Roddy Doyle - Henry der Held / A Star Called Henry

  • Wieder ein in einer anderen Rezension verschwundenes Buch siehe hier
    Roddy Doyle - Jazztime / Oh, Play that Thing


    Kopie von K.-G. Beck-Ewe


    Und der erste Teil: Henry der Held
    Der erste Band dieser Reihe erzählt die Geschichte des jungen Henry Smart, Sohn des einbeinigen Profikillers Henry Smart, und wie er im Umfeld des irischen Widerstands zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufwächst. Meiner Meinung nach irischer als "Die Asche meiner Mutter."


    Kopie von Amazon
    Der junge Henry, Sohn eines einbeinigen Auftragskillers, ist zwar das drittgeborene Kind, aber er ist das erste, das das Säuglingsalter überlebte. Er ist zudem der zweite Henry -- der erste starb und wurde zu einem Stern. So sah es jedenfalls seine Mutter. "Sie hielt mich, aber sie schaute hinauf zu ihrem funkelnden Jungen. Ich armes Kind neben ihr, blass und mit geröteten Augen, zusammengehalten von Ausschlägen und wunden Stellen. Ein Magen, der danach schrie, gefüllt zu werden; nackte Füße, die wie die Füße eines sehr alten Mannes schmerzten. Ich, ein erschütternder Ersatz für den kleinen Henry, der zu gut war für diese Welt, den der liebe Gott für sich selbst wollte. Ich Armer."
    Bald verlässt sein Vater die immer größer werdende Familie, und im Alter von neun ist Henry auf sich allein gestellt; er wächst auf der Straße auf und stiehlt, um sich am Leben zu erhalten. So deprimierend das alles auch klingen mag, Doyle hat seinen Helden mit einem solchen Lebenshunger und Selbstbewusstsein ausgestattet, dass es geradezu eine Beleidigung wäre, ihn zu bemitleiden.
    Im Alter von vierzehn ist Henry Soldat in der jungen Irisch Republikanischen Armee, und in einem langen und erschütternden Kapitel werden wir durch ihn Zeuge der Ereignisse des Osteraufstandes von 1916, an denen er unmittelbar beteiligt ist. Es ist gewiss kein schöner Anblick, als sich die Bevölkerung aufgrund ihrer Anhängerschaft spaltet und die verschiedenen Fraktionen innerhalb der IRA aufzusplittern drohen und danach streben, sich gegenseitig auszulöschen, bevor die britischen Truppen überhaupt in Irland ankommen. Als das Schießen beginnt, zielt Henry nicht auf die Briten, sondern auf die Schaufenster der Geschäfte auf der gegenüberliegenden Straßenseite. "Ich erschoss all das, was mir verwehrt geblieben war, den ganzen Kommerz und Snobismus, die sich hinter Glas und Schlössern über mich und Hunderttausende von anderen lustig gemacht hatten, die ganze Ungerechtigkeit und die Schuhe -- während sich die anderen Jungs das Militär vornahmen." Obwohl der Aufstand letztendlich niedergeschlagen wird und die Anführer hingerichtet werden, entkommt Henry, um einen weiteren Tag zu leben -- und zu kämpfen.
    Mit seinen früheren Büchern, wie z.B. The Barrytown Trilogy, Paddy Clarke Ha Ha Ha und Die Frau, die gegen Türen rannte, hat sich Doyle als einer der wichtigsten Chronisten des heutigen Lebens in Irland etabliert. Mit Henry der Held wendet er seinen Zauber auf die Vergangenheit an. Darüber hinaus ist dies nur der erste Teil von "The Last Roundup". Es sieht also fast so aus, als könnten wir noch einiges von Henry Smart erwarten. Und das ist gut so!

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Besten Dank, @ Mara (auch für das Ausgraben der anderen verschütteten Rezensionen :applause: ).


    Ich habe das Buch gestern zu Ende gelesen und hätte für meine Rezension sicher einen neuen Thread eröffnet, weil ich im Rezi-Index nichts gefunden habe.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Hallo Marie
    dann hätte ich nur den Link zu der Rezension von Klaus gesetzt, der Nebeneffekt dieser Aufräumerei ist, ich finde ständig neue Reihen
    Liebe Grüsse Mara

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Die ersten 50-70 Seiten kamen mir sehr bekannt vor; "Die Asche meiner Mutter" lässt grüßen - die Unterschiede zwischen Henrys und Franks Kinderjahren sind nicht groß (der abwesende Vater, die Mutter, die ein Kind nach dem anderen bekommt, die engen versifften Wohnungen mit dem Ungeziefer, die Krankheiten, ...), auch wenn der eine in Dublin, der andere in Limerick aufwuchs. Vielleicht ist es einfach so, dass McCourts Satz "Schlimmer als die gewöhnliche unglückliche Kindheit ist die unglückliche irische Kindheit" auf viele der im 20. Jahrhundert in Irland geborenen zutrifft. Damit ist aber Schluss mit den Ähnlichkeiten.


    Henry wird zum Straßenkind, das sich gemeinsam mit dem jüngeren Bruder Victor durchschlägt, und gehört als 14jähriger zu den Besetzern des Hauptpostamtes in Dublin während des Osteraufstands. Doch die Hoffnung der Gruppe, die Iren würden sich in ihrer Gesamtheit auf die Seiten der Rebellen stellen, um gemeinsam ihre Todfeinde, die Briten, aus dem Land zu jagen, erfüllt sich nicht. In den folgenden Jahren ist Henry damit beschäftigt, revolutionäre Zellen zu gründen, junge Männer zu rekrutieren, an der Waffe zu schulen und ein Netz aufzubauen. Verfolgt von den Briten ist Geheimhaltung oberstes Gebot.
    Diese Passage ist streckenweise langatmig: Ausschweifende Dialoge mit Waffenbrüdern, bei denen sich immer wieder dieselbe Frage stellt: Tatsächlich ein Patriot oder Spitzel der Briten? Henry erschießt, wird gejagt, entkommt (nicht immer ohne Blessuren), findet mehr willige Frauen, als er verkraften kann, fährt weiter und macht weiter. Dennoch sollte man auch diesen Teil nicht nur überfliegen, denn einige Begebenheiten und Personen sind für das Ende des Buches entscheidend.


    Henry ist ein Stehaufmännchen und ein Großmaul, doch wirkt er weder aufdringlich noch aufgeblasen. Er ist wirklich ein Held, bei dessen "Abenteuern" Lachen und Weinen nah beieinander liegen, ein sympathischer Killer, ein unermüdlicher Liebhaber und leider auch ein nützlicher Idiot. Ob er von sich aus zu einem Kämpfer für die Unabhängigkeit Irlands geworden wäre? Oder ob er sich eher einen Platz gesucht hat, wo er all das ausleben kann, was er seit Kindheit gelernt hat? Fest steht: Er ist keiner der Wortführer, sondern (allzu) williger Mitläufer.


    Es hilft beim Verständnis des Buches, wenn man ein paar Kenntnisse in irischer Geschichte, vor allem der des letzten Jahrhunderts hat.

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  • Autor: Roddy Doyle
    Titel: Henry der Held
    Seiten: 415
    ISBN: 978-3-596-15146-2
    Übersetzer: Renate Ort-Guttmann
    Verlag: Fischer Taschenbuch


    Autor:
    "Roddy", eigentlich Roderick Doyle wurde am 08. Mai 1958 in Dublin geboren und ist ein irischer Schriftsteller und Drehbuchautor. Er wuchs als Sohn eines Ausbilders im Druckereigewerbe und einer Krankenhaussekretärin in einem für irische Verhältnisse aufgeschlossenen und liberalen Eltrernhaus aus und lebte in einer Gemeinde mit protestantischen und jüdischen Freunden auf. Bis Ende der 1990er Jahre arbeitete er als Lehrer für Englisch und Erdkunde, trotzdem er schon 1987 seinen ersten Roman veröffentlichte. Seine Werke beschäftigen sich vor allem mit irischen Figuren und den gesellschaftlichen Verhältnissen auf der Grünen Insel. Mehrere seiner Bücher wurden bereits verfilmt. Doyle lebt mit seiner Familie in Dublin.


