Mario Vargas Llosa - Lob der Stiefmutter

  • Originaltitel: Elogio de la madrastra


    Kurzbeschreibung (von Amazon kopiert):
    Don Rigoberto ist ein glücklicher Mann. Zu seiner zweiten Ehefrau erwählte er sich die sinnliche und höchst verführerische Doña Lukrezia. Gemeinsam geben sie sich Nacht für Nacht mit nicht enden wollender Leidenschaft erotischen Liebesspielen hin.
    Alles könnte immer so bleiben, wäre da nicht Alfonso, genannt Foncho oder Fonchito. Der kleine fünfjährige Sohn Don Rigobertos, mit blonden Locken und großen Unschuldsaugen, beginnt, seine Stiefmutter nicht nur platonisch zu begehren und gelangt in diesem Haus aufgeladener Fantasien alsbald zum Ziel.

    Anm.d.R.: der Junge ist 10.


    An ihrem 40. Geburtstag erhält Lukrezia (der Name ist Programm) von ihrem Stiefsohn einen liebevollen Brief, der ihre Befürchtungen, er könne sie als Stiefmutter nicht akzeptieren, beiseite fegt. Dennoch ist sie verunsichert, weil sie in seinem Verhalten nicht das eines Sohnes, sondern eines werbenden Liebhabers erkennt, der sie leidenschaftlich umarmt und beim Baden beobachtet. Um weiteren Annäherungen zuvorzukommen, gibt sie sich distanziert und abweisend, bis Alfonso mit Selbstmord droht.
    Ihr Mann Rigoberto, mit dem sie jeden Abend äußerst befriedigende erotische Stunden erlebt, unterzieht sich zuvor immer sorgfältigen, nach einem genauen Wochenplan festgelegten Wasch- und Sauberkeitsritualen.


    Der Komplex dieser Haupterzählung wird kapitelweise unterbrochen durch Bildbetrachtungen des Autors, bei denen er entweder in die Rolle eines der Abgebildeten oder die eines Geschichtenerzählers zum Bild schlüpft. Gemeinsam ist allen Bildbetrachtungen, dass sie, egal ob es sich um Venus bei Baden, abstrakte Geometriefiguren oder die Verkündigung Mariens handelt, stets zu erotischen Geschichten werden. Die Gemälde sind als Schwarz-Weiß-Fotos in schlechter Wiedergabe im Text eingefügt. Dass man in einer Buchausgabe für 5,90 € keine farbigen Tafeln erwarten kann, ist einzusehen, doch dadurch gehen vor allem bei den abstrakten Bildern Verständnis und Witz verloren. Ich habe mir die Gemälde zwar im Internet aufgerufen, aber sie sind nicht alle zu finden.


    Ein erotischer Roman, der fast völlig ohne die genretypischen detailreichen Beschreibungen spezieller Körperteile bei der geschlechtlichen Arbeit auskommt. Kann man sich vorstellen, dass das penible Säubern der Ohren zu einer erotischen Angelegenheit oder dass eine Darmentleerung zu einem sauberen zufriedenstellenden Ereignis mit orgasmusähnlichem Gefühl werden kann? Wenn man das Buch gelesen hat, kann man es sich vorstellen. Und man kann sich daber hinaus an der Ironie des Autors erfreuen.


    Besondere Beachtung verdient der Epilog, der das Buch mit einer wahrhaft teuflisch hinterhältigen Pointe abschließt.



    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Vargas Llosas schmaler erotischer Roman erzählt von einer Dreierkonstellation: Vater, Stiefmutter und Sohn. Frisch verheiratet führen Don Rigoberto und Dona Lukrezia eine harmonische Ehe mit einem reichen Sexualleben.
    Don Rigoberto, im Alltag bei einer Versicherungsgesellschaft eher prosaisch beschäftigt, entwickelt sich abends zu einem Hygienefanatiker und nachts zu einem hingebungsvollen Liebhaber. Die Phantasien, die sich an Kunstwerken entzünden, werden jeweils in einem Kapitel beschrieben.
    Diese erotische Idylle wird von dem vorpubertären Sohn Alfonso gestört, der für seine Schwiegermutter mehr als nur kindliche Gefühle zu hegen scheint...


