Roberto Bolaño - Telefongespräche

  • Wehmütig legt man Roberto Bolaños Erzählungen mit dem Titel„Telefongespräche“ in seine Reichweite. Erquickt durch die Vorfreude greift man immer wieder zu diesem Band und liest die ein und die andere Geschichte immer wieder.

    Dieser chilenische Autor erlebt gerade zurzeit im englischsprachigen Raum posthum durch seinen Roman „2666“, welcher sicherlich in nächster Zeit auch auf Deutsch erscheinen wird, eine Renaissance.

    Der hier vorliegende Band beinhaltet Erzählungen, welchen allesamt ein mehr oder minder wichtiges Telefongespräch vorangeht oder beschreibt. Roberto Bolaño schreibt von Schriftsteller und spart nicht mit Seitenhieben auf die Literatur und Verlagsbranche, aber auch von Liebe, Freundschaft, Abschied, Verlust, Vergänglichkeit und Tod.

    Da gibt es die Pornodarstellerin, die für ein Projekt nach L.A kommt und während der Dreharbeiten das Verlangen verspürt einen gealterten Berufskollegen anzurufen. Der inzwischen kränkliche Darsteller lädt sie zu sich ein und es entwickelt sich eine Liebesbeziehung, die mit der Abreise der Erzählerin nach einiger wunderschöner Zeit endet. Die ganze Erzählunge wird umrahmt von einem Gespräch zwischen der Pornodarstellerin und einem Polizisten, der sie zu einem Fall befragt. Fiktion oder Wahrheit? Dies überlässt der Autor dem Leser – vielleicht um zu zeigen, dass es keine Wahrheit gibt, dass es nur subjektives Empfinden gibt - Liebe ist kein Zustand, Liebe ist bei Bolaño Unzeitlichkeit – die Beschreibung eines Moments.

    Genau darin erweist sich der Schriftsteller als einer der Großen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Charaktere sind psychologisch genauesten beschrieben, ihre Handlungen menschlich und vielleicht gerade deshlab unerklärlich.


    Der Stil Roberto Bolaños ist teilweise beinahe surrealistisch, wie auch seine Geschichten die an Salvador Dalis „Andalusischen Hund erinnern. In seiner Jugend gehörte der Chilene ebendieser Bewegung an.

    Liebhaber der Werke Jorge Luis Borges werden an diesem Erzählband ihre Freude haben, ebenso wie Anhänger der lateinamerikanischen Literatur von Gabriel García Márquez über Mario Vargas Llosa bis zu José Lezama Lima.


    Verzweifelt leidet man mit, wenn in der ersten Geschichte der Erzähler sich in die Tochter eines bekannten Autor verliebt mit dem er in Kontakt steht und spürt den stechenden Schmerz als diese und ihr Freund Jahre später bei ihm erscheinen um ihm vom Tod des Vaters und der Illusion zu berichten, dass der Sohn noch lebe.


    Genau in solchen Momenten möchte man am liebsten das Buch weglegen und in dieser Depression verharren, aber die Geschichten sind wie ein Sog, der einen immer tiefer zieht und am Schluss erleuchtet ein bescheidener Hoffnungsstreifen den Horizont.

    Auch an Kritik fehlt es nicht: Kritik an der Literaturbranche, an der chilenischen Heimat, der fehlenden Vergangenheitsaufarbeitung der „demokratisierten Diktaturen“.


    Roberto Bolaño besticht durch subtile Zeichnung von Charakteren und erzählt dadurch vollkommen neu von altbekannten Themen als würde man sie zu ersten Mal hören.

    Ein großer Erzähler, der in nächster Zeit posthum zu der Ehre gelangen wird, welche ihm gebührt. Geschichten, die nachwirken, die zum Nachdenken anregen. Ein großes Buch!

  • Ein großer Erzähler, der in nächster Zeit posthum zu der Ehre gelangen wird,


    Dein Wort in Gottes Ohr! Aber an mir soll's nicht scheitern, ich habe mir den Titel auf die Wunschliste gesetzt. Danke für die interessante Rezension über einen mir bis jetzt nicht bekannten lateinamerikanischen Autor.


    Gruß mofre

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