Antal Szerb: Reise im Mondlicht

  • Aus der Amazon.de-Redaktion
    In der Eisenbahn ging noch alles gut. Aber dann, in Venedig, entdeckt Mihály die Gässchen. Mit seiner Frau Erzsi ist er nach Italien gekommen, eine Reise, die er sich lange aufgespart hat, jetzt aber aus gutem Grund zu unternehmen getraute: Denn das Paar ist auf Hochzeitsfahrt, und die kann am besten unter der Seufzerbrücke besiegelt werden. Aber Abends zieht Mihály allein durch Venedig und gerät in das Labyrinth der Gässchen, die ihn umschlingen und als anderen Menschen wieder auszuspeien scheinen.
    Bereits am nächsten Tag zieht Mihály allein durch Ravenna, um sich die Mosaiken anzusehen, "denn jetzt wusste er schon, dass er mit Erzsi vieles nicht teilen konnte". Die Mosaiken hatte er sich zuvor zusammen mit seiner Jungendliebe Eva in einem Bildband betrachtet und spätestens jetzt wird dem Leser klar, warum der Protagonist von Reise im Mondlicht bisher nicht nach Italien gekommen ist. Denn diese Entdeckungsfahrt durch die antiken Kulturen war seiner großen Liebe vorbehalten gewesen, die offenbar Erzsi doch nicht gewesen ist. Als ihm dann noch ein alter Freund nachreist, um ihn mit seiner Vergangenheit zu konfrontieren und er seine junge Frau am Bahnhof symbolischerweise "aus den Augen verliert", wird Mihálys Italienreise endgültig zu einem Trip in die eigene, rebellische Jugend: Ein Trip, bei dem er auf der Suche nach Eva wie besinnungslos durch das vom Mond beschienene nächtliche Rom gerissen wird.


    Reise im Mondlicht ist eine Geschichte zwischen Mystik und Sinnestäuschung in einem dunklen, archaischen Italien in denen die magischen Elemente eindeutig Vorrang vor den Rationellen haben.
    Mihály meidet das bürgerliche Leben und Arbeiten in einem Unternehmen, in das er durch den Vater gezwungen wurde.
    Während den Flitterwochen überfallen ihn immer mehr Kindheitserinnerungen, die Wiederentdeckung der Kraft der mystischen Leidenschaft, Freiheit, Flucht in das Unbekannte.
    Wie er sich von seiner Frau befreit hat, beginnt er eine wirre Reise durch Umbrien auf der Suche nach einem Freund aus den Kindertagen. Eine Reise, die ihn an die Grenzen seiner Kräfte führt, wobei er oftmals Mühe hat, zwischen Realität und Fantasie zu unterscheiden, bis er Ervin findet, der Mönch geworden ist. Im Gespräch mit Ervin wird ihm die quälende Zerrissenheit bewusst die unverarbeitete Geschichte seiner beiden Freunde Tamás und vor allem Éva.
    Ervin empfiehlt ihm nach Rom zu gehen, ja er bestimmt, dass dies der richtige Weg sei. In Rom begibt sich Mihály in die ärmsten Gegenden der Stadt mit deren Sozialstrukturen. Wieder umgibt ihn eine Aura des Geheimnisvollen, eine wilde Magie und bedeutet zugleich das Ende der Mystik und leitet den Untergang in eine absolut dunkle Phase ein.
    Mihály ist nicht mehr in der Lage seine Gefühle zu kontrollieren und so gleitet er in ein Dasein in der sich die Realität und die Träume, welche erotisch geprägt sind, sowie den morbiden Wunsch nach dem Tod wecken, ineinander verschmelzen.
    Mit Entsetzen spürt Mihály, dass er dem Abgrund zusteuert, es gelingt ihm jedoch in die Realität zurückzufinden, welche so hart es auch sein mag, bedeutet, dem „magischen“ Italien den Rücken zu kehren und sich in das „rationale“ Ungarn zu begeben.
    Während dessen begibt sich Erzsi nach Paris, was zugleich eine Wende in der Beziehung zu Mihály bedeutet. Erzsi ist im Gegensatz zu Mihály doch sehr realitätsbezogen, ihr Leben spielt sich auf einer ganz anderen Ebene ab.