    Vargas Llosa beschreibt Erotik in ihrer komplette Körperlichkeit und das ganz ohne banale, oft gehörte und gelesen Worte, ohne einen Hauch von Vulgarität. Don Rigobertos Waschrituale (jeder Wochentag ein Körperteil) sind ebenso Teil dessen wie die bereits erwähnten Phantasien über Kunstwerke. Dabei fehlt ihm nie das Augenzwinkern und er hält die Spannung bis zum Ende. Zwar ist es schon eine Weile her, dass ich den Nachfolger "Die geheimen Aufzeichnung des Don Rigoberto" las - mit über 450 Seiten ein gewichtiger Roman statt einer schmalen Novelle - doch erinnere ich mich, diesen mit weit weniger Vergnügen gelesen zu haben und ihn streckenweise als zäh empfunden zu haben. Davon ist bei der "Stiefmutter" nichts zu merken!


    Eigentlich würde ich dem Roman 5 Sterne geben, weil er mir wirklich Spaß beim Lesen bereitet hat, weil das Ende überraschend ist, weil Vargas Llosa gut schreibt und genau komponiert. Er berührt ein Tabu-Thema, auf unkonventionelle Weise, das hinterlässt ein vage unangenehmes Gefühl, also ein fast unbegründeter Sternabzug auf vier. Trotzdem: ein wunderbarer Roman, ein Lesevergnügen.


    Tipp: Maries Anmerkung über die SW-Reproduktionen in der SZ-Ausgabe kann ich gut nach vollziehen. Eigentlich wollte ich diese auch kaufen, hab' aber dann doch zufällig mal bei Tauschticket nach dem Original-HC geschaut und es ergattert. Es rentiert sich die HC oder TB-Ausgabe von Suhrkamp auf jeden Fall, denn anstatt SW-Reproduktionen enthalten beide Farbtafeln mit den beschriebenen Bildern!


    Katia

  • Nach Euren beiden Rezensionen und positiven Meinungen bin ich neugierig auf das Buch geworden und setze es mal auf meine Wunschliste.

    "Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont."
    Konrad Adenauer


    :study: Ashley Audrain - Der Verdacht











  • Es sieht so unscheinbar aus...fast schon langweilig. Aber die Rezi macht es mir schmackhaft! Danke! :thumleft:

    "Wie man's macht, ist es verkehrt, aber macht man's gleich verkehrt, ist es auch nicht richtig."

  • Ich muss diesen Thread wieder mal nach oben holen ...


    Das Lob der Stiefmutter ist wohl das unverschämteste Buch, das mir jemals in die Finger gekommen ist :shock: (gefällt mir übrigens sehr gut :wink: )


    Nachdem Vargas Llosas mit dem Buch Das böse Mädchen bei mir einen denkbar schlechten Start gehabt hat, hatte ich mich bei der Lektüre von Das Lob der Stiefmutter die meiste Zeit über in meiner schlechten Meinung bestärkt gefühlt (" ... der Autor hat sie nicht mehr alle, warum sollte ich so einen schwülstigen Mist lesen wollen ..." :evil: ).
    Immerhin gab es zwischendrin ein Kapitel über ein Monster, das ich genial geschrieben fand, wenn auch die Thematik dieses Kapitels ebenso scheußlich war wie die der meisten anderen.


    Und dann der Schluss:

    Besondere Beachtung verdient der Epilog, der das Buch mit einer wahrhaft teuflisch hinterhältigen Pointe abschließt.


    Das ist wieder einmal ein sehr gutes Beispiel dafür, dass man mal wirklich etwas falsch machen kann, wenn man ein Buch mittendrin abbricht - denn wer dieses Buch nicht bis zum Ende durchliest, der kennt das Buch einfach nicht, der weiß nichts von diesem Buch. Erst nach Ende der Lektüre wird einem klar, warum Das Lob der Stiefmutter in seiner Struktur und Wortwahl genauso und nicht anders geschrieben wurde - die Idee hinter dem Buch erscheint mir eine sehr gewagte, aber extrem gute, und die Ausführung ist für mich stimmig.


    Erst habe ich dem Buch vier Sterne vergeben, weil ich dachte, wenn ich mehr vergebe, kann man denken, dass ich solche Perversionen vielleicht toll fände 8-[ . Jetzt habe ich meine Bewertung in viereinhalb Sterne aufgewertet, und wenn ich noch ein bisschen überlege, mache ich vielleicht noch fünf Sterne draus. Für mich war es ein wirklich tolles Buch, und meine Verblüffung und meinen herzhaften Lacher am Schluss möchte ich nicht missen. :thumleft::totlach: Mit diesem Buch hat Vargas Llosa auch mich von seinem Talent überzeugt. :applause:

