Karsten Kruschel - Vilm 2: Die Eingeborenen

  • Kurzbeschreibung: So hatten sich das die Retter an Bord der Armorica nicht vorgestellt: Statt sich evakuieren zu lassen, fordern die Schiffbrüchigen der Vilm van der Oosterbrijk, dass ihr Planet als unabhängige Welt anerkannt wird. Damit lösen sie eine diplomatische Krise aus, denn der wenig attraktive Regenplanet weckt unerklärbare Begehrlichkeiten: beim Flottenkommando auf Atibon Legba, der Goldenen Bruderschaft, den Päpsten von Vatikan, bei Versicherungskonzernen und Journalisten. Die Vilmer, deren ganzer Reichtum aus einer riesigen Schutthalde besteht, scheinen all dem hilflos ausgeliefert. Aber sie bringen ihre Widersacher immer wieder ins Grübeln, nicht zuletzt über die Frage, ob Vilmer überhaupt noch Menschen sind.


    Meine Meinung: In der Fortsetzung zu “Der Regenplanet” wird die Entdeckung der Gestrandeten auf Vilm nach Jahrzehnten beschrieben. Nach den anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten der Älteren, haben sie sich nun inzwischen an den Planeten gewöhnt und niemand möchte gerettet werden; keiner will die neue Heimat verlassen. Schon gar nicht die Vilmer/Eingesichter. Aus den Menschen auf Vilm ist etwas geworden, dass den Rettern unheimlich vorkommen muss, aber davon möchte ich nichts weiter verraten. Einfach selbst lesen! Die “Eingeborenen” fordern die Anerkennung ihres Planeten und streben die Unabhängigkeit an, was nicht wenige diplomatische und politische Verwicklungen mit sich bringt.


    Wie schon bei dem ersten Teil besteht das Buch aus kleinen Episoden oder Kurzgeschichten, die immer einen Bezug zueinander haben und aufeinander aufbauen. Die einzelnen Geschichten schließen sich entweder direkt an oder sie spielen Jahre später. Und es rücken dabei weniger Personen in den Vordergrund, als im Vorgängerband, was das ganze etwas persönlicher erscheinen lässt. Der Autor hat in diesen zwei Romanen ganz wundervolle Ideen umgesetzt. Zum Beispiel die Verbindung zwischen Mensch und Eingesicht oder die Fähigkeiten, die manche der Früchte auf Vilm in den Kindern freisetzen, auch die Goldene Bruderschaft, deren Mitglieder immer nackt in Erscheinung treten oder die Idee mit den Päpsten. Karsten Kruschel beschreibt die Handlungen der dualen Wesen sehr anschaulich und der Leser bekommt eine fremdartige und faszinierende Gedankenwelt präsentiert, in die man sich gut hineinversetzen kann.


    Die offenen Fragen des letzten Teiles, wie etwa das Rätsel um den Absturz der VILM VAN DER OOSTERBRIJK, wurden nur teilweise aufgeklärt. Die wahre Ursache des Absturzes hat mich dann doch ziemlich überrascht. Aber leider keine Erklärung zu den “Regendrachen”. Gibt es sie wirklich oder sind sie nur eine Legende auf Vilm? Und man weiß immer noch nicht was das “Epsilonische Raumschiff” ist. Fragen über Fragen… Leider gibt es keinen 3. Teil, denn ich fände es interessant zu erfahren, welche neuen Fähigkeiten die nächste Generation der Vilmer noch haben werden.


    Ich kann die beiden Romane “Der Regenplanet” und “Die Eingeborenen” guten Gewissens allen empfehlen, die Science-Fiction mögen, aber auch denen, die einen kleinen Abstecher in dieses Genre wagen wollen und nicht wissen, womit sie anfangen sollen.



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    "Ein Buch, das man liebt, darf man nicht leihen, sondern muss es besitzen."
    Friedrich Nietzsche


  • Die ersten Sätze
    Hatte das alles nicht mit She Tsi begonnen, dem kleinen
    stillen Chinesen?

    (Band 1. Der Regenplanet)
    Eine Runde von Kapitänen saß beisammen, an einem
    geräumigen Sechsertisch, von dessen Sitzplätzen einer sorgsam
    freigehalten wurde.

