Der Inhalt:
Der 20. Mai ist der Tag, an dem sich alles ändern soll. Das hat die Wahrsagerin Mathilde zumindest versprochen, und Mathilde hofft, dass sich diese Voraussage erfüllen wird. Ob es etwas Schönes sein wird, das kommt, oder was diese ominöse Veränderung sein soll, ist unklar, aber aus Mathildes Sicht kann es einfach nur besser werden. Sie ist seit dem Tod ihres Mannes alleinerziehende Mutter von drei Söhnen, und eigentlich ist sie mit ihren Kindern und ihrem Job immer gut klargekommen. Es gab nie Probleme in der Firma – bis ihr Chef vor einiger Zeit angefangen hat, Mathilde zu mobben. Warum, das weiß sie nicht, aber die Situation wird immer unerträglicher. Mathilde werden Aufgaben entzogen, Kollegen meiden sie, der Chef verbreitet Lügen über sie. Was soll sie machen? Immer mehr gerät Mathilde in ein Netz aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit hinein, dem sie kaum noch entkommen kann.
Heute ist der 20. Mai. Von diesem Tag in Mathildes Leben erzählt der Roman, und er erzählt auch, was dem Arzt Thibault an diesem Tag widerfährt. Er hat zwar keine Wahrsagerin aufgesucht, aber er hat gerade erst mit seiner Freundin Schluss gemacht, und muss sich nun in seinem Alltag, der so fern von dem ist, was er sich für sein Leben gewünscht und vorgestellt hat, zurechtfinden.
Der Roman erzählt, was beiden unabhängig voneinander passiert, und wie sich ihre Wege an diesem Tag mehrfach zufällig kreuzen. Er erzählt von Menschen, die in ihrem Leben gefangen sind, einen Ausweg finden wollen und feststellen müssen, dass das schwieriger ist, als sie es sich zunächst ausmalen konnten.
Meine Meinung:
Delphine de Vigan hat mit ihrem Roman ein Buch geschaffen, über das man nach dem Lesen noch länger nachdenkt. Der personale Erzähler, der mal Mathilde, mal Thibault begleitet, gibt dem Leser sehr gute Einblicke in das Gefühlsleben der beiden Figuren. Besonders die Darstellung von Mathilde, die so verzweifelt und am Ende ist, hat mir sehr gut gefallen und mich nicht kalt gelassen. Man hofft mit ihr zusammen darauf, dass der 20. Mai ihr eine schöne Veränderung bringen wird, denn der Erzähler lässt die Leser tief in das eintauchen, was man in der Firma mit ihr macht – Mobbing, Ausgrenzung, gezieltes Fertigmachen. Wer nicht mitmacht, guckt weg. Und Mathilde versucht immer noch, sich über Wasser zu halten und für ihre Kinder stark zu sein. Delphine de Vigan erzählt ihre Geschichte ohne überdimensionierte Schockmomente, ohne Klischees, ohne konstruierte Lösungen, die am Ende jeden glücklich und zufrieden zurücklassen. Sie erzählt die Geschichte Mathildes so, dass sie wahr klingt, und deswegen umso schrecklicher. Dass die Frau am Ende ist, schlägt einem aus jeder Zeile entgegen.
Mit Thibault verfährt die Autorin ebenso, auch wenn es ihm insgesamt im Vergleich schon besser geht als Mathilde. Aber auch er hat Schicksalsschläge erlitten, mit denen er umzugehen lernt, so schwer es ihm auch fällt.
Was mir gut gefallen hat, ist, dass der Roman an einem Tag spielt und dass er viele Rückblicke in die Lebensläufe der Figuren enthält. Mein Kritikpunkt ist, dass Präsens und Präteritum nicht immer schlüssig gebraucht werden, Rückblicke sind manchmal im Präsens abgefasst, Gegenwärtiges im Präteritum, … das irritierte schon manches Mal beim Lesen. Insgesamt aber ein toller Roman, der auf eine beklemmende Art fesselt.