Klappentext:
Diagnose "Alzheimer" - dem Wissenschaftler und Schriftsteller René Braam ergeht es wie unzähligen anderen Menschen auch. Orientierungslosigkeit und Angst, Ruhelosigkeit und Wut nehmen von ihm Besitz. Er zieht in ein Pflegeheim, begegnet freundlichen und überforderten Helfern, kämpft um menschenwürdige Behandlung. Schließlich erkennt er seine Familie und die Pflegerinnen nicht mehr. Er bekommt Medikamente, die ihn fast zum Verstummen bringen. Nach ihrer Absetzung erholt er sich wieder; ein ständiges Auf und Ab. "Es gibt nichts mehr, das einem Halt gibt", sagt er. "Es ist, als existiere man immer weniger. Ein Mensch allein kann das nicht ertragen."
Amazon sagt dazu:
Wie sich Alzheimer anfühlt, kann man im Normalfall nur erahnen. Hier ist einer, der - als ehemaliger Schriftsteller und Wissenschaftler - in seinen wacheren Momenten in der Lage ist, seine Situation recht genau zu erfassen und zu erläutern - trotz unablässig fortschreitender Krankheit. Einer der zudem seine Tochter als eine Art Sprachrohr hat, die Tochter, mit der zusammen er über Jahrzehnte Bücher schrieb. Die beiden schreiben ihr letztes gemeinsames Buch: das Buch über die Krankheit des Vaters. Es erzählt, wie es sich anfühlt, wenn man weiß, dass man immer weiter in die Krankheit Alzheimer hineingerät. Und es berichtet von seinen Erfahrungen als Patient in der Altenpflege, die nur unzureichend auf die Bedürfnisse ihrer demenzerkrankten Patienten vorbereitet ist. Nachdenklich, manchmal humorvoll - und zutiefst authentisch. Ein Buch, das uns in die Krankheit blicken lässt, und das aufrüttelt.
Der Klappentext hat mich neugierig gemacht, denn die gängigen Bücher, die Alzheimer thematisch behandeln, berichten ÜBER Menschen, die an dieser Krankheit leiden. Wie sollte es denn auch möglich sein, einen Kranken selbst erzählen zu lassen, wo doch die Reflexion über sich selbst mit der Krankheit verloren geht? Doch es funktioniert. Und es ist erschütternder als alles, was ich bisher in dieser Richtung las, weil man erfährt, wie sich ein Mensch im Innern der Krankheit fühlt.
René Braam war Psychologe, seine letzte wissenschaftliche Arbeit beschäftigte sich mit Demenz und der Mündigkeit des Patienten. Als er seine Diagnose bekommt, weiß er also schon, was auf ihn zukommt; er macht Witze darüber und versucht noch, etwas positives darin zu sehen - Galgenhumor.
Am Anfang steht das Chaos und die Unmöglichkeit, sich in den alltäglichen Tätigkeiten (Kochen, Geld abheben, Vorratshaltung, Hygiene) zurecht zu finden. René weiß, was los ist, und er leidet darunter, dass sich sein Gedächtnis und der Überblick über den Alltag quasi "auflösen". Er zieht um in ein offenes Heim, wo er sein eigenes Zimmer mit eigenen Möbeln hat. Trotzdem erkennt er bald nichts wieder, und er wird zum Revolutionär, der Pfleger und Mitpatienten "bedroht" und sich verfolgt fühlt. Überdies fehlt es an geschultem Personal, an Freizeitangeboten, die René interessieren.
Seine nächste Station ist ein geschlossenes Heim; er kann nicht mehr weglaufen, aber er fühlt sich eingesperrt, gefangen, er fällt oft, zieht sich Verletzungen zu und verdankt es nur seiner Tochter, dass er nicht im Bett fixiert wird. Auch hier wieder: Zu wenig Personal, überforderte Schwestern und Pfleger. Um allen Demenzpatienten gerecht zu werden, müsste jeder seinen eigenen Pfleger haben, denn im letzten Stadium kann man nichts mehr, verlernt sogar, wie man sich hinsetzt oder wie man geht.
Stella Braam kümmerte sich während der gesamten Krankheit zusammen mit ihrem Mann um den Vater. Mit seiner Zustimmung lässt sie einen Kassettenrecorder mitlaufen, der Gespräche zwischen Vater und Tochter aufzeichnet. D.h.: dieses Buch ist nicht aus der Sicht der betreuenden Tochter geschrieben, sondern aus dem entstanden, was der Vater sagt, was er von seinen Gedanken und Gefühlen preisgibt.
Wie die Tocher mit der belastenden Situation zurecht kommt, interessiert das Buch nicht. (Aber man wäre blind, würde man es nicht trotzdem "lesen".) Neben der Geschichte des Vaters rückt vor allem das Pflegesystem in den Fokus: Die umständliche Bürokratie, das Geschiebe von Verantwortung zwischen den Behörden, der Pflegenotstand, die mangelnde Ausbildung der Pfleger im Bezug auf Demenz, die Experimente mit der Medikation, usw. - Dieser Komplex bezieht sich zwar konkret auf die Niederlande, aber in Deutschland wird es nicht anders sein. - Ein Umdenken reicht nicht, es muss gehandelt werden, denn je älter die Menschen werden, desto höher wird der Anteil Demenzerkrankter.
So hat René Braam über seine Alzheimer Krankheit und seinen Tod hinaus ein sehr wichtiges Buch verfasst über "die Ratlosigkeit unserer Gesellschaft im Umgang mit alten und kranken Menschen" (Covertext).
Marie