Robert Schneider - Kristus

  • Ein hoch interessantes Thema! Man schreibt das 1520, und die kath. Kirche erlebt seit Luther eine große Krise. Ach ja, Kristus statt Christus entsteht, weil der Protagonist als sechs Jähriger den Namen schlichtweg falsch geschrieben hat. Die kath. Kirche ist „Pleite“ und verkauft Ablasszettel, damit kann man sich von den Sünden befreien und kommt in den Himmel. Es entstehen viele Widersacher-Gruppen, auch die ev. Kirche wird kritisiert. Auf jedem Fall sucht man Gott, Christus und ganz viel Menschlichkeit. So entsteht die Gruppe der Wiedertäufer.


    Schrecklich! Wie zunächst eine gute Idee so umschlagen kann!
    Ich lese mit Entsetzen dieses Buch, und kann wie schon so oft, die Menschheit nicht verstehen.

  • http://www.efb.ch/Texte/admuenst.htm



    Die Münster-Täufer 1534-1535
    Der kurzlebige täuferische Stadtstaat in Westfalen und sein katastrophales Ende
    Im 16. Jahrhundert wurde in einem Teil des deutschsprachigen Europa die Reformation durchgeführt. Der Zustand der römisch-katholischen Kirche war vielen zuwider und viele wollten das Evangelium in einer ursprünglicheren Form verwirklicht sehen. Reformatoren wie Martin Luther, Johannes Calvin oder Ulrich Zwingli brachten diesen Prozess so richtig in Gang, welcher Europa bis heute sichtbar umgestalten sollte. Evangelische - auch protestantisch oder nach dem grossen Reformator lutherisch genannte Christen, spalteten sich von der katholischen Kirche ab und gründeten eigene Kirchen. Da die Kirchen und der Staat eng verknüpft waren, löste dies einige gesellschaftliche Veränderungen aus.
    Eine kleine aber wichtige Episode aus jener Zeit verdient unsere Aufmerksamkeit. Es gab evangelisch gesinnte Kräfte, welche die Reformation noch radikaler als die offiziellen Evangelischen durchführen wollten. Zu diesen Kräften gehörten auch die sogenannten Wiedertäufer. 1534/35 war eine ganze Stadt, Münster in Westfalen, in die Hand der Täufer gefallen. Sie verwirklichten dort so etwas wie einen unabhängigen Stadt-Staat mit einer eigenen Regierung, Reich Zions genannt. Natürlich gab dies Widerstand, sodass der Bischof von Münster, Franz von Waldeck, seine eigene Stadt zu belagern begann. Nach anderthalb Jahren fiel die Kommune Münster am 25. Juni 1535. Die betroffenen Täufer wurden für ihre Abtrünnigkeit grausam bestraft.
    Die Armut als wesentliche Ursache für die Unzufriedenheit
    Das Phänomen der kurzlebigen, autonomen Täuferstadt verstehen wir nur, wenn wir uns die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge jener Zeit vor Augen führen. Die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts, aber auch schon die Zeit vor 1500, war eine Zeit des Umbruchs. Ein neues Gefühl für die weite Welt entwickelte sich aus der Reise von Kolumbus 1492 in die Karibik, damals noch als Westindien angesehen. Damit war erwiesen, dass die Erde eine Kugel sei und keine Scheibe, wie die Kirchenoberen in Rom immer behauptet hatten. In der Folge verloren der Papst, aber auch der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation immer mehr an Bedeutung. Kapital- und Handelsgesellschaften begannen zu entstehen. Bekanntestes Beispiel einer solchen Kapitalgesellschaft waren die Fugger in Augsburg. Sogar der Papst war bei ihnen hoch verschuldet. Er brauchte Geld, um den Petersdom in Rom fertig zu stellen. Dies war auch der Grund für den Ablasshandel. Mit dem Peterspfennig finanzierte man den Petersdom, erhielt dafür aber Vergebung der Sünden zugesprochen.
