Andrei Makine - Tochter eines Helden
Original: La fille d'un héros de l'Union soviétique (Französisch, übersetzt aus dem Russischen?; 1990)
ZUM BUCH: 1941 ist Iwan im westlichen Russland ohnmächtiger Zeuge des Massakers seiner Mutter, seines kleinen Bruders durch die heranstürmenden Deutschen. Er kann fliehen und engagiert sich in der Armee. Für seine tapferen Beteiligungen ua an der Schlacht um Stalingrad erhält er die höchste Auszeichnung und wird so langezeit als „Held“ wahrgenommen, der später in Schulen immer und immer wieder die selben Geschichten erzählen wird bis er nicht mehr weiß, was denn nun eigentlich wirklich passiert war. Nach einer Schlacht wird ihn auf dem Felde Tatiana, eine Krankenschwester, retten, die er später heiraten wird; obwohl diese inzwischen selber verschiedene Verletzungen erhalten hatte. Zusammen durchleben sie die Eckdaten der sowjetischen Geschichte. Ihre Tochter Olia hat als Dolmetscherin der Olympischen Spiele 1980 eine Affäre mit einem Sportler. Sie prostituiert sich, angetrieben vom KGB, zur Bespitzelung von ausländischen Geschäftsleuten
EINIGE GEDANKEN: Wie viele Mythen werden hier zerstört? Wie verbunden sind persönliches Schicksal und große Geschichte? Ist Liebe und Selbsthingabe möglich?
In diesem ersten Roman Makines finden wir schon ihm liebe Themen. Sie sind fest verbunden und verwickelt mit der russischen/sowjetischen Geschichte: Wir befinden uns in den schrecklichen Kriegsjahren, begleiten Iwan und Tatiana durch Hungersnot und Vertreibung, stille Arbeit und kleines Glück. Es werden uns einige Grundzüge des Lebens unter Stalin, Chruschtschjew, Breschnjew, Andropov, Tschernenko bis Gorbatchev sehr gut angedeutet. Eine sehr realistische, geschichtliche Schau paart sich mit poetischen Elementen.
Einerseits schafft die Auszeichnung als Held der Familie kleine Vorteile, andererseits kommen manchmal leichte Zweifel auf, was es denn mit der Wahrheit auf sich hatte, die auf dem Schlachtfeld noch anders aussah als auf schönen Bildchen und Vorstellungen. Der Held, und später seine Tochter, werden vom System instrumentalisiert und man mag bitter feststellen, wie sehr die Akteure Illusionen erlegen sind. Wunderbar arbeitet Makine heraus, wie hier der Mythos des Helden geboren wird, um einer Propaganda zu dienen. Sie konstruieren sich die Realität nach der Vorgabe. Doch die Zweifel, die Selbstinfragestellung und der Wunsch der Hauptfiguren nach dem persönlichen Glück hinter aller Verzweckung machen diesen Roman so menschlich und das Lesen zu einer Freude inmitten der harten Ereignisse.
ZUM AUTOR:
Andreï Makine (* 10.09.1957 in Krasnojarsk, Sibirien) ist ein französischer Schriftsteller. Makine studierte in Twer und Moskau Philologie und lehrte kurze Zeit Philosophie in Novgorod. Nach einer Frankreichreise erhält er hier 1987 politisches Asyl und lebt seitdem in Paris. Er beginnt sehr bald damit auf Französisch zu schreiben, eine Sprache die er aufgrund seiner französischen Großmutter seit seiner Kindheit beherrscht. Berühmt wurde er 1995 mit seinem Roman „Das französische Testament“, für den er den Prix Goncourt und den Prix Médicis erhielt.
Taschenbuch: 188 Seiten
Verlag: btb Verlag (2004)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3442725178
ISBN-13: 978-3442725175




