Adolfo Bioy Casares - Schlaf in der Sonne/Dormir al sol

  • Lucio Bordenave, während eines Streiks entlassener Bankangestellter und jetzt Uhrmacher, lebt, trotz der Launenhaftigkeit seiner schönen Frau Diana, in einer zufriedenstellenden Ehe. Als Dianas Labilität jedoch zunimmt und auf Rat anderer, bringt er sie in eine psychiatrische Klinik, von wo sie physisch unverändert, aber innerlich gewandelt zurückkehrt. Zunächst genießt Bordenave den Umgang mit der plötzlich so zärtlichen und rücksichtsvollen Diana. Aber der innere Veränderung, lässt ihn zweifeln, misstrauisch werden und schließlich sich auch überfordert fühlen. Er kehrt in die Klinik zurück, um herauszufinden, was denn passierte. Mit dem Resultat, dass er eingesperrt wird und der Behandlung unterzogen wird, die auch seine Frau erlitt. Das Geheimnis der Verwandlung in der Klinik: die Seele von unruhigen Menschen, so wie Lucio jähzornig ist, wird aus den Menschen hinausgekommen und in Hunde transplantiert. Den alten Körper bekommen Sterbenskranke...


    ...gerade die dadurch zum Ausdruck kommende Skepsis gegenüber den Ärzten und die mangelnde Transparenz des Psychatriewesens, machen das Ganze so beängstigend. Die unglaubliche Macht und Autorität, lässt auch allen Widerstands- und Kampfeswillen erlahmen, nicht pointiert, nicht gezielt genug sein. Der Feind, der Arzt, gibt sich nicht angreifbar, zeigt sich vielmehr in seiner Weisheit, in seiner Sicherheit deutlich überlegen. So wird dann, ja nicht nur im Buch, eingewiesen, operiert. Die Deutungshoheit über krank und gesund, und wenn krank heißt, dass man jähzornig ist, liegt bei den Ärzten. Der Wille sich mit dem Leiden, dem Leben, vollkommen zu arrangieren - wie Lucio (Lucho genannt, wohl auch von la lucha, dem Kampf), als er sich für seine ganze Frau, außen, wie Innen, entscheidet. Da sind dann die belächelten Horrorgeschichten von den Medizinern, die Menschen und Tiere entführen, um an ihnen Experimente durchzuführen, viel zu nahe an der Realität.
    Casares schreibt nicht ohne hintergründigen Humor - wenn er die offensichtlichste Änderung darin bestehen lässt, dass die neue Diana nicht mehr kochen kann, die Verlust der Launen bedeutet auch den Verlust der Lust. Das Verstörende des Romans, wird versteckt hinter scheinbaren Belanglosigkeiten. Das verstörendste ist, die Verfremdung, die Veränderung von Menschen. Da ist das Irrenhaus wohl nur ein Symbol dafür, wie das am schnellsten geht - wie Menschen gewissermaßen am schnellsten gebrochen werden können, wie sie hündisch gemacht werden können. Und dass man z.B. politisch mißliebige Menschen, auch schon mal zwangspsychatrisiert hat, ist ja auch nichts Neues. Und die Hilflosigkeit gegenüber Autoritäten, gerade bei Schichtunterschieden, ist auch hier stark thematisiert. Man wünscht sich beim Lesen, dass er sich wehrt, dass er kämpft, dass er stärker ist gegen die Anderen... doch er ist es nicht. Und wenn er ansetzt es zu sein, dass wird er mit einer Betäubungsspritze niedergestreckt.

    Warum ich Welt und Menschheit nicht verfluche?
    - Weil ich den Menschen spüre, den ich suche.

    - Erich Mühsam

  • Eine sehr ansprechende Rezension, musikzimmer! Danke.
    Bin zwar teilweise skeptisch, ob es mein Geschmack trifft, diene Rezi macht mich aber doch sehr neugierig.
    Das Buch kommt auf jeden Fall auf meine Wunschliste.

