Kai-Michael Böttcher - Der Birkenwald (ab 22.05.2009)

  • Welche Veränderungen findest Du denn bedrohlich schnell?


    Ich hatte schon ein paar Mal Sätze geschrieben, die ich immer wieder gelöscht hatte, weil wir mit einer Diskussion über Milchpreise, den Presidenten der USA oder Regionalwährung, das Gespräch über den Birkenwald verlassen.


    Aber im Grunde ist doch alles "Der Birkenwald". Greife ein beliebiges Thema und überlege, was hat das mit mir zu tun?


    Eine Lösung, die zu einem Problem entwickelt wurde, wird, wenn sie nur stupide angewandt wird, ALLES über einen optimalen Punkt hinaus führen.
    Bsp 1: Ich schreibe ein Handbuch für mein Programm. Mit jeder Seite wird alles deutlicher. Also schreibe ich mehr und mehr. Wenn ich 100 Ordner Dokumentation abliefere ist die Klarheit da, wo ich bei 2 Seiten auch schon war.
    Bsp 2: Ich arbeite mit der Sense auf dem Feld und muss nachher mit einem Dreschflegel das Korn mühsam aus den Ähren schlagen. Die Erfindung des Mähdreschers ist also nicht doof. Die Arbeiter der Maschinenfabriken bekommen also von dem geernteten Korn etwas ab und in der Summe geht es allen besser. Was aber, wenn es mehr Mähdrescher als vorher Sensen gibt. Kann unsere Kultur noch funktionieren, wenn unsere Kinder gar nicht mehr wissen, was eine Sense überhaupt ist? (Brot macht doch nicht der Bauer sondern Aldi!).


    Die Frage was geht bedrohlich schnell: Weil der Weg falsch ist lassen viele Menschen los, damit gehen wir aber noch nicht den richtigen Weg. Gut wird es am Ende nur, wenn die Mehrheit die richtige Richtung geht.


    Das System Lidl gegen Aldi, dass den Milchpreis unmenschlich macht ist doch gut! Angebot und Nachfrage bilden den Preis. Was beim Preis fehlt, das ist der Wert! Wer gibt Dingen noch einen Wert? Aldi und Lidl spiegeln uns nur!
    Ich habe lange und gerne die Grünen gewählt, aber seit dem Dosenpfand habe ich ein Problem. Ich habe die Getränkefüller für Aldi programmiert. Der Preform für eine Flasche kostet 2Cent, als Leergut ist es Müll. Dann kommt die Bundesdruckerei und druckt eine Banderole und schon ist das Ding 25Cent wert. So etwas funktioniert nur in einer Gesellschaft, in der 50Euro das ist, wo 50Euro darauf steht. Aber wie lange muss ich programmieren, damit es so viel Wert ist, wie die Töpferei von Tom, oder die Arbeit einer Nachtschwester, die sich um sterbende Patienten kümmert?
    (In die Nachtschwester Geld zu investieren lohnt sich nicht, wenn die Menschen eh bald sterben, so kalkulieren jedenfalls die Krankenhäuser!)


    Das System reagiert nur, den Wert bestimmen wir!
    Als die Grünen in den 70er von Umweltschutz redeten, argumentierte mein Vater zu dem Vorschlag, an alle Autos einen Katalysator anzubauen: "Wer soll das bezahlen? Junge, hast Du mal überlegt wie teuer das ist?"
    Ein zentrales Argument der Grünen war: "Wir brauchen nicht Wirtschaftswachstum um jeden Preis." Heute fahren CDU-Wähler Autos mit Katalysator, ich programmiere Filteranlagen bei der eon weil es sich wirtschaftlich lohnt, nicht weil ich mal Grün gewählt habe und wir handeln CO2-Zertifikate. Die richtige Antwort hätte damals lauten müssen: "Du musst das, was Du im Herzen fühlst, in handelbare Ware verwandeln!"


    Das Wort Wirtschaftswachstum bedeutet doch nur, das jeder am Tag fleißig sein sollte. Geld ist die Anerkennung der Leistung meiner Mitmenschen. Auf die würde ich nie freiwillig verzichten!


    Ich hoffe, ich gehe Euch mit soviel Politik nicht auf die Nerven, aber es zuckte mir in den Fingern.