    Dieser unsinnige Ablasshandel war später ein wichtiger Auslöser für die Reformation. Der Augustinermönch Martin Luther begann, dieses kirchliche Gnadenbusiness zu hinterfragen. Zu den wirtschaftlichen Veränderungen kamen also auch theologische dazu. Das Weltbild begann zu wanken und setzte Kräfte frei, die nicht alle in konstruktiven Bahnen verliefen. Weite Kreise der Bevölkerung waren unzufrieden und vereinzelt gab es Aufstände. Auffallend war, dass sich in der Argumentation der Unzufriedenen politische und religiöse Gedanken zu vermischen begannen.
    Die Reformation war auf theologischer Seite Ausdruck der Unzufriedenheit, die den Prozess des gesellschaftlichen Aufruhrs förderte. Natürlich gab es handfeste wirtschaftliche und damit soziale Gründe für das Aufbegehren. Viele Bauern verarmten durch Hofteilungen, die hohen Abgaben und den Frondienst. In den Städten gab es eine Armen-Schicht, die vor allem aus zugezogenen Bauern und sozial abgesunkenen Handwerksgesellen bestand. Letztere erhielten durch den aufblühenden Handel Konkurrenz durch Import-Produkte und wurden arbeitslos. Dies alles förderte das Aufbegehren. Die Bauernaufstände im grossen Stil fanden ausser in Bayern vor allem in Süd- und Mitteldeutschland, aber auch in Österreich statt. Anführer des Bauernaufstandes in Thüringen war der bekannte Theologe und Revolutionär Thomas Müntzer.
    Als sich der Reformator Martin Luther gegen die Bauernrotten aussprach, gab dies den Obrigkeiten eine religiöse Berechtigung, die Aufstände niederzuschlagen. Diese Phase ist als der Grosse Deutsche Bauernkrieg von 1524/25 in die Geschichte eingegangen. Doch auch nach dem Bauernkrieg gab es vereinzelte Aufstände, wie die Wiedertäufer-Kommune in Münster zehn Jahre später zeigen sollte.
    Das Täufertum als konsequente Reformation
    Seit 1520, also schon bald nach Beginn der Reformation, breitete sich das Täufertum aus. Sie ging aus den Gedanken, welche Luther verbreitete, hervor, driftete aber von ihm und seiner Bewegung ab. Der erste grosse Täufer-Führer war der Theologe Thomas Müntzer. Dieser fand im Bauernkrieg 1525 den Tod. Ein Kennzeichen der Täufer war, dass sie nur die Taufe von Erwachsenen vollzogen. Es wurde bei ihnen also niemand schon als Kind getauft, sondern erst dann, wenn im Mündigenalter eine bewusste Entscheidung für Gott und den christlichen Glauben vorausging. Die meisten Gläubigen wurden so ein zweites Mal getauft, daher der Ausdruck Wiedertäufer.
    Dies war eine Reaktion auf die katholische Praxis, bei dem ein ungetauftes Kind als verlorene Seele galt. Eine Überzeugung, die aufgrund der Bibel nicht nachvollziehbar ist. Da in jenen Zeiten die Kindersterblichkeit aufgrund der unhygienischen Verhältnisse sehr gross war, starben viele Kinder ungetauft. Der seelische Druck, der sich wie ein dunkler Vorhang auf die Eltern setzte, war bedeutend. Es ist daher nachvollziehbar, dass sich viele Menschen den Täufern anschlossen, um diesen Druck loszuwerden.
    Die Täufer fanden eine weite Verbreitung. Mit ausgelöst war dies durch die Verfolgung der Täufer in Zürich. Dadurch verteilten sie sich rasch in verschiedene Richtungen: Ins Alpengebiet, nach Mähren, in die Gebiete des Niederrheins und Frieslands. Die Täufer hoben sich in ihren Glaubensüberzeugungen von den Katholiken und der Reformation ab, und zwar in allererster Linie in folgenden Punkten:
    1. Die Täufer misstrauten dem Staat und jeglichem Staatskirchentum. Einige Anhänger unter dem Täuferführer Melchior Hoffmann aus Schwäbisch-Hall waren in diesem Punkt sogar sehr radikal: Sie vertraten die unsinnige Ansicht, dass Gott den Gläubigen die physische Vernichtung der Ungläubigen befehle.
    2. Die Täufer forderten eine gesetzliche Sittlichkeit basierend auf der Bergpredigt.
