Sofi Oksanen - Fegefeuer/ Puhdistus

  • Original: Puhdistus (Finnisch, 2008 )


    ZUM INHALT:Als 1992 die Sowjetunion zusammenbricht feiert die estische Bevölkerung den Abzug der Russen und die Unabhängigkeit. Doch die alte, misstrauische Aliide Truu fürchtet Plünderungen und lebt zurückgezogen in ihrem Haus. Als sie ein Bündel in ihrem Garten findet, das sich als junge Frau entpuppt, schluckt sie ihre Skepsis und Menschenverachtung herunter und nimmt Zara in ihr Haus auf. Zara ist auf der Flucht vor ihren Zuhältern, die sie mit brutalster Gewalt zu Willfährigkeit gezwungen haben und ihr schon dicht auf den Fersen sind. Doch Zara sucht keineswegs so zufällig Unterschlupf bei Aliide, wie diese glaubt: Aliide könnte die Schwester ihrer Großmutter sein. Während Zara noch Beweise für die Verwandtschaft sucht und nach einer Möglichkeit, Estland zu verlassen, fühlt sich Aliide von der jungen Frau bedroht: Zu oft musste sie Leib und Seele, Hab und Gut vor Eindringlingen schützen. In Rückblenden entsteht das immer schärfer werdende Bild einer Familientragödie, die fast fünfzig Jahre zuvor, als Estland von den Russen besetzt wurde, ihren Höhepunkt fand. (Quelle: Kurzbeschreibung Amazon, deutsch und Klappentext der französischen Ausgabe)


    BEMERKUNGEN:Was hier und anderswo notgedrungen chronologisch erzählt wird, entfächert sich bei Oksanen meisterhaft und langsam durch Sprünge in die verschiedensten Zeitebenen, von den 30iger Jahren angefangen bis eben 1992, insofern umspannt der Roman an die sechs Jahrzehnte nicht nur familiärer und personeller Geschichte, sondern auch ihrer Einbettung in die „große Geschichte“. Meines Erachtens geht es hier also nicht nur um einen Frauenroman, sondern um eine Abrechnung mit verschiedensten Formen der Kollaboration, der Feigheit, des Leides, der Eifersucht. Und wie unausweichlich diese Ebenen menschlichen Handelns in diktatorialen Umständen auswuchern und Konsequenzen hat. Kein Wunder, wenn solch ein Buch dann nicht nur als gute Unterhaltungsliteratur aufgefasst wurde, sondern von Betroffenen (in Estland) auch als Möglichkeit, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.


    Das Hin- und Herspringen auf der Zeitleiste erfordert eine gewisse Leseanstrengung, doch dem Leser wird geholfen: jedes Kapitel wird überschrieben vom erzählten Jahr. Auch befindet sich im Anhang eine Chronologie zur Geschichte Estlands. In wohl jedem Kapitel erlesen wir uns eine Information, die das Bild auf die Geschichte der Hauptdarsteller verändert. Somit liest sich die Geschichte dieser beiden Frauen, Aliide und Zara, wie ein Kriminalroman. Man ist erschüttert über erlittene Gewalt, doch – was Aliide anbetrifft – auch von angetaner Gewalt aus Eifersucht.


    Ein fesselndes Buch, das hier vielen gefallen könnte!


    ZUR AUTORIN:Sofi Oksanen, geboren 1977, Tochter einer estnischen Mutter und eines finnischen Vaters, studierte Dramaturgie an der Theaterakademie von Helsinki. Ihr dritter Roman, "Fegefeuer", war monatelang Nummer eins der finnischen Bestsellerliste, verkaufte sich in Finnland so gut wie "Harry Potter" und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Finlandia-Preis sowie dem Literaturpreis des Nordischen Rates. Sofi Oksanen lebt in Helsinki.


    Gebundene Ausgabe: 395 Seiten
    Verlag: Kiepenheuer & Witsch; Auflage: 1., Auflage (19. August 2010)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3462042343
    ISBN-13: 978-3462042344
    Originaltitel: Puhdistus

  • Das hört sich interessant an - danke für die Rezension, tom fleo!
    Somit habe ich ein Buch mehr auf der WL.


    Ja, da dachte ich auch an Dich!


    Ich füge noch hinzu, dass einige Stellen im Buch doch hart an der Schmerzensgrenze liegen. Recht genaue Beschreibungen von Gewalt...

  • Tom fleo: Rate mal bei wem das Buch auch auf die WL gekommen ist. :wink: Auch von mir ein Dankeschön für deine Rezi!

