Zuerst einmal ein herzliches Dankeschön an den arsEdition Verlag für das Überlassen dieses wunderschönen Leseexemplars.
Jedes Buch, das ich bisher von diesem Verlag bekommen oder erworben habe, weist erfreulicherweise eine ungewöhnlich hochwertige Ausstattung auf. Die Bücher sind hervorragend gebunden und haben sehr ansprechende, gut zur jeweiligen Geschichte passende und sehr einladend wirkende Coverbilder. Teilweise ist eine Prägung aufgebracht, manchmal sogar in Gold ... oder es sind kräftige, fröhlich bunte Farben gewählt worden ... oder, wie bei diesem Buch, eine diffuse, etwas neblige Farbmischung, die die geheimnisvolle Geschichte, in die der Leser oder Vorleser hineingezogen wird, noch unterstreicht.
Da dies nicht immer so sorgfältig von Verlagen gemacht wird, möchte ich es für den arsEdition Verlag doch mal besonders lobend erwähnen. Die Bücher des Verlages liegen gut in der Hand, sind sehr stabil und tragen mit ihrer hervorragenden Ausstattung meiner Meinung nach der Tatsache Rechnung, dass geistigem Schaffen mit Respekt und Hochachtung begegnet werden sollte.
Die Buchreihe "Der mysteriöse Mr. Spines" von Jason Lethcoe, deren erster Teil "Wings" ich gerade geniessen durfte, erzählt die fantastische Geschichte des 14jährigen Edward Alistair Macleod, der nach dem Krebstod seiner Mutter in eine Art Berufsschule für besonders eklige, dreckige und schwierige Tätigkeiten gebracht. Die meist schwererziehbaren Jugendlichen lernen dort zum Beispiel, wie man verdreckte Abwasserrohre reinigt oder Müll per Hand sortiert. Edward, durch den Tod seiner Mutter sowieso schon verunsichert, ist nicht gerade das Abbild eines kräftigen, durchsetzungsfähigen Jungen. Mit seinen 14 Jahren ist er fast schlaksige 2 Meter groß, unglaublich dürr und in Streßsituationen stottert er ... zum großen Vergnügen der anderen Schüler, die ihm durch ihre ständigen Hänseleien das Leben auch nicht gerade erleichtern.
So ist Edward am liebsten alleine und baut unglaublich verzwickte und enorm stabile Kartenhäuser. Nur dann kommt sein hervorragender analytischer Verstand zur Ruhe und seine überragende Intelligenz wird dadurch sehr gefördert, was ihm im Verlaufe der Geschichte noch sehr gute Dienste leisten wird.
Denn Edward hat noch ein weiteres, wesentlich schwierigeres Problem: seit seinem 14. Geburtstag juckt es ihn aus zunächst unerklärlichen Gründen zunehmend und immer unerträglich werdend zwischen den Schulterblättern. Ihm selbst ist das eigentlich nur peinlich und unangenehm, doch andere Wesen, die Edward schon längere Zeit beobachten, warten gespannt darauf, dass sich die abzeichnende Metamorphose endlich vollzieht. Denn Edward ist der Sohn eines Wächter-Engels und das Jucken bedeutet, dass seine herrlich schwarzen Flügel endlich zum Vorschein kommen wollen.
Als sich Edward in der Schulbibliothek von einem wesentlich größeren Jungen der Berufsschule angegriffen und in die Enge gedrängt fühlt, wünscht er sich von ganzem Herzen, eines der mächtigen Bücherregale möchte seinen Angreifer unter sich begraben.
Das Unglaubliche geschieht: Das Regal kippt ohne Manipulation von außen tatsächlich um ... und zur Strafe werden Edward und sein Angreifer in den Keller gesperrt, wo sie von einem gewissen Mr. Whiplash Scruggs in die Mangel genommen werden sollen. Edward wird von diesem mit einer Schere bedroht, was fatale Wirkung auf seinen Juckreiz zeigt und seinen Angreifer züchtigt Scruggs mit Peitschenhieben auf die Hände.
