Jessica Grant - Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers / Come, Thou Tortoise

  • Rezension zu "Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers" von Jessica Grant



    Inhalt: (Amazon)


    Regel Nr. 1 für Schildkrötenbesitzer: Halte eine Schildkröte niemals für tot. Audrey Flowers vertritt diese optimistische Haltung nicht nur im
    Blick auf ihre Schildkröte Winnifred. Als Audreys Vater bei einem Unfall schwer verletzt wird, will die junge Frau nicht glauben, dass er
    tatsächlich sterben könnte. Doch schließlich muss sie nicht nur seinen Tod verarbeiten, sondern auch einige Geheimnisse aufdecken, die er ihr
    hinterlassen hat. Sie findet heraus, was Toff, den Mann aus Cambridge, mit ihrer Familie verbindet. Und warum Onkel Thoby seit ihrer Kindheit
    bei ihnen lebt. Außerdem lernt sie einen Experten für Weihnachtsbeleuchtungen kennen, der sich schon bald rührend um sie
    kümmert. Wie Audrey sieht auch er die Welt als zauberhaften Ort – und das ist sie tatsächlich: Schildkröten lesen Shakespeare. Piloten küssen ihre Copiloten. Und man könnte womöglich ewig leben, sofern man die üblichen Gefahren meidet: rasende Christbäume; fehlerhafte
    Lichterketten; Klippen, wenn man einsam ist, und Treppen, wenn man müde
    ist.



    Eigene Meinung:


    Zwar ist die erste Hälfte des Romans noch wirklich wundervoll und schön geschrieben, über die Geschichte streuen sich regelrecht kleine, kuriose Beobachtungen oder einfach intressante Gedankenbröckchen. Das Audrey etwas ganz besonderes ist, ist nicht zu übersehen, auch wächst sie dem Leser mit ihrer Neugier, mit ihrer Offenheit, beinahe schon ihrer Kindlichheit und ihrer Warmherzigkeit ans Herz.
    Man findet auch schnell in die Handlung hinein und "verliebt" sich regelrecht in die Hauptfigur.


    Die Geschichte ist aus zwei Perspektiven erzählt: zum einen aus der Perspektive Audreys, zum anderen aus der ihrer Schildkröte Winnifred. Intressanter fand ich aber die Perspektive Audreys- sie war mir einfach sympathischer, ich denke aber das es vor allem an Audreys Rückblicken in ihre Kindheit lag- die ausserdem zu meinen auserkorenen Lieblingsteilen im Buch gehörten.


    Im Prinzip wird die Geschichte jedoch ab etwas mehr als der Hälfte, vielleicht ca. nach zwei Dritteln des Buches immer schwächer. Audreys doch sehr "übereifriger" Tatendrang hat mich doch etwas irritiert, auch weil ihre Vermutungen doch teils ziemlich abwegig und "überkompliziert" auf mich wirkten.
    Auch die Frage, wer nun für die Verstrickungen die sich im Laufe des Buches verantwortlich ist, hat mich nicht wirklich intressiert, teilweise wirkte das Buch für mich beinahe wie ein erzwungener Kriminalroman.
    Die komplette Magie, dieKuriosität, die kleinen Gedankenperlen, die die ersten beiden Teile noch ausgezeichnet hat, habe ich zumindestens nicht mehr wahrgenommen.
    Dazu kommt auch noch, dass das Buch keine wirkliche Zeichensetzung besitzt, sondern nur mit Punkten arbeitet- das macht es schwierig, einen Lesefluss aufzubauen und in das Buch hineinzufinden, allerdings muss man dazu sagen das ich mich durchaus schnell daran gewöhnt habe und sogar finde, dass er in gewisser Weise zu Audrey und den anderen Figuren passt, aber er ist eben doch "anders" und durchaus anstrengender zu lesen, als man es gewohnt ist.




    Fazit: Im Prinzip ist dies ein Buch, worum es mir richtig Leid tut und ich das Gefühl habe, ihm mit dieser Rezension Unrecht getan zu haben. Wäre das Buch ohne die beschriebene "Kriminalhandlung" ausgekommen, sondern stattdessen mich so wie die ersten beiden Teile hätte begeistern können, hätte ich ohne jeglichen Zweifel 5 Sterne verteilt.
    So bin ich mir bei meiner Bewertung sehr unsicher. Auf der einen Seite sind die Charaktere so "anders", die Geschichte so aussergewöhnlich, dass sie auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit und Beliebtheit (bezüglich der Beliebtheit im Büchertreff/im Buchhandel, nicht der Geschichte an sich!) verdient hätte, auf der anderen Seite geht die Geschichte für mich nach etwas mehr als der Hälfte immer weiter abwärts und wird "langweilig".


    Ich denke, was die Empfehlung angeht, kann ich dazu nichts sagen: Man muss es wohl selbst ausprobieren. Denn ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das was ich als "langweilig" empfand, bei einem zweiten Lesen sich als durchaus spannend entpuppt oder das ich diesen Teil eher...merkwürdig, vielleicht sogar ungerecht bewerte.
    Ich schwanke hier genauso wie bei der Bewertung. Denn eigentlich hat die Geschichte mehr als drei Sterne verdient, zumindest hat sie deutlich mehr Potential.