  • Sorry, mich gibt es auch noch...tut mir wirklich leid, aber im Moment komme ich nicht so zu lesen. 8-[ Ich bin nun auf Seite 88. Die Szene mit dem Kaktus hat mir gut gefallen. Auf die Idee muss man erst mal kommen, sowas simples und doch schwieriges. :thumleft:
    Ich fand es auch etwas bedrückend, von Alexander zu lesen. Anscheinend ist der auch (?) tot und lebt nur noch in der virtuellen Welt. Andererseits frage ich mich gerade, wie er dann die Reorganisation durchführen konnte. :-k

    Es ist echt gruselig darüber nachzudenken, was aus den realen Körpern von Dirk und Eva geworden ist


    Ich glaub, darüber mag ich gar nicht nachdenken.


    Ich habe die ganzen anderen Beiträge nur kurz überflogen, weil ich noch nicht soweit bin - aber das werde ich am Ende nachholen. O:-)

  • Schön, Hermia, dass Du nun auch voll dabei bist! Ich wollte Dir schon fast ein PN schicken.
    Leider sind wir anderen wohl schon mehr oder weniger durch. Doch zögere nicht mit Deinen Kommentaren!

  • Tom, ich hatte auch schon ein richtig schlechtes Gewissen. Das hat sowas von "Buch umsonst abstauben" und das mag ich eigentlich überhaupt nicht. Aber jetzt klappt es ganz gut.


    Ich bin nun auf Seite 127. Werner und Dirk haben miteinander telefoniert und nun versucht Werner, den Körper von Dirk und Eva zu finden.

    Ich fand es auch etwas bedrückend, von Alexander zu lesen. Anscheinend ist der auch (?) tot und lebt nur noch in der virtuellen Welt. Andererseits frage ich mich gerade, wie er dann die Reorganisation durchführen konnte.

    Die Frage hat sich nun für mich erledigt - Alexander wurde in Notwehr erstochen und sein Kopf wird von Grothe künstlich am Leben erhalten. :pale: So stelle ich es mir zumindest vor.


    Jetzt werde ich gleich noch ein bisschen weiterlesen.


  • Nein, mir gehst Du mit Politik ganz sicher nicht auf die Nerven. Daß Du eine Botschaft in Deinem Buch und in Deinen Geschichten vertrittst, haben wir bereits festgestellt. Mich hat Dein Buch sehr zum Nachdenken angeregt, da es in mir unterschwellige Gefühle greifbarer und offensichtlicher macht. Und das ist doch der Sinn guter Literatur. Und diese tolle Diskussion mit euch allen, vertieft noch die Eindrücke, die sich in mir gebildet haben.


    Ich bin (oder war) selbst auch ziemich grün, ich habe vor 12 Jahren einen Studienschwerpunkt "Umeltorientierte Unternehmensführung" ausgewählt und eine Diplomarbeit zum Theme Umweltmanagementsysteme in Unternehmen geschrieben. Aber auch durch die Arbeit an der Diplomarbeit konnte ich feststellen, wie dieses Instrument von Unternehmen zur Gewinnmaximierung genutzt werden kann, wobei der Öffentlichkeit verkauft wird, daß man das hehre Ziel des Umweltschutzes im Blick hat und sich seiner gesellschaftspolitischen Verantwortung bewusst ist. Nun, es hat sich seither viel getan, da stimme ich Dir zu, aber von einer bedrohlichen Geschwindigkeit spüre ich ncihts. Und wenn die wirtschafltliche Existenz bedroht ist, dann werden wieder alle "grünen" und sozialen Errungenschaften über Bord geschmissen - dann gilt wieder, daß die Shareholder 25% Ertrag aus ihren Einlagen haben möchten und 5% keinesfalls ausreichen. Klinge ich verbittert? Bin ich eigentlich gar nicht.


    "Geld ist die Anerkennung der Leistung meiner Mitmenschen ..." -wie gesagt, es kommt darauf an, wie diese Leistung bewertet wird - und hier ist nun wirklich einiges aus dem Ruder gelaufen. Ich denke hier etwa an Fußballspieler oder Bankmanager. Was führt zu solchen Auswüchsen, zu solchen Übertreibungen? Ist es die Gier der Menschen?


    @all:
    Ich verabschiede mich für eine Woche aus dem Thread, ich werde wohl in der nächsten Woche keine Gelegenheit fürs Internet haben. Ich bedanke mich für die tolle Diskussion, die für mich sehr anregend war. Ich ertappe mich dabei, wie ich täglich, oft mehrmals täglich, über Diskussionsbeiträge, über den "Birkenwald" nachdenke.

    Wie wenig du gelesen hast, wie wenig du kennst - aber vom Zufall des Gelesenen hängt es ab, was du bist. Elias Canetti

  • ... wie dieses Instrument von Unternehmen zur Gewinnmaximierung genutzt werden kann, wobei der Öffentlichkeit verkauft wird, daß man das hehre Ziel des Umweltschutzes im Blick hat ...