Die Bedrohung durch Scruggs und Edwards ungewollte Zauberei in der Bibliothek scheint eine unmittelbare Wechselwirkung mit Edwards Morphose zu haben: die Flügel brechen durch.
Edward kommt jedoch kaum dazu, darüber in Ruhe nachdenken zu können, denn Scruggs hat weitere und schlimmere Züchtigungen angedroht und da ist zunächst einmal Flucht angesagt. Sehr konzentriert baut Edward mit Hilfe seiner Karten den Keller samt geeignetem Fluchteqipment nach und erarbeitet dabei einen funktionierenden Fluchtplan, der den Serienhelden MacGyver vor Neid erblassen lassen würde. In letzter Minute kommen dann Edward ein mysteriöser Mr. Spines, der auffällige Ähnlichkeit mit einem Stachelschwein aufweist und dessen Schüler Sariel, ein Hermelin und Artemus, eine geflügelte Kröte, zu Hilfe und er findet sich zu seinem großen Erstaunen in einem komfortablen Reisezug auf dem Weg nach Los Angeles wieder.
Allerdings weiß Edward nun gar nicht mehr, wem er vertrauen soll, zumal die klitzekleinen Bröckchen der Geschichte, die ihm Mr. Spines da zunächst auftischt, alles andere als normal und vertrauenerweckend erscheinen. Edward soll der Nachkomme eines der Wächter-Engel sein, die die Menschen vor dem bösen Einfluss des Schakals beschützen. Der Schakal selbst sei ein ehemaliger Engel, der einst aus den höchsten Sphären gefallen sei, dabei fast alle Brücken in die höheren Daseinsebenen, die nach dem Tod auf alle Lebewesen warten, zerstört habe und nun alles brutal bekämpfe, was gut und schön sei. Er habe viele Helfershelfer, die die Gefallenen genannt werden und Edward sei in großer Gefahr.
Das alles erscheint unserem Edward ziemlich verwirrend und beängstigend; er haut bei der nächsten Gelegenheit ab und versucht, sich auf eigene Faust durchzuschlagen.
Soweit zunächst der äußerst turbulente und spannende Beginn des Fantasy-Romans in dem noch eine ungewöhnliche Maschine eine Rolle spielt, die Edward direkt nach Woodbine, der ersten Ebene nach dem Tod aller Lebewesen bringt und auf die Suche nach seiner Mutter, von der er bisher auch überhaupt nicht wußte, welche außergewöhnliche Heldin sie ist/war, - man soll ja nicht zuviel vorab verraten - , den Jason Lethcoe nach eigener Aussage im Vorwort wie immer nach dem Motto geschrieben hat: "Was wäre, wenn...". Und das kann dieser Autor mit einer wirklich meisterlichen Bravour.
Diese Fantasy-Reihe werden Jung wie Alt förmlich verschlingen. Ich habe einen halben Tag gebraucht, weil ich einfach immer wissen wollte, wie es weitergeht. Genau wie Edward ist nie ganz klar, wer zu den Guten oder wer zu den Bösen gehört. Der Autor hat unglaublich viele frische Ideen, verwebt geschickt Mythologien, Legenden und sogar Glaubensrichtungen zu einem ungeheurem dichten Gewebe, welches einfach großen Spaß macht zu lesen.
Ich zumindest fühlte mich großartig unterhalten, zum Mitfiebern und Mitdenken aufgefordert - fand z.B. sehr angenehm, dass trotz gefährlicher Situationen keine unnütze Gewalt dargestellt wird und auch nicht moralisiert wird - und freue mich riesig auf die Fortsetzung der Reihe, zu der ganz zum Schluß des ersten Romans sogar - nach einem ausführlichen Glossar - eine kleine Leseprobe angehängt ist.
Sehr lesenwert!