Alonso Cueto - Das Flüstern der Walfrau

  • OT: El susurro de la mujer ballena
    übersetzt von Matthias Strobel


    Kurzbeschreibung
    Als Véronica nach 25 Jahren ihrer früheren Klassenkameradin Rebeca wieder begegnet, ist ihr erster Impuls zu fliehen, denn Rebeca, "die Walfrau", ist dicklich, einsam und eine Außenseiterin. Aber so sehr sich Véronica auch darum bemüht, wird sie ihre gemeinsame Geschichte doch nicht los - und Rebeca folgt ihr plötzlich überallhin. Ein feinfühliges Porträt zweier Frauen, die durch Freundschaft und Hass miteinander verbunden sind.


    Über den Autor
    Alonso Cueto wurde 1954 in Lima, Peru, geboren. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Premio Wiracocha (1985), dem Anna-Seghers-Preis (2000) und einem Stipendium der Guggenheim Foundation (2002).


    Meine Meinung
    Zu Beginn des Romans lernt der Leser die 42-jährige Verónica kennen, die mit Ehemann Giovanni und Sohn Sebastián, als Journalistin für die Rubrik „Internationales“ einer Zeitung schreibend, 2005 in Lima lebt. Ihr Arzt Pepe Barco versichert ihr, dass alles in Ordnung sei und beim Verlassen des Behandlungszimmers fasst Verónica einen Entschluss: sie wird die Notizen in ihrem Tagebuch vervollständigen, die Geschichte, die sie ins Krankenhaus brachte, zu Ende schreiben. Diese liegt nun, erzählt durch den Schriftsteller Alonso Cueto, in diesem Buch vor.


    Auf einem Rückflug von Kolumbien nach Lima trifft Verónica nach 25 Jahren ihre ehemalige Schulkameradin Rebeca wieder. Die beiden verband damals eine heimliche Freundschaft. Heimlich, weil Rebeca aufgrund ihrer Fettsucht, ihres Anders-Sein von ihren Mitschülern gehänselt und schikaniert wurde. Verónica, eine beliebte Schülerin, konnte und wollte sich nicht zu Rebeca bekennen, sie sah dem Spott teilnahmslos zu. Doch zum Ende der Schulzeit zerbrach diese Freundschaft durch einen schrecklichen Verrat, mit dem Verónica große Schuld auf sich lud.


    Nun, 25 Jahre später, möchte Verónica nichts mehr mit dieser „Walfrau“ zu tun haben. Aber Rebeca drängt sich auf. Zwar selbst als Managerin beruflich erfolgreich und wohlhabend, leidet Rebeca an ihrer Einsamkeit und ringt um Aufmerksamkeit. Sie verfolgt Verónica, ruft sie an, taucht auf Empfängen auf, fängt Sebastián vor der Schule ab.


    Alonso Cueto lässt Verónica sehr eindringlich erzählen, wie sie immer mehr von Rebeca bedrängt wird, diese aufgezwungene Nähe fast paranoide Züge annimmt. Gleichzeit resümiert Verónica ihr Leben. Trotz Familie, Beruf, Freunden geht sie recht freudlos durchs Leben. Daran ändert auch ihr Liebhaber Patrick nichts.
    Wie eine dunkle Wolke hängen die Erinnerungen Verónicas über der Geschichte. Was in der Schulzeit als vorsichtige Annäherung zwischen Verónica und Rebeca durch die gemeinsame Liebe zu Büchern und Musik begann, gipfelte in einem schmerzhaften Bruch – durch Schwäche, durch Weg-Sehen.


    Cueto gelingt es, eine Bedrohung über der Geschichte schweben zu lassen, ohne dass der Leser ahnt, was dahinter steckt. Auf nur 270 Seiten gibt der Autor tiefgründige und facettenreiche Einblicke in das Seelenleben seiner Protagonisten. Die auf ihren Körper fixierte Verónica, die sich durch Diät, Fitness-Training und Unmengen Cremes ihr jugendliches Aussehen zu erhalten zwingt, aber keinen zu ihrer Seele vorstoßen lässt, niemandem ihren Groll und ihre Angst zeigt. Rebeca, die sich einen „Schutzwall“ angefressen hat, die sich mit Essen tröstet und ihre Einsamkeit lindert.


    Die Sprache Cuetos ist klar und schnörkellos, wobei er trotz knapper Sätze wunderschöne Formulierungen findet. Dabei beschränkt er sich auf ein Minimum, um die Tiefen seiner Figuren auszuloten. Einzig das Umfeld Perus Hauptstadt Lima kommt dabei ein wenig zu kurz, vielleicht vom Autor beabsichtigt?


    Ein „kleiner“ Roman, der sprachlich und inhaltlich eine Botschaft vermittelt, die nicht allein Lateinamerika betrifft, sondern universell ist. Mich als Leserin haben Verónica und Rebeca gleichermaßen mitten ins Herz getroffen.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: liebevolle Sterne von mir.

  • Dieser ausführlichen Rezension kann ich nicht viel hinzufügen. :wink:


    Die Ich-Erzählerin Veronica ist erfolgreiche Journalistin und sehr körperbewusst. Nach 25 Jahren trifft sie durch Zufall ihre ehemalige Schulfreundin Rebeca wieder - diese ist dick, eine Außenseiterin und einsam. Rebeca drängt sich Veronica auf, zumindestens empfindet Veronica dies so.
    Immer wieder werden dem Leser auch Schulerinnerungen mitgeteilt. Rebeca und Veronica waren befreundet - allerdings durften die anderen Schulkameraden nichts von dieser Freundschaft wissen. Die Beiden haben sich nur heimlich getroffen.
    Das macht mir Veronica unsymphatisch: wenn es eine "richtige" Freundschaft gewesen wäre, dann hätte sie sich nicht geschämt, mit einem dicken Mädchen befreundet zu sein. Für Rebeca war Veronica wohl sowas wie ein "Strohhalm"; jemand, mit dem sie sich gut versteht -auch wenn diese sie in prekären Situationen im Stich lässt.
    Ich fand Veronicas Sohn Sebastian ein wenig zu brav - ein 15-jähriger pubertiert doch sicher schon.


    Den Roman habe ich aber sehr gerne gelesen und vergebe
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: