen) Novelle. Die subjektive Erzählung wird nur am Anfang und Ende verlassen, wenn der Autor die Begegnung und den Abschied vom Erzähler schildert.


    Die Kulturrevolution (1966 - 1976) hat sich tief in das kollektive chinesische Gewissen eingebrannt und wird literarisch immer wieder verarbeitet, sicher auch deshalb, weil viele zeitgenössische Schriftsteller sie aktiv oder passiv miterlebt oder -erlitten haben. Überraschend finde ich, dass die Greuel der Kulturrevolution offenbar selbst in China veröffentlich werden, während jeder Hinweis auf das Tian´anmen-Massaker am 4. Juni 1989 zur Zensur führt. Ich führe das auf Deng Xiaopings Verurteilung der Kulturrevolution auf der 3. Plenarsitzung des 11. Parteitages im Dezember 1978 zurück, etwas ähnlichem wurde der Demokratiebewegung am Tian´anmen-Platz bisher nicht zuteil.


    Autor:
    FENG Jicai (Familienname ist Feng) wurde 1942 in Tianjin/China geboren. Nach wechselvollem Berufsleben wandte er sich der Malerei zu. Die bitteren Erfahrungen der Kulturrevolution brachten ihn zum Schreiben. Er ist unterdessen ein auch im Ausland sehr bekannter Literat, Kalligraph, Maler und Karikaturist, der sich stark der traditionellen Künste der 56 chinesischen Nationalitäten widmet. Er ist Direktor der Feng-Jicai-Akademie für Literatur und Kunst, Universität Tianjin und war mehrfach Mitglied im Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (PKKCV). Auf deutsch erschienen von ihm auch: Ach! Kurzroman (1985), Der wundersame Zopf. Erzählungen (1991), Drei Zoll goldener Lotus (1994), Die lange Dünne und ihr kleiner Mann (1994). Keines der Bücher ist im Handel noch erhältlich.


    Übersetzerin:
    Karin Hasselblatt, geboren 1963, studierte von 1982-89 Chinesisch und Japanisch an Universitäten in Berlin und Bonn. Dem schloss sich 1990 bis 1992 ein weiterführendes Studium in Peking, VR China, als Stipendiatin des DAAD an. Unter anderem übersetzte sie Werke der Autorinnen und Autoren Xiao Hong, Wang Anyi, Mo Yan und Wei Hui. Der von ihr übersetzte Titel Leben!Leben!Leben! von Feng Jicai wurde 1994 mit der "Blauen Brillenschlange" ausgezeichnet. Karin Hasselblatt lebt als freie Übersetzerin und Lektorin in Berlin.


    Verlag:
    Der Verlag Sauerländer wurde bereits 1807 in Aarau (Schweiz) gegründet. Heute ist er für sein Kinder- und Jugendbuchprogramm (im Rahmen der Patmos-Verlagsgruppe) und als Lehrbuchverlag bekannt.
    Leben! Leben! Leben! von Feng Jicai ist leider nicht mehr erhältlich.


    *** zai jian ***

    Es gibt keine grössere Einsamkeit als die des Samurai. Es sei denn die des Tigers im Dschungel

    Einmal editiert, zuletzt von thraka ()

  • Vielen Dank für die umfangreiche Rezi! Ich dachte zuerst es handelt sich um das kürzlich vorgestellte Buch mit dem Titel "Leben!".
    Ich habe riesige Probleme, mir asiatische Namen zu merken...
    Nun also "Leben!Leben!Leben!", das ist doch interessant! Ich werde es mir merken!

    "Wie wenig du gelesen hast, wie wenig du kennst - aber vom Zufall des Gelesenen hängt es ab, was du bist." Elias Canetti

  • @ cheriechen


    Ja, das kann ich verstehen, Leben! von Yu Hua ist der weit bekanntere Roman.
    Habe ihn selbst nicht gelesen, obwohl mir Hua´s Brüder eine der wundervollsten Lesestunden der letzten Jahre beschert hat.
    Aber die Verfilmung von Zhang Yimou (1994) gehört zu meinen so-oft-gesehenen-Lieblingen, dass ich fast Scheu vor dem Buch habe.
    Schwachsinn, wissen wir alle - Buch und Film haben meist nicht viel miteinander zu tun.
    Und trotzdem...


    Also mach ich auf diesem sehr netten Bücherforum mal "Werbung" für einen Film: LEBEN!
    http://www.ofdb.de/film/22387,Leben
    (möge man mich nicht dafür steinigen...)


    *** zai jian ***

    Es gibt keine grössere Einsamkeit als die des Samurai. Es sei denn die des Tigers im Dschungel

  • thraka
    Zum Steinigen musst du mehr bieten....!
    Danke!
    Wobei, wenn ich die Wahl habe: Immer zuerst das Buch...

    "Wie wenig du gelesen hast, wie wenig du kennst - aber vom Zufall des Gelesenen hängt es ab, was du bist." Elias Canetti