    3. Die Täufer verlangten in ihren eigenen Reihen das geduldige, demütige Ertragen jedes Unrechts und aller Gewalt - auch derjenigen, die von der staatlichen Macht ausgeübt wird. Hier sehen wir, dass es auch gemässigte Täufer gab, die keinesfalls wie die radikale Richtung die Verfolgung der Ungläubigen vertrat. Man muss davon ausgehen, dass die grosse Mehrzahl der Täufer zu dieser friedliebenden Richtung gehörte.
    4. Die Täufer glaubten an die mystische Lehre vom inneren Licht. Damit zogen sie sich auf einen unfehlbaren Standpunkt zurück, weil Gott zu ihnen direkt sprach. Diese Informationen waren wichtiger als das an der Bibel Nachprüfbare. Bei diesen prophetischen Erleuchtungen handelte es sich wahrscheinlich um ganz normale Träume oder auf Gott projizierte Wünsche. Wir sehen gerade hier, dass das Gebot Gottes, seinem Wort der Bibel nichts hinzuzufügen, auf krasse Weise verletzt wurde.
    5. Die Täufer strebten Gemeinden von Heiligen in ihrem Sinne an.
    6. Die Spättaufe von mündigen Gläubigen. Weil auf diese Weise viele zweimal getauft wurden, wurden die Täufer daher auch Wiedertäufer genannt.
    Alle diese Dogmen waren Voraussetzungen für die späteren Entwicklungen in der Täuferbewegung. Die Täuferstadt Münster von 1534/35 war eine direkte Auswirkung der täuferischen Überzeugungen, die sich aufgrund schon bestehender Verfolgungen im Gebiet des Niederrheins niedergelassen und viele Einheimische um sich geschart hatten. So war das Täufertum von Ostfriesland aus auch nach den Niederlanden gelangt. Ein wichtiger Führer der späteren Münster-Täufer, der Haarlemer Bäcker Jan Matthys, kam von dort. Matthys hielt sich für den alttestamentlichen Propheten Henoch. Diese radikale Richtung der Täufer gelangte von dort aus nach Münster in Westfalen.
    Das neue Jerusalem: Münster
    In Münster selber war die Reformation 1533 durchgeführt worden, also nur ein Jahr bevor die Stadt von den Täufern übernommen wurde. Münster hatte seit dem 12. Jahrhundert ein eigenes Stadtrecht. Sie war Mitglied der Hanse und entwickelte sich zu einem Wirtschaftszentrum im Nordwesten von Deutschland. Die Hanse wählte Münster 1494 zu ihrem westfälischen Vorort. Die Stadt hatte damals rund zehntausend Einwohner - heute sind es rund 270 000. Viele Menschen verarmten zu jener Zeit in und um Münster, vor allem aufgrund der katastrophalen Missernte von 1529.
    1534 nun kam neben Jan Matthys auch ein anderer Anführer der Täufer nach Münster, Jan Beuckelssen aus Leiden. In jener Zeit hatten bei den Täufern, nicht nur in Münster, die zum militanten Extremismus neigende Richtung die Oberhand. Dies lag daran, dass 1528 ein kaiserliches Mandat die Täufer für vogelfrei erklärte. Jeder gefangene Täufer wurde gefoltert und umgebracht. Dies verhärtete viele Täufer und sie fanden, unter diesen Umständen hätten sie ein Recht, sich zu wehren. Dieses kaiserliche Blutsmandat galt übrigens bis 1555. Alleine in den Niederlanden fielen diesem Edikt mindestens 50 000 Täufer zum Opfer. Diese Verfolgungen gab es schon vor der Übernahme von Münster durch die Täufer. Dieser Umstand förderte ihre Überzeugung, dass das Kommen des Reiches Gottes nahe gekommen war. Die Täufer betrachteten sich als wahre Nachfolger der Israeliten, die Gott in einem neuen Jerusalem versammeln wolle. Dieses Jerusalem hiess in diesem Fall eben Münster. Andere versammelten sich in Strassburg, aber mit weniger Erfolg.
    Nach der Reformation von 1533 verliessen die Domherren und Patrizier die Stadt. Dafür kamen viele freiheitsliebende Holländer in die Stadt, vor allem weil sie ihrer Heimat, welche von den Habsburgern kontrolliert wurde, entfliehen wollten. Die Täufer waren zwar zunächst gehalten, in Münster keine Propaganda zu treiben, sie wurden aber von der katholisch-lutheranischen Obrigkeit geduldet. Die Täufer tauften im Verborgenen und führten eine Art Gütergemeinschaft ein. Mit ihrer Lehre, dass allen alles gehöre, wurden die Verarmten in ihren Bannkreis gezogen.
