Val McDermid - Nacht unter Tag/ A Darker Domain

  • Ein Thriller der etwas anderen Art


    Inhalt:
    Alles beginnt damit, dass im schottischen Edinburgh eine junge Frau ihren Vater als vermisst meldet. Merkwürdigerweise verschwand der Bergmann Mick Prentice aber bereits vor zweiundzwanzig Jahren während des Bergarbeiterstreiks von 1984. Wegen eines familiären Notfalls forscht seine Familie erst jetzt nach seinem Verbleib. Daraufhin nehmen Detective Inspector Pirie und ihr Kollege Phil Parhatka, die für die Aufklärung ungelöster Fälle zuständig sind, die Ermittlungen auf. Ungefähr zeitgleich findet eine ambitionierte Journalistin während eines Italien-Urlaubs zufällig ein Beweisstück, dass in Verbindung mit einem ebenfalls zweiundzwanzig Jahre zurückliegenden Verbrechen in Großbritannien steht. Damals wurden die Tochter und der Enkel von Sir Brodie Maclennan Grant, dem drittreichsten Mann Schottlands, entführt und das Ganze endete mit einem Todesfall. Sowohl vom Enkelsohn, als auch den Entführern fehlte bislang jede Spur. Sir Brodie wendet sich nun aufgrund der neuen Sachlage an die Polizei und es dauert nicht lange, bis Karen Pirie herausfindet, dass beide Fälle unübersehbare Gemeinsamkeiten aufweisen...


    Meine Meinung:
    Die gebürtige Schottin Val McDermid hat mit "Nacht unter Tag" erneut einen Thriller außerhalb ihrer drei Erfolgsserien (u.a. mit dem Profiler Tony Hill) geschrieben. Das ermittelnde Duo Pirie und Parhatka hatte schnell meine Sympathien, da die Autorin gerade so viele Informationen aus dem Privat- und Berufsleben der beiden liefert, dass ich eine gute Vorstellung ihres Charakters und ihrer Lebensweise erhielt, ohne mich durch zu ausführliche Beschreibungen gelangweilt zu fühlen. Vor allem Karen Pirie ist mir mit ihrer direkten, sehr eigenwilligen und leicht spöttischen Art ans Herz gewachsen.


    Die Geschichte behandelt abwechselnd den Entführungsfall und die Vermisstensache und springt in sehr kurzen Abständen zwischen Vergangenheit und Gegenwart und zudem noch zwischen Schottland und Italien hin und her. Was sich im ersten Moment verwirrend anhört, erweist sich schnell als kluger Schachzug von Val McDermid. Jede Vernehmung und Spurensicherung in der heutigen Zeit wird durch Erinnerungen und Rückblenden ergänzt und erläutert. Genau zum richtigen Zeitpunkt wird die jeweilige Szene abgebrochen, um den nächsten losen Faden weiterzuspinnen. McDermid ist es gelungen, den Plot dadurch noch interessanter und spannender zu gestalten. Gleichzeitig machen die schnellen Wechsel von einem Ermittlungsort zum anderen die große Diskrepanz zwischen den verschiedenen Lebensumständen der Protagonisten umso deutlicher und lassen die ehemalige Bergarbeitersiedlung im Gegensatz zum sonnigen, südlichen Flair der Toskana und dem scharf bewachten, luxuriösen Anwesen von Sir Brodie überaus ärmlich und düster wirken.


    Schon nach einiger Zeit hatte ich zwei bestimmte Personen als Hauptdrahtzieher der Entführung im Verdacht, war mir aber bezüglich der Komplizen, der Umstände und des Motivs nicht ganz im Klaren. Meine Vermutung zum ersten Punkt hat sich am Schluss zwar bestätigt, mit dem Rest lag ich jedoch ziemlich daneben, da die Autorin viele falsche Fährten legt und die Auflösung wirklich nur schrittweise vorankommt, mit etlichen Überraschungen und weiteren Morden bis zum Ende hin. Alle wichtigen Figuren werden bis in die Tiefen ihrer Psyche ausgelotet, so dass sich ihre Beweggründe von selbst erklären.


    Das Besondere an dem neuen Thriller ist jedoch der persönliche Bezug von Val McDermid zu dem hier verwendeten Stoff. Ihre beiden Großväter waren Bergarbeiter in East Wemyss und sie verbrachte in ihrer Kindheit viel Zeit dort, weshalb ihr wohl auch der verlorene Streik von 1984 noch sehr gegenwärtig ist. Wahrscheinlich ist es ihr aufgrund ihrer eigenen Herkunft so gut gelungen, die Nöte und Bedürfnisse der Bergarbeiterfamilien sehr plastisch und nachvollziehbar darzustellen. Die Autorin nimmt hierbei kein Blatt vor den Mund und auch die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher wird heftig kritisiert.


    Fazit:
    Insgesamt gesehen handelt es sich bei "Nacht unter Tag" um einen Thriller, der spannende Unterhaltung, psychologisch ausgefeilte Figuren und viele interessante Informationen rund um das Bergarbeitermilieu zu bieten hat. Schön, dass im Spannungsgenre noch Bücher erscheinen, die auch ohne viel Blutvergießen und reißerische Schockelemente so fesselnd und wendungsreich sind! Absolut empfehlenswert!!

  • Kannst Du bitte noch den Titel der englischen Originalausgabe angeben?

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Ich brauche die englische Ausgabe gar nicht zu kaufen, weil die Bücherei die deutsche angeschafft hat. Das ist das nächste Buch, das ich lesen werde.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
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  • Heute habe ich "Nacht unter Tag" beendet und muss sagen, dass mir dieser Roman nach dem letzten, eher schwächeren, wieder sehr gut gefallen hat.
    Sehr einfallsreich, gut konstruierte, sich auf einander zu bewegende Handlungsstränge und Abwechslung durch die immer wieder wechselnden Zeitebenen (Gegenwart - Rückschau). Auch die Thematik der Bergarbeiterstreiks ist sehr informativ und gelungen verarbeitet.
    Empfehlenswert für Leser, die auch Krimis ohne besonders perverse/blutige Morde mögen. ;)

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Ich hatte auf den ersten 200 Seiten so meine liebe Not mit dem Buch.
    Ich habe genug Werke von Val McDermid gelesen, dass ich weiß, dass man ihren Büchern eine gewisse Zeit am Anfang
    geben muss, weil man sich erst "warmlesen" muss. Ich hatte in den Weiten des Internets aufgeschnappt, dass ab der
    Hälfte des Buchs das Tempo etwas anzieht; in meinem englischen Original passierte das ab Seite 240.
    Mit fünf Sternen bewerte ich das Werk dennoch nicht, mit viel gutem Willen werden es vier; dafür war mir der Anfang zu zäh.
    Insgesamt eine gute Geschichte, wenn es auch auf den letzten zehn bis fünfzehn Seiten ein bisschen hopplahopp ging.

    "Outside of a dog, a book is man's best friend. Inside of a dog, it is too dark to read."
    - Groucho Marx

  • Ich war auf diese Buch sehr gespannt, nachdem mir ihr letzter Roman überhaupt nicht zugesagt hat. Und ich war von diesem Buch wieder total begeistert. Nur den Schluß fand ich nicht so gut, denn hätte sie noch etwas besser schreiben können.

  • Was man an diesem Buch aussetzen kann: Die klischeehaften Charaktere (der reiche Tyrann, der sich die Kontrolle über Familie, Region, Polizei und Presse kauft; die taffe Journalistin, deren Selbstsicherheit ihr alle Türen öffnet; die kleine dicke Polizistin, furchlos, aber reizend; der obrigkeitshörige Polizeichef ...), die Liebesgeschichte ohne Feuer, die arg auf Überraschungseffekte hin konstruierte Verknotung der beiden Fälle und zwei höchst überflüssige, vom Motiv nicht nachvollziehbare und nur der moralischen Gerechtigkeit am Ende dienenden Morde.


    Dennoch habe ich das Buch mit Vergnügen gelesen. Vielleicht, weil nur so viel Blut spritzt, wie man es für die Beschreibung eines Mordes braucht? Vielleicht, weil durch die kurzen Kapitel und den ständigen Wechsel von Ort und Zeit keine Minute Langeweile aufkommt? Vielleicht, weil endlich eine Autorin auf die stereotype Schluss-Sequenz "Held-in-Gefahr" verzichtet?


    Auch wenn sich auf keiner Seite im Internet ein Beleg finden lässt, dass "Nacht unter Tag" zu einer Reihe gehört, möchte ich darauf hinweisen, dass man dieses Buch NICHT vor Echo einer Winternacht lesen sollte, weil Fall und Auflösung jenes Buches im vorliegenden an mehreren Stellen nicht nur erwähnt, sondern in Einzelheiten dargestellt werden.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)