    Trotzdem verbleibe ich bei :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: Sternen als Endergebnis und werde sie vielleicht ja beim nochmaligen Lesen ändern.

    Things need not have happened to be true. Tales and dreams are the shadow-truths that will endure when mere facts are dust and ashes, and forgot.

    Neil Gaiman


    :study: T.R.Richmond - What she left




    4 Mal editiert, zuletzt von Abnormal ()

  • Oh nein, hier lese ich ja nichts besonders Positives von diesem Buch. Habe es ganz oben auf meinem SUB liegen. Bin mal gespannt, wie es mir gefallen wird.

    "Neue Bücher rochen nach Druckerschwärze, nach Leim, nach Erwartungen. Alte Bücher dufteten nach Abenteuern, ihren eigenen und jenen, von denen sie erzählten. Und gute Bücher verströmten ein Aroma, in dem das alles steckte, und dazu noch ein Hauch von Magie."
    Kai Meyer


  • Conor: Kann ich ein bisschen verstehen, es ist irgendwo auch relativ anstrengend geschrieben. Aber eigentlich fand ich schon, dass es irgendwie auch passte...darf ich fragen, an welcher Stelle du abgebrochen hast?


    Engel: Doch, ich finde sogar das es ziemlich viele positive Züge hat. Alleine die aussergewöhnlichen Ideen machen das Buch schon sehr hervorstechend. Deshalb hab ich ja auch so geschwankt...ich sage ja nicht, dass das Buch grundlegend schlecht ist (im Gegenteil). Aber ab der zweiten Hälfte packt es mich einfach nicht mehr. Und ich könnte mir auch vorstellen, dass ich da ein Sonderfall war. Also, nicht verschrecken lassen. :wink:

    Things need not have happened to be true. Tales and dreams are the shadow-truths that will endure when mere facts are dust and ashes, and forgot.

    Neil Gaiman


    :study: T.R.Richmond - What she left




  • Abnormal: Okay, jetzt hast Du mich etwas beruhigen können :lol:
    Ich lasse mich einfach mal überraschen von dieser anscheinend mal etwas anderen und besonderen Geschichte :wink:

    "Neue Bücher rochen nach Druckerschwärze, nach Leim, nach Erwartungen. Alte Bücher dufteten nach Abenteuern, ihren eigenen und jenen, von denen sie erzählten. Und gute Bücher verströmten ein Aroma, in dem das alles steckte, und dazu noch ein Hauch von Magie."
    Kai Meyer


  • Abnormal:
    Ich habe etwa da abgebrochen, wo sie bei Onkel Thoby ist und sich dieser Toff ankündigt. Wenn ich mich recht entsinne, so ca auf S. 100/150? Bei der Seitenzahl bin ich mir jetzt nicht so sicher. :-?
    Vielleicht war es auch einfach der falsche Zeitpunkt. :wink:


    engel:
    Vielleicht gefällt es dir ja - Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. :)


    :winken:

    So many books so little time.

    (Zappa)

    Einmal editiert, zuletzt von Conor ()

  • Ich habe das Buch heute erst begonnen und kann sagen, dass ich (noch) nichts daran auszusetzen habe. Den Humor der Protagonistin finde ich durchaus lustig und musste gerade bei dem ganzen Flughafen-Dilemma öfters schmunzeln.
    Die Kapitel, die bisher aus Sicht der Schildkröte geschrieben waren, fand ich auch keineswegs schlechter als den Rest - aber wir werden sehen, wie's weitergeht. :)

  • Julie: Ach was, Oddley ist einfach göttlich. :thumright: Ich liebe die biographischen Rückblicke, da sind so viele kleine Gedankenperlen reingestreut... :love: Aber hey, es freut mich irgendwie, dass es dir so gut gefällt, ich habe das Gefühl das das Buch eigentlich viel mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung verdient hätte.

    Things need not have happened to be true. Tales and dreams are the shadow-truths that will endure when mere facts are dust and ashes, and forgot.