    Dann begann die obrigkeitliche Koalition in der Stadt zu zerbrechen. Der protestantische Stadtrat sah sich bedroht auf der einen Seite durch eine mögliche Wiederherstellung der alten, katholischen Verhältnisse, auf der anderen Seite durch eine Revolution der Täufer. Nachdem einige täuferisch gesinnte Prediger aus der Stadt gewiesen wurden, begann es kritisch zu werden. Die Täufer holten ihre Verkünder zurück und rotteten sich zusammen. Sie kümmerten sich um die Beschlüsse des evangelischen Stadtrates so wenig wie sich dieser für die Ansichten des katholischen Bischofs interessierte. Anfangs Februar 1534 befahl der Bischof von Münster, Franz von Waldeck, dass alle des Täufertums Verdächtigten auf dem ganzen Gebiet seiner Diözese zu verhaften seien. Kurze Zeit später besetzten 500 bewaffnete Täufer den Markt und das Rathaus. Überall wurden die Menschen von den Täufern aufgefordert, sich zu Gott zu bekehren, da die Endzeit und der Tag des Gerichtes nahe herbeigekommen sei.
    Täuferische Machtübernahme
    Nach der Besetzung des Marktes durch die Täufer gab es in der Stadt zwei Heerlager, welche durch den Aabach getrennt waren. Im kleineren Teil der Stadt befanden sich Katholiken und Lutheraner, im anderen die Täufer. Doch kam es nicht zum bewaffneten Konflikt. Die Evangelischen hatten nämlich auf einmal Angst, dass eine militärische Stärkung durch die bischöflichen Truppen nicht nur die Besiegung der Täufer zur Folge hätte, sondern auch die Beseitigung der Reformation. So verständigte man sich und kam überein, dass in der Stadt Glaubensfreiheit herrschen müsse. Die Täufer verständigten daraufhin ihre Glaubensgenossen ausserhalb der Stadt, die sich vor dem Bischof versteckt hielten mussten. Sie wurden eingeladen, alles zu verlassen und nach Münster zu kommen. Es war eine grosse Menschenmenge, die daraufhin - auch aus Holland und Friesland - der Einladung Folge leisteten. Als kurz darauf die Ratswahlen stattfanden, obsiegten die Täufer. Sie konnten alle zehn Wahlmänner stellen.
    Die Stadt veränderte in der Folge ihr Gesicht. Es kam zu Bilderstürmen und Zerstörungen in Kirchen und Klöstern. Alles Silber und Gold wurde geplündert und zusammengetragen im Wert von über 300 000 Gulden. Der Bischof hatte für die Belagerung nur ein zwanzigstel dieses Betrages zur Verfügung. In Erwartung eines militärischen Schlages durch den Bischof wurde verhindert, dass Geld, Lebensmittel oder Waffen aus der Stadt hinausgetragen wurden.
    Daraufhin wurden alle Einwohner während dreier Tage getauft und die Gegner dieser Massnahme kurzerhand aus der Stadt vertrieben. Mit Flugblättern wurden die bischöflichen Soldaten, die sich inzwischen zu einem Belagerungsring vor der Stadt versammelt hatten, zur Umkehr aufgefordert. Mit Eifer begannen die Täufer ihre Stadt zu befestigen. Weil in der Stadt eine Art Kommunismus galt, wurden alle Schuldverschreibungen und Urkunden vernichtet. Später wurde das Privateigentum in der Stadt sogar ganz abgeschafft. In der Stadt gab es damals rund 2000 Männer und rund 7000 Frauen. Die Männer, die zur Stadt wollten, wurden von den Belagerern nicht mehr durchgelassen. Deshalb wurde kurzerhand die Vielweiberei eingeführt. Jeder konnte es in der Stadt mit jeder treiben, ganz wie ihm beliebte.
    Nachdem in Holland ein grosses Täuferheer vernichtet wurde, sah man die Lage in Münster kritischer an. Bei einem ersten Ansturm auf die Stadt am 31. August 1534 waren es aber die Belagerer, die unter ihren 8000 Landsknechten rund 3000 Todesopfer zu beklagen hatten. Am Reichstag in Worms vom 4. April 1535 wurde die Belagerung von Münster deshalb zur - kostenintensiven - Reichssache gemacht. Aufgrund der langen Belagerung begann man in Münster inzwischen an Hunger zu leiden, die ersten begannen an Unterernährung zu sterben. Am 30. Mai wurde Münster mit der Drohung, alle niederzumachen, zur Kapitulation aufgefordert.
