Elias Canetti - Die Stimmen von Marrakesch

  • Der Autor reist in den 50iger Jahren des 20. Jahrhunderts auf Einladung eines Freundes mit einem Filmteam nach Marrakesch. Da er selbst mit den Aufnahmen nichts zu tun hat, bleibt ihm viel Zeit die fremde Kultur zu erkunden. Er besucht Viehmärkte und Basare, und es dauert eine Weile, bis er herausgefunden hat, was es mit den Rufen der blinden Bettler auf sich hat, oder was das Herumkauen des Marabu, eines heiligen Mannes, auf den gespendeten Münzen für den Geber bedeutet. Bei seinen Streifzügen trifft er auf Bettler, Geisteskranke und Huren; er lernt die Bedeutung der Hausdächer für Frauen kennen, berichtet, wie Kunden mit Brotlaiben verfahren, ehe sie sich zum Kauf entschließen und taucht in die laute Welt der Erzähler und in die leise Welt der Schreiber ein.


    Mich hat das schmale Bändchen mit zwiespältigen Gefühlen zurückgelassen. Der Stil ist zwar der des großen Schriftstellers Canetti; der Inhalt selber konnte mich jedoch nicht richtig begeistern. Sicher ist die fremde Welt von Marrakesch, zu dieser Zeit noch fern von jedem Massentourismus, für den Reisenden eine interessante, aber für meinen Geschmack war sie doch zu sehr mit Figuren aus dem Randbereich der Gesellschaft bevölkert. Es waren zu viele der Bettler, Krüppel und Geisteskranken. Als Tierfreundin hätte ich außerdem bereits auf die erste der vierzehn Kurzgeschichten mit dem Titel "Begegnungen mit Kamelen" verzichten können. Obwohl meisterlich erzählt, wird diese Art von Literatur auch weiterhin nur zu meinen Zufallsbekanntschaften gehören.

  • Obwohl meisterlich erzählt, wird diese Art von Literatur auch weiterhin nur zu meinen Zufallsbekanntschaften gehören.


    @ ex libris, meinst Du mit "diese Art von Literatur" Reiseliteratur? Da gibt es aber einige sehr eindrucksvolle und interessante Romane, die Du Dir nicht entgehen lassen solltest, z.B. "Die Ringe des Saturn" von Sebald oder "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad.


    Mir hat dieses Buch aber auch nicht besonders gefallen. Es war mein erster Roman von Canetti, und ich hatte wohl mehr erwartet. Im Klappentext heißt es, Canetti beginne "in kurzen literarischen Skizzen die rätselhafte Stadt in ihrer ganzen Sinnlichkeit und Lebendigkeit zu beschwören". Das ist, mit Ausnahme weniger Passagen, bei mir nicht so angekommen. Ich habe das Buch sogar als etwas langweilig und reizlos empfunden. Aber mit der "Blendung" hat Canetti bei mir die Scharte wieder ausgewetzt. :lol:


    Gruß
    mofre

    :study: Zsuzsa Bánk - Die hellen Tage

    :study: Claire Keegan - Liebe im hohen Gras. Erzählungen

    :study: David Abulafia - Das Mittelmeer
















  • Hallo mofre!


    Ich habe mich da vielleicht etwas unklar ausgedrückt, aber ich meine mit "dieser Art von Literatur" nicht Reiseliteratur. Die mag ich sogar sehr gerne. Aber Canettis Beschreibung dieser für mich äußerst unhygienischen Zustände auf den orientalischen Märkten und der Behandlung der Tiere hat eigentlich nur unangenehme Gefühle in mir hervorgerufen und alle anderen Eindrücke überlagert. "Herz der Finsternis" habe ich gelesen, allerdings mit äußerster Mühe. Es hat mir überhaupt nicht gefallen, weil mir persönlich die Botschaft gefehlt hat. Die habe ich bei Canetti aber immerhin noch gefunden, sei es auch in der Vermittlung von Elend und Krankheit. Ansonst schätze ich Canettis Werke sehr, die "Blendung", die Du erwähnst, auch "Die Fackel im Ohr" oder "Die gerettete Zunge". EINE Enttäuschung kann meine Hochachtung vor diesem Schriftsteller natürlich nicht gefährden, und es tröstet mich, dass auch Dich "Die Stimmen von Marrakesch" nicht restlos überzeugt haben. "Die Ringe des Saturn" kenne ich nicht, werde es mir aber für meinen nächsten Bibliotheksbesuch gleich vormerken. Danke, für die Empfehlung. Vielleicht kann ich ja schon bald darüber berichten.

  • Das Buch lag lange auf meinem SUB. Ursprünglich hatte ich es mir zur Vorbereitung auf eine Marrakesch-Reise besorgt, die dann aber doch nicht statt fand. Eigentlich wollte ich es mir aufheben, bis es mich doch mal nach Marokko verschlägt. Aber da ich nach einem Umzug schwer Zugang zu meinen Wunschbüchern hatte, die in irgendwelchen Kisten lagen, habe ich halt doch zu diesem erstbesten, ungelesenem Buch gegriffen.

    Meine Erwartungen waren eher gering, auch wenn ich Canetti sehr gerne lese. Aber Reisebeschreibungen finde ich per se interessanter, wenn ich die beschriebene Gegend kenne oder wenigstens demnächst kennen lernen möchte.

    Nach den ersten 2-3 Kapiteln war ich dann aber positiv überrascht. Canetti ist ein wunderbarerer Beobachter und Erzähler, und auch wenn diese 14 Kapitel nicht so recht zusammenhängen und eher Anekdoten / Beobachtungen und Skizzen sind, so lässt sich das alles doch ziemlich leicht lesen. Es ist eine fremde Welt: Kamele, die ins Schlachthaus getrieben werden, blinde Bettler, das Judenviertel, ein Besuch auf dem Markt / im Suq,... Neugierig, unbefangen und vorurteilsfrei berichtet Canetti von seinen Beobachtungen. Und mehr als Beobachtungen ist es kaum. Seltener kommt es zu einem erklärenden Gespräch oder gar zu einer Einladung ins Haus. Meistens wird die Szenerie, die Atmosphäre beschrieben. Wie verhalten und bewegen sich die Menschen? Wie leben sie, was treibt sie wohl an, um ihren Alltag so zu verbringen, etc

    Mir hat es dann doch ganz gut gefallen, und irgendwann lese ich es nochmals, sollte ich es mal nach Marrakesch schaffen. Ergänzend fand ich auch die Fotografien von Kurt-Michael Westermann sehr gelungen, die hervorragend die Stimmung und beschriebenen Szenerien abbilden und somit sehr gut zum Text Canettis passten.