    Neil Gaiman


    :study: T.R.Richmond - What she left




  • Was für eine tolle Geschichte! Ja, ich kann verstehen, wenn sich jemand mit dieser Art zu schreiben schwer tut. Auch ich habe etwa vier Anläufe gebraucht, um die ersten 50 Seiten zu überwinden. Aber als ich mich erst einmal an die reduzierte Zeichensetzung gewöhnt hatte, fand ich Audrey und ihre phantasievoll-schrullige Gedankenwelt einfach nur noch bezaubernd!
    Sicher, nicht jeder kann verstehen, was in den Köpfen von Menschen wie "Oddly" (odd=seltsam), wie sie liebevoll genannt wird, vorgeht. Menschen, die die Welt auch im Erwachsenenleben zumindest teilweise noch durch die Augen eines Kindes betrachten. Menschen, die sich die Fähigkeit bewahrt haben, die Dinge tiefer zu hinterfragen - und denen dabei das ein oder andere entgeht, was für andere rationaler denkende Erwachsene offensichtlich ist...
    Da wo man als Leser schon sehr früh denkt : "Nanu, hier stimmt doch irgendwas nicht!", braucht unsere Protagonistin eine Weile, wahrscheinlich aber auch, weil man als Kind den Aussagen der Eltern gegenüber weniger misstrauisch ist, manches nicht in Frage stellt.
    Für mich ist die Entwicklung des Romans daher weniger eine Kriminalgeschichte als vielmehr ein Prozess des Heranreifens, des Erkennens, dass die eigenen Erinnerungen mit der Realität nicht völlig übereinstimmen. - Und diesen Teil der Handlung fand ich persönlich alles andere als langweilig...
    Eine Szene des Buches hat mir besonders gut gefallen: ohne zu viel zu verraten...Auf wunderbare Weise beschreibt die Autorin, wie Audrey ihre Flugangst verliert, auch im metaphorischen Sinne.
    Kurz und gut: Ich kann "Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers" nur wärmstens empfehlen. Für mich war es eines der Buchhighlights in diesem Jahr.

  • Audrey Flowers ist Mitte Zwanzig und lebt in den USA, als sie die Nachricht erhält, dass Ihr Vater nach einem Unfall schwer verletzt im Koma liegt. Eilig macht sie sich auf den Weg zu ihm nach Kanada und nimmt den Leser dabei mit auf eine Reise zurück in ihre Vergangenheit. Sie wird ihn jedoch nicht mehr lebend antreffen, und zieht erst mal wieder im Haus ihrer Kindheit ein.


    Viele Fragen türmen sich plötzlich vor ihr auf: Zum Beispiel, warum ihr Onkel Thoby bereits seit ihrer frühsten Kindheit bei ihr und ihrem Vater lebt, obwohl er eigentlich in England zuhause ist. Oder was genau es mit der scheinbar uralten Maus namens Wedge auf sich hat, die bereits seit annähernd zwanzig Jahren zur Familie gehört. Und wer ist Toff und welche Rolle spielt er im Leben der Familie Flowers?


    Audrey macht sich auf ihre ganz eigene Art auf die Suche nach der Lösung all dieser Fragen und bekommt dabei tatkräftige Unterstützung von Judd, einem wahren Fachmann für Weihnachtsbeleuchtungen.


    Audreys Art ist in der Tat sehr besonders und einzigartig, einfach deswegen, weil sie es auch ist. Nicht umsonst wird sie von ihren Freunden liebevoll Oddly (odd = sonderbar, wundersam, versponnen) genannt. Zwar ist sie mit wenig Intelligenz und einem niedrigen IQ gesegnet, macht diesen Mangel jedoch durch ihre liebenswerte und drollige Art des Seins und Denkens wieder wett. Man muss sie mit ihrer kindlichen Naivität einfach gerne haben und beim Lesen schleicht sich einem öfter mal ein Grinsen ins Gesicht, aufgrund ihres etwas skurrilen Humors und ihrer Vorliebe für Wortspiele jeglicher Art.


    Den Einstieg in die Geschichte macht einem Jessica Grant nicht ganz leicht. Dazu ist ihre auffällige Interpunktion einfach viel zu ungewöhnlich, als dass von Begin an ein störungsfreier Lesefluss möglich wäre. Sie verzichtet am Ende von Fragen auf Fragezeichen und wörtliche Rede (und davon gibt es eine Menge) wird nicht als solche gekennzeichnet. Der komplette Text ist durchgängig geschrieben und sorgt damit definitiv für eine gewisse Verwirrung. Erstaunlicherweise hatte ich mich daran jedoch recht schnell gewöhnt, so dass ich beim Lesen nicht mehr aus dem Konzept gebracht wurde.


    Es gibt zwei Erzählperspektiven: Einmal die aus Sicht von Audrey und dann, immer im Wechsel, von ihrer alten und weisen Schildkröte Winnifred. Gerade diese Einlagen verleihen der Geschichte nochmal einen besonderen humoristischen Hauch.

    Am Ende der Story, die geprägt ist durch viele Skurrilitäten und humoristische Situationskomik, löst Audrey in der Tat das lang gehütete Familiengeheimnis und obwohl der Leser währenddessen mit dabei ist, erschließt es sich ihm nicht wirklich und es bleibt seiner eigenen Interpretation überlassen, was damit nun gemeint sein könnte.


    Mein Fazit: "Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers" ist ein netter Roman für Leser, die Protagonisten mögen, die einfach "anders" als der Normalbürger sind. Audrey Flowers erinnert mit ihrer Art und Weise sehr deutlich an Forrest Gump und ich meine, wem seinerzeit seine Geschichte gefallen hat (sei es im Film, oder als Roman), der sollte unbedingt auch mal zu Audrey Flowers greifen.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    Liebe Grüße von der Federfinderin :dwarf:


    Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine zutiefst kranke Gesellschaft zu sein. ~Jiddu Krishnamurti ~

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Jessica Grant: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers“ zu „Jessica Grant - Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers / Come, Thou Tortoise“ geändert.