    Der Roman ist eine Gratwanderung zwischen Realismus und Magie es ist alles in der Schwebe, sie bedeutet für den Protagonisten eine Reise des Körpers aber vor allem der Psyche. Manchmal sind die Bilder vom Autor sehr erschreckend dunkel gezeichnet und doch immer erfolgen wieder kleine positive Überraschungen, welche dem Roman eine gewisse Unbeschwertheit gibt.
    Szerb fesselt den Leser, indem er die Erzählung etwas Geheimnisvolles ausstrahlen lässt, kombiniert mit Leidenschaft und natürlicher Eleganz. Ein sehr schönes Buch, das ich mit Freude empfehlen kann.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

    Einmal editiert, zuletzt von serjena ()

  • Danke für Serjenas Rezension, die mir den Roman etwas näher bringt. Bis zum letzten Abschnitt wusste ich nicht, was Dein Endurteil sein würde. Was Dich letztlich faszinierte machte mich eher ratlos. Ich konnte mit dem Buch nicht sehr viel anfangen. Diese Mischung aus Mystik, Dunkelheit etc. liess mich in einer Unzufriedenheit.


    Bin mal gespannt, wie es andere sehen werden!

  • Tom fleo


    Dazu kann ich sagen, dass ich im zweiten Teil des Buches „Der Flüchtige“ ebenfalls fast verzweifelt wäre. Mein Eindruck das ich es hier mit einem Wahnsinnigen zu tun hatte verstärkte sich von Seite zu Seite, Mihály wurde mir mehr und mehr unheimlich. Ich verstand seine Vorgehen immer weniger. Erst wie er bei Enver war und nach dem Gespräch

    kam ich wieder so richtig in den Sog der Geschichte denn nun wollte ich wissen, wie Mihály diese neue Hürde Rom schaffen würde. Denn es wurde klar, dass er noch tiefer sinken würde, bis er in sich das entdeckt was ihm doch ein Weiterleben ermöglicht.
    Seine Gedanken

    klingen zwar sehr gedrückt.
    Jedoch der Schlusssatz

    lassen die Hoffnung aufkommen, dass Mihály sich nicht einfach mit den Tatsachen abfindet und resigniert. Denn in ihm steckt immer noch ein kleiner Kern Lebensfreude, er kann wieder Liebe zu sich selber und der Umwelt keimen lassen, er muss sich nur richtig darauf einlassen und die Vergangenheit wirklich ruhen lassen.
    Aber auch durch die Abschweifungen von Szerb ins Kunsthistorische und die Religionswissenschaft fühlte ich mich erstmals etwas genervt, bis ich begriff dass er damit der Düsterheit welche sich über die Geschichte legte die Schärfe nehmen wollte.


    Meiner Ansicht nach enthält diese Geschichte verschiedene Elemente die da wären Vergangenheitsbewältigung, Gegenwart- und Zukunftsängste. Sowie dem unbestimmten Gefühl zwischen dem Leben wollen, verbunden mit der Todessehnsucht und den daraus resultierenden Ängsten, welche Mihály belasten. Eine solche Geschichte kann nur mit Mystik verbunden werden.


    LG
    Serjena

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

    Einmal editiert, zuletzt von serjena ()

  • Zum Inhalt


    Mihaly und Erzsi sind auf Hochzeitsreise in Italien. Bei einem kurzen Aufenthalt ihres Zuges verliert sich das Ehepaar aus den Augen und reist in verschiedene Richtungen weiter. Damit beginnt für Mihaly, der sich gar nicht bemüht, seine Frau wiederzufinden, vor allem eine Reise in die Vergangenheit und letzten Endes zu sich selber.



    Meine Gedanken zum Buch


    Anfangs war mir dieser Mihaly, der seine Frau zwar nicht absichtlich, aber immerhin doch, im Stich lässt, und seinen verlorenen Jugendfreunden nachtrauert, statt Erzsi zu suchen, gar nicht sympathisch. Doch das hat sich im Laufe der Lektüre gerade ins Gegenteil verkehrt. Zumindest wird klar, dass Mihaly kein unzuverlässiger Frauenheld ist, sondern ein sehr tiefsinniger und empfindsamer Mensch, der stark unter der vermeintlichen Sinnlosigkeit seines bisherigen Lebens leidet. In der Firma seines Vaters, in der er arbeitet, findet er keine Erfüllung, und auch durch die Heirat mit Erzsi kann er sich nicht in ein bürgerliches Dasein fügen. Immer wieder überfällt ihn eine tiefe Sehnsucht nach seinen Jugendfreunden, von denen der eine Selbstmord begangen hat, während er den anderen in einem Kloster wiederfindet.


    Es ist wohl diese Suche nach Sinn und Erfüllung, diese leicht morbide Atmosphäre, die kunstsinnige Beschreibung der Städte, was mich fasziniert und schließlich völlig in den Bann gezogen hat. Am besten gefallen hat mir aber trotz aller philosophischen Anklänge, dass das Ende sehr realistisch ausgefallen ist. So wird es wohl den meisten Suchenden nach dem Sinn ihres Daseins ergehen, ehe sie mit sich, mit Gott und der Welt ihren Frieden schließen können.


