Henning Mankell - Seine Afrikaromane

  • In diesem Thread möchte ich mehrere Bücher vorstellen und zwar Henning Mankells Afrikaromane.


    Die meisten wissen, dass Mankell nicht nur der Schöpfer des schwedischen Kommissars Kurt Wallander (und einiger anderer Ermittler) ist, sondern dass er auch eine Anzahl Bücher mit Protagonisten aus seiner zweiten Heimat Mosambik geschrieben hat.


    Die Bücher lesen sich genauso gut und flüssig wie die Krimis, finden aber wahrscheinlich auch bei Lesern Interesse, die ihre Zeit nicht gern mit übergewichtigen depressiven älteren schwedischen Herren und Morden verbringen.


    (Die Reihenfolge der Bücher ist wahllos. Da es, anders als bei den Krimis, keinen immer wiederkehrenden Protagonisten gibt, ist es egal, was man zuerst liest.)


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Der Chronist der Winde



    kopiert bei Amazon, leicht geändert:
    »Man kann fliegen, ohne sichtbare Flügel zu haben.« Nelio, ein zehnjähriges Straßenkind, erzählt um sein Leben. Er liegt mit einer Schußwunde auf dem Dach eines afrikanischen Hauses und weiß, daß er sterben wird, sobald seine Geschichte zu Ende ist. Er erzählt dem Bäcker Jose Antonio Vaz, der ihn gefunden hat und pflegt, wie die Banditen sein Dorf überfielen, seine Schwester massakrierten und ihn zwingen wollten, seine Verwandten zu töten. Wie er floh, den Weg in die große Stadt fand und Anführer einer Bande von Straßenkindern wurde. Vor allem aber erzählt er vom Leben dieser schwarzen Kinder. Von Mandioca, der Tomaten und Zwiebeln in seinen Taschen wachsen läßt, und von Deolinda, einem Albinomädchen, das die sexuellen Phantasien der Jungen erregt. Vom Geheimnis des Reichtums erzählt er, einer vertrockneten Eidechse in einem gestohlenen Aktenkoffer und einem nächtlichen Besuch beim Präsidenten. Und vom Paradies, das auf keiner Landkarte verzeichnet ist und das man doch finden kann.


    Ich beginne mit diesem Buch, weil es mein Lieblingsbuch von Mankell ist.


    Man muss während des Lesens mehr als einmal schlucken. Zwar weiss man schon auf der ersten Seite, dass das Buch mit Nelios Tod enden wird, aber irgendwie hofft man die ganze Zeit, dass er es doch noch packt; so wie die Lebendigkeit und die Hoffnung des Jungen beschrieben sind, kann es doch nicht sein, dass ...


    Doch es ist nicht nur die Person und die Lebensgeschichte allein, die fasziniert, auch die Unmittelbarkeit, mit der Mankell das Land mit seiner Vegetation und der flirrenden Hitze schildert, daneben auch den städtischen Betrieb und das Zusammenleben dort.


    Marie

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  • Die Macht des Feuers


    Dies ist eigentlich ein Sammelband der beiden Bücher "Das Geheimnis des Feuers" und "Das Rätsel des Feuers".


    Der erste Band erzählt die wahre Geschichte des Mädchen Sofia, deren Dorf von Banditen überfallen wird. Bis auf Mutter, Schwester und Bruder ist ihre Familie praktisch ausgerottet. Nach langer Flucht gelingt es den vier Überlebenden, eine neue Heimat und neue Freunde zu finden. Die Mädchen besuchen sogar die Schule, bis eines Tages Sofia auf eine Mine tritt. Bei der Explosion stirbt ihre Schwester, ihr selbst werden beide Beine abgerissen.


    Der zweite Band: Sofias ältere Schwester Rosa, die zur Familie zurückgefunden hat, erkrankt an Aids, und wieder ist Sofia mit dem Tod eines ihrer liebsten Menschen konfrontiert. Sie erlebt Rosas Todesängste, ihren langsamen Zerfall und den endgültigen Abschied. Auf der andern Seite hat Sofia für sich selbst die Angst, durch ihre Beinprothesen nicht attraktiv für einen Jungen zu sein. Aber dann lernt sie den Mondjungen kennen.


    Ein ungeheuer trauriges Buch, das schmerzt, weil man weiss, dass die beiden Dinge, die Sofia zustoßen, täglich hunderte von Malen in Afrika passieren. Andererseits bleibt Sofia - und mit ihr der Leser - nicht in dieser Traurigkeit stecken, sondern entdeckt immer wieder Momente, in denen das Leben schön, lebenswert und aufregend ist. Wenn man an sich selbst glauben kann und daran, was man mit Mut, Offenheit und Liebe alles bewältigen kann.


