Paul Auster - Mann im Dunkel / Man in the Dark

  • Inhalt: August Brill, 72, ehemaliger Literaturkritiker, leidet unter Schlaflosigkeit. Seit seinem Unfall vor einem Jahr lebt er zusammen mit Tochter Miriam und Enkelin Katya unter einem Dach und Nacht für Nacht suchen ihn schmerzhafte Erinnerungen heim. Um der Trauer um seine verstorbene Frau und der Sorge um die Familie zu entfliehen, erfindet er eine Geschichte, deren Handlungsfaden er jeden Abend weiterspinnt. Auch Miriam und Katya haben mit Schicksalsschlägen zu kämpfen und jede versucht auf ihre Art damit fertig zu werden. Miriam kommt über ihre Scheidung nicht hinweg und stürzt sich in die Arbeit. Katya lässt sich gehen und verdrängt den Tod des Freundes durch exzessiven Filmkonsum.


    Meine Meinung: Klar und direkt, in Sprache und Inhalt, lässt Erzähler August Brill den Leser an seiner Gedankenwelt und seinen Erinnerungen teilhaben und gibt Einblicke in seine Lebensgeschichte. Selbstkritisch blickt er zurück auf die Fehler, die er begangen hat. Es geht viel um Liebe, Verlust und Trauer, nie kitschig, oder nervig, sondern bewegend und nachdenklich stimmend.
    Im Wechsel dazu erträumt sich Brill eine Utopie, eine Parallelwelt, in der es den 11. September nie gegeben hat und in den USA stattdessen ein brutaler Bürgerkrieg wütet. Das Spiel mit den Realitätsebenen und das verschwimmen von Fiktion und Wirklichkeit fand ich sehr genial. Eine Geschichte in der Geschichte, in der sich die Kritik des Autors an der US-Politik der letzten Jahre widerspiegelt.


    Vor "Mann im Dunkel" hab ich noch nichts von Paul Auster gelesen, Vergleiche zu seinen anderen Romanen kann ich also nicht anstellen. Mich hat diese vielschichtige und ehrliche Geschichte sehr bewegt und vergebe :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Vielen Dank, RoteZora.
    Es scheint wieder ein lohnenswerter Auster zu sein. Ich habe ihn auf der Wunschliste notiert.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Man kann ja zu Amerikas "alten Herren" (Auster, Roth, Updike etc) stehen wie man will, aber eines muss man ihnen lassen: Sie verstehen das Handwerk des Schreibens! So wie mich Philip Roth mit "Jedermann" absolut überzeugt hat, so ist dies Paul Auster mit diesem, erst vor Kurzem erschienen "Mann im Dunkel", gelungen.


    Genial, wie hier Fiktion und Wirklichkeit verwebt werden, wie sich reale Personen in der von August Brill erfundenen Geschichte wiederfinden, die Vergangenheit und die momentane Situation bewältigt werden und zugleich Kritik an Amerikas Innen- u. Außenpolitik geübt wird. Berührend die Beziehung zu seiner Tochter und seiner Enkelin, die ebenfalls große Verluste zu bewältigen haben und auf ihre Art versuchen, damit fertig zu werden. Das Lesen dieses Buches gleicht einer Achterbahnfahrt der Gefühle, hin- und hergerissen zwischen todtraurig, hoffnungsvoll-tröstend, unheimlich liebevoll, bewegend und dann wieder grausam-schockierend, erzählt mit einer unfassbaren Leichtigkeit. Ein Buch, das mich tief berührt und bewegt hat, ein geniales Buch.


    Marie: unbedingt lesen! Ich bin mir sicher, dass es auch für Dich ein Highlight ist!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Marie: unbedingt lesen!


    Ganz bestimmt. Versprochen. Genaue Zeitangaben kann ich leider noch nicht machen. :wink:


    Man kann ja zu Amerikas "alten Herren" (Auster, Roth, Updike etc) stehen wie man will, aber eines muss man ihnen lassen: Sie verstehen das Handwerk des Schreibens!


    Hast Du nicht Irving vergessen? :-,


    Marie

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  • Zitat von Marie


    Hast Du nicht Irving vergessen? :-,


    Oh, natürlich! Wie konnte ich nur .... :uups: ;)

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
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  • Dieser Roman ist definitiv einer der bemerkenswerten Auster-Romane! Nachdem ich mit "Nacht des Orakels" Probleme hatte, dachte ich, nicht zurueck zu meiner urspruenglichen Begeisterung fuer den Autor zu finden, doch zum Glueck hat mich "Mann im Dunkel" wieder so faszieniert wie z. B. schon "Mr. Vertigo" oder "Mond ueber Manhattan".