    Münster fällt
    Am 25. Juni 1535 schliesslich kamen die Belagerer während der Nacht in die Stadt. Ihnen kamen Überläufer zu Hilfe, die ihnen Tips gaben. Viele der Wachen schliefen, weil sie sich vor Erschöpfung nicht mehr auf den Beinen und wach halten konnten. Die hereingekommenen Soldaten durchsuchten jeden Winkel der Stadt und erschlugen während einer Woche jeden, den sie fanden. Damit brach auch der Konflikt zwischen Lutheranern und Katholiken wieder aus. Drei der Täuferführer wurden während sieben Monaten verhört, öffentlich gefoltert und hingerichtet, ihre leblosen Körper in Eisenkäfige gesperrt und zur Abschreckung am Lambertiturm hochgezogen. Münster selber wurde daraufhin zur jahrhundertelangen Hochburg des Katholizismus.
    Nach den schrecklichen Geschehnissen in Münster verfolgte man die Täufer überall wo sie hin kamen, mehr noch als zuvor. Das Wort Täufer war psychologisch etwa so negativ, wie wenn wir heute von Terroristen sprechen würden. Natürlich war vieles, was man über die Täufer kolportierte, nichts anderes als Hysterie. Ein Historiker wies darauf hin, dass alle Aufzeichnungen über die Geschehnisse in Münster von den Gegnern der Täufer stammten. Alle Schriften der Täufer wurden nämlich verbrannt, wo immer man sie fand. Daher müssen wir einige Details offen lassen, ob sie sich wirklich so wie überliefert oder anders zugetragen haben. Jedenfalls sass denjenigen Täufern, die andernorts überlebten, der Schrecken über diese Ereignisse tief in den Knochen. Die Mennoniten, wie viele Täufer sich nach ihrem Begründer Menno Simmons nannten, haben bis zum heutigen Tag eine überdurchschnittlich starke Abneigung gegen alles, was mit Waffen oder Militärdienst zusammen hängt.
    Gottesreich oder Menschenreich?
    Ein Prinzip der damaligen Zeit im 16. Jahrhundert sehen überall in der Geschichte. Da wo Menschen verarmt sind und von ihren Regierungen im Stich gelassen wurden, hatten es neue Ideologien leicht, Anhänger zu finden. Wenn solche Bewegungen genug Anhänger haben, um selber an die Macht zu kommen, stellt sich eine Frage vor allen anderen: Können die neuen Machthaber mit dieser Macht umgehen? Die Täufer in Münster konnten es nicht. In diesem grundsätzlichen Punkt unterschieden sie sich nicht von demjenigen Teil der Obrigkeit, die durch ihr ungeschicktes Wahrnehmen der Regierungsgeschäfte und durch ihre Habgier den Zulauf zu den Täufern erst verursachten.
    Was in Münster 1534/35 geschah, ist ein exemplarisches Beispiel für eine fehlgeleitete Reich-Gottes-Erwartung. Wenn überspannte Christen in voreiliger Vorwegnahme des Reiches Gottes die Staats-Geschicke selber in die Hand nehmen, ist das Unglück nicht mehr weit. Ein Blick in die Bibel bestätigt, dass nur Gott der Vater alleine das Zeitalter und den genauen Zeitpunkt weiss, in dem Christus wiederkommt und die Regierung der Welt selber in die Hand nimmt. So gesehen ist das Wort Theokratie oder Gottesstaat ein Widerspruch in sich. Alle Versuche in der Geschichte, bei der die Christen - oder diejenigen, die sich für solche hielten - an die Macht kamen und anderen ihre Glaubensüberzeugungen aufzwangen, waren nicht Staaten Gottes. Es waren Menschen, die in ihrem Übereifer etwas für Gott anstatt mit Gott tun wollten. Jesus sagte: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt." Damit grenzte er sich von den Eiferern seiner Zeit ab, den Zeloten, die am liebsten gleich losgeschlagen hätten, um die Römer gewaltsam aus Judäa zu vertreiben.
    Zeugen der Glaubens- und Gewissensfreiheit


    Die Obrigkeit gab den Täufern keine Möglichkeit, sich als treue und loyale Untertanen oder Bürger zu erweisen. Die überspannte Verfolgung der Täufer provozierte daher die entsprechenden Reaktionen auf der Gegenseite. Die umfassende Glaubensfreiheit gehörte, im Gegensatz zu heute, nicht zu jenem leidvollen Zeitalter. Als den Täufern verwehrt wurde, gemäss ihrem Glauben zu leben, kehrte ein Teil von ihnen, in die Enge getrieben, den Spiess um und mutierte von friedlichen Christen zu militanten Anarchisten.
    Die Täufer, von denen die allermeisten irgendwo in Europa versteckt und in Frieden lebten, gaben mit ihren Überzeugungen - und das darf nicht vergessen werden - ein Beispiel für die Glaubens- und Gewissensfreiheit und dies Jahrhunderte vor der Erklärung der Menschenrechte. Es wäre deshalb nicht korrekt, den Täufern der damaligen Zeit pauschal das Fundamentalismus-Etikett anzuheften. Denn dieses hätte wohl eher zu ihren staatlichen und kirchlichen Verfolgern gepasst. Die Täufer versuchten im allgemeinen, die ursprünglichste Form von christlichem Glauben zu leben. Gerade deshalb gehörten sie zu denjenigen, welche die Freiheit am meisten liebten. In diesem - nicht theologisch, sondern gesellschaftlich zu verstehenden - Wortsinn, waren sie nicht einfach nur Konservative, sondern vielmehr Liberale und dies lange Zeit bevor sich andere hervorwagten, von der Obrigkeit ein ähnliches Mass an Freiheit einzufordern.

  • Sehr interessanter Artikel, danke, @ Heidi.


    Und der Verfasser des Buches ist der "Schlafes Bruder"-Autor.


    Aber 24,90, puuuh. Warten wir aufs Taschenbuch.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • In "Die Hand der Anne Boleyn" wird auch die Schlacht um Münster beschrieben. Wobei hier der historische Zusammenhang nicht klar wird und das Ganze mit der eigentlichen Handlung des Buches nichts zu tun hat.

    Liebe Grüsse
    Wonneproppen
    ;-)


    Ich lese gerade "Im Dunkel der Wälder" von Brigitte Aubert
    Es gibt nur ein Leben für jeden von uns: unser eigenes. Euripides

  • Ich hatte gestern das große Vergnügen, den Autor bei einer Lesung in sehr kleinem Rahmen (es waren (leider) nur ca 20 Leute anwesend), kennenzulernen.


    Robert Schneider las aus dem Buch "Kristus", erzählte zuerst von den historischen Tatsachen, die den Rahmen für dieses Buch bilden.
    Aus dem Buch las er einige Sequenzen (nicht chronologisch), ohne zu viel zu verraten. Dennoch bekam man einen sehr guten Eindruck von den vielen aufgegriffenen Themen.


    Es war ein sehr schöner Abend, mit einem sehr sympathischen, ruhigen und besonnenen Menschen der auch ein begnadeter Vorleser ist, und natürlich ließ ich meine Exemplare von "Schlafes Bruder" und "Die Unberührten" signieren und auch ein handsignierter, gewidmeter "Kristus" ging mit nach Hause! ;)

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Holland Anfang des 16. Jahrhunderts: der kleine Jan Beukels schockiert seinen Schulmeister, indem er in einem Aufsatz über seinen Berufswunsch schreibt, er wolle einmal "Kristus" werden. Gotteslästerlich!


    Doch Jan ist und bleibt fasziniert von den zahlreichen Prozessionen, die zu verschiedensten Anlässen in seiner Heimatstadt Leiden stattfinden, und vom Glauben überhaupt, und freundet sich schließlich mit einem Kartäusermönch an.


    Es ist die Zeit der Reformation in Deutschland, in der auch die Täuferbewegung entsteht (später als Wiedertäufer bekannt), die mit den alten Gewohnheiten der katholischen Kirche brechen will. Jan begegnet einem von ihnen, begeistert sich für diese gänzlich neue Form des Glaubens und zieht mit ihm nach Münster, wo sich schon viele einflussreiche Männer der Bewegung angeschlossen haben.


    Recht schnell gewinnt der charismatische junge Mann die Herzen der Münsteraner und steigt zur Führungsfigur der Täufer auf, die Münster zu ihrer Hochburg machen wollen, indem sie alle Menschen in der Stadt bekehren. Dieses Ansinnen artet jedoch mit der Zeit in Gewalt und Fanatismus aus. Die Stadt wird belagert, es kommt zu immer schlimmeren Auswüchsen, Zerstörung und Hunger ...


    In der altertümelnden Sprache, die man bereits aus "Schlafes Bruder" kennt, hat Robert Schneider hier einen spannenden, düsteren und blutigen Historienroman von einigem Umfang geschrieben. Zunächst braucht es ein wenig, bis man sich eingelesen hat, und man sollte weder mit Gewalt und Folter noch mit religiösen Thesen Probleme haben, um das Buch zu mögen.


    Die Figur des Jan Beukels van Leyden wird facettenreich und vielschichtig gezeichnet, Selbstzweifel wechseln sich ab mit religiösem Eifer, der sich allmählich zum Fanatismus steigert, bis zum regelrechten (Größen)Wahn, in dem er sich völlig in seine Ideen verrennt und niemand mehr auf seine Gnade hoffen kann.


    Zunächst erfahren wir im Zeitraffer von seiner Kindheit und Jugend, seiner ständigen Suche nach Gott und sich selbst, bis er schließlich nach Münster geht und die Ereignisse ihren Lauf nehmen, denen der Großteil des Buches gewidmet ist. Wie das friedliche "Himmelreich auf Erden", das sich die Täufer erträumen, in Allzumenschlichem, in Streit, Gewalt und Verblendung endet, liest sich erschreckend und brutal, doch gerade durch die teils ziemlich detaillierten Beschreibungen der Grausamkeiten wird man mitten ins Geschehen hineingerissen bis zum (für Jan und seine Mitanführer) bitteren Ende. (Vielleicht kennt der eine oder andere ja die Täuferkörbe in Münster.)


    Um die Zusammenhängen besser verstehen und einordnen zu können, empfiehlt es sich, Namen und Begriffe nachzuschlagen. Ein Glossar fehlt leider im Buch.


    Sicherlich nicht jedermanns Sache, aber wer außergewöhnliche historische Romane mag, kommt hier auf seine Kosten.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Kristus - Robert Schneider“ zu „Robert Schneider - Kristus“ geändert.