    (Band 2. Die Eingeborenen)


    Inhalt


    Nachdem das riesige Raumschiff aus unbekannten Gründen auf einen
    Planeten abgestürzt ist, auf dem es andauernd regnet, müssen sich die
    Überlebenden irgendwie arrangieren. Ihre Versuche, um Hilfe zu rufen,
    scheitern (zunächst scheint es so …)


    Aus den Resten des „Weltenkreuzers“, die wie ein Gebirge aus Schrott auf
    der Oberfläche liegen, holen sie alles irgendwie Verwertbare heraus …
    sie versuchen, sich an das miese Wetter zu gewöhnen, was nicht allen
    gelingt. Sie errichten Siedlungen und finden es irgendwann überflüssig,
    auf Rettung zu hoffen. Der Planet Vilm mit seiner eigenartigen Fauna und
    Flora wird allmählich zu ihrer Heimat … für die Kinder der Gestrandeten
    ist er es von Anfang an. Sie kennen nichts anderes und schließen
    Kontakt zu einer einheimischen Lebensform. Sie werden zu etwas, das
    nicht mehr ganz menschlich ist …


    Ein Weltraumlotse, der nicht mehr lange zu leben hat, entdeckt
    schließlich den jahrzehntealten Hilferuf. Als auf Vilm endlich
    Rettungstruppen eintreffen, will sich aber kaum jemand retten lassen …
    Die Vilmer müssen sich politisch gegen die Fremdbestimmung durchsetzen
    und tun es auf durchaus schlitzohrige Weise. Sie treten selbstbewußt als
    neues Volk in einem Kosmos voller seltsamer Völker auf, die alle mal
    Menschen waren, sich aber auf seltsame Art entwickelt haben. Die Vilmer
    empfangen Touristen und behandeln sie so, wie sie es verdienen … und am
    Ende begreifen sie, dass sie mit genau jenen Leuten Bündnisse
    geschlossen haben, die seinerzeit den Absturz verursachten. Politik,
    zähneknirschend ertragen.


    Fazit


    Die beiden Bücher bilden gemeinsam einen Roman, der aus
    selbstständigen Erzählungen bzw. Kapiteln zusammengesetzt ist. Keine
    Hauptpersonen, keine durchgehenden Handlungsstränge. Der Planet selbst
    ist der Protagonist der beiden Bücher … und all die Erzählungen sind auf
    vielfache Weise miteinander verbunden.


    Es macht Spaß, die Querverbindungen zu entdecken – wenn etwa ein ganz
    düsteres Kapitel, in dem Schiffbrüchige mit einem schrottreifen
    Fluggerät aufsteigen, um einen Hilferuf abzusetzen, später aufgegriffen
    wird, als der Lotse den Ruf wider Erwarten auffängt… und nochmals ganz
    am Ende, als das Wrack desselben Flugzeugs unter seltsamen Umständen
    aufgefunden wird.


    Die Nachricht, die ein Raumfahrer während des Absturzes praktisch im
    Moment seines Todes absetzt, langt am Ende des Romans doch noch an…
    Jahrzehnte verspätet.


    Die Figuren machen dramatische Entwicklungen durch: Aus der
    snobistischen Eliza wird eine tapfere Frau, als sie ihren Arm einbüßt,
    um die Überlebenden zu retten… später eine taffe Eingeborene.


    Der starrsinnige Knabe Will mausert sich zum Regierungschef. Und die
    Kinder auf Vilm entwickeln sich zu seltsamen, faszinierenden Wesen, die
    vertraut und doch fremd wirken.


    Insgesamt sind die beiden Bücher (unbedingt zusammen lesen) eine
    Fernsehserie ohne Bilder … die Dinge, die geschehen, haben im
    Hintergrund alle mehr oder weniger miteinander zu tun … die Bilder dazu
    macht sich LeserIn selbst …


    … so man es ertragen kann, auch mal eine ungewohnte, mosaik-ähnliche
    Erzählstruktur zu entschlüsseln, in der trockene Erklärungen absolute
    Mangelware sind. Stattdessen malt der Autor starke Bilder… Kopfkino
    halt.


    Gesamteindruck


    Spannende, originelle, intelligente Unterhaltung mit
    Tiefgang und Suchtpotential.


    (… die offen bleibenden Rätsel im Hintergrund sind ein geschickter
    Schachzug, denn LeserIn wie meinereiner denkt noch lange darüber nach,
    was es mit den Päpstinnen auf sich hat… mit der goldenen Bruderschaft,
    den Karnesen und dem epsilonischen Raumschiff… der Strahlung, die Leute
    versteinern läßt… und den Regendrachen.)


    … ausgezeichnet mit dem Deutschen Science Fiction Preis als bester
    Roman.