Mauricio Botero: Don Ottos Klassikkabinett


  • Musik-Poesie im CD-Laden


    «Don» Otto Roldan ist eigentlich bloss ein unscheinbarer CD-Verkäufer, der im «Chapinero», einem belebten Viertel von Kolumbiens Hauptstadt Bogotá, und zwar gleich gegenüber der Kirche «Nuestra Señora de Lourdes», gemeinsam mit seiner Gehilfin Adela einen offensichtlich gut gehenden Musikladen betreibt. In diesem seinem Hort der musikalischen Einkehr, genannt La Caja de Música» (Die Musikschachtel), empfängt der Don nun täglich Fremde, Käufer, Leute, Menschen: «Schweigsame, harmonische, atonale oder misstönende Menschen kommen hier vorbei. Auf der Suche nach den großen Werken bevölkern sie die Partitur des Lebens.»
    Und da trifft er sie denn also alle, die stillen Melancholiker und die schrillen Choleriker, die diskutierfreudigen Intellektuellen oder maulfaulen Bauern, die versnobte Direktorenfrau oder die kulturbeflissene Lehrerin, den ausgeflippten Teenager oder den korrekten Buchhalter – und was der Stereotypen mehr sind.
    Denn ums psychofiligrane Zeichnen der Charaktere geht’s in diesem kunterbunten Botero-«Kabinett» der Personen und Stücke nicht so sehr als vielmehr darum, wie alle diese Gebildeten oder Dummen, Gelangweilten oder Neugierigen, Hoffnungsvollen oder Leidenden, Erfolgreichen oder Gestrandeten mit Musik agieren, auf Musik reagieren – und damit über sich und die Werke und das un-erhörte Dazwischen eine erstaunliche Menge preisgeben.


    Mauricio Botero - hierzulande kennt man diesen in seinem Heimatland schon mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Schriftsteller kaum - ist in diesem «Klassikkabinett» ein Virtuose des szenischen Kontrasts und der frappanten Skurillität ebenso wie der (musik-)ästhetischen Reflexion und des entlarvenden Dialogs, ein Meister der buchstäblich leisen Töne, doch auch des schockierenden Paukenschlages. Keines seiner Kapitel ohne Humor, ja Sprachwitz, aber auch keines ohne feingewogenen Hintersinn – sei’s nun der «besprochenen» Musikstücke, sei’s der «behandelten» Menschen. Der kleine CD-Laden des Don Otto gerät so zum Abbild eines wahren kulturgeschichtlichen Kosmos’, auch wenn es sich bei den vielen zitierten Tonwerken von Händel bis Bartok um ausnahmslos sehr berühmte Stücke handelt, denen diese «Neuentdeckung» durch Don Ottos Klassik- bzw. Horrorkabinett höchst gut tut (und welche die Lektüre auch für musikalische Laien sehr zum Gewinn macht!).


    Mauricio Botero, Don Ottos Klassikkabinett, Unionsverlag, 188 Seiten, ISBN 978-3293004092