    Der Roman im Roman hat mich besonders fasziniert. Wenn ich einen Roman lese, moechte ich gern in der Geschichte fiktiven Realitaet abtauchen, doch Auster spielt geschickt mit diesem Leseverhalten. Jedesmal, wenn man in Augusts Gegenwart eintaucht und sich einrichtet, laesst er Owen Brick sprechen - doch auch andersrum erlebt man als Leser den abrupten Wechsel. Dadurch wurde ich bestaendig daran erinnert Fiktion in einer Fiktion zu lesen. Eine eigentuemliche distanzierende Erfahrung, die jedoch mit dem Ende der Owen-Erzaehlung findet. Dafuer bin ich Auster sehr dankbar, denn nichts lenkt mehr von einer emotionalen Erfahrung des Endes ab. Ein Ende, das empfunden werden moechte...


    Eindeutig ein Hoehepunkt zeitgenoessischer Literatur, der viele Themen wie Vegangenheitsbewaeltigung, Schuld, Zukunftsaengste und Ohnmacht greifbar macht. Absolut empfehlenswert!

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • hab schon viele Austers gelesen, dieses hat mich nicht so gefesselt wie die vorherigen ... es lies sich gut lesen, aber ich habe das Skurrile Utopische (weshalb ich ihn sonst gerne mit Kafka vergleiche) etwas vermisst ... ich finde, das Buch hat einen biographischen Charakter und da ich Biographien nicht so gerne lese, hat es mich nicht umgehauen - hat mir demnach von allen bisherigen Austers am wenigsten gefallen :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Nach einer ordentlichen Lesepause von Austers Werken wieder mal zu ihm zu greifen tut gut. Schnell ist man wieder, zumindest anfangs, in dieser seiner Welt, in der die Fiktion IN der Fiktion eine Rolle spielt, oder aber auch, wo eben der Erzählte erneut zum Erzähler wird etc. Das klappt bei ihm ja wie am Schnürchen. Und der alte, schlaflose Mann im Haus als auch der in einer Parallelwelt aufwachende Protagonist seiner Story teilen das Tappen im Dunkeln, sind gleichzeitig „Mann im Dunkel“. Aber



    Dieser Wünsch ist nachvollziehbar, ließ mich aber auch fürchten, dass das Buch nicht in die rechte Richtung gehe (sehr subjektive Befürchtung!). In dem Zusammenhang finde ich die Auflösung gegen Ende,



    Ganz toll!

  • Vielleicht sollte ich mich doch mal an diesen Autor wagen. "Die New York Trilogie" hatte ich seinerseits abgebrochen, irgendwie kam ich damals nicht rein. Vielleicht hat sich das ja zwischenzeitlich geändert, frau wird ja auch älter und ihr Lesegeschmack ändert sich :wink:
    Edit: Fällt mir gerade ein, "Timbuktu" liegt ja auch noch auf meinem SuB. Vielleicht fange ich lieber damit an.

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  • Sehr erfreulich, dass dieser Thread wieder wachgerüttelt wurde! Es ist nach wie vor mein "Lieblings-Auster" und ich erinnere mich sehr gerne an dieses Buch zurück! Und was "die Geschichte in der Geschichte in der Geschichte" betrifft, da ist Auster unbestritten einer der Besten! Die Idee wurde schon oft kopiert - aber meiner Meinung kann es keiner so gut wie Auster!


    Farast: Ich denke, es würde Dir gut gefallen!!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
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  • Farast: Ich denke, es würde Dir gut gefallen!!


    Das kann ich mittlerweile bestätigen. Ich bin zwar erst auf Seite 76 des Buches angelangt, aber schon mitten in dieser Atmosphäre gefangen. Was für eine Idee Auster da hatte! Einfach klasse und sehr gut geschrieben! In keinster Weise ein Vergleich zu "Die New York Trilogie", die ich seinerseits ja - wie schon geschrieben - abgebrochen hatte.

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  • Und mittlerweile habe ich -leider- das Buch beendet. Was kann ich euren Meinungen noch hinzufügen? Für mich war die Mischungen (wer das Buch kennt, weiß was ich meine) zwischen Fiktionen und Wirklichkeit unglaublich faszinierend.



    Genau so faszinierend war es für mich zu erfahren, wie August seine Vergangenheit, seine dunklen und auch hellen Seiten aufgearbeitet hatte. Ein sehr interessantes Buch, das ich gerne weiterempfehlen kann!

