Renate Welsh - Dieda oder Das fremde Kind

  • Klappentext:
    Für den »Alten« ist sie nur »Dieda« - und ab sofort hört Ursel auch nur noch auf diesen Namen. Seine Tochter ist für sie »die Frau« - Vaters neue Frau, nachdem Ursels Mutter jung gestorben ist. Die Fünfjährige versteht die Welt nicht mehr, nicht den Vater, der als Arzt in Wien lebt, nicht die neue Familie, in der sie die kleine Außenseiterin ist und mit der sie dennoch allein im Ferienhaus in den Bergen leben muß, weil Krieg herrscht in der Stadt. »Zucht und Ordnung« sollen ihr hier beigebracht werden, von Liebe ist nicht die Rede. Ihr neuer Großvater behauptet sogar, sie sei gefährlich, und manchmal glaubt sie fast selbst daran, eine Hexe zu sein ...


    Zur Autorin:
    Renate Welsh, geboren 1937 in Wien, studierte Englisch, Spanisch und Staatswissenschaften und schreibt seit 1970 sowohl Kinder- und Jugendbücher als auch Bücher für Erwachsene. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Sie lebt in Wien.


    "Dieda" ist eine autobiographische Erzählung über einige Jahre in Renate Welshs Kinderzeit, geschrieben in der personalen Erzählperspektive in der 3. Person.
    191 Seiten ohne Kapiteleinteilung.


    Ihre Mutter ist vor einiger Zeit gestorben, der Vater hat ein zweites Mal geheiratet; sie soll sie "Mutti" nennen, doch sie bleibt "die Frau". Gegen Ende des 2. Weltkriegs schickt der Vater, ein in Wien praktizierender Arzt, seine Familie aufs Land, wo sie gemeinsam mit dem Stief-Großvater und Stieftanten mit ihren Familien in einem Haus lebt. Einerseits genießt Dieda das Leben auf dem Land zusammen mit ihren Cousins Harald und Tommy, andererseits wird sie vor allem vom Großvater schikaniert, Briefe des Vaters werden ihr vorenthalten. Dass sie die Außenseiterin ist und eigentlich nicht zur Familie gehört, lässt man sie ständig spüren.
    Dieda und die anderen Kinder verstehen nicht, was um sie herum vor sich geht, doch getreu den Erziehungsregeln der damaligen Zeit werden die Kinder außen vor gelassen. Ob es sich um eine Schwangerschaft handelt, den Krieg und seine Folgen, um die Sorgen und Ängste der Erwachsenen - nichts für Kinderohren.
    Doch auch nach dem Ende des Krieges, als Dieda zu ihrem Vater nach Wien zurückkehrt, ist alles anders geworden.


    So ist das Buch mehr als nur die traurige Erinnerung an ein persönliches Kinderschicksal. Es stellt Familienbeziehungen, den Umgang mit Kindern und ihre Erziehung in dieser Zeit insgesamt auf den Prüfstand. "Kinderwille ist Kälberdreck", hieß es noch bis in die 1970er Jahre.
    Das Buch gilt als Kinder-, bzw. Jugendbuch, und seine einfache Sprache und die lebhaften Schilderungen der Alltagssituationen sprechen auch dafür. Allerdings sind einige Kenntnisse über die Zeit des 2. Weltkriegs zum Verständnis des Buches unbedingt Voraussetzung.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Danke Marie für deine interessante Rezension. Das Buch stand schon seit letztem Jahr auf meiner Wunschliste, endlich bin ich dazu gekommen, es auch zu lesen. Ich bin zwar noch nicht ganz fertig, aber es gefällt mich ganz gut. Ich werde es sicherlich heute noch beenden, dann schreibe ich ausführlicher :)

    2024: Bücher: 73/Seiten: 32 187

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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  • Marie hat schon in ihrer Rezension das Buch sehr gut vorgestellt.


    Mir hat es auch gut gefallen. Bislang kannte ich die Autorin nicht, um so schöner fand ich es, sie entdeckt zu haben.


    Es hat mir imponiert, dass die Autorin es geschafft hat, eine recht traurige Geschichte, eher sachlich, ohne Mitleid erregen zu wollen, zu erzählen. Und dennoch konnte ich mich sehr gut in die Lage des Mädchens versetzen und ihre Gefühls- und Gedankenwelt nachvollziehen. Ich konnte es förmlich spüren, wie sich diese lieblose Umgebung für Dieda anfühlen musste.
    Keine schöne Zeit für das Kind.

    Es gab nach meine Meinung, nur eine einzige Stelle in ganzem Buch, wo das Kind Liebe und Geborgenheit erfährt.
    S. 178. Dieda besuchte ihren Opa und Oma, und der Opa fragte sie liebevoll vor dem Schlafen gehen, ob er ihr ein Märchen erzählen solle.


    Mir hat auch der feiner Humor der Autorin gefallen.
    Und schön fand ich auch, dass die manche Personen im Roman namenlos geblieben sind - es passte einfach zu gut, dass "Die Frau" - "die Frau" geblieben ist und "Der Alter" - einfach "der Alter".

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    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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  • Geschichten, die eine schwierige Kindheit thematisieren, gibt es viele und doch ist diese besonders. Renate Welsh erzählt in dem sehr persönlichen Buch von ihren eigenen Kindheitserlebnissen, von Heimweh und der ungestillten Sehnsucht eines Kindes nach Menschen, die es lieben, vom Leben einer Außenseiterin. Das ist besonders bedrückend, wenn man bedenkt, das Mädchen war zu Beginn der Handlung erst fünf Jahre alt. So berichtet sie von einer Familie in der das Wort das Großvaters galt, Widerspruch wurde nicht geduldet, dafür gab es drakonische Strafen. So hatten alle Angst vor dem alten Mann, der den Führer verherrlichte und auf die „deutschen Werte“ pochte. Kinder hatten nichts zu sagen, sondern zu gehorchen. Schnell wurde er für mich dadurch zum Unsympath und ich musste mir ständig die Zeit und ihre Umstände ins Gedächtnis rufen, um die sich vor ihm duckenden Frauen zu verstehen. Die Schikanen, die die Kleine erdulden musste, reichten von Liebes- und Essensentzug hin zur Züchtigung. Briefe des geliebten Vaters wurden vorenthalten, der Kontakt zu den Großeltern unterbunden. Immer wieder wurde das Augenmerk auf das damalige Alltagsgeschehen gelenkt und Episoden daraus anschaulich für den Leser dargestellt. Renate Welsh bedient sich dabei einer sehr klaren, aber doch einfühlsamen Sprache mit der sie die Geschichte aus der Sicht der 5jährigen mit all ihrer kindlichen Naivität erzählt, die den Roman, trotz der geschilderten Bösartigkeiten dem Kind gegenüber, so liebenswert macht. Dieser Roman ist ein Jugendbuch, aber auch die Junggebliebenen finden darin eine gut lesbare und interessante Lektüre.


    Ich erliege ja zur Zeit immer öfter dem Charme der Schreibweise österreichischer Schriftsteller, zu der Köhlmeier-Geiger-Haslinger-Riege gesellt sich jetzt noch Renate Welsh. Alle können sie sehr gut die Gefühle und Denkweisen ihrer Charaktere vermitteln und sich in die sie für den Leser mit Leben erfüllen. Deshalb freut es mich umso mehr wieder eine neue Autorin für mich entdeckt zu haben.