Emily Mitchell - Bilder eines Sommers

  • Originaltitel: The Last Summer of the World



    Inhalt:

    Im Jahr 1918, einige Monate vor Ende des Ersten Weltkriegs, hält sich der Amerikaner Edward Steichen als Kriegsfotograf in Frankreich auf. Seine Aufgabe besteht darin, vom Flugzeug aus Aufnahmen der feindlichen Truppenbewegungen zu machen. In dieser Situation erreicht ihn auf postalischem Weg die Nachricht, dass seine Ex-Frau in den USA einen Prozess gegen ihre ehemalige beste Freundin angestrengt hat und sie beschuldigt, vor Jahren ein Verhältnis mit Edward unterhalten und dadurch die Ehe zerstört zu haben. Der Brief kommt von der Angeklagten Marion Beckett und ruft Edward die Jahre seiner Ehe und auch die vor Ausbruch des Krieges in Frankreich verlebte Zeit wieder ins Gedächtnis. Durch Zufall trifft er Marion in einem Lazarett wieder und das Schicksal nimmt seinen Lauf...


    Meine Meinung:

    Emily Mitchell hat als Hauptfigur ihres Debüt-Romans den berühmten amerikanischen Fotografen Edward Steichen ausgewählt, der als einer der einflussreichsten Männer in der Geschichte der Fotografie gilt. Er war mit etlichen bekannten Persönlichkeiten wie Auguste Rodin, Alfred Stieglitz und Gertrude Stein befreundet und half Picasso und Matisse, mit ihren Werken in den USA Fuß zu fassen. Steichen versuchte sich an jedem Genre der Fotografie und war Mode-, Landschafts-, Akt-, Stillleben- und Kriegsfotograf. Unter anderem saßen ihm Winston Churchill, Thomas Mann, Marlene Dietrich und Henri Matisse für Porträts Modell. In den sechziger Jahren war Edward Steichen dann Kurator der Fotoabteilung im Museum of Modern Art (MoMA) in New York.


    So erfolgreich der Amerikaner als Fotograf und zum Teil auch als Maler war, so sehr versagte er als Ehemann und Partner und war auch als Vater wenig präsent. Auf diesen Aspekt konzentriert sich Mitchell und zeigt einen kleinen, aber klar umrissenen Ausschnitt aus Steichens Leben. Die wichtigsten Eckdaten der Handlung entsprechen den Tatsachen, andere Begebenheiten wiederum sind frei erfunden. Genauere Informationen dazu erhält der Leser am Ende des Romans.


    Die Autorin lässt ihre Hauptfiguren Edward und Clara Steichen die Ereignisse abwechselnd aus ihrer Sicht erzählen und baut zwischendurch noch die Sichtweise von Marion Beckett mit ein. Der Fokus liegt eindeutig auf den Emotionen aller Beteiligten und weniger auf dem geschichtlichen und kulturellen Hintergrund. Zwar erfährt man einiges über die Kriegszeit, die Fotografie und auch ein wenig über berühmte Freunde von Edward, aber diese Informationen sind eher nebensächlich und sollen nur die Handlung tragen und mit Leben füllen. Ich persönlich habe teilweise eine genauere Darstellung der Lebensumstände einiger Personen doch etwas vermisst und konnte mich nicht so recht damit anfreunden, dass vieles nur an der Oberfläche bleibt.


    Das Jahr 1918 bildet den zeitlichen Kernpunkt des Geschehens, von wo aus Rückblenden in die Vergangenheit in Form von Momentaufnahmen stattfinden. Nach und nach setzt sich das Bild der gescheiterten Beziehung zwischen Edward und seiner Frau zusammen. Mitchell versteht es wunderbar, die Gefühle dieser beiden sehr komplizierten Menschen zu verdeutlichen und ich fand jene Stellen besonders spannend. Clara, die ihre Liebe zur Musik ihren Pflichten als Ehefrau und Mutter opfern muss, war mir sehr viel näher als der egozentrische, untreue Edward und ich hätte ihm gern ab und zu die Leviten gelesen. Das Ende des Romans schwächelt leider ein bisschen, da Claras Beweggründe in Bezug auf den Prozess nicht ohne weiteres nachzuvollziehen sind. Auch einige Kriegsszenen hätten nach meinem Empfinden kompromissloser und eindringlicher sein können und sorgten bei mir kurzzeitig für leichte Langeweile.


    Ansonsten ist die Schreibweise der Autorin äußerst angenehm und man merkt dem Buch an keiner Stelle an, dass es sich um einen Erstling handelt. Die Sprache wirkt präzise, poetisch und sehr kunstvoll. In manchen Szenen kam ich richtig ins Träumen und war berührt von der Kraft der Darstellung.


    Fazit:

    Emily Mitchell ist mit "Bilder eines Sommers" ein Roman von großer Sogkraft gelungen, der anspruchsvoll ist und dennoch leichtfüßig daherkommt. Wie ein wunderschönes Foto, das einen kurzen Augenblick voller Intensität einfängt. Etwas für Liebhaber von niveauvollen Beziehungsgeschichten!