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  • Ich kann mich allen ,die von dem Buch begeistert sind nur anschließen.Habe"Mann im Dunkel" vor über einem Jahr gelesen.Es ist einfach ein klasse Buch.Mein Buch des Jahres 2010.Die "Geschichte in der Geschichte" ist einfach toll gemacht.Finde Paul Auster hat mit dem Buch großes geleistet.Eins der wenigen Bücher ,die ich bestimmt mochmal lesen werde :thumleft:

  • Nur eine Nacht umfasst die Rahmenhandlung dieses Buches, doch die Geschichten die darin erzählt werden, würden locker für eine ganze Woche ausreichen.
    August Brill, 72jähriger verwitweter Literaturkritiker, lebt seit einem Unfall der ihn zum Krüppel machte, bei seiner geschiedenen Tochter Miriam, die ebenso unglücklich ist wie er. Zu den Beiden gesellt sich noch Augusts Enkelin Katya, Miriams Tochter, die sich die Schuld am Tod ihres Ex-Freundes gibt und deren Lebensenergie gerade noch dazu ausreicht, sich gemeinsam mit ihrem Großvater Filme anzuschauen. Wie in fast jeder Nacht kann Brill nicht schlafen und so beginnt er, sich eine Geschichte auszudenken um möglichen Erinnerungen (und ganz besonders einer bestimmten) aus dem Weg zu gehen. Owen Brick lebt mit seiner Frau ein normales kleines Leben bis er sich eines Morgens in einer Grube wiederfindet, gekleidet in eine Soldatenuniform. Nach und nach wird ihm klar, dass er sich in einer Parallelwelt befindet - aber noch immer in der gleichen Zeit und im gleichen Land. Dort herrscht ein Sezessionskrieg, der schon Tausende Menschen das Leben gekostet hat. Und Owen wurde dazu ausgewählt, diese Barbarei zu beenden. Doch dafür muss er einen Menschen töten...
    Wie schon erwähnt, ist dies nicht die einzige Geschichte des Buches. Brill schreckt immer wieder aus seiner Phantasie auf und verliert sich dann in Erinnerungen, in denen ebenfalls wieder Geschichten erzählt werden, die ohne weiteres die Grundlage für ein eigenes Buch sein könnten.
    Es sind traurige Erzählungen, die aber zumindest ein kleines bisschen Trost enthalten: die Frau deren Mann verschwand, sie aber immer liebte; der SS-Offizier der das junge Mädchen hoffnungslos liebte und ihr und ihrer Familie zur Flucht verhalf; Owen Brick, der ein Land von einem Krieg befreien soll - doch um welchen Preis? Und Brills Leben selbst, der sich nie verzeihen kann, was er seiner geliebten Sonja antat...
    Es ist das erste Buch von Auster, das ich gelesen habe und ich bin hin und weg. Nicht nur dass er gut erzählen kann, er ist auch in der Lage diesen an sich schon packenden Geschichten so viel Hintergründiges mitzugeben, dass man ständig zum Weiterdenken angeregt wird. Da führen die USA mal keinen Krieg gegen Dritte - und schon erheben sie die Waffen gegeneinander. Oder welche Aussagekraft Gegenstände in Filmen entwickeln können - beeindruckend. Soll ein Mensch einen anderen töten, um das Leben vieler anderer zu retten?
    Suchte ich nach einem Motto für dieses Buch, wäre es 'Das Leben ist enttäuschend...' - ein Satz der in einem der beschriebenen Filme fällt und vermutlich jeder der Personen in diesem Haus zugeschrieben werden könnte. Doch 'Und die wunderliche Welt dreht sich weiter' - ein Zitat von Rose Hawthorne, das am Ende des Buches auftaucht und (irgendwie allen) wieder Mut macht.

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Es ist das erste Buch von Auster, das ich gelesen habe und ich bin hin und weg. Nicht nur dass er gut erzählen kann, er ist auch in der Lage diesen an sich schon packenden Geschichten so viel Hintergründiges mitzugeben, dass man ständig zum Weiterdenken angeregt wird.


    ich habe Paul Auster erst vor kurzem für mich entdeckt und bin sehr fasziniert von diesem Autor. Seine Geschichten ziehen den Leser sofort in die Welt seiner
    Protagonisten, so dass man kaum eine Pause einlegen will. Gleichzeitig gelingt es ihm, nicht nur an der Oberfläche menschlicher Charaktere zu bleiben, sondern
    tief einzutauchen in die Gedanken- und Gefühlswelt seiner Figuren.
    Vor allem die Romane >Leviathan< und besonders >Moon Palace< werden mir noch lange im Gedächtnis bleiben.


    lg taliesin :winken:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen