Der Klappentext:
Bilodo, ein junger Postbote aus Montreal mit einer Vorliebe für Kalligraphie, geht seinem Beruf voller Leidenschaft nach: Heimlich öffnet er abends über Wasserdampf handgeschriebene Briefe und träumt sich in fremde Lebenswelten. Eines Tages stößt er auf die ungewöhnliche Korrespondenz zwischen Professor Grandpré und Ségolène, einer Lehrerin aus Guadeloupe, die sich Gedichte schicken. Bilodo verliebt sich in Ségolène. Als Grandpré bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, ersinnt Bilodo einen waghalsigen Plan: Will er den Kontakt zu Ségolène nicht abreißen lassen, muss er in die Identität des anderen schlüpfen und lernen, wie man mit siebzehn Silben die Ewigkeit einfängt ...
(dtv)
Der Autor:
Denis Thériault wurde 1959 in Sept-Îles an der Nordküste des Sankt-Lorenz-Golfs geboren. Er studierte Psychologie in Ottawa und arbeitete als Schauspieler, Conférencier und Regisseur am Theater, bevor er erfolgreich als Drehbuchautor tätig wurde und Romane zu schreiben begann. "Siebzehn Silben Ewigkeit" ist sein zweiter Roman, er wurde mit dem Prix littéraire Canada-Japon 2006 ausgezeichnet. Denis Thériault lebt in Montreal.
(dtv)
Meine Meinung:
Bilodo ist ein junger Briefträger aus Montreal, den man allenfalls als Eigenbrötler bezeichnen möchte. Seine distanzierten sozialen Kontakte begnügen sich auf einen Kollegen und seine schüchterne Mittagstisch-Kellnerin. Die einzigen Vergnügen in seinem kargen Leben sind Computerspiele, seine Leidenschaft zur Kalligraphie und das Mitlesen fremder Post. Bilodo hat ein Gespür entwickelt, interessante Briefe zu erkennen und öffnet diese abends heimlich unter Wasserdampf. So liest er schon seit Monaten die Korrespondenz von Grandpré aus Montreal und Ségolène aus Guadeloupe mit, die sich in ihren Briefen ausschließlich über Haikus austauschen. In diesen kurzen, dreizeiligen, nach japanischen Vorbild verfassten Gedichten taucht er in eine andere, fremde Welt ein, verliebt sich irgendwann sogar in Ségolène. Als eines Tages Grandpré vor Bilodos Augen stirbt, sieht Bilodo den Quell seiner verliebten Träumereien abrupt beendet. Aber dann bietet sich ihm die einmalige Gelegenheit, in die Rolle Grandprés zu schlüpfen und die Korrespondenz mit selbst verfassten Haikus an fremder statt fortzusetzen. Doch lange währt sei Glück nicht ...
Denis Thériault erschafft ein in mehrfacher Hinsicht überaus poetisches Buch. Als zentrales Objekt hat er die japanische Dichtkunst mit ihren dreizeiligen Haikus und fünfzeiligen Tankas gesetzt, mit denen Bilodo und Ségolène ihre Korrespondenz führen. Auch wenn man selber bislang keine Zugang zur Lyrik gefunden haben mag, so zieht einen Thériaults Liebeserklärung auf diese kurzen und aufs Wesentliche gebrachten Dreizeiler doch unfehlbar in ihren Bann. Besonders die aufeinander folgenden Haikus der beiden Hauptcharaktere lassen schnell erahnen, wie sich Bilodo in Ségolène verlieben konnte und wie tief seine Empfindungen zu ihr wurden. Personen entstehen, die der Leser hautnah und transparent nachfühlen kann. Dennoch halten sich die Passagen mit den Haikus gegenüber der eigentlichen Geschichte doch eher im Hintergrund, bilden nur immer wieder kleine poetische Höhepunkte in der Handlung. So bleibt der Lesefluss erhalten und man wird als Laie in Sachen Lyrik nicht überfordert.
So sehr ein Haiku auf den Punkt gebracht ist und einen Augenblick konzentriert wiedergibt, so sehr schmückt Denis Thériault die Geschichte mit all seinen Kleinigkeiten und großen Gefühlen aus. Diese Detailfreude zieht einen förmlich in die Geschichte hinein, die präzise und doch schön formulierte Erzählfreude zwingt einen dann aber doch immer wieder zum Langsamlesen und Verweilen, so schön und ausdrucksstark sind viel Formulierungen. Ein kleines Büchlein, das man in zwei Stunden durchlesen könnte, man sich dann aber später um so mehr freut, wenn man sich einen ruhigen Nachmittag lang Zeit gelassen hat. Ein großer Verdienst und besonderer Dank gebührt hier sicherlich auch der Übersetzerin Saskia Bontjes van Beek.
Wer sich jetzt auf eine rein gefühlsbetonte Liebesgeschichte freut, der darf sich auch auf ein paar spannende Momente gefasst machen, denn die Geschichte nimmt auch einige plötzliche und dramatische Wendungen. In zwei Szenen habe ich mich sogar ein wenig an Stephen King erinnert gefühlt, wie sich eine Person und ihr Handeln mit dem Geschehen entwickelt. Eine Geschichte also, die einerseits ein sehr entspanntes und gefühlsbetontes Lesevergnügen verspricht, andererseits aber auch einen gewissen Spannungsbogen bis zu den letzten Sätzen aufbaut. In vielerlei Hinsicht hat mich dieses Buch positiv überrascht und erfreut.
Ein überaus poetisches und mitreißendes Buch mit einer besonderen und anrührenden Geschichte.