Der Klappentext:
Deutschland 2019: Der Sozialstaat steht kurz vor dem Zusammenbruch. Eine inoffizielle Organisation hat begonnen, angebliche Sozialschmarotzer zu töten. Der ehemalige Kundenberater Volker Kühn wird im Krankenhaus zum Opfer dieser "Behandlung". Als er erfährt, dass er nur noch wenige Stunden zu leben hat, flüchtet er und versucht – verfolgt von den Agenten des mörderischen Systems –, die ungeheuerliche Wahrheit publik zu machen. Ein spannender Thriller, der hoffentlich niemals Wirklichkeit werden wird.
(dtv)
Der Autor:
Andreas Laudan, geboren 1967 in Lüneburg, ist promovierter Musikwissenschaftler und lebt heute als freier Schriftsteller in der Nähe von Hamburg. Seinen Lebensunterhalt verdiente er fünfzehn Jahre lang mit Gelegenheitsjobs am Rande der Armutsgrenze, bis er eine Festanstellung als Kartenverkäufer erhielt. Mit „Pharmakos" legt Laudan erstmals einen utopischen Thriller vor, weitere Thriller sind in Vorbereitung.
(dtv)
Meine Meinung:
Pharmakos ist ein im alt-griechischen Kulturraum bekanntes Menschenopfer, in dem meist aus niederem Stand stammende Menschen geopfert wurden, um ein Unglück oder Unheil von der Allgemeinheit abzuwenden.
Deutschland im Jahr 2019: Zehn Millionen Arbeitslose lassen die sozialen Sicherungssysteme zusammenbrechen. Die Reichen verschanzen sich zunehmend in privat gesicherten Anlagen, die Arbeitslosen, Kranken und Alten werden in eigens angelegten Bezirken zusammengepfercht. Die Arbeitenden gehen in ihrer Wut wegen rasant steigender Sozialabgaben mit viel aufgestauter Aggression und verbrämt mit religiösen Phrasen gegen die ausgegrenzten "Asozialen und Schmarotzer" vor.
Für Volker Kühn beginnt mit einer Krebserkrankung sein sozialer Abstieg: Verlust des Arbeitsplatzes, Zwangsumsiedlung in eine Arbeitslosenwohnheim, gesundheitliche Behandlung zweiter Klasse. Im Krankenhaus erzählt ihm ein anderer Patient das Unglaubliche: angeblich werden Kranke, denen man keine Chance auf Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zutraut, mit einem Medikament unauffällig getötet. Als Volker Kühn die beschriebenen Symptome am eigenen Leib bemerkt, tritt er die Flucht nach vorne an. Er muss an das Gegenmittel gelangen, doch ihm bleiben nur knappe zwölf Stunden Zeit ...
Andreas Laudan zeichnet ein überaus düsteres und sozialkritsiches Bild unserer Gesellschaft in zehn Jahren. Nicht nur, dass unser Staat die sozialen Probleme nicht in den Griff bekommen hat. Sondern auch, dass 75 Jahre nach dem Dritten Reich Euthanasie wieder denkbar ist und dass Menschen ihn scheinbar im großen Stil anwenden, um ihre Vorstellungen einer gesunden Gesellschaft umzusetzen.
Neben den gesellschaftspolitischen Auswirkungen beschreibt Andreas Laudan die von Todesangst und scheinbarer Aussichtslosigkeit gezeichnete Flucht eines Mannes, der das Unglaubliche zunächst nicht fassen mag und dann mit letzter Energie das Gegenmittel auftreiben möchte. Diese rasante Jagd führt Volker Kühn binnen weniger Stunden von Freiburg nach Hamburg. Für einen Mann, der ansonsten eher als Langweiler charakterisiert wird, erlebt er dabei allerdings zu viele mit Action aufgeladene Ereignisse. Dass ein Mann, der sich an den letzten Strohhalm klammert, bis ans Äußerste geht, scheint noch nachvollziehbar. Doch zu viele zufällig herumliegende Waffen und Verfolgungsjagden sind dann irgendwann einfach des Guten zu viel. Statt dessen hätte ich mir etwas mehr Visionen und Aussichten auf unseren Staat und unsere Gesellschaft in zehn Jahren gewünscht – mehr George Orwell und weniger Ian Fleming.
Im gleichen Masse mitreißend wie die Geschichte ist Andreas Laudans Schreibstil. Mit einfachen und treffenden Worten zeichnet er präzise, klare und doch schonungslose Bilder. Mit denselben Worten transportiert er aber auch das hohe Tempo der Flucht/Jagd quer durch Deutschland. Der Leser ist sofort mitten in einer Geschichte, die einen bis zum Schluss zu sehr fesseln vermag. Der durchgängige Spannungsbogen wird immer wieder mit kurzen Einschüben aus Volker Kühns Vergangenheit unterbrochen, die das Puzzle der gesellschaftlichen Umstände erst erkennbar machen. Leider kratzen die sozialkritischen Erkenntnisse um Gesundheitswesen, soziale Sicherung und Leistungsgesellschaft nur an der Oberfläche.
Ein sehr spannender Action-Thriller mit nachdenklich stimmenden gesellschaftspolitischen Hintergründen, ein furioses Debüt.