    Es tut mir leid literat, aber ich finde, dass dieses kein Wiederspruch sein muss. Wenn wir Geld wirklich als Abbild unserer Werte verstehen, dann heisst Gewinnmaximierung, dass mein Produkt oder meine Leistung höher bewertet wird, als die eines anderen Anbieters.
    Ich wette, dass in 10 Jahren meine Frau als Kunstmalerin mehr Geld verdient (es maximiert) als ich als Programmierer. Aber für diese Verwandlung benötigt eine Gesellschaft seine Zeit.


    Die Generation meiner Eltern hatte 1945 ein zerbomtes Land. Die anhäufung von Konsum und Glücklichsein war das gleiche. Das erste Stück Schokolade unter dem Weihnachtsbaum :santa: hat nach dem Krieg sicher von Herzen froh gemacht.
    Heute kann ich mir 30 oder 50 Mars kaufen, aber ich steigere meine Glückseeligkeit nicht von 30 auf 50! Ganz im Gegenteil: Ich werde dick, hab schlechte Zähne und nach dem 3.Mars fällt mir ein, dass ich doch Nuts wollte ...
    Aber der Weg meiner Eltern war nicht falsch! Wir haben nur nicht bemerkt, wann wir zwischen Konsum und Glück wählen mussten, weil es nicht mehr das Gleiche ist.


    Wenn das Produkt einer Firma für mich tatsächlich Glück bedeutet, dann sollen sie ruhig auch mehr als 25% Redinte machen, je mehr je besser!
    Unserem Land fehlt nicht das Geld, sondern es mangelt an guten Gedanken!


    Nochmal deutlich, was mir zu schnell geht: Das Zurückführen des Konsumwahns ähnelt einem Zusammenbruch, der Aufbau eines neuen Wertesystems aus den Herzen und dem Denken der Menschen ist zwar in Gange, aber sehr langsam.
    Diese Prozesse gehören zusammen und müssten deshalb aufeinander warten.


  • Kostenlos abstauben!
    Umsonst ist "Der Birkenwald" doch hoffentlich niemals.


    Falsche Wortwahl - umsonst war dieses Buch wirklich nicht! :wink:


    So, ich habe es letzte Nacht beendet. Ich fand es irgendwie merkwürdig, das Werner sich so arrangiert mit dem Leben von Dirk in der virtuellen Welt. Andererseits, was hätte er sonst machen sollen? In ein normales Leben können Dirk und Eva nicht mehr zurückkehren. Von daher war seine Reaktion dann doch passend. :-k
    Und so kann er Eva und Dirk ein glückliches Leben bieten. Zumindest scheinbar. Aber wenn ich an Alexander denke, der für Experimente missbraucht wird, dann bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen. Ich spinne die Geschichte automatisch weiter und denke mir: Was geschieht mit Eva und Dirk, wenn Werner nicht mehr als "Aufpasser" da ist? Dann könnten doch auch die beiden Opfer solcher Experimente werden. :pale:
    Ein sehr tolles Buch, das bestimmt lange nachklingt - und ich denke, ich werde es gerne nochmal lesen. :thumleft:

  • Mit jeder Fertigmeldung geht die Leserunde dann ja langsam ihrem Ende entgegen. :cry:
    Viele Dank an Hermia für die lobenden Worte. O:-)


    Ich möchte zur Nacht noch schnell einen Gedanken loswerden, der einen Zusammenhang zwischen meinem Buch und diesem Forum herstellt.
    Ich habe die letzten Tage mit Euch (tom fleo, Hermia, LisaM, literat und Melli2505) hier über mein Buch geschrieben.
    Ich muss beichten, dass ich ausser nervigen Hotline-Anfragen noch keinen Chat oder änliches im Internet benutzt habe.


    Eigentlich ist es doch gar nicht so schwer, sich die Welt von Dirk und Eva vorzustellen. Ich bin hier an einen Rechner gebunden und alle Menschen bekommen ein vom System bestimmtes Aussehen.
    Die Gesichter, die ich von Euch vor Augen habe, sind ein Bach im Wald, ein Mann am Meer, ein Goldfisch, Melli2505's Katze und der Pinguin am Rechner.
    Eure Beiträge waren so ehrlich und doch von jedem so individuel, dass sich in mir das Gefühl einstellt, jeden von Euch nun irgendwie zu kennen.
    Andererseits würde ich auf der Strasse (in der realen Welt) an jedem von Euch vorbeilaufen. Also kennt man sich doch nicht ... Aber wen kennt man dann?