    Marie

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  • Das Auge des Leoparden


    kopiert bei Amazon:
    "In jungen Jahren reiste Henning Mankell nach Afrika. Später wird er schreiben: "Afrika war mein Traumland. Es musste so etwas sein wie das Ende der Welt, der exotischste Platz überhaupt." Einem Vergleich mit der Wirklichkeit halten solche Vorstellungen natürlich nicht stand. Aus dieser Enttäuschung heraus ist ein Buch entstanden, das einerseits zu den persönlichsten des Autors gehört, in seiner politischen Dimension jedoch auch Allgemeingültigkeit beanspruchen kann.
    Hauptfigur ist Hans Olofson, dessen Leben in zwei parallel verlaufenden Erzählsträngen geschildert wird. Seine Kindheit und Jugend in der nordschwedischen Provinz verlaufen ebenso banal wie tragisch: Die Mutter hat die Familie vor langer Zeit verlassen, der Vater, ein ehemaliger Seemann, schlägt sich als Holzfäller durch und versinkt immer wieder im Alkoholrausch. Hans sucht verzweifelt nach einem Lebensziel, wird mit seiner Orientierungslosigkeit jedoch alleine gelassen.
    Seine einzige Freundin ist eine ältere Frau mit einem entstellten Gesicht. Als sie Selbstmord begeht, beschließt er, ihren Lebenstraum zu erfüllen, nach Afrika zu reisen und auf einer Missionsstation auszuhelfen. Doch die Konfrontation mit dieser ihm völlig fremden Welt erschüttert ihn zutiefst. Nach wenigen Tagen beschließt er, wieder nach Schweden zurückzukehren. Noch ahnt er nicht, dass fast 20 Jahre vergehen werden, bevor er wieder europäischen Boden betreten wird."


    Grundtenor des Buches könnte sein: Es wird nie eine Annäherung zwischen Afrikanern und Europäern geben, weil keiner der beiden den andern in seiner Art wirklich versteht. Obwohl Hans Olofson, als er eine Hühnerfarm übernimmt, voller Elan und mit sozialem Gewissen an seine Aufgabe geht und immer das Wohlergehen seiner einheimischen Arbeiter im Blick hat, scheitert er mit seiner Idee. Auch wenn er nicht so sein will wie seine europäischen Nachbarn, die, im Denken der Kolonialzeit verhaftet, die Afrikaner gering achten, gelingt es ihm nicht, persönliche Beziehungen aufzubauen. Als einheimische Banden seine Nachbarn niedermetzeln, muss auch Olofson um sein Leben fürchten.


    kopiert bei Amazon (gekürzt):
    "Das Auge des Leoparden ist im Original bereits 1990 erschienen, und an manchen Stellen merkt man, dass es Mankell noch etwas an handwerklicher Souveränität mangelt. Dafür sind die Protagonisten stark und unmittelbar gezeichnet ... Der Roman ist eine leidenschaftliche Auseinandersetzung mit einer persönlichen Erfahrung, die diese auch für den Leser nachvollziehbar macht. Mankell gelingt es, unterschiedliche Positionen in der Diskussion um das postkoloniale Afrika transparent zu machen. Dabei bleibt er sich seiner eigenen Vorurteile durchaus bewusst und ermöglicht damit dem Leser, selbst Stellung zu beziehen."


    Allerdings hat Mankell durch sein Leben in Afrika ja bewiesen, dass Annäherung und Beziehungen doch möglich sind.


    Marie

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  • Tea-Bag


    Aus Amazon kopiert und gekürzt:
    "Als Verfasser von Lyrik hat es Jesper Humlin zu einigem literarischen Ruhm gebracht. Dennoch droht die ultimative Sinnkrise. Dauerfreundin Andrea plant die Veröffentlichung ihrer Memoiren, wenn Jesper ihr nicht endlich ein Kind macht, und der Verleger fordert statt Lyrik einen wesentlich verkaufsträchtigeren Krimi. Es ist zum Verzweifeln. Halb Schweden scheint im Krimiwahn, Jespers schärfster Konkurrent hat bereits das Genre gewechselt, selbst Mutter Humlin, fast neunzig, sinnt über Mord und Totschlag. Jespers Vernichtung scheint besiegelt.
    Nun tritt auch noch Tea-Bag in sein Leben.
    Kennen gelernt hatte er das schwarze Flüchtlingsmädchen und ihre Freundinnen auf einer Lyriklesung, die ihn in die Boxschule eines Freundes verschlagen hatte. Im Alkoholrausch hat er das Versprechen abgegeben, Tea-Bag und ihre beiden Freundinnen zu Schriftstellerinnen auszubilden.
    Unversehens wird Jesper hineinkatapultiert in eine Welt der Entrechteten und Entwurzelten. Tea-Bags (den Namen hatte sie im Flüchtlingslager nach einem Blick auf die Teetasse eines Beamten kurzerhand erfunden) wie auch Leylas und Tanjas magische Schilderungen ihres Flucht- und Leidenswegs entziehen Jesper schlagartig den Boden seiner Wertevorstellungen. Langsam erkennt er seine wahre Bestimmung: Er würde das Leben der drei erzählen, sie unvergesslich machen. Es würde ein wunderbares Buch daraus, das seine früheren Gedichte garantiert schnell vergessen machen würde."