    Antal Szerbs stilistische Fähigkeiten haben sich im Laufe der Erzählung meiner Meinung nach noch gesteigert, um gegen Ende der Geschichte wohl ihren Höhepunkt zu erreichen. Ein wunderbares Buch mit sehr tiefsinnigen, zu Herzen gehenden Gedanken, das ich mit großer innerer Anteilnahme gelesen habe.

  • Es gibt z.B. folgende ISBN (weiß allerdings nicht, ob unten nun ein Bild damit verlinkt wird):
    9789631424638


    Ansonsten gibt es hier einen Anbieter: http://www.libri.hu/konyv/utas-es-holdvilag.html
    oder, bei amazon, hier: http://www.amazon.com/Utas-es-…as+%C3%A9s+holdvil%C3%A1g


    mit folgender ISBN:
    B0070P0XFA

  • Es gibt z.B. folgende ISBN (weiß allerdings nicht, ob unten nun ein Bild damit verlinkt wird):
    9789631424638


    Ansonsten gibt es hier einen Anbieter: http://www.libri.hu/konyv/utas-es-holdvilag.html
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    mit folgender ISBN:
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    Da hier nur ISBN von amazon.de funktionieren gibt es also keine ISBN, die von dir angegebene funktioniert auch nicht und die am Ende ist eine ASIN und die geht leider auch nicht. Ungarisch ist im deutschen Amazon höchst selten drinnen. :lol:
    Liebe Grüsse Mara

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:


  • Da hier nur ISBN von amazon.de funktionieren gibt es also keine ISBN, die von dir angegebene funktioniert auch nicht und die am Ende ist eine ASIN und die geht leider auch nicht. Ungarisch ist im deutschen Amazon höchst selten drinnen. :lol:
    Liebe Grüsse Mara


    Es gibt also eine ISBN, nur funktioniert sie nicht bei amazon! Das ist nicht das selbe. Wer sich wirklich für das Original interessiert (und es mag auch hier Ungarischsprechende geben) wird es, so hoffe ich, auch über einen anderen Anbieter erwerben, selbst wenn es nicht amazon ist. :lol:

  • Mihaly ist ein Erwachsener, der ein Kind geblieben ist, der wie ein Kind lebt, handelt und denkt. Er spielt mit dem Leben und spielt mit dem Tod. Er handelt bedenkenlos ohne sich um Konsequenzen zu scheren und ohne die Gefühle anderer zu achten.
    Er will nach einer jahrelangen Affäre seine Geliebte heiraten. Tja, dann heiratet er mal eben. Und wenn er die Frau "versehentlich" vergisst - wird schon nicht so schlimm sein.
    Kein Pfennig (Lira) mehr in der Tasche? Ach was, morgen findet sich einer, der ihm Geld leiht. Übers Zurückgeben kann man sich dann übermorgen (wenn überhaupt) Gedanken machen.
    Und weil der Tod seines besten und einzigen Freundes eine geheimnisvolle Sache war, will Mihaly auch so ein Geheimnis haben. Das bisschen Sterben, das dafür notwendig ist, schafft man so mir nichts, dir nichts auch zwischendurch.
    Verantwortung? Was ist das?
    Wenn man so damit beschäftigt ist, für sich selbst, seine verzwickten Liebesgeschichten und die ständige Erschöpfung nach Weingelagen und ziellosem Gerenne durch Rom die Verantwortung zu tragen - wo soll die Kraft herkommen für den Rest der Welt?
    Weil Mihaly nicht aktiv wird, irgendetwas zu ändern, muss er letztendlich damit leben, dass andere für ihn die Entscheidungen treffen, und dass er nicht gefragt wird, ob es ihm passt, wie die Zukunft aussieht.


    Ein durchgehend nicht einfach zu lesendes Buch, weil es sich tief in die Gedankenwelt seines Protagonisten eingräbt und diese Gedankenwelt oft schwer nachvollziehbar ist. Bestechend schöne und atmosphärisch dichte Schilderungen italienischer Landschaften und Städte. Keine einfache, aber eine lohnende Lektüre.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Herzlichen Dank, Marie, für diesen tollen Beitrag. Wie ich oben schon gestand, konnte ich bei meinem Lesen nicht so viel mit dem Buch anfangen, als ob sich mir etwas nicht erschloss. Deine Kommentare sind sehr hilfreich! :thumleft: