Anita Shreve - Der einzige Kuss

  • Wie gestern bereits in "Ich lese gerade..." angekündigt, an dieser Stelle also eine Rezension zu "Der einzige Kuss" von Anita Shreve.


    Inhalt:


    Im ersten Teil (von drei) des Buches werden fünf Personen vorgestellt, deren Leben unterschiedlicher nicht sein könnte:


    1. Honora (20) und Sexton (24) Beecher, die, erfüllt von Freude über ihr bescheidenes Vermögen, nichtsahnend einen Monat vor dem Eintreten der Weltwirtschaftskrise 1929 (http://www.boersendschungel.de…ngel.de/htdocs/crash4.php) ein Haus an der Küste Neuenglands kaufen...


    2. Quillen McDermott (20), Fabrikarbeiter, der durch seine Arbeit an den lauten Maschinen bereits taub ist und seine Geschwister unterstützt


    3. Alphonse Evanthia (11), ein französischstämmiger Junge, der nach dem Tod seines Vaters die Schule verlasssen und in der Fabrik arbeiten muss, um gemeinsam mit seiner Mutter seine Geschwister zu versorgen.


    4. Vivian (Ende 20), dem Geldadel der Ostküstenstaaten entstammend, ist eine der wenigen, die vom Zusammenbruch der Börse nicht betroffen wird.


    Ca. zur Hälfte des Buches treffen diese Personen allmählich aufeinander und ihre Schicksale verweben sich vor dem Hintergrund eines gewerkschaftlich organisieren Streiks fest miteinander. Jeder trägt auf seine Weise zu der Organisation des Arbeiterkampfes bei.
    Neben diesem Hauptthema werden die Hauptpersonen mit ihren Stärken und Schwächen sehr liebevoll dargestellt.


    Aufbau:


    Das Buch ist in drei Teile aufgegliedert. Die einzelnen Kapitel sind immer der Sicht einer der oben angeführten Personen gewidmet und mit dem entsprechenden Namen überschrieben. Diese Kapitel sind zumeist nicht länger als 3-5 Seiten.


    Meine Meinung:


    Da ich bisher nichts von der Autorin kannte, ging ich ohne große Erwartungen an den Roman heran. Der Zugang fiel mir eher schwer, doch nach 30 Seiten steckte ich so tief in der Geschichte, dass ich das Buch ungern zur Seite legte und erst zufrieden war, als ich heute nacht um halb drei die letzte Seite gelesen hatte. Das Geschehen ist so intensiv, dass man wie unter Bann immer weiterliest.


    Obwohl die Geschichte in den 1920ern spielt, ist sie vor dem Hintergrund der heutigen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt höchst aktuell. Natürlich sind Gewerkschaften inzwischen etabliert, stecken aber in einer Identitätskrise, die es ihnen zwingend vorschreibt, sich neu zu erfinden und die Arbeitnehmer erneut anzusprechen!


    Dementsprechend hält sich während der Lektüre beständig ein klammes Gefühl in der Magengrube:
    werden die Verhältnisse wieder so menschenunwürdig und barbarisch wie sie es vor ca. 100 (150) Jahren bereits waren?!


    Für alle Menschen, die sich damals wie heute gegen die Ungerechtigkeit im Verhältnis von Arbeitern und Arbeitgebern engagieren, kann man gar nicht genug Bewundung zeigen! Den Mut, den sie aufbrachten, ist unglaublich! Dieses Buch erinnert uns daran, wie furchtbar die früheren Zustände waren!


    Zumindest beginnt man zu grübeln, ob das eigene Engagement ausreicht...


    Natürlich handelt es sich in dem Buch um amerikanische Geschichte, doch viele der erwähnten Hürden lässt sich sicher auch auf die deutsche Arbeiterbewegung übertragen. Bisher habe ich noch nie allzu viel darüber nachgedacht, aber nun werde ich dazu etwas recherchieren... :study:


    Die "geschichtlichen" Ereignissen werden dem Leser nicht belehrend aufgedrängt, sondern sind in eine sehr spannende und bewegende Geschichte eingebettet.


    Fazit:
    Ich kann das Buch nur weiterempfehlen!!!

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Hallo Fezzig


    Ich habe ja schon einige Bücher von Anita Shreve gelesen und ich kann nur sagen, bis jetzt hat mir alles von ihr gefallen.... :thumleft: auch deine Rezension zum vorgestellten Buch spricht mich an, dann werde ich mir mal den Titel notieren.... :o


    Grüsse von Bonprix :wink:

  • Hallo Fezzig
    Hallo @ll


    So.....nun komme ich endlich dazu euch meine abschliessende Meinung zum Buch >Der einzige Kuss< mitzuteilen.
    Aber bevor ich beginne, zuerst einmal ein grosses DANKE an Fezzig, die mir/uns mit diesem Buch wieder einen wundervollen Tipp gegeben hat. :thumleft:
    Für mich war es ein stilles, trauriges, aber auch ein tragisches Buch, dass vor dem Hintergrund des Börsenkrachs von 1929 und dem anschliessenden wirtschaftlichen Desaster spielt. Das Elend der Arbeiterfamilien, die Streiks in den Fabriken Neuenglands, dass alles wurde von Anita Shreve gut recherchiert, und sprachlich wie immer exellent erzählt.
    Die Sammelleidenschaft Honoras (sie sammelt angespültes "Meerglas") zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman, und bringt dadurch eine gewisse Leichtigkeit in die, wie ich schon sagte, bedrückende Geschichte, die mir beinahe so gut gefallen hat wie >Olympia<.
    Wobei ich der Meinung bin, dass (wieder einmal) der deutsche Buchtitel >Der einzige Kuss< schlecht gewählt wurde, denn hier geht es nur am Rande um eine Liebesgeschichte, da hätte der Originaltitel >Sea Glass< ("Meerglas") meiner Meinung nach schon viel besser gepasst.
    Rückblickend gesehen, ein schönes Buch, ein interessante Geschichte.....die Lust auf weitere Romane von Anita Shreve macht. =D>


    Gruss Bonprix :wink: