Perihan Magden - Zwei Mädchen. Istanbul Story

  • Behiye und Handan. Zwei Mädchen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ihre einzige Gemeinsamkeit: sie leben beide in Istanbul.

    Als Behiye Handan kennenlernt, ist sie sofort beeindruckt von deren Schönheit, Unverdorbenheit und Kindlichkeit. Eine solche Art ist ihr fremd, stammt sie doch aus einer Familie, die so gewöhnlich ist und in der sie sich -ganz unverstandener Teenager- nicht wohl fühlt. Ihr Bruder ist ein dominanter Macho und ihre Mutter übermäßig besorgt und ziemlich hilflos im Alltag: sie kann nicht kochen, und bringt nur Chaos und Zerstörung in die Küche angesichts dessen sie völlig verzweifelt und machtlos ist…. Der Vater ist zwar da, spielt aber keine wesentliche Rolle.


    Überhaupt verlässt die Erzählung dieses Familienelend recht schnell und zieht zusammen mit Behiye bei ihrer neuen Freundin Handan ein. Die beiden kennen sich zwar erst seit wenigen Tagen, doch hält eine eigenartige Faszination sie in Bann. Handan – der perfekte Gutmensch für Behiye, die schöne kleine Schwester, die beste Freundin und das Objekt ihrer Liebe. Handan geht es nicht anders, sie bewundert Behiye, ihre Lebensart, ihre Direktheit, ihren Mut zu tun, was immer sie will. Dabei stammt auch Handan keineswegs aus besseren Verhältnissen. Der Vater hat die kleine Familie verlassen, die Mutter hält sich mehr schlecht als recht mit Prostitution über Wasser…. sie sind ständig pleite und doch: Mutter und Tochter lieben große Shoppingtouren, bringen sich lieber neue Klamotten mit als den Kühlschrank zu füllen. Dass Behiye kochen kann und dies auch mit Hingabe für Handan tut, bringt ihr die Duldung der von Handans Mutter Leman ein. Aber das Verhältnis zwischen beiden bleibt angespannt. Behiye ist ein Eindringling und zugleich auch noch der Beweis für Lemans Unfähigkeit, alltägliche Dinge wie Einkauf und Putzen zu regeln.


    Diese Spannungen und die Tatsache, dass Behiye beim Abhauen von Daheim dem Bruder eine größere Summe Geld gestohlen hat, bringen sie und Handan in immer größere Schwierigkeiten…und es ist klar, dass die Situation auf Dauer unmöglich so bleiben kann.

    Der deutsche Mittelschichtsleser mag befremdet sein: einerseits über die Verhältnisse in denen gelebt wird und andererseits über die eigenwillige Sprache. Eine Sprache, die aus vielen kurzen Sätzen besteht, die sich mit leichten Wortvariationen mehrfach wiederholen bevor die Handlung weitergetragen wird.

    Zitat

    "Sie hat ihre Mutter aus vollem Hals angeschrieen. Und Schreien ist am gefährlichsten. Schreien ist am gefährlichsten. Am gefährlichsten ist Schreien. Aber jetzt ist es passiert. (S. 29)"

    Zitat

    "Ich ersticke. Ich werde ersticken. Ich halte dieses ständige Sachenkaputtmachen und das Geheule danach keinen Tag, keine Stunde, keinen Augenblick mehr aus. Ich halte es nicht mehr aus. “Mutter, ich halte das nicht mehr aus.” Das Weinen schwillt an. Es schwillt an. (S. 31)"

    Beide Ausschnitte stammen aus einer Szene zu Beginn, als Behiye noch zu Hause ist und ihre Mutter mal wieder eine Art Nervenzusammenbruch in der Küche hatte… aber diese Art zu schreiben (wie man mir sagte typisch türkisch) zieht sich durch das ganze Buch und ist offenbar gewollt, wirkt aber anfangs etwas befremdlich. Ich fragte mich zunächst, wiesoe Orhan Pamuk die Autorin als eine der originellsten Schriftstellerinen unserer Zeit bezeichnen konnte, wie es auf dem Klappentext vermerkt ist, wo ich sie sprachlich erst auf einem eher niedrigen Niveau ansiedeln wollte und nur nicht wusste, ob das an der Autorin oder am Übersetzer lag.


    Wie auch immer, der Stil ist uns Deutschen vielleicht fremd, aber zur Beruhigung sei gesagt, man liest sich ein und gewöhnt sich daran! Und schließlich steigert sich die Spannung zunehmen, dass man auf solche “Nebensächlichkeiten” nicht mehr so achtet, da der Inhalt im Vordergrund steht.

    Ein paar Worte noch zu den Personen im Buch: sie waren mir eigentlich alle recht unsympathisch. Die Mädchen: einerseits völlig naiv und weltfremd, dazu diese unbegreifliche Anziehung zwischen den beiden…. wie Schwestern? beste Freundinnen? Lesben? Vielleicht ganz gut, dass das so detailliert nicht beschrieben wurde, so kann man sich das aussuchen, was einem am besten zu passen scheint.
    Die Mütter: lebensunfähig und offenbar nicht in der Lage, sich um den jeweiligen Haushalt zu kümmern. Da habe ich von den türkischen Frauen in meiner Umgebung aber ein deutlich besseres Bild. [Blockierte Grafik: http://anriel.poulter.de/wp-includes/images/smilies/icon_wink.gif] Klar, beide lieben ihre Kinder, aber das allein reicht ja irgendwie auch nicht. Ein Wunder eigentlich, dass Handan noch nicht verhungert ist!
    Die Väter: glänzen durch Abwesenheit oder Bedeutungslosigkeit.
    Die Jugendlichen: außer Behiyes Freundin aus Kindertage, Cigdem, spielen sie eigentlich keine Rolle und werden auch recht oberflächlich dargestellt. Sie hängen im Einkaufszentrum rum, kümmern sich um ihre Handys und die eigene Coolness, aber herzlich wenig um einander. Cigdem ist da noch am ehesten sympathisch, läuft Behiye aber wie ein Hund hinterher, obwohl sie auch wie ein solcher behandelt wird….


    Stellt sich die Frage, muss man nicht mindestens eine Figur halbwegs sympathisch finden, um ein Buch zu mögen? Das dachte ich eigentlich immer. Und es hat sich auch oft genug bewahrheitet. Hier allerdings mache ich eine Ausnahme. Das Buch las sich nach den Anfangsschwierigkeiten sehr gut, es ist spannend und bringt auch eine ganze Menge rüber. Es wirft Fragen auf, die einen dazu bringen, sich mit der Kultur und der erzählten Geschichte auseinanderzusetzten. Schon wenn man sich fragt, warum ist das Buch eigentlich ein Kultbuch geworden? Was begeistert die Leute daran? Teiel ich diese Begeisterung? …. dann kommt man aus den Fragen nur schwer wieder heraus. Und es ist definitiv hilfreich für das Verständnis, wenn man sich “drüben” auf der anderen Kulturseite ein bißchen auskennt.