    Das Buch setze ich an den Schluss, weil es mir von allen Büchern Mankells am wenigsten gefällt. Auf der einen Seite nimmt er den Literaturbetrieb auf den Arm, und die Szenen, in denen Jesper sich mit seinem Verleger auseinandersetzt, triefen vor Ironie.
    Auf der andern Seite die Lebensgeschichten der Flüchtlingsmädchen, die die drei Jesper erzählen. Es wäre ja nichts dagegen zu sagen, die locker-leichte Satire mit der Schwere der Flüchtlingsdramen zu verbinden, aber Mankell hat diesen Riesenspagat nicht geschafft, meiner Meinung nach. So bleiben beide Erzählstränge merkwürdig unverbunden und nebeneinander gesetzt.
    Sehr störend fand ich, dass Tea-Bag die Angewohnheit hat zu verschwinden, oft mitten in der Geschichte, die sie Jesper erzählt, wodurch der Erzählfluss unterbrochen wird und abgehakt wirkt.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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  • Stark. kräftig und gefühlvoll - so möchte ich ganz kurz die Afrikaromane beschreiben.
    "Die Macht des Feuers" ist nicht nur ein Kinderbuch. Es schildert so viel Elend und Grausamkeit, zeigt aber immer wieder die Hoffnung mit der diese Menschen leben. Ohne diese Hoffnung wäre diese Leben nicht zu bewältigen.
    Allen Freunden von Mankell möchte ich aber auch die Kinderbücher empfehlen, die in Schweden spielen.

    "Jede Art zu schreiben ist erlaubt-
    nur nicht die langweilige." Voltaire

  • @ Süße: Ich dachte schon, dass sich niemand für diese Bücher interessiert, weil keine Antworten kamen.


    @ m.w.haefner: Wie kommst du darauf, dass "Die Macht des Feuers" ein Kinderbuch ist?


    Marie

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  • Marie


    Ich habe noch nie einen Mankell gelesen, aber bei dieser Präsentation von dir werd ich mir demnächst auch einen zulegen!!! :D

    Liebe Lesegrüße
    Eure Süße
    :study::)


    Erinnerungen, die unser Herz berühren, gehen niemals verloren.

  • Zitat

    Original von Süße



    Ich habe noch nie einen Mankell gelesen, aber bei dieser Präsentation von dir werd ich mir demnächst auch einen zulegen!!! :D


    Geht mir genauso! Vielen Dank für die Zusammenfassungen, Marie!

    ...uns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhn... (Friedrich Hölderlin)

  • Hallo Marie,
    die Antwort ist ganz einfach.
    Ich habe die Bücher als Kinderbücher aus dem Oettinger Verlag gekauft.
    Dort sind auch die erschienen, die in Schweden spielen und sicher sehr viele autobiografische Züge tragen.
    Gruß
    Manfred

  • @ Marie
    Danke für deine Vorstellung, es hört sich sehr interessant an.
    Dann kann ich mir als nächstes einen Afrikaroman vornehmen.


    Ich habe von den Büchern schon was gehört, aber bis jetzt nur Mankells Krimis gelesen, die mir übrigens sehr gut gefallen.


    Gruß
    Ina

  • Ich lese gerade "Chronist der Winde". Einerseits fesselt dieses Buch mich sehr, andererseits mußte ich erst einmal eine Pause einlegen, um das Gelesene erst mal zu verdauen. :pale::cry: Das ist nichts für zarte Gemüter, auch weil man eben weiß, daß viele Afrikaner von den hier beschriebenen Greultaten berichten könnten.

  • Ich habe gerade "Der Chronist der Winde" fertiggelesen.
    Ein Buch, das mich nachdenklich stimmt und ich nicht gleich mit dem nächsten anfangen kann, gleichzeitig eins der besten Bücher, die ich gelesen habe.


    Eine bewegende, erschütternde Geschichte über Afrika, die Menschen und ihre Mentalität. Die traurige Welt der Straßenkinder wird mit brutaler Realität und zugleich großer Hoffnung und Humor geschildert.


    Ein ganz besonderes Buch, es ist wert gelesen zu werden.

  • Ich hab soeben "Das Auge des Leoparden" zugeklappt und bin noch ein wenig benommen.....


    Dabei hab ich anfänglich gedacht: Das wird nix mit mir und dem Buch, ich bin nicht der Typ für langwierige Beschreibungen von Alpträumen im Malaria-Fieberwahn.... tja, so kann man sich täuschen....


    Ich fand beide Erzählstränge fesselnd, besonders fasziniert hat mich aber die Geschichte des Lebens von Hans Olofson in Sambia und die wirklich niederschmetternden Erkenntnisse, die er - trotz bestem Willen - in diesen 20 Jahren gewinnen mußte. Ich befürchte, da ist ne Menge Wahres dran!!!


    Liebe Grüße
    Barbara

    Viele liebe Grüße von Barbara, Sammy, Bärchi, Benny und Bill!!!!

  • Ich dachte schon, dass sich niemand für diese Bücher interessiert, weil keine Antworten kamen.

    Mich interessieren sie, habe sie allerdings erst vor kurzem entdeckt :uups:

    ☆¸.•*¨*•☆ ☆¸.•*¨*•☆ La vie est belle ☆¸.•*¨*•☆☆¸.•*¨*•☆