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Nein, beim besten Willen, das ist kein Buch, mit dem ich etwas anfangen kann. Dabei war ich nach @Hypocritias Hinweis noch so geduldig und habe das Ding zu Ende gelesen, aber auch die Schlusspointe hat meinen Lesefrust nicht ausgleichen können. Entweder habe ich nichts kapiert (obwohl mir die offensichtliche Wendung im Epilog schon klar ist), aber weshalb der Roman nun ausgerechnet diese Struktur und Sprache haben muss, das ist mir schleierhaft. Kapitelweise wechseln sich amouröse Abenteuer des Ehepaares, bzw. die allzu liebevollen Annäherungen des Kindes, mit schwülstigen Beschreibungen der Gemälde, und detailreiche Beschreibungen von Don Rigobertos Körperhygiene, ab.

    Kann man sich vorstellen, dass das penible Säubern der Ohren zu einer erotischen Angelegenheit oder dass eine Darmentleerung zu einem sauberen zufriedenstellenden Ereignis mit orgasmusähnlichem Gefühl werden kann?

    Hätte ich das nur vorher gelesen und als Warnung verstanden! Nein, wie man den "Darm in sanfte, fortwährende Schwingungen versetzt, damit die Obolusse bei ihrem Dahingleiten zur Ausgangspforte nicht drängen", sondern das "scheissen, koten und entleeren ein Synonym für geniessen werden kann", das wurde mir beim Lesen nicht zur erotischen Angelegenheit, sondern sprang mit leider bildlich vor Augen. Und die anschliessende Beschreibung, wie ein belgischer Yoga-Lehrer die Technik beherrscht durch peristaltische Bewegungen eine Schnur, gleich einer Schlange einzuführen, um die letzten Überreste im Darm... ?! Hoffentlich kriege ich dieses Bild bald wieder aus meinem Kopf heraus.
    Auf die pädophil angehauchten Passagen möchte ich gar nicht erst näher eingehen. Da bleiben noch die Kapitel mit den Gemäldebeschreibungen die irgendwie als Variation der Grundhandlung einfliessen, aber doch eigenständig bleiben. Eine interessante Idee, aber die schwülstige Sprache und das Hin- und Hergespringe zwischen der Geschichte an sich und den Bildbeschreibungen, waren so gar nicht nach meinem Geschmack.

  • @Nungesser ich musste wirklich herzhaft lachen wie ich deine Besprechung las.

    Nein, wie man den "Darm in sanfte, fortwährende Schwingungen versetzt,

    Dieses Buch "dümpelt" schon Jahrelang in einen Bücherregal vor sich hin. Seite 76/77 ist eine Karte "Liebi Mama, mir wünschet Dir alles Gueti uf de Muettertag" Bis bald xxx und xxx

    Zitat

    "Weg bist du, du Spitzbube, und nimmer kehrst du wieder"

    Die Karte blieb drin, das Buch versank im Vergessen, dank dir weiss ich auch wieder warum :roll:

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Schade, @Nungesser . :(


    Das Buch erinnert mich an sehr sehr unterhaltsame Lesestunden. Mit humorigen Büchern habe ich Schwierigkeiten, weil viele davon mir einfach nur peinlich und doof erscheinen. Aber Vargas Llosa traf mit diesem Roman genau die Art von schamlosen und unverfrorenen Humor, die mich begeistert.


    @serjena: Selber testen. :wink: Auf dem Klo kanns auch lustig zugehen. :lol:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Auf dem Klo kanns auch lustig zugehen.

    Das Wort des Tages! Nungesser hat ja keine Ahnung, was er da verpasst! :loool:


    @Nungesser, ist das Dein erster Kontakt mit diesem Autor? Wenn ja, dann lass Dich bitte nicht durch dieses Buch davon abhalten, es noch mal mit ihm zu probieren. Ich finde, er lohnt sich.

    :study: Zsuzsa Bánk - Die hellen Tage

    :study: Claire Keegan - Liebe im hohen Gras. Erzählungen

    :study: David Abulafia - Das Mittelmeer
















  • Ja, tatsächlich war das das erste Buch, welches ich von ihm gelesen habe. Auf meiner umfangreichen Wunsch- bzw. Merkliste habe ich noch ein paar Bücher stehen, aber die haben ganz sicher keine Eile. Ich gebe ihm nochmals eine Chance mit "Das grüne Haus", obwohl das Buch hier in der "SUB-B-Säule" auch schon seit gut 3 Jahren von einer Ecke in die andere geräumt wird.