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  • Ja, da dachte ich auch an Dich!


    Ich füge noch hinzu, dass einige Stellen im Buch doch hart an der Schmerzensgrenze liegen. Recht genaue Beschreibungen von Gewalt...


    Das Buch werde ich im Laufe der Woche bekommen - dass manche Stellen hart an der Schmerzgrenze liegen hat meine Bekannte, von der ich das Buch bekomme, auch erzählt.
    Ich werde dann ja bald zum Lesen dieses Buches kommen.


    Liebe Grüße

  • Ich kann mich der positiven Rezension von tom fleo nur anschließen.


    Mit "Fegefeuer" hat Sofi Oksanen einen beeindruckenden Roman über zwei Frauen geschrieben, die ich sicher länger in Erinnerung behalten werde.
    Aliide, eine alte Frau, lebt alleine auf ihrem Hof, als eines Tages ein junges Mädchen auftaucht. Zara ist auf der Flucht vor ihrem Zuhälter und sucht Zuflucht bei Aliide. Dies ist keineswegs ein Zufall, denn Aliide ist die Schwester ihrer Großmutter.
    In Rückblicken wird dem Leser Aliides und Zaras Geschichte erzählt, mehrere Zeitebenen tun sich auf.
    Die estnische Geschichte bildet dabei den Hintergrund; es ist für mich ebenfalls nicht nur ein Frauenroman, sondern es geht auch um Verrat, Kollaboration, Feigheit und Eifersucht.
    Dabei sind manche Szenen recht heftig, hart an der Schmerzgrenze - wie schon tom fleo schreibt.
    Die Männer kommen eigentlich nicht besonders gut weg in dem Roman. Pascha, Zaras Zuhälter, ist brutal; Martin Truu, Aliides Ehemann, stinkt nach Schweiß und Zwiebeln, um nur zwei zu nennen.


    Aufgeteilt ist der Roman in fünf Teile, wobei der fünfte Teil aus Dokumenten besteht, die eine weitere Sicht des Geschehens zulassen.
    Das Cover ist gut gewählt: Die Fliege spielt auch im Roman eine Rolle. Gleich am Anfang zum Beispiel versucht Aliide, eine Schmeißfliege zu erschlagen.
    Sicher wurde die Farbe lila für den Schutzumschlag bewusst gewählt.


  • Da bin ich froh, dass Dir das Buch auch gut gefallen hat! Prima!



    Das Cover ist gut gewählt: Die Fliege spielt auch im Roman eine Rolle. Gleich am Anfang zum Beispiel versucht Aliide, eine Schmeißfliege zu erschlagen.
    Sicher wurde die Farbe lila für den Schutzumschlag bewusst gewählt.



    Ich las den Roman auf Französisch, wo das Cover unpassend(er) war. Aber die Fliegenszene bleibt einem tatsächlich vor Augen, fast schon penibel lange! Dein Spoiler ist sehr interessant: das hatte ich nicht gesehen! Danke!

  • Meine Gedanken sind immer noch bei dem Roman:
    Bei der brutalen Kellerszene mit Aliide wird die Fliege ebenfalls erwähnt.


    Liebe Grüße

  • Gerade habe ich das Buch gelesen. Die Fliege, in der Tat ein zentraler Punkt im Buch.
    Die Handlung hat es in sich. So viel Gewalt, Brutalität, Übergriffe, Angst, Hass und Gemeinheit. Manchmal mußte ich es einige Minuten weglegen, um tief durchzuatmen. Zum Beispiel das "Erlebnis" von Linda, Zaras Mutter. Sie war damals sieben Jahre alt, kein Wunder warum sie auch als erwachsene Frau nie sehr gesprächig war, in sich gekehrt ja traumatisiert. Von den Männern läßt die Autorin keinen gut aussehen, eher abschreckend. Hans war das geborene Opfer, birgt eine tödliche Naivität in sich.
    Aber der Gipfel von allen ist Aliide. Ihre Angst durchaus im Blickwinkel, sie ist eine absolut durchtriebene Bestie.
    Ich fühlte mich in dem Buch hin und her gezogen zwischen Ekel bis zur Erstarrung und fesselnder Fasziniertheit. Man greift immer wieder hin, will wissen wie es weiter geht. Längen hat das Buch keine, und auch die Zeitsprünge, bei Autoren immer beliebter, fand ich nicht störend. Im Gegenteil sie halfen beim Luft holen.
    Ein beeindruckendes Buch zum Weiterempfehlen!