    2024: Bücher: 97/Seiten: 42 622

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

    --------------------------------------------------

    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
    ------------------------------

    "Das Nicht-Wahrnehmen von Etwas beweist nicht dessen Nicht-Existenz "

    Dalai Lama

    ------------------------------

    Lese gerade:

    Töpfner, Astrid - Bis wir unsere Stimme finden

  • Original : Dormir al sol (Spanisch/Argentinien, 1973)
    Übersetzung ins Deutsche : Joachim A. Frank, 1976


    INHALT :
    Lucio Bordenave, seines Zeichens Uhrmacher, lebt in einer glücklichen Ehe, die die Launenhaftigkeit seiner schönen Frau Diana bisher nicht gefährden konnte. Als Dianas Labilität jedoch zunimmt, landet sie in einer psychiatrischen Klinik, von wo sie physisch unverändert, aber innerlich gewandelt zurückkehrt. Zunächst genießt Bordenave den Umgang mit der plötzlich so Zärtlichen, Rücksichtsvollen, muß jedoch bald einsehen, daß er die veränderte Ehefrau nicht mehr liebt. Was hat er an seiner Frau geliebt? Wen hat er geliebt? lautet bald darauf die schärfere, die Identitätsfrage. (Quelle : Kurzbeschreibung bei amazon.de)



    BEMERKUNGEN :
    Nach dem einladenden Kommentar von Musikzimmer konnte das Buch ja nur auf meiner Wuli und dann auf meinem Sub landen. Da war es dann viel zu lange und ich konnte es jetzt erst mit viel Genuß und Aufmerksamkeit lesen und entdeckte einen für mich neuen, sehr interessanten Autor. Ich füge der obigen Rezi noch einige Informationen, was ich noch zu entdecken glaubte und meine persönliche Meinung hinzu.


    Der erste Teil besteht aus 67 kurzen Kapiteln : einem Bericht, einem Brief des Lucio Bordenave an jemanden, der erst (mir?) sehr kurz vor dem Schluß namentlich erscheint. Aber es handelt sich um einen gar nicht so ganz nahestehenden Bekannten von früher, den er in einer Sache um Hilfe bitten will. Das nimmt immerhin gute 220 Seiten in Anspruch. Der abschliessende zweite Teil von gerade mal vier Seiten besteht sozusagen aus dessen Reaktion und Eindrücken.


    Ich setze in einigen Dingen leicht andere Akzente, habe eine andere Lesart : So ist für mich jener Lucio Bordenave kaum jemals wirklicher Initiator der Dinge. Es sind die anderen, in deren Treiben er mehr oder weniger fügsam einwilligt, selbst wenn er mal was rumfuchteln sollte und eine Empörung angebracht scheint. Es bleibt meist bei ersten Protesten oder Ideen, die schnell erstickt werden. Letztlich wird er gelebt – um es mal so auszudrücken. Im Übrigen bezeichnet er sich selbst mal als « Hanswurst », was gar nicht so ganz übertrieben ist. So schlittert er selbst in seine eigene Zustimmung (angesichts zB der Internierung seiner Frau Diana) und « beteiligt sich an der Niedertracht ».


    Ich meine, dass man mehrere Verstehensebenen in diesem reichen Roman ausmachen kann. Zunächst mal kann man die Folgen von Dianas Internierung, ihre Heilung und Veränderung, ihre Heimkehr nach Hause auf einer existenziellen, persönlichen Ebene betrachten : Was den Menschen denn nun wirklich ausmacht. Worin liegt denn nun seine Identität ? Lucio spricht manchmal vom wiedergefunden, geliebten Körper, doch die plötzlich so willige Frau, ohne ihre alte Launenhaftigkeit : ist das wirklich die selbe ? Wen (oder was?) liebe ich, wenn ich liebe ?


    Auf einer institutionskritischen Ebene kann man von der Psychiatrischen Anstalt sprechen : Hier spricht Musikzimmer zurecht von mangelnder Transparenz des Psychatriewesens, der Autoritätsgläubigkeit, der Gefahr von Persönlichkeitsveränderungen etc ...


    Meines Erachtens gibt es aber noch eine andere, verborgenere Ebene, in der die psychiatrische Umerziehung nicht nur als Mittel (=Instrument) oder Gefahr in sich dargestellt wird, sondern quasi als Symbol, Gleichnis der Einflußstrategien auf politischer Ebene (leider fand ich dazu nirgendwo anders einen Hinweis, doch mir selber erscheint es offensichtlich). Casares durchlebte selber folgefrei die von Diktaturen geprägte Periode nach dem Putsch gegen Peron im Jahre 1955, fand sich aber in Diktaturen wieder. Siehe :
    Argentinien verzeichnete in der Folgezeit wirtschaftliche Höhen und Tiefen im Wechsel. Bis 1983 gab es eine Epoche der Instabilität, in der abwechselnd zivile und Militär-Regierungen das Land in der Hand hatten. Die demokratisch gewählten Regierungen Frondizis (1958–1962) und Illias (1963–1966) wurden von den antiperonistischen Militärs vorzeitig aus dem Amt geputscht. Von 1966 bis 1973 gab es unter Onganía und seinen Nachfolgern eine längere rechtskonservative Militärdiktatur, die jedoch nach Protesten der Bevölkerung 1973 schließlich aufgegeben wurde. Das Land fand kurzzeitig zur Demokratie zurück, der nach wie vor populäre Perón durfte wieder einreisen und konnte bald erneut die Macht erlangen.
    (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/A…lit.C3.A4t_und_Diktaturen )
    Es ist meines Erachtens ziemlich naheliegend und auch im Text spürbar, dass hier eben noch andere Dimensionen angesprochen werden. Die Weise, in erster Linie hier von einem Irrenhaus zu sprechen mag ein Schutz für den Autor gewesen sein.