    Meine Antwort dazu steht übrigens auf dem Cover als Ascii-Code:
    42 65 61 74 65
    69 63 68
    6C 69 65 62 65
    44 69 63 68


    Euer Kai-Michael Böttcher

  • Aber wenn ich an Alexander denke, der für Experimente missbraucht wird,

    Diese Stelle empfinde ich als die krasseste im Buch überhaupt! Ich hab mich mit einem Kommentar noch zurück gehalten, bis auch Hermia fertig ist.


    Aber als ich das gelesen habe, musste ich doch ein paar mal schlucken! Alexander war ein Idiot und ein Arsch und ein Vergewaltiger, wie wir erfahren haben, und wurde deshalb für die Experimente missbraucht, für die Dirk eigentlich bestimmt war. Da hat einer (hier waren es Werner und Angelika) doch einfach mal "Lieber Gott" gespielt und über Leben und Sterben bestimmt. :shock:


    Anfang Mai habe ich "Mein Leben" von Marcel Reich-Ranicki gelesen, und der fragte sich, warum ausgerechnet er und nicht sein Bruder den Holocaust überlebt hat. Und die Antwort ist, dass es purer Zufall war, und nichts anderes. Diese Stelle hat mich unglaublich betroffen gemacht und damit wohl auch so sensibel auf die Stelle mit Alexander in "Der Birkenwald".

    Das Missliche an neuen Büchern ist, dass sie uns hindern, die alten zu lesen.
    J.Joubert

  • Aber als ich das gelesen habe, musste ich doch ein paar mal schlucken! Alexander war ein Idiot und ein Arsch und ein Vergewaltiger, wie wir erfahren haben, und wurde deshalb für die Experimente missbraucht, für die Dirk eigentlich bestimmt war. Da hat einer (hier waren es Werner und Angelika) doch einfach mal "Lieber Gott" gespielt und über Leben und Sterben bestimmt. :shock:

    Jep, da bekomme ich immer noch Bauchschmerzen, wenn ich daran denke. Werner versucht das ja zu verdrängen, aber bei ihm regt sich dann doch ein Hauch von schlechtem Gewissen. Aber bei Angelika... :pale:

  • Biite? :roll:
    Werner steckt in der Zwickmühle. Er weiß , dass Dirk und Eva das Paradies nur durch ihn haben.
    Ohne Schutzengel erwartet ihn das gleiche Schicksal wie Alex!

    Sorry, war nicht ganz ernst gemeint, hätte wohl noch einen weiteren Smiley dazu machen sollen :wink:

    Das Missliche an neuen Büchern ist, dass sie uns hindern, die alten zu lesen.
    J.Joubert

  • Nun, dann würde ich aber hinter dem Wort "Paradies" auch einen Riesengroßen Fragesmiley oder sonstwas setzen. Ich kann mich nicht mit der Alternative anfreunden, in dieser virtuellen Welt zu leben und sich vielleicht eine Welt zusammen zu basteln, aber zur selben Zeit nicht wirklich in einem Dialog zu stehen mit einer von uns zunächst mal unabhängigen, wenn auch verschieden, stufenweise wahrnehmbaren Welt.

  • Nun, dann würde ich aber hinter dem Wort "Paradies" auch einen Riesengroßen Fragesmiley oder sonstwas setzen.


    Du hast recht, würde nicht das Wort Paradies dieses Fragezeichen beinhalten.
    Oder ist so klar, was ein Paradies eigentlich ist?
    Sind wir denn alle so scharf darauf, nackt aber blöd zwischen friedlichen Löwen und Lämmern herumzulaufen?
    Ich hätte den Apfel vom Baum der Erkenntnis sofort gegessen und mich nicht erst von einer Schlange verführen lassen.


    "Der Birkenwald" liefert als Definition für Paradies eine Welt, die mit der Kraft von Gedanken und aus wahrhaftiger Liebe gebaut wird.
    Ich versuche mir mein Paradies in dieser Weise zu erschaffen.


    Wenn jemand versucht, das Glück seines Nachbarn zu kopieren, in dem er sich z.B. das gleiche Auto kauft, dann findet er damit sicher nicht das selbe Paradies.
    Es ist die Situation in der Werner ist. Man sieht durch das Auto in eine virtuelle Welt, aus der jemand anderes Glück erntet. An diesem Glück kann man teilhaben, aber man kann nicht in dieses Paradies hineinspringen.


    Ohne eigene innere Arbeit kann es kein eigener Weg werden!