    Handlung:
    Ein Roman von Liebe, Hass und Rebellion. Henry ist arm, hungrig und ein wahrer Prachtkerl - der König der Straßen von Dublin. Schon mit vierzehn mischt er beim Osteraufstand 1916 mit. Er ist ein Rebell auf einem gestohlenen Fahrrad, ein Freiheitskämpfer - eine irische Legende. (Klappentext)


    Rezension:
    Henry ist ein Rotzlöffel von der dreckigen Fußspitze bis zu seinen Haaren, trotzdem schon in jungen Jahren gutaussehend und groß gewachsen. Der in ärmlichen Verhältnissen, vernachlässigt von seinem Vater und immer hungrig, aufwachsende Bengel schlägt sich durch. Er erkämpft sich im ärmlichen Dublin seinen Platz unter denen, die nach Freiheit von der britischen Besatzung streben und nimmt als einer der jüngsten Kämpfer am Osteraufstand 1916 teil, der zum Fanal Irlands und Dreh- und Wendepunkt in Henrys Leben wird.


    Fortan bringt er im Auftrag der IRA Menschen um, die sich der republikanischen Idee in den Weg stellen. Britische Soldaten, angestellte Iren, die für die Briten arbeiten, selbst Händler, die ihre Ware an die Besatzung verkaufen, um zu überleben. Er reist durch's Land, um für die Sache zu kämpfen, selbst als sich um die Kämpfer der ersten Stunde die Schlinge immer enger zieht und Führer wie De Valera in den Gefängnissen der Briten landen, die das Land vom Dublin Castle aus beherrschen, jedoch immer mehr die Kontrolle verlieren. Henry macht keine Kompromisse, bildet selbst Kämpfer für die irische Frage aus, sieht viel zu spät, wie auch sein Blatt sich wendet. Immer deutlicher wird sichtbar, dass nicht nur er kämpft, sondern selbst ehemalige Gefährten erbitterte Gegner werden. Doch, da ist es fast schon zu spät.


    Dieser Roman ist einer der Gründe, warum man lieber zu autobiographischen Berichten oder Geschichten a la "Die Ache meiner Mutter" greifen sollte, anstatt sich der Fiktion hinzugeben, die das Empfinden der Betroffenen nie so gut wiedergeben kann. Doyle spinnt hier die Geschichte eines chancenlosen Jungen, der nach jeden Strohhalm greift aber alles andere als klug und vor allem weitsichtig handelt. Da ist einem dann doch ein Frank McCourt lieber, der trotz etwas ungewöhnlichen Schreibstils nachovllzieh- und fassbar sein Erleben geschildert hat. "Henry der Held" dagegen bleibt auf weiten Strecken alles andere als das. Seitenweise zieht die Handlung sich wie Kaugummi, dann widerum wird der Leser von der Dichte der Geschehnisse derart überrumpelt, dass es nicht zusammenpassen will. Sympathisch ist einem der Hauptprotagonist ohnehin nur an wenigen Stellen. Das reich jedoch nicht für einen ganzen Roman.


    Am Ende bleibt nur festzustellen, dass es in Kriegen nie gewinner gibt. Wenigstens das als Erkenntnis und wer ein wenig weiter denkt, dass die irische Frage auch heute noch nicht ganz abgeschlossen ist, wo die Mehrheit der Nordiren doch für einen Verbleib in der EU votierten, den Beschlüssen aber aus London folgen müssen und ohnehin nicht wirklich mit dem katholischen Irland zusammen können. Trotzdem, der Autor verschenkt hier viel Potential, welches er sicher hat. Sprachlich schön, auch wenn hier nur von der Übersetzung die Rede ist, doch das Besondere eines Frank McCourt erreicht Doyle nicht, wenn gleich beide Autoren zu den irischen Schriftstellern schlechthin zu zählen sind.

  • Und hier das Original (von dem ich eigentlich sicher gewesen bin, es hier besprochen zu haben):