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Stephen Clarke, Eine kurze Geschichte der Zukunft

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Und wiedereinmal darf ich mich bei tomfleo für einen tollen Buchtipp bedanken! :huhu:


    Mit den ersten Kapiteln tat ich mir ein wenig schwer, der Stil war mir zu übertrieben, die bildhafte Sprache ein bisschen zu plakativ. Ich habe das Buch nun schon vor einiger Zeit in die Bücherei zurückgetragen, aber manche Vergleiche fand ich doch sehr abstrus. Aber entweder gibt sich dieser Stil im Laufe der Erzählung, oder man gewöhnt sich dran, oder aber wird man derart von der Geschichte gefesselt, dass man auf diese "Stilbefindlichkeiten" keine Rücksicht mehr nimmt! Denn dieses Buch hat es in sich! Durch die raffinierte, aus verschiedenen zeitlichen Perspektiven geschriebene Erzählweise, kommt nach und nach die Wahrheit zutage, einiges wird vorweggenommen, aber danach erst aufgelöst, ganz toll geschrieben!
    Leider fehlt in der deutschen Ausgabe die von tomfleo erwähnte angehängte Chronologie der Geschichte Estlands, sodass ich mich bei wikipedia schlau machen musste, was aber kein größeres Problem war.


    Ein sehr nachhaltig beeindruckendes Leseerlebnis, sehr zu empfehlen!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Ich habe mir letztes Jahr die Taschenbuchausgabe vorbestellt. Wie ich gerade sehe, müsste meine Bestellung in den nächsten Tagen ausgeliefert werden. :D

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  • Hier noch ein Link zu einer finnischen Ausgabe, "Puhdistus":


    http://www.amazon.com/Puhdistu…eywords=Puhdistus+oksanen


    Publisher: Werner Soderstrom Os (January 1, 2003)
    ISBN-10: 9510339733
    ISBN-13: 978-9510339732

  • Liebe Spezialistinnen, kann mir jemand helfen? Ich habe das Buch gestern ausgelesen und am Ende etwas, glaube ich, nicht verstanden. Ist jemand so nett und beantwortet mir eine Frage?







    Grüße von Zefira

  • Zefira:
    Es ist schon eine Weile her, dass ich das Buch las.
    Nach ein wenig Blättern im Buch nun ein Versuch, deine Frage zu beantworten:


  • Gerade in der TV-Zeitschrift gesehen - und eine Gelegenheit, den Thread mal wieder nach oben zu hieven:
    Heute abend um 22.10 Uhr zeigt arte die Verfilmung. Vielleicht hat ja jemand Interesse und Zeit.

  • Den Film hatte ich mir aufgenommen und gestern gesehen. Die Verfilmung des Romanes ist sehr gelungen, wenn auch oft schonungslos und mit manch heftiger Szene - aber eben durch das Thema bedingt.
    Tolle Bilder, gut gespielt - und sogar die Fliege wurde nicht vergessen. :wink:

  • Und ich habe es vergessen ](*,)


    Edit: Bei der mediathek von arte wurde ich hier fündig. Vielleicht wollte es ja noch jemand schauen und hatte es -wie ich- vergessen.


    Edit 2: Und für alle, denen es so geht wie mir und nicht gerne am PC einen Film guckt :pale: Ich habe gerade gesehen, dass arte den Film in der Nacht vom 25. bis 26. März um 01:00 Uhr wiederholt.

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  • Ich habe mir dann doch den Film im Schnelldurchgang angeschaut. Komplett anschauen werde ich ihn mir nicht mehr. Die Umsetzung war sehr gut gelungen. Die Schauspieler fand ich perfekt gewählt. Aber viele Szenen sind wirklich sehr, sehr heftig. :cry: Für jemanden der so sensibel wie ich darauf reagiert, absolut kein Film, dem man sich antun sollte. Es ist halt doch eine Sache darüber zu lesen (und eine innere Distanz dazu aufzubauen) oder es in Bildern umgesetzt zu sehen.

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  • :lol: im Schnelldurchgang und dazu einen Film mit Untertiteln. Aber ich kann verstehen, wenn man auf heftige Szenen sensibel reagiert und das Schauen dann lieber lässt. :friends:
    (In der Regel schaue ich bei blutigen Szenen weg, kann ich auch nicht so gut haben..)
    Es ist aber schön, dass arte den Film im Internet anbietet - danke für den link und den Wiederholungs-Tipp.