    In dem Zusammenhang – siehe auch oben meine Äußerungen zur Persönlichkeit des « Helden » - sind seine Fügsamkeit, der Verlust gewisser Widerstandskräfte, das Mitgezogenwerden etc. teils notwendige Voraussetzungen und Folgen diktatorischer Systeme. Fragen, die gerade auch im Südamerika der 70iger Jahre (das Buch wurde 1973 geschrieben!) immer noch aktuell waren.


    Ein weiteres (von noch anderen) Nebenthema könnte auch sein, wie der träumende Lucio oft klarer sieht als der wache... Verdrängte Realität ? Die Klarsicht des Schlafenden ?


    So ergibt sich für mich ein sehr vielschichtiges Lesen dieses Buches, das mich sehr überzeugt und beeindruckt hat ! Klare Empfehlung !


    AUTOR :
    Adolfo Bioy Casares wurde am 15. September 1914 in Buenos Aires (Argentinien) geboren und entstammte einer vermögenden Familie, die auf den erfolgreichen irischen Auswanderer Patrick Lynch zurückging und zu deren Mitgliedern auch ein chilenischer Marineadmiral, der argentinische Schriftsteller Benito Lynch und der Revolutionär Che Guevara gehörten. Bereits mit elf Jahren schrieb er seine erste Geschichte, « Iris und Margarita ». Er sprach früh neben Spanisch auch Französisch, Englisch und Deutsch; die Studien an der Universität – Jura, Philosophie und Literatur – langweilten ihn, und er erwarb keinen Abschluss.

    1932 lernte er im Haus der Essayistin und Literaturkritikerin Victoria Ocampo Jorge Luis Borges kennen und zwei Jahre darauf seine spätere Frau Silvina Ocampo, die ihn gemeinsam mit Borges überzeugte, sein Studium der Rechtswissenschaften und der Philosophie aufzugeben und sich ganz der Literatur zu widmen. 1940 veröffentlichte er La invención de Morel (dt. Morels Erfindung, Neuübersetzung von 2003), sein wohl bekanntester Roman und inzwischen ein Klassiker der phantastischen Literatur. 1954 veröffentlichte er « El sueño de los héroes « (dt. Der Traum der Helden), einen seiner durch Thematik, Sprach- und Lokalkolorit »argentinischen« Romane. Unter den gemeinsamen Pseudonymen H. Bustos Domecq und B. Suárez Lynch verfaßte er mit Borges zusammen zahlreiche Erzählungen, unter anderem die Kriminalgeschichten « Seis problemas para don Isidro Parodi » (dt. Sechs Aufgaben für Don Isidro Parodi).


    Das Ehepaar selbst blieb kinderlos, adoptierte aber 1954 Marta, die dem Autor von einer anderen Frau geboren worden war. Marta starb 1994 bei einem Autounfall, kurz nachdem ihre Adoptivmutter gestorben war. Diesen doppelten Schicksalsschlag überlebte Bioy Casares nur um wenige Jahre; das Erbe der Eheleute wurde später von einem Gericht einem weiteren unehelichen Kind – Fabián Bioy – zugesprochen, als dieser selbst bereits im Alter von 40 Jahren gestorben war.


    Im Unterschied zu anderen argentinischen Schriftstellern sah sich Casares in den Jahren der Militärdiktatur nicht gezwungen, sein Land zu verlassen. Unter seinen Preisen und Auszeichnungen sind der Große Ehrenpreis der SADE (Argentinische Schriftstellervereinigung) 1975, die französische Ehrenlegion 1981, der Titel Berühmter Bürger von Buenos Aires 1986 und der Cervantespreis 1990, den bedeutendsten Literaturpreis der spanischsprachigen Welt (überreicht 1991 in Alcalá de Henares). Casares starb 1999 in Buenos Aires und ist ebenda auf dem Friedhof La Recoleta begraben.
    (Quelle : amazon.de ; wikipedia.de)



    Taschenbuch: 224 Seiten
    Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 1 (21. Mai 2001)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3518397435
    ISBN-13: 978-3518397435